A190 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 51. Februar 2008
P O L I T I K
Doch auch eine private Vorsorge nützt wenig, wenn immer weniger Leistungserbringer für die Versor- gung von Pflegebedürftigen zur Verfügung stehen. Vor allem Haus- ärzte, denen eine zentrale Rolle bei der Versorgung Pflegebedürftiger zu- kommt, werden knapp. Der Gesetz- geber plant deshalb, Angehörigen von Kranken- und Altenpflege- berufen bisher Ärzten vorbehaltene Tätigkeiten zu übertragen. Hierfür sollen Pflegekräfte zunächst in Mo- dellprojekten Verbands- und Pflege- hilfsmittel auf Kosten der Kassen verordnen dürfen. Ferner soll er- probt werden, ob Pflegekräften nach entsprechender Zusatzqualifikation erlaubt werden sollte, die Heilkunde in beschränktem Umfang selbst- ständig auszuüben.
Die Ärzteschaft lehnt dies ab.
„Wenn Air Berlin die Piloten weg- rennen, können auch nicht die Ste- wardessen übernehmen“, sagte der als Einzelsachverständige geladene Präsident der Ärztekammer Westfa- len-Lippe, Dr. med. Theodor Wind- horst. „Die Koordination der Be- handlung muss in ärztlicher Hand bleiben“, forderte auch Goesmann.
Die Kompetenz für die Diagnose- stellung und Behandlung von Krank- heiten sei von Ärzten in einer um- fassenden Ausbildung erworben worden. Der Justiziar der Bundes- ärztekammer, Rechtsanwalt Horst Dieter Schirmer, wies in diesem Zu-
sammenhang auf mögliche Folgen einer eigenständigen Rechtsbezie- hung zwischen selbstständig agie- render Pflegekraft und Patienten hin. „Fehleinschätzungen hinsicht- lich der eigenen Kompetenz schaf- fen den Tatbestand des Übernah- meverschuldens“, warnte Schir- mer. Die Pflegekraft übernimmt in diesem Fall Verantwortung für etwas, was sie aufgrund ihrer Aus- bildung nicht verantworten kann.
Für den Bremer Pflegewissen- schaftler Prof. Dr. Stefan Görres ist die Weiterentwicklung der Ausbil- dung deshalb eine wichtige Voraus- setzung für eine Kompetenzverlage- rung auf Pflegekräfte. Ein Teil der Berufsgruppe sollte die Pflegeaus- bildung in Form eines wissenschaft- lichen Studiums an einer Hochschu- le absolvieren. Franz Wagner, Vize- präsident des deutschen Pflegerats, betonte, dass es schon heute eine Vielzahl hoch qualifizierter Pflege- experten gebe, wie etwa Wund- manager.
Trotz der Kritik an den Vorschlä- gen im Gesetzentwurf können sich BÄK und Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) grundsätzlich vorstellen, bestimmte Leistungen auf geschultes Personal zu delegie- ren – allerdings nur, wenn dem Arzt weiterhin die Hauptverantwortung für die Behandlung obliegt. Goes- mann wies bei der Anhörung darauf hin, dass die Ärzteschaft im Rah-
men ihrer Initiative zur Förderung der Versorgungsforschung bereits an Modellen zur Delegation ärztli- cher Leistungen arbeitet. Doch kon- zentriere man sich hierbei darauf, bestimmte arztentlastende Aufga- ben auf speziell fortgebildetes Pra- xispersonal – also die Medizinischen Fachangestellten – zu übertragen.
Dass es Defizite in der Versor- gung Pflegebedürftiger gibt, wurde bei der Anhörung von allen Fach- leuten bestätigt. Unisono beklagten die wissenschaftlichen Experten und Verbandsvertreter, dass insbe- sondere die ärztliche Betreuung in den Pflegeheimen unzureichend sei.
Dass der Gesetzgeber Heimen er- möglichen möchte, eigene Ärzte einzustellen, sahen etliche Fachleu- te jedoch kritisch. Konkret sieht der Gesetzentwurf vor, dass stationäre Pflegeeinrichtungen zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versor- gung der Pflegebedürftigen ermäch- tigt werden können. Die erbrachten Leistungen der angestellten Ärzte sollen aus der vertragsärztlichen Gesamtvergütung bezahlt werden.
Die KBV lehnt dies ab. Sie sieht darin eine „Erweiterung institutio- neller Versorgungsmöglichkeiten in Konkurrenz zu niedergelassenen Vertragsärzten“. KBV-Vorstand Dr.
med. Carl-Heinz Müller betonte, dass Pflegebedürftige eine multi- professionelle Versorgung benötig- ten, die ein Heimarzt – der zudem nachts und am Wochenende nicht anwesend sei – kaum sicherstellen könne. Müller schlug deshalb vor, dass KVen auf Verlangen von Pfle- geeinrichtungen verpflichtet wer- den sollten, Kooperationsverträge mit Vertragsärzten zu vermitteln.
Auf Skepsis stießen ebenfalls die Pläne, Ärzte zu verpflichten, die Krankenkassen über „selbst ver- schuldete“ Erkrankungen zu infor- mieren, etwa bei Komplikationen nach einer Schönheits-OP. Eine ent- sprechende Gesetzesänderung soll im Rahmen der Pflegereform verab- schiedet werden. „Wir Ärztinnen und Ärzte sind keine Informanten der Krankenkassen“, stellte BÄK- Vizepräsidentin Goesmann klar. Die ärztliche Schweigepflicht müsse unangetastet bleiben.
Dr. med. Birgit Hibbeler, Samir Rabbata Die Union ist gegen die ge-
planten Pflegestützpunkte.
Was ist an wohnortnaher Be- ratung und Vernetzung von Hilfsangeboten auszusetzen?
Zylajew:Das Anliegen ist rich- tig, aber der Weg ist völlig falsch. Mit den Pflegestütz- punkten entstehen lediglich neue bürokratische, ineffiziente Strukturen. Wir wollen, dass je- der Euro aus der Beitragser- höhung auch wirklich bei den Pflegebedürftigen ankommt.
Im Kabinett hat die Union der Pflegereform zugestimmt.
Kommt der Protest nicht etwas spät?
Zylajew:Der Gesetzentwurf ist in der Ministerialbürokratie ent- standen. Er wurde über das Ka- binett und ohne Mitwirkung des Parlaments vorgelegt. Die Uni- onsfraktion war also im Vorfeld nicht beteiligt.
Die Union plädiert als Alterna- tive zu den Pflegestützpunk-
ten für Beratungsgutscheine.
Was würden die an dem Vernetzungsproblem ändern?
Zylajew:Ein Gutscheinmodell erfüllt den Anspruch der Betrof- fenen auf unabhängige Bera- tung bei akkreditierten Stellen.
Vorhandene Strukturen können wachsen, der Wettbewerb zwi- schen den Leistungsanbietern wird gestärkt. Dieses Modell ist preiswerter. Das gesparte Geld wäre in der Versorgung Demenz- kranker besser angelegt.