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Archiv "Minister-Rücktritte: Gesundheit jetzt Sache der SPD" (19.01.2001)

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ie Ereignisse in den vergangenen Tagen überschlugen sich. Drei Tage nach dem Rücktritt von An- drea Fischer wurde die neue Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt (51), SPD, bereits ernannt. Gudrun Schaich-Walch, wie Schmidt bisher stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, ist jetzt Parla- mentarische Staatsekretärin im Bun- desgesundheitsministerium. Die Ex- Ministerin Andrea Fischer (41) war nach ihrem Rücktritt am 9. Januar kaum noch an ihrer alten Dienststelle zu sehen. Ihr Abgang war kurz, aber nicht schmerzlos.

„Jetzt bin ich zurückgetreten, und das ist nicht mehr rückgängig zu machen“, antwortete Andrea Fischer bitter bei ihrer letz-

ten Pressekonferenz als Bundesgesund- heitsministerin auf die Frage eines Jour- nalisten, ob ein an- deres Verhalten sei- ner Kollegen ihren Rücktritt hätte ver- hindern können. Je- de Spekulation wäre müßig. Tatsache ist, dass die jüngste Mi- nisterin des Kabi-

netts während ihrer gesamten Amtszeit im Kreuzfeuer der Kritik in den Medien stand. Auch die Ärzteschaft setzte ihr aufgrund ihrer starren Budgetierungs- politik zwei Jahre lang hart zu.

Nun ist für Fischer als Bundesge- sundheitsministerin der letzte Vorhang gefallen – der Wechsel im Ministerium ist vollzogen. Dabei ist sie nicht an den Ärzten gescheitert, nicht an der um- strittenen Gesundheitspolitik. Fischer war geradezu stolz darauf, den „Funk- tionären“ nicht nachgegeben zu haben.

Gestürzt haben sie schließlich am

Abend des 9. Januar die Rinder. Am Tag, als der zehnte BSE-Fall bekannt wurde, trat die Ministerin zurück, wie auch wenig später der Landwirtschafts- minister Karl-Heinz Funke, SPD. Be- gründung von Fischer: Durch die BSE- Krise sei das Vertrauen der Verbrau- cher gestört – von Fehlern in der Ge- sundheitspolitik war keine Rede. Auch wenn Fischer es offiziell dementierte:

Ihr Rücktritt war nicht freiwillig. Offen- sichtlich wurde der Wechsel hinter ihrem Rücken eingefädelt.

Am 12. Januar erhielt Fischer vom Bundespräsidenten Johannes Rau ihre Entlassungsurkunde, gleichzeitig wur- de die neue Bundesgesundheitsministe- rin, Ulla Schmidt, benannt und am 17. Januar vereidigt. Mit Fischer räum-

ten auch ihr beamteter Staatssekretär Erwin Jordan (47) und die Parlamenta- rische Staatssekretärin Christa Nickels (48), beide vom Bündnis 90/Die Grü- nen, ihre Schreibtische. Es ist üblich, dass ein neuer Minister seine eigenen Staatssekretäre mitbringt.

Eine Ausnahme von dieser Regel wird derzeit im neu formierten Ministeri- um für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft gemacht. Die Staats- sekretäre Dr. Martin Wille und Dr. Ge- rald Thalheim werden von der Nachfol- gerin des Landwirtschaftsministers Karl-

Heinz Funke, Renate Künast, übernom- men. Die Juristin war bisher eine der bei- den Parteivorsitzenden vom Bündnis 90/Die Grünen und nicht Mitglied des Deutschen Bundestages.

Die Umstrukturierung der beiden Ministerien wird voraussichtlich einige Zeit in Anspruch nehmen. Bundeskanz- ler Gerhard Schröder hatte mit den Rücktrittserklärungen seiner Minister gleichzeitig die Chance genutzt, die Behörden umzukrempeln und die Auf- gaben neu zu verteilen. Dabei verklei- nerte er das Bundesgesundheitsministe- rium und gliederte den Verbraucher- schutz an das ehemalige Landwirt- schaftsministerium an. Er habe sich im Sinne einer verbraucherorientierten Landwirtschaftspolitik zu diesem Schritt entschlossen, gab Schröder am 10. Ja- nuar bekannt. „Was wir jetzt brauchen, sind neue Prioritä- ten“, sagte der Kanz- ler. „Bei der tradi- tionellen, industriell geprägten Landwirt- schaft standen all- zu sehr die Absatz- und Gewinninteres- sen der Erzeuger, der Futtermittelher- steller und der Lebensmittelindustrie im Vordergrund. Die Interessen der Ver- braucher sind dabei allzu oft auf der Strecke geblieben.“

Das soll sich jetzt ändern. Künast kommt nicht aus dem Bereich der Landwirtschaft wie ihr Vorgänger, son- dern ist als Grünen-Politikerin viel- mehr dem Verbraucherschutz zugetan.

Mit dieser Kurskorrektur sieht Schrö- der die Möglichkeit, das Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen.

Auch Ex-Gesundheitsministerin Fi- scher begründete ihren Rücktritt damit, P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 3½½½½19. Januar 2001 AA73

Minister-Rücktritte

Gesundheit jetzt Sache der SPD

Die SPD-Politikerin Ulla Schmidt nimmt im Bundesgesundheitsministerium den Platz von Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen, ein.

Ulla Schmidt (SPD) ist neue Bundesgesund-

heitsministerin. Foto: dpa

Zuständig für Verbraucherschutz und Landwirt- schaft: Renate Künast (Grüne) Foto: ddp

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dass jetzt nur unbelastete Personen po- sitive Wirkungen im Verbraucherschutz erzielen könnten. Ihre Position sei durch die Ereignisse der jüngsten Vergangen- heit zu sehr geschwächt. „Beim Umgang mit der BSE-Krise sind auch von mir in den letzten Wochen mit Sicherheit Feh- ler gemacht worden“, räumte Fischer ein. Allerdings betonte sie, dass sie diese nicht für schwerwiegend genug für einen Rücktritt halte. Es sei bizarr, dass gerade eine grüne Politikerin, deren Partei sich seit eh und je für den Verbraucherschutz engagiere, den Kopf hinhalten müsse.

„Dennoch habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen, weil es zu meinem politischen Selbstverständnis gehört, dass jeder für seine Versäumnisse die Verantwortung übernehmen soll.“

Andrea Fischer wirkte bei ihrer Ab- schieds-Pressekonferenz als Bundesge- sundheitsministerin resolut, aber auch gleichzeitig starr und verbittert. Da war nichts zu spüren von der unsicheren Po- litikerin, die kurz nach ihrem Amtsan- tritt vor zwei Jahren den aufgebrachten ostdeutschen Kassenärzten mit beben- der Stimme Rede und Antwort stand.

Keine Träne war jetzt bei ihr zu sehen.

Auf die Frage, wie sie sich persönlich fühle, antwortete sie nur kurz: „Spielt das eine Rolle?“ Wiederholt betonte Fischer, dass sie sich nicht als Opfer fühle und der Rücktritt ausschließlich ihre eigene Ent- scheidung gewesen sei. Aller- dings hätte sie gern die begon- nene Arbeit weitergeführt und das Gesundheitswesen aus sei- ner Starrheit gelöst.

Diese Aufgabe wurde jetzt Ulla Schmidt übertragen. Die bisherige stellvertretende Frakti- onsvorsitzende der SPD für die Bereiche Arbeit und Soziales, Frauen, Familie und Senioren soll, so Schröder, die Gesundheitspolitik verstärkt an den Belangen der Patienten und Versicher- ten orientieren. Er bescheinigte ihr die dazu notwendigen Eigenschaften: Dia- logfähigkeit, Beharrlichkeit und Durch- setzungsvermögen. Die einstige Lehre- rin für Lernbehinderte ist seit 1983 Mit- glied der SPD, seit 1990 gehört sie dem Deutschen Bundestag an, und seit 1991 ist sie Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der SPD-Bundestagsfrak- tion. Schmidt ist ausgewiesene Renten-

expertin, gemeinsam mit Bundesar- beitsminister Walter Riester, SPD, hat sie weite Teile der Rentenreform erar- beitet. Mit Gesundheitspolitik hat sie sich bisher wenig befasst, sie besitzt je- doch den Ruf, sich schnell in neue The- men einarbeiten zu können.

Die Ärzteschaft wünsche der neuen Bundesgesundheitsministerin das not- wendige Quäntchen Fortune, das sie bei den großen Herausforderungen brauchen werde, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe, nachdem die Ent- scheidung für die neue Ministerin be- kannt wurde. Die Bundesärztekammer

werde weiterhin gesprächs- und koope- rationsbereit sein und auch an dem Vor- schlag eines runden Tisches festhalten.

Hoppe hofft auf eine offene Diskussion des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung, eine Beendigung der starren Budgetierung und eine stär- kere Eigenverantwortung der Versicher- ten. Auch die Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) setzt auf Kommuni- kation. Ihr Vorsitzender, Dr. med. Man- fred Richter-Reichhelm, erwartet je- doch keinen grundlegenden Wandel:

„Die bisherigen Marksteine werden bleiben und somit auch die Forderungen der Kassenärzte.“ Dr. med. Eva A. Richter P O L I T I K

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A74 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 3½½½½19. Januar 2001

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m 27. Oktober 1998 leistete An- drea Fischer den Amtseid. Am 9. Januar 2001 erklärte die er- ste grüne Bundesgesundheitsministe- rin ihren Rücktritt. Diese beiden Da- ten markieren Anfang und Ende ei- ner gesundheitspolitisch ambitionier-

ten Ära, deren hoch gesteckte Ziele nicht erreicht wurden.

Die jüngste Ministerin im Kabinett von Gerhard Schröder ist nicht über die eigentliche Gesundheitspolitik ge- stolpert. Aber auf diesem zentralen Feld ihres Ressorts waren die Fronten schließlich derart verhärtet, dass eine allgemein akzeptierte Weiterentwick- lung des Gesundheitswesens kaum mehr zu erwarten war.

Bei ihrem Amtsantritt hatte An- drea Fischer wiederholt Dialogbereit-

schaft erklärt. Tatsächlich paukte die grüne Ministerin ohne Not bereits in den ersten zwei Monaten das GKV- Solidaritätsstärkungsgesetz durch. Sie behielt damit die Budgetierung, die Horst Seehofer hatte auflockern wol- len, nicht nur bei, sondern zog die Zü- gel noch stärker an. Ärzte und An- gehörige weiterer Gesundheitsberufe reagierten mit bundesweiten Prote- sten, die in der Folgezeit an Schärfe zunahmen.

Die Gesundheitsreform 2000 brach- te weder den erhofften großen Wurf noch eine Entspannung im Dauerstreit mit den Leistungserbringern, insbe- sondere den Kassenärzten. Zwar bot die Reform neue Ansätze – etwa die Einführung eines fallbezogenen Entgeltsystems in den Krankenhäu- sern oder die Integrationsversorgung.

Doch Fischers Credo von der fortge- setzten Budgetierung ließ alles andere in den Hintergrund rücken. Die unaus- weichliche Folge: die schleichende Ra- tionierung medizinischer Leistungen.

Andrea Fischer hinterlässt das Ge- sundheitswesen keineswegs als Trüm- merfeld. Die GKV-Finanzen sind (noch) relativ gesund. Der Stillstand in der Gesundheitspolitik verlangt je- doch nach neuen Impulsen. Josef Maus

Andrea Fischer

Engagiert und glücklos

Budgetierung überschattete die zweijährige Amtszeit.

Foto: ddp

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