• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Interview mit Daniel Bahr, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion: „Leistung muss sich wieder für alle Ärzte lohnen“" (11.09.2009)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Interview mit Daniel Bahr, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion: „Leistung muss sich wieder für alle Ärzte lohnen“" (11.09.2009)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 1766 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 106

|

Heft 37

|

11. September 2009 Viele Ärzte verbinden mit einer Regie-

rungsbeteiligung der FDP große Hoff- nungen. Manche Mediziner werben in ihren Praxen sogar für die Liberalen.

Brechen für die Ärzte wirklich goldene Zeiten an, wenn Sie nach dem 27. Sep- tember auf der Regierungsbank sitzen?

Bahr: Auch die FDP kann nicht von heute auf morgen rückgängig machen, was in mehr als zehn Jah- ren beschlossen wurde. Das Ent- scheidende ist, dass es durch eine Regierungsbeteiligung der FDP zu

einem Richtungswechsel kommen wird. In den vergangenen Jahren wurde das Gesundheitswesen in Richtung eines staatlichen zentra- listischen Systems umgekrempelt.

Die Grundprinzipien, auf die wir in Deutschland stolz sein können – freie Arztwahl, freie Krankenhaus- wahl und Therapiefreiheit – wurden immer mehr ausgehöhlt. Folglich verschlechterte sich die Versor- gung. Diese Richtung muss drin- gend korrigiert werden.

Womit wollen Sie anfangen?

Bahr: Als Erstes wollen wir den Gesundheitsfonds wieder abwi- ckeln. Er ist das Paradebeispiel für den Weg in ein staatliches zentralis- tisches Gesundheitswesen. Dass die Krankenkassen derzeit Zusatzleis- tungen wie Onkologie- und Sozial- psychiatrie-Vereinbarungen oder auch Hausarztverträge und integrierte Versorgungsverträge kündigen, ist alles eine Folge des Fonds. Wir brauchen wieder die Beitragsauto- nomie der Krankenkassen.

Auch die Honorarreform muss meines Erachtens noch einmal auf den Prüfstand. Sie hat das Ziel ver- fehlt, für Ärzte eine leistungsge- rechte und transparente Vergütung zu erreichen.

Und wir werden uns für eine Re- gionalisierung der Gesundheitspoli- tik einsetzen. Das Gesundheitswe- sen ist nicht überall gleich.

Stichwort Honorarreform. Die Ärzte sind gefrustet, obwohl viele mehr ver- dienen. Was ist schiefgelaufen?

Bahr: Es war von Anfang an ein Fehler, die neue Honorarordnung ohne Konvergenzphase zu starten und nicht wie bei der Einführung der Fallpauschalen in den Kliniken eine Übergangszeit einzuplanen.

Das muss man sich mal vorstellen, von einem Tag auf den anderen wurden die Honorarreform gestar- tet, der Gesundheitsfonds und der Einheitsbeitragssatz eingeführt und auch noch der neue morbiditäts - orientierte Risikostrukturausgleich der Kassen in Kraft gesetzt. Das war zu viel. Niemand konnte abse- hen, wie sich das alles auf die Ärzte auswirkt.

Den Ansatz, eine bundesweit einheitliche Vergütung anzustreben, halte ich grundsätzlich für falsch.

Überall – sei es im Sport oder auch in der Wirtschaft – gilt, dass sich Leistung lohnen muss. Der, der bes- ser ist als andere, soll auch mehr profitieren. Das gilt im Gesund- heitswesen bisher leider nicht.

„Leistung muss sich wieder für alle Ärzte lohnen“

Die Liberalen wollen die Kassenlandschaft vollständig privatisieren.

Mehr Marktelemente sollen den Wettbewerb bei Versicherungen und Ärzten anheizen. Für alle im Gesundheitswesen soll gelten:

Wer mehr leistet, soll auch profitieren.

Foto: Michael Dedeke

INTERVIEW

mit Daniel Bahr, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

P O L I T I K

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 106

|

Heft 37

|

11. September 2009 A 1767

Das alte System war noch ungerechter:

Ärzte im Osten Deutschlands haben deutlich schlechter verdient als ihre Kollegen im Westen – schlechter gear- beitet haben sie aber sicher nicht.

Bahr: Es ist richtig, dass in den neuen Bundesländern die Vergütun- gen nicht den Leistungen entspra- chen. Da gab es in der Tat einen enormen Nachholbedarf. Im Osten haben die Ärzte auch viel weniger Möglichkeiten, über Privatliquida- tion abzurechnen, als es ihre Kolle- gen im Westen können. Deswegen haben wir auch wenig Verständnis für die Position mancher Partei im Süden der Republik, die nur ihre re- gionalen Interessen im Blick hat.

Die FDP wird sich nicht daran be- teiligen, die Ärzte regional gegen - einander auszuspielen.

Aber trotzdem: Die Honorarre- form hat in ganz Deutschland zu enormen Verwerfungen geführt.

Verlierer gibt es auch im Osten.

Deshalb brauchen wir eine leis- tungsgerechte Vergütung über eine transparente Gebührenordnung. Leis- tung muss sich wieder für alle Ärzte lohnen.

Transparenz wollen Sie auch über ein Kostenerstattungssystem erreichen.

Bei vielen Ärzten rennen Sie damit of- fene Türen ein. Manche fürchten aber mehr Aufwand bei der Abrechnung.

Bahr: Eines wollen wir einmal festhalten: Das Sachleistungsprin- zip im Sozialgesetzbuch V ist auch nicht gerade unbürokratisch. Im Gegenteil. Mittlerweile umfassen die Vergütungsregelungen für den ambulanten Bereich mehr als 27 Seiten. Da halte ich die Kostener - stattung mit einer einfachen trans- parenten Gebührenordnung für we- sentlich unbürokratischer. Der gro- ße Vorteil der Kostenerstattung ist die größere Transparenz – für Ärzte

und für Patienten. Zudem kann man die Kostenerstattung völlig unbü - rokratisch mit Eigenbeteiligungen kombinieren.

Das FDP-Reformkonzept, das Sie An- fang des Jahres erfolglos in den Bun- destag eingebracht haben, sieht eine Umwandlung der Krankenkassen in Un- ternehmen mit sozialer Verantwortung vor. Was ist damit gemeint?

Bahr: Wir wollen, dass sich die Krankenkassen weiterentwickeln.

Denkbar sind Genossenschaftsmo- delle. Aus der Techniker-Kranken- kasse könnte der Techniker-Kran- kenversicherungsverein werden. Wir wollen eine Pflicht zur Versiche- rung der Regelleistungen. Wie und wo sich die Menschen künftig ver- sichern, können sie weitgehend selbst entscheiden. Wer sich die Versicherung nicht leisten kann, er- hält Unterstützung der Gesellschaft.

Damit würden alle Anbieter dem Wett- bewerbsrecht unterliegen.

Bahr: Ja – und das ist auch richtig so. Denn je stärker die gesetzlichen Krankenkassen wie Unternehmen auftreten, etwa im Rabattgeschäft

oder bei den Selektivverträgen mit Ärzten, desto mehr steigt die Not- wendigkeit, sie auch wie solche zu behandeln. Das heißt, sie müssen wie ihre privaten Mitbewerber und wie ihre privaten Vertragspartner, dem Wettbewerbs- und Kartellrecht unterliegen. Wettbewerb funktio- niert nur nach fairen und gleichen Regeln. Da kann ich mir nicht ein bisschen Wettbewerb herausgreifen und sonst das Sozialrecht gelten lassen.

Sie wollen die Beiträge von den Löhnen abkoppeln – also ein Prämiensystem einführen. Die Union scheint sich gera- de von ihrem Prämienkonzept zu ver- abschieden.

Bahr: Trotzdem wird ein solcher Reformschritt notwendig sein. Wir erleben im Moment eine Gesund- heitspolitik auf Pump. Spätestens wenn die Darlehen des Bundes zu- rückgezahlt werden müssen, wer- den die Lohnzusatzkosten massiv steigen und den Arbeitsmarkt belas- ten, und das alles in einer wirt- schaftlich katastrophalen Lage. Am Ende steht dann wieder Kosten- dämpfungspolitik. Wir werden da nicht herauskommen, wenn wir nicht zu einer echten Entkopplung kommen. Von der Union hört man da wenig Konkretes. Wir Liberalen wissen hingegen, wohin wir wollen, und wir werden die Union mit dem nötigen Schubs wieder auf den rich- tigen Pfad bringen.

Will die FDP das Gesundheitsressort übernehmen?

Bahr: Die Ministerien und Posten werden erst verteilt, wenn die In- halte feststehen. Die Union scheint ganz selbstverständlich davon aus- zugehen, dass sie das Gesundheits- ministerium übernimmt. Das wird aber erst am Ende entschieden! Da wollen wir schon ein gehöriges Wort mitreden. Insofern sage ich an die Adresse der Union: Das ist noch Verhandlungssache. Früher hatte die FDP nicht so gute Wahlergeb-

Nicht die Priorisierungsdebatte vom letzten Deutschen Ärzte tag war menschenverachtend, sondern eine Politik der falschen Versprechungen ist menschenverachtend.

Hobbykoch mit Reformrezept:

Seit 2002 sitzt Da- niel Bahr (32) im Deutschen Bundes- tag. 2005 folgte er dem altgedienten Sozialpolitiker Die- ter Thomae im Amt des gesundheitspo- litischen Sprechers der FDP-Fraktion nach. Seither hat sich Bahr als kennt- nisreicher Sozialex- perte etabliert.

P O L I T I K

(3)

A 1768 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 106

|

Heft 37

|

11. September 2009 nisse, wie wir sie uns für den

27. September erhoffen. Da war bei drei Ministerien Schluss. Je nach- dem wie gut wir diesmal abschnei- den, können es aber auch vier oder fünf Ressorts werden. Gesundheit ist für uns ein wichtiges Zukunfts- thema.

Ein FDP-Gesundheitsminister würde wohl auch einen obligatorischen Grundleistungskatalog der Krankenver- sicherungen einführen wollen. Aber wer soll den festlegen?

Bahr: Ein solcher Pflichtleistungs- katalog müsste sich am bisherigen Leistungskatalog der Krankenkas- sen orientieren und natürlich stän- dig angepasst werden. Das macht im Moment der Gemeinsame Bun- desausschuss. Ob das auch in Zu- kunft so sein wird und welche Ent- scheidungen der Gesetzgeber als Rahmengebung selbst treffen muss, wird zu diskutieren sein.

Ohne Leistungskürzungen keine Ein- sparungen . . .

Bahr: Es ist doch bemerkenswert, dass die schwarz-rote Koalition die Leistungen in den letzten Jahren ausgeweitet hat. Einige Leistun- gen, die heute die gesetzliche Krankenversicherung bezahlt, ge-

hören meiner Meinung nach nicht zu den wirklich notwendigen Leis- tungen. Die Kassen sollten sich auf das wirklich Notwendige be- schränken.

Gesundheit wird in den nächsten Jahren dennoch nicht billiger wer- den. Wir können sicherlich sehr viele Anstrengungen unternehmen, um mit den begrenzten Ressourcen effizienter umzugehen. Wenn ich mir aber die alternde Bevölkerung anschaue und den medizinisch tech- nischen Fortschritt, dann habe ich kein Verständnis für Politikerkolle- gen, die den Leuten versprechen, es könne insgesamt billiger werden.

Da wird wider besseres Wissen ge- logen. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einschen-

ken. Bei der Einführung der Ries- ter-Rente ist dies geschehen. Jetzt brauchen wir so etwas wie einen Gesundheits-Riester.

Was passiert in Ihrem Konzept mit me- dizinischen Innovationen? Werden die noch bezahlt?

Bahr: Was wirklich medizinisch notwendig ist, muss auch in den Regelleistungskatalog aufgenom- men werden. Wir haben heute für einen Großteil der Bevölkerung ei- nen guten Zugang zu Innovationen.

Das muss erhalten werden, ganz klar. Das Problem sind aber die ständigen unnötigen Leistungsaus- weitungen. Die jetzige Regierung rühmt sich dafür, dass der Leis- tungskatalog ausgeweitet wurde.

Jetzt sehen wir, dass sich die Kas- senkosten nur über schuldenfinan- zierte Bundeszuschüsse decken las- sen. Die Zeche dafür zahlen unsere Kinder.

Die Regierung verspricht allen alles. In Fernsehsendungen erweckt die Gesundheitsministerin den Ein- druck, für alle stehe das Beste zur Verfügung. Sie schaltet sogar An- zeigen, in denen sie Spitzenmedizin für alle verspricht. Gleichzeitig budgetiert sie die Ausgaben für die Versorgung. Ärzten drohen exis-

tenzgefährdende Regresse, wenn sie zu viel verordnen. Damit treibt sie den Konflikt in das individuelle Arzt-Patienten-Verhältnis. Nicht die Priorisierungsdebatte vom letzten Deutschen Ärztetag war menschen- verachtend, wie es Frau Schmidt ausdrückte, sondern die Politik der falschen Versprechungen ist men- schenverachtend.

Zur Seite gesprungen sind Sie Bundes- ärztekammerpräsident Hoppe in der Priorisierungsdebatte aber auch nicht.

Bahr: Wenn man eine solche Dis- kussion beginnt, dann muss man sie zukunftsgewandt führen. Die De- batte wurde leider mit der Honorar- diskussion verbunden. Da muss man sich nicht wundern, dass die

Bevölkerung angesichts steigender Arbeitslosigkeit ablehnend reagiert.

Aber dennoch: Professor Hoppe hat in der Analyse vollkommen recht.

Budgetierung ist eine Form der Ra- tionierung. Wie wir damit künftig umgehen, müssen wir sachlich dis- kutieren. Das ist in einem Wahljahr aber schwierig.

Themenwechsel: Werden Einzelverträge künftig den Kollektivvertrag ablösen?

Bahr: Selektivverträge müssen den Kollektivvertrag nicht infrage stel- len. Sie können parallel laufen.

Über Selektivverträge wird in der Regel immer wieder etwas Neues ausprobiert, was wichtig für die Fortentwicklung des Systems ist.

Dass dadurch der Kollektivvertrag von außen ein wenig Druck be- kommt, halte ich für sinnvoll. Der Kollektivvertrag sollte aber im heu- tigen System nicht infrage gestellt werden.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) sehen ihre Existenz durch die Neuregelungen bei den Hausarztverträ- gen massiv gefährdet.

Bahr: Die KVen müssen ihr Dienst- leistungsziel weiterentwickeln – was sie ja auch tun. Solange die Kassen Körperschaften des öffentli- chen Rechts sind, brauchen wir die KVen. Wer sollte sonst ihre Aufga- ben übernehmen? Viele, die die Ab- schaffung der KVen fordern, wollen in Wahrheit, dass der Staat noch mächtiger wird und deren Aufgaben übernimmt. Das wäre die mit Ab- stand schlechteste Lösung.

Wird das FDP-Konzept Realität, ist die gesamte Selbstverwaltung überflüssig.

Bahr: Auch dann wird es viele Mit- wirkungsnotwendigkeiten der Ak- teure geben. Aber in der Tat müssen in unserem System die KVen keine öffentlichen Körperschaften mehr sein. Sie können als Dienstleister für die Ärzte weiter existieren – im Wettbewerb mit Genossenschaften oder Verbänden. Aber dahin müs- sen wir erst einmal kommen. Bis es soweit ist, geht es nicht ohne die

KVen. ■

Das Interview führten Jens Flintrop und Samir Rabbata.

Die Regierung verspricht allen alles. Gleichzeitig budgetiert sie die Ausgaben für die Versorgung.

P O L I T I K

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Diese auf- rechten Menschen, die nicht die Leistung ihrer Mitmen- schen (Steuer gleich Lebens- arbeitszeit) für sich bean- spruchen wollen, finden sich bei vielen fleißigen

Beson- ders deutlich ist die Entwicklung seit 1978: Die Zahl der männ- lichen Medizinstudenten stabilisierte sich bei etwa 6500, die Zahl der Studentinnen stieg jedoch weiter um

Insgesamt muss festgestellt werden, dass Untersuchungen im Nachhinein – also nach Auftreten einer Störung – nicht als objektiv, sondern als tendenziell zu bezeichnen sind: Es gibt

Natürlich wollen sie es nicht, aber ich glaube schon, dass wir eine hinreichende gesellschaftliche Akzeptanz haben, für das, was wir gerade tun.. Die letzte Ho-

Im Interesse der Freiheitsräume für den Bürger müsse es allgemein-politisches Wissensgut werden, „daß unsere Gesellschaft nicht allein auf den beiden Säulen Arbeitnehmer und

Dies ist aber keine Begründung für eine wie auch immer ausge- baute oder ausgestaltete totale Versicherungspflicht und ganz si- cher nicht eine hinreichende

Die FDP tritt zu- dem dafür ein, dass für die Forschung nicht nur embryonale Stammzellen aus dem Ausland, sondern auch aus Deutschland ein- gesetzt werden können, die bei

Direkt an einen er- klärten Befürworter der Ge- werbesteuer für Freie Beru- fe gewandt, erklärte Gatter- mann: „Die SPD Nord- rhein-Westfalen scheint nicht sehen zu wollen, daß