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Archiv "Niedergelassene Ärzte: „Die KV hat mehr Vorteile, als manchen bewusst ist“" (05.05.2006)

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chon im Frühjahr steht fest: Das Jahr 2006 wird als Protestjahr in die Ge- schichte der deutschen Ärzteschaft eingehen. Wie beurteilt ein ehemaliger Funktionsträger, der im Lauf der Jahr- zehnte manchen Strauß für die Ärzte- schaft ausgefochten hat, die anhaltende Protestwelle? „Ich habe volles Verständ- nis für die Proteste“, stellt Prof. Dr. med.

Dr. h. c. Hans Joachim Sewering im Ge- spräch mit dem Deutschen Ärzteblatt heraus. „Und ich bedauere, dass Ärzte es nötig haben, auf die Straße zu gehen.“

Kritische Untertöne klingen an,wenn Se- wering davon spricht, dass nach seinem Eindruck „der Unmut sehr emotional ge- steuert ist“. 36 Jahre (von 1955 bis 1991) stand der Internist und Lungenfacharzt aus Dachau an der Spitze der Bayeri- schen Landesärztekammer, 20 Jahre war er Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (von 1972 bis 1992) und fünf Jahre (bis 1978) Präsident der Bundesärztekammer. „Ich erinnere mich an Zeiten, als wir die Dinge in intensiven und guten Gesprächen mit den Politikern ausgehandelt haben.“ Dabei hat Sewe- ring, der schon 1959 Vizepräsident der Bundesärztekammer geworden war, vor Augen, „wie wir zu Adenauer marschiert sind. Damals wäre kein Arzt auf die Idee gekommen, zu Demonstrationen aufzu- rufen.“ Lässt sich aber die aktuelle Lage der Niedergelassenen heute mit der von damals vergleichen? Zu Anfang der 50er- Jahre sei die Honorarsituation sicher schlechter gewesen, versichert Sewering.

Es folgten die guten 60er- und 70er-Jahre.

„Im Jahr 1965 haben wir erstmals die Einzelleistungsvergütung erreichen kön- nen.“ Allerdings: Lediglich für einige Jah- re, bis Anfang der siebziger, wurde die Gesamtvergütung nach Einzelleistungen

berechnet. Vorher und nachher gab es immer Begrenzungen und Pauschalie- rungen.

Eine Gebührenordnung in Euro und Cent, wie sie nun auch Bundesgesund- heitsministerin Ulla Schmidt befürwor- tet, hält Sewering für richtig, er warnt zu- gleich aber vor Naivität. „Auch in Zeiten, in denen es eine Gebührenordnung in Mark und Pfennig gab, hat – von den we- nigen Ausnahmejahren abgesehen – die Gesamtvergütung nie ausgereicht, um das Honorar zu bezahlen, das in der Ge-

bührenordnung stand.“ Dem einzelnen Kassenarzt sei pro Quartal eine Auszah- lungsquote von beispielsweise 76,5 Pro- zent mitgeteilt worden. Für Sewering steht außer Frage: „Die Gesamtvergü- tung ist begrenzt und wird es auch blei- ben.“ Die finanziellen Nöte der Kassen, denen durch die Arbeitslosigkeit Millio- nen von Beitragszahlern fehlten, ließen gar nichts anderes zu. Deshalb sei es „ein

Schwindel ohnegleichen“, wenn die Poli- tik den Eindruck erwecke, die Kas- senärzte bekämen künftig alle Leistun- gen bezahlt.

Sewerings Sorge ist, dass eine Ein- heitsgebührenordnung kommen und die private Krankenversicherung auf Zu- satzangebote reduziert werden könnte.

Dem oft gehörten Vorwurf, die Privatver- sicherten entzögen sich der Solidarlei- stung, hält Sewering entgegen, dass vor Jahren ganz anders argumentiert wurde:

„Damals galten freiwillig gesetzlich Ver- sicherte manchen als Schmarotzer, die nur die Vorteile der GKV, insbesondere die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder, ausnutzen wollten.“

Dass viele Kassenärzte das überaus komplexe Honorarsystem durch etwas ganz Neues abgelöst sehen möchten, kann Sewering sehr gut nachvollziehen.

Begonnen habe die negative Entwick- lung mit der gesetzlichen Vorgabe, die Gesamtvergütung in einen hausärztli- chen und einen fachärztlichen Teil zu trennen. „Damit ist es der Politik gelun- gen, eine Frontstellung Hausärzte gegen Fachärzte aufzubauen.“ Die Aufteilung

in Töpfe und Töpfchen schüre den Neid unter den Fachgruppen, eine „unglückse- lige Entwicklung, die in der Forderung nach einer Hausarzt-KV gipfelt“. Seinen Nachfolgern in Kassenärztlichen Vereini- gungen (KVen) und Verbänden rät Sewe- ring eindringlich, die einzelnen Gruppen in der Kassenärzteschaft wieder zu einer Einheit zusammenzuführen. „Ansonsten werden wir ein abhängiger Berufsstand.“

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A1196 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 18⏐⏐5. Mai 2006

Niedergelassene Ärzte

„Die KV hat mehr Vorteile, als manchen bewusst ist“

Prof. Dr. med. Hans Joachim Sewering, Ehrenmitglied des Vorstands der Bundesärztekammer, warnt die Vertragsärzte davor, ihr Heil in Einzelverträgen mit den Kassen zu suchen.

Foto:Jürgen Gebhardt

„Junge Ärztinnen benötigen bessere Bedingungen, um in der ambulanten Versorgung tätig zu werden.“

Hans Joachim Sewering

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Dass mancher Arzt in Einzelverträ- gen mit den Krankenkassen eine Per- spektive sieht, endlich dem engen Ho- norarkorsett zu entkommen, weiß der frühere KV-Chef. Sicher werde es immer gesuchte Spezialisten geben. Aber in Einzelverträgen sieht Sewering keine Lösung. „Im Moment werben die Kas- sen noch um Ärzte. Sie werden aber die Zügel anziehen. Dann sind die vertrag- lich an die Kassen gebundenen Ärzte die Schwachen.“ Diese Abhängigkeit zu verhindern sei ja gerade Sinn der Grün- dung der Kassenärztlichen Vereinigun- gen und des 1955 beschlossenen Kassen- arztrechts. „Damals hat die Politik un- missverständlich klar gemacht: Ihr be- kommt den Sicherstellungsauftrag und könnt Kassenärztliche Vereinigungen gründen mit Pflichtmitgliedschaft. Die Conditio sine qua non war die verbindli- che Schlichtung, um einen vertragslosen Zustand und auch Streiks auszuschlie- ßen.“ Die Konsequenz: Die KVen wur- den alleinige Vertragspartner der Kas- sen. „Das hat mehr Vorteile, als manchen Kollegen bewusst ist“, stellt Sewering heraus. „Der Vorsitzende der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Volker Kauder, hat Recht: Wenn man die KVen auflöst, ist das so, als wenn jeder Arbeitnehmer allein mit einem Konzern über den Lohn verhandelt.“ Dass die Alleinstel- lung der KVen durch das GKV-Mo- dernisierungsgesetz durchlöchert wur- de, hält Sewering für sehr bedenklich.

„Meine größte Sorge ist, dass unsere Selbstverwaltung vom Gesetzgeber de- montiert wird.“ Zudem befürchtet Se- wering, dass Kassenärzte zunehmend in Abhängigkeit von Krankenhausambu- lanzen geraten könnten. Während über manches schon vor Jahrzehnten gestrit- ten wurde, gibt es auch Auseinanderset- zungen, die sich überlebt haben. Sewe- ring stand in den 70er-Jahren im Zen- trum eines Streits mit den Kassen, weil er die gemeinsame Apparatenutzung durch Vertragsärzte propagiert und in seiner Gemeinschaftspraxis auch reali- siert hatte. Heute sei dies längst selbst- verständlich.

Sewering sorgt sich, dass sich künftig weniger junge Ärzte für die Niederlas- sung entscheiden könnten, „wenn sie im- mer nur hören, wie schlecht es uns geht“.

Es sei ja nicht alles schlechter geworden.

Sewering ruft in Erinnerung, dass früher

vor der Quartalsabrechnung die Praxis geschlossen wurde, weil alle verfügba- ren Kräfte benötigt wurden, um die Krankenscheine zu sortieren. Der Computer habe die Arbeit erleichtert.

Auch die Klagen über zu viel Bürokra- tie beurteilt er differenziert: „Ganz oh- ne Schriftkram geht es nicht. Wo Geld fließt, muss auch ein Nachweis geführt

werden.“ Eine wesentliche Herausfor- derung der Zukunft sieht Sewering dar- in, jungen Ärztinnen die Möglichkeit zu geben, in der ambulanten Versorgung tätig zu werden. „Sie wollen und kön- nen keine Praxis auf dem Land überneh- men, schon gar nicht, wenn sie Familie haben.“ Hier liege der Schlüssel zur Be- hebung des Ärztemangels. Heinz Stüwe P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 18⏐⏐5. Mai 2006 AA1197

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as ist eigentlich eine gute Patientenbetreuung oder eine wirkungs- volle Behandlung wert? Schon der Umfang der Gebührenordnung für Ärzte oder des Einheitlichen Entwertungsmaßstabs lässt erah- nen, dass diese Diagnose äußerst schwer zu stellen ist. Zum Quartalsende scheint sich diese Frage aber zu beantworten: Nichts ist es wert. Bizarr an- mutende Regularien im kassenärztlichen Bereich haben dazu geführt, dass die Mehrzahl von uns die letzten Wochen im Quartal umsonst arbeitet.

Auch ich bin budgetiert; und wenn ich für meine Arbeit schon nichts krie- ge, so habe ich beschlossen, darf ich wenigstens laut meine Meinung sagen.

Also erläutere ich meinen Patienten, dass gegen Vorlage der Chipkarte so- wie zehn Euro Praxisgebühr, die ich als Inkassobeauftragter verwalte, hochkarätige ärztliche Leistungen in Anspruch genommen werden kön- nen. Dass unsere Arbeit auf der Absorption und Digestion unzähliger

großvolumiger Fachbücher fußt. Dass wir durch ständige Assimilation neue- ster Forschungsergebnisse modernste diagnostische und therapeutische Verfahren vorhalten. Dass der fortschreitende Marasmus unserer Vergü- tung kaum erträglich ist, während Qualitätsbescheinigungen und Bürokra- tie metastatisch um sich greifen. Dass wir trotz allgegenwärtiger Kontrol- leure und Regresseure das Ärztemöglichste tun, um unseren Schutzbefoh- lenen das Beste an moderner Medizin zukommen zu lassen. Dass es ein schlechter Witz ist, wenn wir mit unserem Einkommen für den medizini- schen Fortschritt auch noch haften müssen. Dass wir am Ende des Quartals unsere Leistungen völlig umsonst . . .

„Das ist ja unglaublich, Herr Doktor“, unterbricht mich mein Patient,

„ich hätte nie gedacht, dass Sie für nichts arbeiten. Ich meine, ist es nicht so, dass Sie auch noch die Miete bezahlen müssen und Ihre Arzthelferinnen und so?“ Das wohlige Gefühl des Verständnisses umflort meine angegriffe- ne ärztliche Seele. Natürlich ist es so! „Dann zahlen Sie ja am Ende noch drauf, ich meine, wenn Sie gar nichts dafür kriegen, wenn Sie mich behandeln?“ Ganz gerührt bin ich, dass doch noch jemand für mich Verständnis zeigt. „Aber mal ehrlich, Herr Doktor: Wenn Sie wirk- lich nichts mehr für Ihre Arbeit kriegen, und Sie machen trotzdem weiter, kann ja Ihre Arbeit eigentlich gar nichts wert sein, oder? Wie sagt man: Was nichts kostet, taugt auch nichts!“ Dr. med. Thomas Böhmeke

Nichts wert

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