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Archiv "Ärzte als Inoffizielle Mitarbeiter: Die Anwerbestrategie der Stasi" (04.03.2005)

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A566 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 94. März 2005

Ärzte als Inoffizielle Mitarbeiter

Die Anwerbestrategie der Stasi

Das „Schild und Schwert der Partei“, das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR, spannte sein Netz gezielt unter Ärzten.

L

oyal müsse der IM sein, kontakt- freudig und jung, so lauten kurz und knapp die Anforderungen, die ein Arzt erfüllen musste, wenn er „auserko- ren“ war, als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) tätig zu werden.

Für Stasi-Führungsoffiziere wäre dieses Anforderungsprofil viel zu knapp ge- wesen. Major Heinz Hampel* sah sich deshalb befleißigt, im Rahmen seines postgradualen Studiums an der Hoch- schule des Ministeriums für Staats- sicherheit in Golm bei Potsdam eine 50-seitige Abschlussarbeit zu diesem Thema vorzulegen. 1985, also in einer Zeit, in der die Stasi bereits mehr IM- Ab- denn Zugänge zu verzeichnen hatte, publizierte er unter dem Titel: „Die praktische Bewältigung wesentlicher Aufgaben bei der Suche, Auswahl und Gewinnung eines IM aus der Zielgruppe Medizin zur weiteren Erhöhung der sicherheitspolitischen Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit“.

Praktisch orientiert war Hampels Arbeit in der Tat. So analysierte der Major 1983/84 in einem konkreten Kreis* die „operativ-politische Lage im Gesundheitswesen“. Die beurteilte er insgesamt zwar positiv (alle Kollektive würden um den Titel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ ringen), doch damit sei „noch nicht die Aussage ge- troffen, dass alle einheitlich denken und handeln“. Von 882 Beschäftigten im Gesundheitsbereich des Kreises hätten drei „Übersiedlungsersuche“ gestellt, also Anträge auf Übersiedlung in die Bundesrepublik.Von den 54 Ärzten des Kreises unterhielten zudem 28 Kontakt in den Westen, zwei wären in der Kir- chengemeinde aktiv. Die politisch-ideo-

logische Diversion und die gegnerische Kontaktpolitik trügen bereits Früchte, konstatiert Hampel.

Für einen Kreis in der DDR der 80er-Jahre – der bereits mit drei Arzt- IM „besetzt“ war, ist das kein untypi- sches Bild. Für den Major des MfS war es dennoch Grund genug, einen vierten IM zu werben.Generell galt die medizinische Intelligenz als besonders anfällig für „die Angriffe des Klassenfeindes“. Die viel- fach schwierigen Arbeitsbedingungen, unbesetzte Planstellen sowie Engpässe bei Medikamenten wirkten sich negativ aus, berichtet das MfS mehrfach.

Auf weiteren zehn Seiten seiner Arbeit entwirft Hampel deshalb das

Anforderungsprofil an den künftigen IM-Arzt. Erarbeitet wird das Bild, be- vor ein Kandidat konkret ins Auge ge- fasst wurde. Der methodische Weg habe den Vorteil, dass das Profil nicht von vornherein auf den Kandidaten zuge- schnitten sei und dadurch die „vorhan- dene politisch-operative Lage und die innere Sicherheit im IM-Bestand“ ver- nachlässige, erläutert Hampel.

Objektiv notwendig sind nach An- sicht des Majors ein mittleres Alter, gute physische und psychische Belastbarkeit sowie eine spezialisierte Ausbildung.

Ferner muss der künftige IM verheiratet sein (am besten mit einer Ärztin, „um über sie weitere Informationen zu ge- winnen“) sowie nicht Mitglied der SED, dafür eines Leitungskollektivs sein. Von der Werbung eines IM-Arztes in einer führenden Position versprach sich das MfS diverse Vorteile: Sie überblickten einen großen Arbeitsbereich, besaßen eine umfangreiche Entscheidungskom- petenz und Freiräume bei der eigenen Arbeit (wichtig für konspirative Treffen) sowie Kontakte zu vielen anderen An- gehörigen der medizinischen Intelligenz.

Es verwundert daher nicht, dass jeder Vierte der untersuchten Arzt-IM Ärztli- cher Direktor oder Chefarzt war.

Subjektiv notwendig bezeichnet Hampel Menschenkenntnis, Kontakt- freudigkeit und „eine loyale bis positive politisch-ideologische Grundeinstellung zur DDR“ für eine Tätigkeit als IM.

Ferner müsse das „im Allgemeinen vor- handene Feindbild“ ausbaufähig sein.

Fähig müsse der Kandidat zum konspi- rativen Verhalten, zur Anwendung von Legenden gegenüber seiner Familie (um seine „Nebentätigkeit“ zu ver- tuschen) und zur Überwindung mora- lischer Bedenken sein.

Nach der „reinen Lehre“ der Hoch- schule des Ministeriums für Staats- sicherheit sollen die Aufgaben des neu- en Mitarbeiters bereits vor seiner Wer- bung festgelegt sein. Hampel analysiert sie für seinen Beispiel-Kreis akribisch:

So soll der neue IM alle „negativ oder feindlich in Erscheinung tretenden“

Ärzte, Schwestern und Pfleger und die Motive der „Übersiedlungsersuchen- den“ ausfindig machen. Beobachten soll er besonders den „politischen Un- tergrund“. Da dieser häufig in Kirchen angesiedelt war, die einen Freiraum für Andersdenkende in der DDR boten, soll es zu den Aufgaben des künftigen IM gehören, die „Wirksamkeit kirch- Schätzungsweise drei bis fünf Prozent der

Ärzte in der DDR arbeiteten für die Stasi.

*Der vorliegende Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Hannah-Arendt-Institut, Dresden, und basiert auf einer Originalarbeit.Alle Namen wurden jedoch geändert oder bleiben unerwähnt.

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licher Kräfte“ und das „Vorhandensein pazifistischen Gedankengutes“ zu über- wachen. Sein besonderes Augenmerk soll den 28 Ärzten gelten, die Kontakte in den Westen pflegen, und solchen, bei denen eine „feindliche Tätigkeit“ zu vermuten sei: „Durchführung der ope- rativen Personenkontrolle“ hieß das im Stasijargon.

Anwerbung war kein Zufall

Für die Erfüllung dieser Aufgaben sei es günstig, schätzt Hampel ein, dass der künftige IM die meisten Kollegen im Kreis kennt. Auch durch seine Patien- ten könne er einen tiefen Einblick in die persönlichen Probleme erhalten. Als ungünstig bewertet Hampel dagegen die Spannungen unter den Ärzten und Schwestern. Sie lebten häufig isoliert und kämen nur in kleinen, überschau- baren Gruppen zusammen. Dabei seien sie misstrauisch, zurückhaltend und wachsam Fremden gegenüber. Dies mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass das IM-Netz innerhalb der Ärzteschaft seit Anfang der 70er-Jahre sukzessive ausgebaut wurde. 1989 lag der Anteil der IM unter den Beschäftig- ten des Gesundheitswesens bei ein bis zwei Prozent und unter den Ärzten zwischen drei und fünf Prozent.

Die weitere Lektüre von Hampels Arbeit zeigt, wie durchkalkuliert und organisiert die Anwerbung eines IM stattfand. Beinahe nichts wurde dem Zufall überlassen.Waren die genannten Vorarbeiten geleistet, begann zunächst die Suche nach dem geeigneten Kandi- daten. Dazu wurde sämtliches Material über die 54 Ärzte des Kreises (Kaderakten etc.) ge- sichtet und mit dem Anfor- derungsbild verglichen. Dann wurde man fündig: Dr. med.

Enrico Scharrner*, Facharzt für Neurologie/Psychiatrie und stellvertretender ärztlicher Di- rektor, 41 Jahre, verheiratet mit einer Ärztin, ein Kind, schien der ideale Kandidat zu sein.

Fortan konzentrierte sich die Anwerbung des potenziellen IM – ein in Dauer und Akribie nicht zu unterschätzender Pro- zess – ganz auf seine Person.

Zunächst legte Hampel, natürlich in Abstimmung mit seinem Leiter der Diensteinheit, einen so genannten IM-Vorlauf an. Dieses Dokument beinhaltet alle bekannten Informatio- nen über Scharrner, ferner Ideen, wie man ihn noch weiter überprüfen könn- te, sowie einen Vorschlag, wie Scharr- ner am besten anzuwerben sei. Alle Schritte sind zudem mit Terminen und den Namen der dafür verantwortlichen Personen versehen. Damit kann die eigentliche „Aufklärung“ des IM-Kan- didaten beginnen. Diese müssen opera- tive Mitarbeiter vornehmen, um dabei herauszufinden, ob der künftige IM tatsächlich geeignet ist und seine Aufgaben in den kommenden zehn bis 15 Jahren erfüllen kann.

Auf Scharrner waren zwei IM „ziel- gerichtet“ angesetzt, allerdings ohne selbst den Zweck ihrer Überprüfungs- aufgabe zu kennen. Sie glaubten, Scharrner werde für einen Einsatz als „Auslandskader“

gecheckt. Analysieren sollten sie seine politi- sche Haltung, seine Einstellung zur Arbeit und den Berufsge- heimnissen, sein Fami-

lienleben, seine Moralauffassung, sei- nen Verbindungs- und Umgangskreis sowie seinen Tagesablauf an Wochen- tagen. Diesen benötigte das MfS, um Kontakt mit ihm aufzunehmen. Der Abgleich der neuen Informationen mit dem Anforderungsprofil an den künfti- gen IM war im Falle Scharrner positiv.

Die eigentliche Anwerbung konnte beginnen.

Nur selten warb das MfS einen künfti- gen Mitarbeiter gleich beim ersten Kon- takt. Stattdessen erhielt der so genannte IM-Vorlauf häufig eine erste „Probe- Aufgabe“. So konnte das MfS unter einem Vorwand mit ihm Kontakt auf- nehmen. Gleichzeitig stellte der künftige IM seine Fähigkeiten und Loyalität un- ter Beweis – ohne sein Wissen wohlge- merkt. Scharrner brauchte das MfS als

„Fachmann“, um eine Brand-Serie in der Kreisstadt aufzuklären. Hampel prüfte bei dem Psychiater das Vertrauen zum MfS, seine Bereitschaft, über seine Pati- enten zu sprechen und Karteien durch- zusehen. Seine Aussagen überprüfte er auf ihren Wahrheitsgehalt und fertigte einen umfangreichen Bericht über das Wesen und die Arbeitsweise von Scharr- ner an – Urteil: positiv.

Damit hatte Scharrner nach acht

„Kontaktgesprächen“ unbewusst auch diese „Hürde“ genommen: „Scharrner ist aufgrund seiner politischen Grund- haltung, seiner Hal- tung zum Beruf, seiner festen Bindung an sei- ne Familie, seines Wil- lens, in der Kreisstadt zu verbleiben, seiner Zuverlässigkeit und seiner Überzeugung, dass das MfS eine notwendige Einrichtung zur Erhaltung des Friedens ist, ein zuverlässiger Part- ner für unser Organ“, konstatiert Ham- pel. Zudem fühle sich der Kandidat, der Interesse an schwer zugänglichen west- lichen Fachzeitschriften habe, durch die Verbindung zum MfS abgesichert.

Hampel warb Scharrner am 29. April 1985 um 14 Uhr unter konspirativen Bedingungen „auf der Grund- lage der Überzeugung“ an.

Scharrner gab eine schriftliche Verpflichtung ab, wählte einen Decknamen und erhielt seinen ersten Auftrag. Aus Überzeu- gung ließen sich die meisten IM-Ärzte anwerben. Sie galten als die zuverlässigsten Mitar- beiter. Und so konnte Hampel zufrieden auf der letzten Seite seiner Arbeit schreiben: „Der IM wurde zu seinem Schritt be- glückwünscht, und es wurde ihm ein Buch zur Erinnerung überreicht.“

Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann T H E M E N D E R Z E I T

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A568 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 94. März 2005

Ausbildungsstätten des MfS

An der „Schule des Ministeriums für Staatssicherheit“ in Golm bei Pots- dam, 1951 von Walter Ulbricht eröffnet, konnte man von 1963 an ein Diplom erwerben. Offiziell wurde sie seit Juni 1965 „Juristische Hoch- schule Potsdam“ genannt. Intern jedoch war die Ausbildungsstätte für leitende Offiziere des MfS unter dem Namen „Hochschule des Ministeri- ums für Staatssicherheit“ bekannt. Am 18. Juni 1968 erhielt sie Promoti- onsrecht. Alle Arbeiten unterlagen den Geheimhaltungsregeln eines Geheimdienstes. Zunächst entstanden die Lehrstühle „Juristische Aus- bildung“, „Kriminalistik“ sowie Institute für Marxismus-Leninismus, Recht und Spezialdisziplin. Später kamen die Lehrstühle für „Grund- prozesse der politisch-operativen Arbeit“, „Spionage“, „Politische und ideologische Diversionstätigkeit“, „Politische Untergrundtätigkeit“ und

„Grundfragen der Arbeit im und nach dem Operationsgebiet“ hinzu.

Hochrechnungen zufolge hatten die Hochschule und eine angegliederte Fachhochschule bis zur Auflösung etwa 10 000 Absolventen.

Die medizinische Intelli- genz galt als „anfällig

für die Angriffe

des Klassenfeindes“.

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