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Archiv "Ärzte als inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit: Ärztliche Ethik mit neuem Inhalt gefüllt" (09.06.2006)

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A1594 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 23⏐⏐9. Juni 2006

D

en ärztlichen Kollegen galt das Hauptaugenmerk der inoffiziel- len Mitarbeiter (IM): Das Miss- trauen der SED-Führung gegenüber den Ärzten als einer bildungsbürgerlich geprägten Berufsgruppe mit tradiertem Standesbewusstsein und deren große Ausreisewilligkeit führten dazu, dass das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die meisten IM-Ärzte schwer- punktmäßig auf Kollegen „ansetzte“.

Die MfS-Akten zu 454 IM-Ärzten be- legen, dass rund 77 Prozent zielgerich- tet über ärztliche Kollegen, de- ren politische Haltung, beruf- liche Kompetenzen und per- sönliche Belange berichteten.

„Nur“ knapp 27 Prozent infor- mierten die Stasi über Bürger anderer Staaten, vornehmlich der Bundesrepublik, ungefähr 23 Prozent über Verwandte oder Bekannte (1).

Rund 24 Prozent gaben Auskunft über Patienten und verletzten damit ihre Schweigepflicht.

An das ärztliche Handeln werden seit jeher besondere gesellschaftliche An- sprüche gestellt. Dazu gehört nicht zu- letzt das ärztliche Schweigegebot als ei- ne gesetzlich verankerte Berufspflicht.

Von DDR-Juristen wurde zu Beginn der 1970er-Jahre behauptet, dass sich im so- zialistischen Gesundheitswesen die Ver- hältnisse gewandelt hätten und damit

„das ärztliche Ethos als Bestandteil der sozialistischen Moral die Tätigkeit des Arztes zum Besten der Gesellschaft voll zum Tragen“ gebracht habe. Der „sozia-

listische Arzt“ sei eine Persönlichkeit von hohem Rang und großer gesell- schaftlicher Bedeutung, welche sich durch humanistische Gesinnung, hohes Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusst- sein, ständige Einsatzbereitschaft sowie vorbildliche sozialistische Lebensweise auszeichne. Ärztlicher Tätigkeit in der DDR liege „eine Einheit von marxi- stisch-leninistischer Grundhaltung, hu- manitärer Gesinnung, Anwendung ex- akter Wissenschaft und sozialistischer Leitungstätigkeit“ zugrunde. Diese Ver-

änderungen hätten angeblich auch den Begriff der ärztlichen Ethik mit neuem Inhalt gefüllt. Der Eid des Hippokrates habe als moralische Verpflichtung in ärztlichen Kreisen der DDR große Be- deutung erlangt, die in weiterentwickel- ter Form auch zum Leitbild des soziali- stischen Arztes gehöre (2).

Die gesetzliche Einschränkung der ärztlichen Schweigepflicht in der DDR (§ 225 StGB) kam ungefähr der Rege- lung gemäß § 138 StGB der BRD gleich;

die Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 226 StGB-DDR) entsprach weitge- hend der vergleichbaren Regelung gemäß § 139 StGB-BRD. Bei „Anzeige- unterlassung des Vorhabens, der Vorbe- reitung und der Ausführung von Verbre- chen vor deren Beendigung“ drohten

Ärzten in der DDR Freiheitsstrafen bis zu fünf, in schweren Fällen bis zu zehn Jahren (3).

Die Anzeigepflicht durch den Arzt schloss in der DDR über Gewalt- verbrechen hinaus jedoch auch poli- tische Delikte wie „staatsfeindlichen Menschenhandel“, schwere Fälle von

„staatsfeindlicher Hetze“ und plan- mäßige Vorbereitung „ungesetzlicher Grenzübertritte“ ein und wurde letztlich als gesetzlicher Aufhebungsgrund der ärztlichen Schweigepflicht angesehen (4). Aufgrund dieser Bestimmun- gen konnten Ärzte in dramati- sche Konfliktsituationen geraten, wenn ihnen Patienten von Flucht- oder politischen Widerstandsplä- nen berichteten; allerdings ist kaum anzunehmen, dass sich jeder Arzt dieser Anforderung in Hinblick auf „po- litische Vergehen“ auch tatsächlich un- terwarf. Zudem rechtfertigte diese Klau- sel nicht die Verletzung der Schweige- pflicht im Rahmen einer IM-Tätigkeit.

Bei der „inoffiziellen“ Weiterleitung von Informationen über Patienten wurde in jedem Fall das in der DDR geltende Recht konspirativ unterlaufen, zumal wenn es sich um Informationen über Diagnose, Therapie, Persönlichkeits- struktur, soziale oder andere persönliche Probleme handelte (5).

Obwohl der Bespitzelung von Patien- ten offenbar nicht das Hauptaugenmerk der MfS-Mitarbeiter galt, stellt der damit verbundene mehr oder minder häufige Bruch der ärztlichen Schweigepflicht, ei-

Ärzte als inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit

Ärztliche Ethik mit neuem Inhalt gefüllt

Vom Eid des Hippokrates zur moralischen Verpflichtung eines „sozialistischen Arztes“

Francesca Weil

„Von Einzelfällen bei der Verletzung der Schweigepflicht durch ärztliche IM kann

nun nicht mehr die Rede sein.“

(2)

nes der zentralen Gebote des ärztlichen Berufsstandes, einen durchaus schwer- wiegenden Befund dar. Von Einzelfäl- len, in denen als inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes verpflich- tete Ärzte ihr Schweigegebot missachtet haben (6), kann nach neuestem Kennt- nisstand nicht mehr die Rede sein.

Die vorliegenden Forschungsergeb- nisse belegen, dass jeder Vierte der als IM angeworbenen Ärzte die Schweige- pflicht verletzte. Zu ihnen zählten Ärzte aller Fachrichtungen und Hierarchie- ebenen. Darunter gab es Ärzte, die dem Staatssicherheitsdienst einmal oder sel- ten – demnach eher im Ausnahmefall – über von ihnen behandelte Personen in- offiziell Auskunft gaben.Andere wieder- um, vor allem Psychiater und Chefärzte, übergaben dem MfS regelmäßig detail- lierte Berichte oder sogar umfassende Gutachten zu Patienten.

„Die Patientin erzählte mir ihre Vergangenheit . . .“

Waren Informationen über Patienten ausschließlich für das MfS bestimmt, er- kennt man das anhand der Protokolle mündlicher Berichte oder der von inof- fiziellen Mitarbeitern persönlich ver- fassten schriftlichen Berichte, die nicht mit dem Klarnamen, sondern mit dem jeweiligen IM-Decknamen unterzeich- net wurden. Beispielsweise autorisierte IM „Karl Schönherr“ mit seiner Unter- schrift die auftragsgemäß mündlich ge-

lieferten Angaben zu einem Patienten in Hinblick auf dessen Neigung zu Gewalt- tätigkeit und Ausreisewilligkeit:

„Bei dem [N.N.] gab es bisher keine konkreten Hinweise beziehungsweise Er- scheinungen der Gewalttätigkeit. Auf- grund seines hitzigen Charakters wird er schnell erregt und droht dann in seinen Aussagen mit tatsächlichen Handlungen, die er meines Wissens bisher nicht in die Tat umsetzte. [. . .] Das Übersiedlungs- ersuchen des [N.N.] ist nicht politisch begründet und nicht tiefer fundiert. Der [N.N.] ist der Meinung, dass er in der BRD nicht mehr unter Kontrolle steht und tun und lassen kann, was ihm gefällt.“ *

Häufig standen neben Angaben zum Gesundheitszustand, zur persönlichen und beruflichen Situation die eigentlich offiziell meldungspflichtigen „politi- schen Vergehen“ im Mittelpunkt von IM-Berichten. Während oben genann- ter Psychiater bereitwillig Auskunft über einen Patienten gab, dessen Aus- reisewillen hinlänglich bekannt war, reichte IM „Dr. Borchert“ Informatio- nen über einen Mann weiter, der offen- bar mit dem Gedanken der Republik- flucht spielte und nun zumindest mit operativer Kontrolle durch das MfS rechnen musste. Der Psychologe gab folgende Hinweise zu Protokoll:

„[N.N.] befindet sich seit Oktober 1971 bei mir in ärztlicher Behandlung wegen ,Depressiver Neurose‘. Ich ver- mute, dass [N.N.] unsere DDR auf unge- setzlichem Wege verlassen will. [N.N.]

war bis zum September 1974 beim VEB

[. . .] als Schlosser tätig. Er kündigte dort sein Arbeitsverhältnis, weil er nach sei- nen Angaben keine Möglichkeit zur De- legierung zum Studium erhielt. [. . .]

[N.N.] wird von mir als intelligenter Mensch eingeschätzt, welcher große Schwierigkeiten hat, sich innerhalb eines Arbeitskollektivs zurecht zu finden. Er hat nach seinen Angaben bereits über 20 Betriebe aufgesucht, um eine Arbeitsstel- le zu erhalten, jedoch ergebnislos. [N.N.]

bemüht sich gegenwärtig darum, in die BRD überzusiedeln, weil er angeblich in der DDR keine Arbeit findet.“

Auch IM „Seidel“ erstattete dem MfS 1979 auf direktem Weg einen aus- führlichen Bericht zu einer auf der neu- rologischen Station liegenden Patien- tin, die bereits ein „Übersiedlungsersu- chen“ bei der zuständigen staatlichen Behörde beantragt hat:

„Die [N.N.] erzählte mir ihre Vergan- genheit, insbesondere über ihre 4,5- jährige Haftstrafe und die Adoption ih- res Sohnes. Sie versucht, ihren Gesund- heitszustand ausschließlich mit diesen Problemen in Verbindung zu bringen.

[. . .] Ich glaube nicht, dass sie [N.N.] bei einer Übersiedlung in die BRD zurecht kommen würde. [. . .] Aufgrund ihres ganzen nervlichen Zustandes und ihrer Charaktereigenschaften ist die [N.N.]

nach meiner Meinung nicht in der Lage, mit den Arbeitsbedingungen in der BRD zurecht zu kommen. Die [N.N.] glaubt, dass die Staatsorgane der DDR an ihr ein Beispiel für alle Antragsteller in der DDR schaffen wollen. Sie sagt, mit ihr hätte man ein Exempel statuiert. Sie fühlt sich als eine Art Märtyrer.“

Damit zog der betreffende Arzt nicht nur den inoffiziellen Berichtsweg der strafrechtlich geforderten offiziellen Anzeige vor, sondern gab auch noch ju- ristisch irrelevante Aussagen mit weni- ger informativem, dafür aber diffamie- rendem Charakter weiter.

Ähnlich verhält es sich mit den Aussa- gen des IM „Josef Nöcker“. In einer Ton- bandabschrift verwies dessen Führungs- offizier nicht nur auf die ausführlichen Informationen des IM-Arztes über ei- ne Patientin und deren postoperative T H E M E N D E R Z E I T

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A1596 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 23⏐⏐9. Juni 2006

Grafik 1

Von 454 IM-Ärzten berichteten über:

(Mehrfachnennungen möglich) 350

300 250 200 150 100 50 0

349

122 111 104

70

29 25 18 12 10

Kollegen Ausländer Patienten Verw./Be.

Student Kirchl. K.

Sportler Soldaten Parteiang.

Strafgef.

* Wenn nicht anders angemerkt, liegen der Darstellung und den wörtlichen Zitaten die in der Archiv-Außenstelle Leipzig der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) eingesehenen IM-Akten zugrunde.

(3)

Schwierigkeiten, sondern auch auf das vernichtende Urteil des inoffiziellen Mitarbeiters über seinen Kollegen und Operateur, welchem in diesem Fall of- fenbar Fehler unterlaufen seien. Selte- ner sind Berichte, in denen es ausschließ- lich um Gesundheitszustände bezie- hungsweise Krankheitsbilder ging. Dem Bericht einer weiteren „Quelle“ zufolge konnte dem MfS beispielsweise die Blut- gruppe eines Blutspenders zugetragen werden. Ursachen des staatssicherheits- dienstlichen Informationsbedarfs oder daraus erwachsene Konsequenzen für den Spender dokumentierte der MfS- Mitarbeiter jedoch nicht.

Bei anderen Berichten handelte es sich um mehrseitige Patientengutach- ten, die für die Staatsanwaltschaft im Zuge eines Strafverfahrens erstellt wor- den oder an staatliche Einrichtungen, wie etwa den Rat des Kreises, an die Abteilungen Gesundheitswesen oder Psychiatrische Fürsorge gerichtet wa- ren und dem MfS als Kopie weiter- geleitet wurden. Der bereits genannte Psychiater übergab seinem Führungs- offizier zum Beispiel ein Gutachten mit folgendem Wortlaut:

„Der [N.N.] leidet unter einer schizo- phrenen Psychose. Das gilt als eine schwere Erkrankung und deshalb wurde am 12. März 1984 die gerichtliche Ein- weisung beantragt, beim Kreisgericht Leipzig-Land. Die Ausweisung des [N.N.] könnte durch den Gegner für Propagandazwecke ausgenutzt werden, um das Gesundheitswesen und über- haupt die Verhältnisse in der DDR zu verunglimpfen.“

Die Informationen enthielten dem- nach in der Regel Aussagen zum Ge- sundheitszustand, zu persönlichen und beruflichen Belangen sowie politischen Auffassungen der Patienten. Neben Aus- künften über „ungesetzliches Verhal- ten“ oder „asoziales Verhalten“ konnten den Staatssicherheitsdienst aber auch diskreditierende Berichte über Perso- nen in einflussreichen Positionen errei- chen. Beispielsweise berichtete IM „Dr.

Borchert“ 1967 über ein seit fünf Jahren als Stadtrat tätiges LDPD-Mitglied, das sich bei ihm wegen Kreislaufstörungen und „Schwindelgefühl auf nervöser Ba- sis“ in Behandlung befand. Auf drei handgeschriebenen Seiten dokumen- tierte der Psychiater scheinbar unlösba-

re Probleme des Patienten in seiner Funktion, die er aus Kompetenzgründen nicht ausfüllen konnte, aber unter Druck der eigenen Partei und der SED bewälti- gen musste. Die daraus entstandene Un- zufriedenheit hätte zu dem diagnosti- zierten Krankheitsbild geführt.

Ärztliche Schweigepflicht

IM „Erich“ dagegen informierte über das Krankheitsbild eines Hauptmanns im Strafvollzug, Dessen Führungsoffi- zier protokollierte:

„Der [N.N.] befindet sich als Alkoho- liker auf der Station des IM. Die konkre- ten auslösenden Umstände kann der IM zurzeit noch nicht einschätzen. Er brach- te zum Ausdruck, dass sie nicht unbe- dingt aus dem familiären Bereich kom- men. Offensichtlich sei [N.N.] mit seiner Arbeit überfordert. [N.N.] wurde mit ei- ner Stichwunde in der Wade eingeliefert, die er sich selbst beibrachte. Vermutlich wollte er sich Schmerzen zufügen. Der IM führte eine Aussprache mit dem Lei- ter der StVE, in deren Ergebnis er be- stürzt über fehlende Kenntnisse des Ge- nossen zur Erkennung von Erscheinun- gen des Alkoholismus war.“

Dem Bericht zufolge ging es dem IM in erster Linie nicht um den Hinweis auf den Gesundheitszustand des StVE- Angehörigen, sondern vor allem um den Umgang mit dem pathologischen Befund in einem brisanten beruflichen Umfeld.

Wie Ärzte das Schweigegebot nach Kontakt mit dem MfS für sich persönlich auslegten oder damit verbundene Gren- zen definierten, zeigen folgende Beispie- le. IM „Dieter Speer“, Arzt in einem Ambulatorium, berichtete 1977 über ei- ne Familie, die bereits seit längerem von ihm behandelt wurde. Sie hätten ihm von ihrem „Übersiedlungsersuchen“ erzählt, seither auf alles in der DDR geschimpft und auch den IM zu einer Stellungnah- me in Hinblick auf ihr Problem zu bewe- gen versucht. Natürlich müsse er als Arzt nach den Sorgen und Nöten fragen, die eventuell privat auftreten, da bestimmte Krankheitssymptome damit zusammen- hängen können, gab der inoffizielle Mit- arbeiter zu Protokoll. Aber wenn die Frau damit anfangen würde, „ihr Herz auszuschütten“, habe das nicht mehr mit der Behandlung nach ihrer Gallenope- ration zu tun. Angesichts dieses unethi- schen Verhaltens erscheint es absurd, dass sich IM „Dieter Speer“ im gleichen Jahr darüber beklagt, dass an seiner Arbeitsstätte ein vor anderen Zuhörern geschütztes Arzt-Patienten-Gespräch kaum möglich sei:

„Ein sehr einschneidendes Problem ist, dass die Türen der Sprechzimmer der Ärzte nur einfach sind und dazu noch nicht einmal gepolstert. Da die Warteräu- me direkt vor den Türen liegen, besteht die Gefahr, dass die Patienten vor der Tür das Gespräch des Patienten mit dem Arzt verfolgen können. Ich wurde schon mehrfach durch Bekannte darauf hinge- wiesen, dass man das Gespräch verfolgen T H E M E N D E R Z E I T

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A1598 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 23⏐⏐9. Juni 2006

Grafik 2

Verletzung der Schweigepflicht durch die IM entsprechend ihrer Einordnung in die Hierarchie

Bezirksärzte Kreisärzte ÄD/Leiter Chefärzte Oberärzte Ärzte

0 10 20 30 40 50 60

2

40

36 9

25 30 20

52 6

14

46 24

Anzahl Anteil %

(4)

konnte. Es gibt auch bereits Patienten, die nur noch flüsternd mit dem Arzt reden.

Es ist doch aber so, dass gerade bei nervlichen Sachen auch Probleme der Intimsphäre angesprochen werden. Wie schnell ist dann so etwas im Wohngebiet herum und so besteht der Verdacht, dass der Arzt die Schweigepflicht verletzt hat.

[. . .] Es geht den Ärzten um das vertrau- ensvolle Patientengespräch. Das ist hier nicht gewährleistet.“

In einem anderen Fall stellt sich die Einhaltung des ärztlichen Schweigege- bots als Übungsfläche für die Konspirati- on während der sich anbahnenden IM- Tätigkeit dar. Eine Ärztin, die 1976 ge- worben und in diesem Zusammenhang auf die damit verbundene strengste Ver- traulichkeit hingewiesen wurde, hob nach ihrer Bereitschaftserklärung hervor, dass sie aufgrund ihrer Tätigkeit täglich mit der Schweigepflicht konfrontiert werde und deshalb für eine konspirative Tätig- keit wahrscheinlich geeignet sei.

Manche Ärzte, wie beispielsweise IM

„Manfred Schäfer“, ein Anästhesist an einem Krankenhaus, oder der Sport- mediziner IM „Neptun“, verwiesen zwar im Rahmen der Werbung auf die ärztliche Schweigepflicht, um entwe- der die Grenzen einer möglichen in- offiziellen Mitarbeit anzumahnen oder als nicht (ausreichend) verwendbar zu erscheinen. Im Laufe der letztlich zu- stande gekommenen IM-Tätigkeit ver- letzten sie das ärztliche Schweigegebot dennoch mehrfach. Andere

wiederum weigerten sich ge- nerell, Patientennamen zu nennen, und führten in die- sem Zusammenhang mehr oder minder erfolgreich die Schweigepflicht als Grenze

ihrer Eignung für eine inoffizielle Mit- arbeit an.

Einige wenige Ärzte gaben von vorn- herein an, zwar mit den MfS kooperie- ren, aber aufgrund des hippokratischen Eides nicht über Patienten berichten zu können. Laut Aktenlage hielten sie sich offenbar daran. Ein einziger Arzt schlussfolgerte 1963, obwohl er die Ver- pflichtungserklärung bereits drei Jahre zuvor unterzeichnet hatte, dass er we- gen seines Berufsethos nicht mehr län- ger mit dem Staatssicherheitsdienst zu- sammenarbeiten könne. In einem per- sönlich verfassten Schreiben an die zu- ständige MfS-Dienststelle hielt er fest:

„Ich fühle mich als Arzt meinem Ge- wissen gegenüber dazu verpflichtet, alles das, was Patienten mir gesagt haben, mit größter Vertraulichkeit und absoluter Schweigepflicht für mich zu behalten. [. . .]

Dieses Vertrauen hat man aber nur, wenn man eben verschwiegen ist. Würde ich derartige Äußerungen heimlich tun – also ohne dass die betreffenden Menschen von einer solchen Weitergabe erfahren – so könnten diese Menschen zwar getäuscht werden und mir weiterhin ihr Vertrauen schenken. Ich aber würde dadurch voll- kommen meine Unbefangenheit verlieren, ich würde mich solchen Menschen gegen- über zutiefst schuldig fühlen und somit jene seelische Kraft verlieren, die ich brauche, um als Arzt existieren zu können. [. . .] Ich betone: Es ist meine feste Überzeugung, dass diese meine Haltung dem in der DDR gültigen Recht entspricht und den Anforde- rungen nachkommt, die in einer sozia- listischen Gesellschaft an einen Arzt gestellt werden. [. . .] “

Hartnäckig hielt er an die- ser Auffassung fest, und es ge- lang ihm, die erpresste und ge- hasste inoffizielle Zusammen- arbeit mit dem Staatssicher- heitsdienst ohne die befürchte- ten Konsequenzen zu beenden.

Wenige Wochen nach den ersten Auseinandersetzungen zwischen dem IM „Professor“

und dem Führungsoffizier ak- zeptierte die ansässige MfS- Dienststelle, dass der „Profes- sor“ nicht mehr bereit war, für das MfS tätig zu sein.

Von den sieben interviewten IM-Ärzten, die laut Stasi-Ak- tenprotokollen die Schweige-

pflicht eindeutig gebrochen hatten, konnte sich nur noch einer an den Vorfall erinnern. Ob die anderen bewusst eine falsche Antwort gaben oder ob sie den Verstoß gegen die Berufspflichten aus ihrem Bewusstsein verdrängt hatten, lässt sich nicht sicher entscheiden.

Ein weiterer Arzt berichtete im Inter- view darüber, wie er das ärztliche Schweigegebot verletzt habe, obgleich das damit verbundene Ereignis nicht in der entsprechenden IM-Akte dokumen- tiert worden war. IM „Wolfgang Krü- ger“ gab im Interview zu verstehen, dass er sich „habe verstricken lassen“. MfS- Mitarbeiter hätten ihn angeblich mit der Krebsdiagnose eines Patienten konfron- tiert. Das habe er spontan widerlegt und damit die ärztliche Schweigepflicht ver- letzt. Kurze Zeit nach dem Gespräch sei ihm plötzlich klar geworden, dass sich dieser Patient offenbar gegenüber der Stasi „auf eine Krebsdiagnose zurückge- zogen“ habe, um in Ruhe gelassen zu werden. Er wollte wahrscheinlich „nicht mehr mitmachen“. Den IM beschäftigt seither, ob er diesem Patienten den „viel- leicht letzten Rettungsanker“ genom- men habe. Die Frage, weshalb er sich

„auf dieses Niveau begeben habe“ und

„blind dafür“ gewesen sei, was er mit dieser Äußerung an Konsequenzen für den Patienten hätte auslösen können oder tatsächlich verursacht hat, lässt ihm bis heute keine Ruhe (7).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 103(23): A 1594 – 9

Literatur

1. Obwohl die Angaben nicht repräsentativ sind, lassen sich doch Schwerpunkte, Tendenzen und somit ver- allgemeinerungswürdige Aussagen ableiten.

2. Hansen G,Vetterlein H: Stellung und berufliche Tätigkeit des Arztes in der sozialistischen Gesellschaft. In: Diess:

Ärztliches Handeln – rechtliche Pflichten in der Deut- schen Demokratischen Republik. Leipzig 1973: 13 f.

3. Süß S: Politisch missbraucht? Psychiatrie und Staats- sicherheit in der DDR. Berlin 1999: 260.

4. Vgl. ebd.

5. Vgl. ebd., S. 259 f.

6. Ernst A-S: „Die beste Prophylaxe ist der Sozialis- mus.“ Ärzte und medizinische Hochschullehrer in der SBZ/DDR 1945–1961. Münster 1997: 338.

7. Interview mit IMS „Wolfgang Krüger“ vom 15. 07. 2004, S. 8 f.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. phil. Francesca Weil

Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V.

an der Technischen Universität Dresden Mommsenstraße 13, 01062 Dresden T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 23⏐⏐9. Juni 2006 AA1599

Ärzte und Staatssicherheit

Die Verstrickung von Ärzten in das System des MfS Vortrag und Fachgespräch

Podium:Dr. Francesca Weil, Hannah-Arendt-Institut Norbert Jachertz, Deutsches Ärzteblatt

Priv.-Doz. Dr. Thomas Großbölting, BStU

Gesprächsführung: Dr. Hartmut Wewetzer, Ressortleiter Wissen- schaft und Forschung beim Tagesspiegel

Beginn:Donnerstag, 15. 6. 2006, 19:00 Uhr Ort:Vertretung des Freistaats Thüringen beim Bund Mohrenstraße 64, 10117 Berlin

Veranstalter:Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen

Veranstaltungshinweis

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