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Archiv "Interview mit Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Nun starten wir Schritt für Schritt durch“" (16.04.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 15

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16. April 2010 A 685

„Nun starten wir

Schritt für Schritt durch“

Jens Spahn über die Bedeutung der Richtgrößenprüfung, die Zukunft der ärztlichen Versorgung in Deutschland und die Unzufriedenheit vieler Ärzte nach der Honorarreform

Herr Spahn, in den letzten Wochen ha- ben sich viele gefragt, wann die Ge- sundheitspolitiker der Koalition ihre Reformpläne vorstellen. Warum ist so lange nichts passiert?

Spahn: Nichts passiert – so würde ich es nicht formulieren. Aber na- türlich müssen sich alle erst ein Stück weit in ihre Arbeit einfinden.

Immerhin hatten wir einen Wechsel an der Spitze des Gesundheitsmi- nisteriums. Ich denke, das gehört auch dazu, da sollte Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Aber nun starten wir Schritt für Schritt durch, zum Beispiel im Arzneimittelbe- reich. Und zwar schneller, als viele es erwartet haben. Als Nächstes werden wir in diesem Jahr noch die Probleme in der ambulanten ärztli- chen Versorgung angehen. Und auch die Regierungskommission hat ja nun ihre Arbeit aufgenom- men.

Wie sieht der gesetzgeberische Fahr- plan für die Eckpunkte zur Arzneimit- telversorgung aus?

Spahn: Die kurzfristigen Maßnah- men, wie den Pharmasoli, den Zwangsrabatt und das Preismorato- rium, werden wir an das GKV-Än- derungsgesetz anhängen, so dass sie zum 1. August in Kraft treten können. Da gibt es Konsens zwi- schen allen drei Koalitionsparteien.

So können wir schon in diesem Jahr knapp 500 Millionen Euro für die gesetzliche Krankenversicherung

einsparen. Für die restlichen Eck- punkte werden wir ein Gesetzge- bungsverfahren idealerweise noch vor der Sommerpause beginnen las- sen und in der zweiten Jahreshälfte abschließen.

In den Eckpunkten zur Arzneimittelver- sorgung haben Sie angekündigt, Regu- lierungsinstrumente wie die Bonus- Malus-Regelung, das Zweitmeinungs- verfahren und die Wirtschaftlichkeits- prüfung auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen.

Spahn: Wenn in einem Versor- gungsvertrag zwischen Kranken- kasse und Pharmahersteller Stan- dards für die Behandlung mit Arz- neimitteln festgelegt werden, kann

man auf das Zweitmeinungsverfah- ren, auf die Bonus-Malus-Regelung und auf die Richtgrößenprüfung verzichten. Am besten wäre es, wenn an solchen Verträgen auch Ärzte, Krankenhäuser und Apothe- ken teilnehmen. Wir wollen auch verbindlicher regeln, dass derjeni- ge, der sich an Therapiehinweise hält, ohne Sorge vor Regressen ar- beiten kann.

Ganz wegfallen wird die Wirtschaftlich- keitsprüfung nicht?

Spahn: Nein, ganz ohne Anreize zur Wirtschaftlichkeit wird es nicht gehen. Die sollten entweder in den Versorgungsverträgen enthalten sein oder eben in der Richtgrößen- prüfung.

Mit den Eckpunkten wollen Sie Preis- verhandlungen für innovative Arznei- mittel einführen. Kritiker sagen, die Kassen können mit den Arzneimittel- herstellern nicht auf Augenhöhe ver- handeln. Stimmt das?

Spahn: Natürlich werden die Dos- siers von den Pharmaherstellern be- zahlt werden. Aber sie werden dann ja von einem unabhängigen Institut, in der Regel vom IQWiG, bewertet.

Ich denke schon, dass der Spitzen- verband Bund auf dieser Basis sehr wohl auf Augenhöhe verhan- deln kann. Wir wünschen uns ja auch, ähnlich wie es das heute schon beim BfArM gibt, sogenann- te Guidance-Gespräche, in denen

INTERVIEW

mit Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Fotos :Gerorg J. Lopata

Münsterländer ist der gelernte Bank- kaufmann Jens Spahn (29) mit Leib und Seele. In die CDU trat er mit 17 Jahren ein, mit 22 Jahren wurde er das erste Mal in den Deut- schen Bundestag ge- wählt.

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A 686 Deutsches Ärzteblatt

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16. April 2010 sich G-BA, IQWiG und Hersteller

noch vor der Zulassung darüber ab- stimmen, in welche Richtung die klinischen Studien gehen und was die Dossiers enthalten sollen. Heute haben wir ja das Problem, dass die Studien in aller Regel nicht für die Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG gemacht werden, sondern dass man sie aus aller Welt irgend- wie zusammenholt. Und keiner weiß genau, was die Studien über- haupt enthalten sollen.

Wollen Sie solche Gespräche verpflich- tend einführen?

Spahn: Nein, aber wer schlau ist, der wird solche Gespräche führen. Denn je früher die Hersteller an den Dos- siers arbeiten, desto schneller werden die Verträge zustande kommen. Wir haben ja auch nicht ohne Grund zeit- liche Begrenzungen für die einzelnen Verfahrensschritte gesetzt, weil wir eben nicht wollen, dass sich das in al- le Ewigkeit hinzieht.

Glauben Sie, die Institutionen können den erhöhten Arbeitsaufwand innerhalb der Fristen bewältigen?

Spahn: Ich gehe davon aus, dass sich die Institutionen an Gesetze halten. Im Zweifel muss man sie noch einmal stärken, bei Bedarf auch personell. Mir ist lieber, man investiert das Geld in die Institutio- nen und die Verfahren laufen dann auch schnell, als dass wir Hunderte Millionen durch zu lang andauern- de Verfahren verlieren.

Welche Signale gab es denn aus dem G-BA?

Spahn: Der G-BA hat signalisiert, dass er sich in der Lage sieht, das zu schaffen. Wie gesagt: Im Zweifel muss man die Institutionen in die Lage versetzen, es zu schaffen.

Für manche kam es durchaus überra- schend, dass eine bürgerliche Koalition nun bei der Industrie den Rotstift an- setzt . . .

Spahn: Selbstverständlich sind uns der Forschungsstandort Deutsch- land und die Entwicklung von inno- vativen Arzneimitteln wichtig. Wir machen das jetzt ja auch nicht, weil wir es so gerne wollen, sondern weil es notwendig ist. Ich habe aber

den Eindruck, dass auch die Phar- maindustrie weiß, dass sie ihren Beitrag leisten muss. Natürlich wollen sie es nicht, aber ich glaube schon, dass wir eine hinreichende gesellschaftliche Akzeptanz haben, für das, was wir gerade tun.

Stichwort Ärztehonorar. Die letzte Ho- norarreform hat ungefähr drei Milliar- den Euro mehr für die Ärzte gebracht.

Trotzdem sind viele unzufrieden.

Spahn: Ja, das ist schon ein Para- doxon. Wir haben so viel Geld aus- gegeben wie noch nie. Doch gleich- zeitig ist die Unzufriedenheit so groß wie noch nie. Da steht man dann manchmal etwas machtlos da- vor und staunt. Aber es ist ja auch so, dass sich jetzt nur diejenigen melden, die weniger haben. Dieje- nigen, die jetzt 15 Prozent mehr verdienen, sagen lieber nichts, weil sie Angst haben, man nimmt es ih- nen wieder weg.

Woher kommt diese Unzufriedenheit?

Spahn: Ich denke, der Grund für die Unzufriedenheit ist die Transpa- renz, die wir jetzt haben. Früher gab es vielleicht eine gefühlte Un- gleichheit in der Vergütung. Jetzt kann man diese Ungleichheit, die schon immer bestanden hat, auf

einmal auf den Cent genau ausrech- nen. Und es gibt nun einmal deutli- che Unterschiede bei den Regelleis- tungsvolumen. Mein Wahlkreis liegt in Westfalen, direkt an der Landesgrenze zu Niedersachsen.

Und dort machen nur fünf Kilome- ter einen Riesenunterschied bei den Regelleistungsvolumen aus. Trotz- dem finde ich diese Transparenz erst einmal richtig. Denn erst, wenn man weiß, was eigentlich Sache ist, kann man schauen, wo man noch nachbessern muss.

Wo muss man nachbessern?

Spahn: Wir müssen zuerst einmal sicherstellen, dass die Regelleis- tungsvolumen auch tatsächlich die Grundversorgung abdecken können – und nicht etwa zugunsten der extrabudgetären Vergütung immer weiter in den Keller gehen. Da muss man zum Beispiel nachden- ken, ob es beim Zwang zur Pau- schalierung bleiben muss. Oder ob man die Selbstverwaltung noch fle- xibler agieren lässt.

Wie wollen Sie der Unzufriedenheit in einigen Bundesländern begegnen?

Spahn: Ich will den Schwarzen Pe- ter nicht immer weiterschieben, aber es ist ja ein allgemein anerkanntes

Ich habe den Eindruck, dass auch die Pharmaindustrie weiß, dass sie ihren Beitrag leisten muss.

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16. April 2010 A 687 hohes Gut, dass die Selbstverwal-

tung die Grob- und Feinverteilung der Honorare zwischen den Arzt- gruppen durchführt. Man muss nun sehen, wie wir die Selbstverwaltung in die Lage versetzen können, dies möglichst gerecht zu tun. Eine hun- dertprozentige Zufriedenheit bei al- len Ärzten wird es jedoch nie geben.

Eine Zuständigkeit des Gesetzgebers sehe ich allerdings in dem Punkt, was der Bewertungsausschuss auf Bundesebene regelt und was viel- leicht in den Regionen besser aufge- hoben ist. Damit wollen und müssen wir uns noch beschäftigen.

Als Nächstes will die Regierung die ärztliche Versorgung vor allem in den ländlichen Regionen verbessern. Wie sehen da Ihre Vorstellungen aus?

Spahn: Ich glaube, wir müssen viel mehr zwischen Ballungszentren und ländlichen Regionen unter- scheiden. Das gilt für niedergelas- sene Ärzte ebenso wie für Kranken- häuser. Im ländlichen Bereich könnte ich mir durchaus vorstellen, dass es nicht mehr überall den nie- dergelassenen Arzt gibt, der jeden Tag in seiner Praxis ist, sondern nur

noch an bestimmten Wochentagen.

Ein Facharzt könnte zum Beispiel am Montag in der Praxis sein und ein anderer am Dienstag. Hier sollte dann auch die Kommune miteinbe- zogen werden, indem sie zum Bei- spiel Räume zur Verfügung stellt.

Für Kommunalpolitiker ist das ja auch ein großes Thema, ob es in kleinen Orten einen Arzt gibt oder nicht. Dabei sprechen wir dann na- türlich, und so ehrlich muss man sein, von Angestelltenstrukturen.

Außerdem muss man darüber nach- denken, ob die Honorare und die Investitionszuschüsse in unterver- sorgten Gebieten höher sein sollen.

Sie wollen ja auch die Bedarfsplanung ändern.

Spahn: Ja, die Bedarfsplanung muss kleinräumiger werden. Denn jetzt kommt es doch häufig vor, dass eine Überversorgung in einem Stadtteil, hier in Berlin zum Bei- spiel in Zehlendorf, eine Unterver- sorgung in einem anderen Stadtteil, zum Beispiel in Neukölln, statis- tisch nivelliert. Oder nehmen Sie meinen Landkreis. Dort hilft es kei- nem, wenn in der Kreisstadt fünf

Kinderärzte sind, 50 Kilometer wei- ter im Norden, aber immer noch im selben Landkreis, überhaupt keine mehr. Ich finde in dem Zusammen- hang auch den Vorschlag der KBV gut, bei der Bedarfsplanung die Sektorengrenzen zu überwinden.

Was spricht dafür?

Spahn: Warum sollte man nicht auch die ambulanten Angebote der Krankenhäuser mit in den Blick nehmen? Heute ist es doch so, dass sich die Fachärzte rund um ein Krankenhaus niederlassen und eben nicht 30 Kilometer entfernt. Wenn man das Krankenhaus und seine An- gebote bei der Bedarfsplanung be- rücksichtigt, könnte man vielleicht ja auch Probleme zum Beispiel durch den § 116 b SGB V etwas ent- schärfen. Heute ist die Situation doch so angespannt, weil die Betei- ligten so eng aufeinanderhocken.

Und wie ist es mit dem stationären Bereich?

Spahn: In den Ballungsräumen ha- ben wir eher zu viele als zu wenige Krankenhäuser. Schauen Sie sich die Notfallversorgung an. Hier in Berlin gibt es alle zwei Kilometer eine Notfallambulanz, die wesent- lich teurer ist als eine Ambulanz im niedergelassenen Bereich. Wir müssen uns fragen, ob solche Strukturen überhaupt genutzt wer- den. Hier würde es sich lohnen, über Selektivverträge in Ballungs- räumen nachzudenken.

Was haben Sie sich bis zum Ende der Legislaturperiode noch vorgenommen?

Spahn: Nächstes Jahr steht sicher- lich die Pflegereform im Mittel- punkt. Und ich würde gerne noch einmal, in etwas ruhigeren Zeiten, ei- nen Schwerpunkt setzen auf die psy- chiatrische Versorgung in unserem Land. Das ist ein Thema, das in den kommenden Jahren leider noch an Bedeutung gewinnen wird, wenn man sich die Statistiken zur Berufs- unfähigkeit durch psychische Er- krankungen ansieht. Es wäre sinn- voll, in einer öffentlichen Debatte einmal über die Versorgungsstruktu- ren in diesem Bereich zu sprechen. ■ Das Interview führten Falk Osterloh und Sabine Rieser.

Die Regelleistungsvolumen müssen die Grundversorgung abdecken können – und dürfen nicht zugunsten der extra- budgetären Vergütung weiter in den Keller gehen.

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