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Archiv "DDR-Ärzte: Fluchtwillige im Visier des MfS" (31.10.2014)

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A 1894 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 44

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31. Oktober 2014

A

nfang 1980 stand das DDR- Ministerium für Staatssicher- heit (MfS) kurz davor, einen Coup zu landen. Nach mehrjähriger ge- heimdienstlicher Bearbeitung einer Ärztin verdichteten sich nun „ope- rative Hinweise auf die Vorbereitung eines ungesetzlichen Grenzübertrit- tes“. Die Ärztin, im Folgenden der Einfachheit halber Dr. Müller ge- nannt, hatte nach den Ermittlungen des MfS „mit Unterstützung einer BRD-Bezugsperson, die in Verbin- dung mit dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehung stehen soll“, diesen Schritt geplant. Darauf deuteten die Ermittlungen hin – so sei etwa „eine Kontaktaufnahme

mit einem West-Pkw Typ Merce- des, in den frühen Morgenstunden von zweieinhalb Minuten festge- stellt“ worden.

Viele Ärzte nahmen Dienste von Fluchthelfern in Anspruch

Nach dem Mauerbau im Jahre 1961 konnte zwar der massive „Ader- lass“ von Fachkräften aus der DDR gestoppt und die interne politische und wirtschaftliche Lage stabilisiert werden, jedoch etablierten sich gleichzeitig neue Formen des „ille- galen Verlassens der Republik“.

Insbesondere der „Sicherungsbe- reich Medizin“ stellte spätestens in den 1970er Jahren einen „operati-

ven Schwerpunkt“, für die im Jar- gon des MfS „Menschenhändler- banden“ genannten Fluchthelfer dar. Viele Ärzte nahmen deren Hilfe in Anspruch. 58 Ärzte verließen beispielsweise im Jahr 1978 „ille- gal“ die DDR. Vier davon überwan- den die innerdeutsche Grenze selbst, zehn nutzten Westreisen, bei drei Ärzten war die Methode dem MfS nicht bekannt. 41 bedienten sich der Hilfe von Fluchthelferorga- nisationen, was einem prozentualen Anteil von 70 Prozent der flüchten- den Ärzte entsprach.

Dass relativ viele Ärzte die Hil- fe von Fluchthelferorganisationen nutzten, lag auch daran, dass sie in DDR-ÄRZTE

Fluchtwillige im Visier des MfS

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) spezialisierte sich im Laufe der 1970er Jahre zunehmend auf die Abwehr und Aufklärung der „Ausschleusungen“ aus den Kreisen der „medizinischen Intelligenz“.

Pkw-Abfertigung durch DDR- Grenztruppen am Kontrollpunkt Dreilinden im Jahr 1972.

Vor 25 Jahren fiel die Mauer.

Foto: picture alliance

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31. Oktober 2014 der Lage waren, die Kosten von bis

zu 15 000 DM zu tragen. Dies wur- de vor allem durch westliche Ver- wandte ermöglicht, manchmal of- fenbar auch durch medizinische Institutionen, die den Ausreisewil - ligen neben Vorauszahlungen des Schleusungsbetrages auch eine Ar- beitsstelle anboten. Die Fluchthel- ferorganisationen suchten auch ge- zielt nach potenziellen Kandidaten, indem sie deren westliche Ver- wandte und „Rückverbindungen“

der geflüchteten Ärzte zur Kontakt- aufnahme zu anderen Fluchtwilli- gen nutzten.

Spezielle Maßnahmen gegen die „medizinische Intelligenz“

Das MfS spezialisierte sich im Laufe der 1970er Jahre zunehmend auf die „Abwehr und Aufklärung“

der „Ausschleusungen“ aus den Kreisen der „medizinischen Intelli- genz“. Denn es herrschte Ärzte- mangel in der DDR, und die meis- ten Flüchtigen waren zwischen 31 und 35 Jahren alt und verließen somit zumeist direkt nach der Be- endigung ihrer Facharztweiterbil- dung die DDR. Der von der SED berechnete „materielle“ Schaden belief sich auf eine Million Mark pro Arzt.

„Gegen 15.00 Uhr desselben Ta- ges verließ die Dr. Müller im Pkw ihres Bruders in Richtung Autobahn die Hauptstadt der DDR“, ergab die Observierung der Ärztin. Bei der Aufdeckung der beabsichtigten Flucht war es für das MfS wichtig, das Umfeld des Betreffenden mög- lichst umfangreich „aufzuklären“

und die bestehenden „Westverbin- dungen aufzudecken“. Außerdem in- teressierte es sich insbesondere für die Methode, wie in dem vorliegen- den Fall. Mitarbeiter des MfS ver- folgten Dr. Müller und ihren Bruder auf ihrer Route zur Transitstrecke F 5. „Er verließ um 19.00 Uhr die F 5 in Ortslage, indem er in eine Sei- tenstraße einbog. Die Tätigkeit der Genossen der Beobachtung wurde durch Schneetreiben und Glätte auf der Straße stark behindert.“ Eine Viertelstunde später sei „der Pkw

‚Lada‘“ nur noch „mit einer Person besetzt in Richtung Hauptstadt“ ge- fahren und weiter beobachtet wor-

den. „Ein diesen Raum verlassendes West-Kfz wurde bei der Grenzpassa- ge spezifischen Kontrollmaßnahmen unterzogen.“

Die Transitrouten, die offiziellen Verkehrs- und Frachtverbindungen Westberlins mit der BRD, wurden – neben der „Ausschleusung“ über das sozialistische Ausland – am häufigsten als Fluchtwege in den Westen genutzt. Meist wurden die Ausreisewilligen im Kofferraum, im Fach des Reserverades oder hin- ter einem umgebauten Armaturen- brett in einem Pkw, einem Diplo- matenwagen oder einem zoll-ver- plombten Kleintransporter ver- steckt. Manchmal bewegten sich die Fluchthelfer mit ihren Metho- den in einer rechtlichen „Grauzo- ne“, Verbindungen ins Kriminellen- und Drogenmilieu konnten nicht ausgeschlossen werden. Nicht zu- letzt aus diesem Grund verloren die

„Fluchthelfer“ zunehmend an Pres- tige in der BRD.

Für die DDR stellte dies einen wichtigen Aspekt dar, der in Schau-

prozessen gegen Fluchthelfer oder in politischen Veranstaltungen ideo- logisch ausgeschlachtet wurde.

Letzteres geschah in einem Kran- kenhaus mit „operativen Schwer- punkt“ in Berlin im Jahre 1973. In dieser von oberster Stelle organi- sierten Versammlung der medizini- schen Mitarbeiter warnte der Gene- ralstaatsanwalt von Berlin, dass

„Menschenhändlerorganisationen

Abwerbungen unter Ausnutzung la- biler ideologischer Haltungen zur sozialistischen DDR und bestehen- der Illusionen über den Imperia - lismus in der BRD“ mit „skrupello- sen Methoden“ und die eigentli- che Flucht mit „verbrecherischen Schleusungsmethoden“ durchfüh- ren würden. Auch Gesundheitsmi- nister Ludwig Mecklinger war an- wesend und „appellierte an die Ehre und ethische Verpflichtung des Arz- tes, was unter anderem auch bedeu- te, sich nicht in die Hände derartiger verbrecherischer, krimineller, ar- beitsscheuer Elemente, Rauschgift- süchtiger und Rauschgifthändler zu begeben und sich nicht würdelos mit ihnen auf eine Stufe zu stellen“.

Leipziger Messe galt als beliebte Kontaktbörse

Die ideologischen Kampagnen und der Appell an den ärztlichen Ethos blieben jedoch meist ohne große Wirkung, was die Reaktionen auf diese Veranstaltungen bewiesen.

Die problematischen Arbeits- und Lebensbedingungen der Ärzte, die von Mängeln und Überbelastungen geprägt waren, aber auch die Ab- lehnung der sozialistischen Ideolo- gie und des Führungsanspruches der SED spielten eine große Rolle bei ihrem Entschluss, der DDR den Rücken zu kehren.

Auch die Erwartung auf bessere Karrieremöglichkeiten, Freiheiten, auf eine vermeintlich unabhängige medizinische Forschung und ein besseres Einkommen führte bei vie- len Ärzten zu Fluchtgedanken. Be-

stärkt wurden diese nicht nur durch die frei empfangbaren westlichen Medien und die allgemeinen kol - legialen Kontakte in den Westen, sondern insbesondere durch die re- gelmäßig stattfindenden Leipziger Messen; diese waren dem MfS als

„Schwerpunkt gegnerischer Kon- takttätigkeit“ ein Dorn im Auge.

Vor allem westliche Pharma-Kon- zerne würden die Messen nutzen,

Dass relativ viele Ärzte die Hilfe von Fluchthelferorganisationen nutzten, lag auch daran, dass sie in der Lage waren, die Kosten von bis zu 15 000 DM zu tragen.

Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F000250–0050/CC-BY-SA

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31. Oktober 2014 um Arztadressen zu sammeln und

um in der DDR nicht zugelassene Medikamente zu Testzwecken zu verteilen. Daneben würden persön- liche Gespräche oder Diskussionen mit mehreren Teilnehmern außer- halb der Messe in privater Atmo- sphäre durchgeführt und entzögen sich so zumeist der Überwachung durch das MfS.

Zusammenarbeit mit Organisationen im Westen

Aber auch die Fluchthelferorgani- sationen nutzten diese Gelegenheit, um Kontakte zu „Ausreisewilligen“

zu knüpfen. Nach MfS-Aktenlage war die Zusammenarbeit westlicher Organisationen, namentlich des Hartmannbundes, mit den Flucht- helfern nicht unüblich, wobei oft- mals erstere „als Vermittler und Auftraggeber“ mit Vorschüssen an die Schleuser gewirkt hätten. Eine Anfrage beim Hartmannbund zu dieser Problematik blieb leider er- folglos. Auch der BND übermittelte die Information, dass keine relevan- ten Akten zu diesem Thema vor- handen seien, was eine Überprü- fung der Wahrnehmungen des MfS und eine historische Aufarbeitung des Sachverhalts verhindert.

Auch die Vereinigungen ehema- liger DDR-Ärzte im Westen waren dem MfS suspekt. Der sogenannte

„Chemnitzer Kreis“ beispielsweise, eine Gruppe von elf Ärzten, die vorher in Karl-Marx-Stadt tätig ge- wesen war, komme „mit der kon-

kreten Zielsetzung zusammen, die Schleusung eines oder mehrerer namentlich bisher bekannt gewor- dener Ärzte zu organisieren“. Auch hier bestehe eine Kooperation mit den Fluchthelferorganisationen. Da- zu komme, dass die Schleusung als

„derzeit ungefährlichste Methode“

propagiert worden sei, was in der Analyse des MfS insbesondere die eher risikoscheue Intelligenz über- zeugen sollte, diesen Weg der Flucht zu nutzen.

„Der Bruder der Dr. Müller traf gegen 22.10 Uhr zu Hause ein.

Hierbei konnte erarbeitet werden,

dass er seine Ehefrau über die durchgeführte Fahrt annähernd de- tailliert informiert hat.“ Ob es sich dabei um eine Abhörmaßnahme handelte, die Ehefrau selbst IM oder im Nachhinein verhört worden war, kann nicht nachvollzogen wer- den, doch schlug das MfS in diesem Moment zu, und es erfolgte „die vorläufige Festnahme des Bruders von Dr. Müller, um auf diesem Weg noch Informationen zum Aufenthalt der Dr. Müller und zur Schleusung zu erhalten.“

Die Zusammenarbeit mit Ge- heimdiensten wurde auch in der Gegenrichtung betrieben. Neben den üblichen Befragungen der

DDR-Flüchtlinge durch westliche Geheimdienste in den sogenannten

„Notaufnahmelagern“ der BRD, kam es laut MfS ferner zu direkten Kooperationsbestrebungen. In ei- nem Fall soll sich bei einem Arzt in hoher staatlicher Funktion, welcher einen Bekannten in der BRD um Hilfe bei seiner Flucht bat, die CIA eingeschaltet haben. Die CIA hätte ihm angeboten, ein Jahr lang für sie Spionage in seinem Institut zu be- treiben, wonach sie sich um die Ausschleusung kümmern und ihm 100 000 DM für seine Dienste be- zahlen würde. Der betreffende Arzt

habe dieses Angebot abgelehnt, da er nur Unterstützung bei der Flucht ersuchte, wodurch der Kontakt da- raufhin abgebrochen sei.

Festnahme und Überführung nach Berlin

Bei dem Fall von Dr. Müller verließ die westdeutsche „Bezugsperson“

vorzeitig „um 23.45 Uhr“ die DDR;

sie wurde an der Grenze erwartet und „intensiver“ Kontrollen ohne Ergebnis unterzogen. Anscheinend war die Situation als zu gefährlich erkannt worden oder die Person fungierte nur als Kurier. Jedenfalls wurden „gegen 01.10 Uhr durch die Beobachtungskräfte auf der F 5, km 93, zwei weibliche Personen festgestellt, die um 02.20 Uhr durch Kontrollmaßnahmen als die gesuchten Schleusungskandidaten identifiziert werden konnten. Da- raufhin wurde deren Festnahme und Überführung nach Berlin ver-

anlasst.“

Markus Wahl University of Kent, Canterbury mw462@kent.ac.uk Die hier geschilderten Sachverhalte

sind derzeit für die historische For- schung nur schwer zugänglich. Oft- mals hat man den Einblick in die Ge- schehnisse nur durch die „Brille“ der MfS-Akten, und es ist nicht immer leicht, ideologische Verfärbungen und Unterstellungen von der Realität zu unterscheiden. Für die Forschung wä- re es daher mehr als gewinnbringend, wenn eine Gegenprobe und damit ei- ne differenzierte Betrachtungsweise erreicht werden könnte. Daher würde ich mich sowohl über die Bereitschaft

von Zeitzeugen zu einem Interview als auch über Material, wie Tagebücher, Briefe, Unterlagen et cetera sehr freu- en. Natürlich wird Anonymität garan- tiert und bei einer anonymisierten Be- nutzung eines Sachverhaltes das Ein- verständnis der Betroffenen eingeholt.

Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismus forschung e.V.

an der TU Dresden z. Hd. Herrn Markus Wahl Helmholtzstraße 6, 01069 Dresden mw462@kent.ac.uk

WEITERER KLÄRUNGSBEDARF

Die Transitrouten wurden am häufigsten als Fluchtwege in den Westen genutzt.

QUELLEN UND LITERATUR

1. Akten der BStU und des Bundesarchivs – SAPMO

2. Detjen M: Ein Loch in der Mauer. Die Ge- schichte der Fluchthilfe im geteilten Deutschland 1961–1989. München, 2005.

3. Weil F: Zielgruppe Ärzteschaft. Ärzte als in- offizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Göttingen, 2008.

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Referenzen

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