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Zwischen Herausforderung und Überlastung

Im Dokument Prekäre Privilegien (Seite 150-154)

7 Prekäre Privilegien im Alltag junger Ingenieur_innen

7.2 Belastungsproben im Beruf

7.2.1 Zwischen Herausforderung und Überlastung

Alle Interessentypen zeigen sich beruflich sehr motiviert und alle bescheinigen sich dennoch aktive Grenzziehungen gegenüber beruflichen Anforderungen. Bei drei der vier Typen ist die berufliche Motivation im Kern fachlich-technisch begründet. Gleichzeitig schildern sie die sehr hohen Leistungsanforderungen als potenzielle Belastung. Entweder begrenzen sie berufliche Entwicklungswünsche zugunsten anderer Interessen oder sie erfüllen die Anforderungen und nehmen in der Konsequenz eine Gefährdung der Selbstsorge in Kauf, um berufliche und außer-berufliche Interessen zu vereinbaren. Zu diesen drei Typen komme ich später. Meine Darstel-lung beginne ich zunächst mit dem vierten Typ, der sich als Führungskraft ganz anders positio-niert.

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Die Ingenieur_innen des Typs „Ausbalancierte Selbstverwirklichung im Beruf“ positionieren sich als Führungskräfte mit Personalverantwortung oder streben dies an. In ihrer Konstruktion von Interessen entsprechen die hohen betrieblichen Leistungsanforderungen genau dem eige-nen besonderen beruflichen Leistungswillen und Ehrgeiz. Sie verfolgen ausdrücklich ein be-rufliches Karriereinteresse und begründen dies mit persönlichem Ehrgeiz. Ihre beruflichen Po-sitionierungen als Führungskräfte konstruieren sie in Abgrenzung zu den Kolleg_innen in den Entwicklungsabteilungen. Diese Kolleg_innen hätten den „betriebswirtschaftlichen Aspekt nicht im Blick“ und wüssten nicht, „was am anderen Ende der Prozesskette, sprich der Ferti-gung, für ein Druck herrscht, wenn sie da vorne zu langsam arbeiten“ (Frau Kuhn). Dennoch definieren sie Erfolg vorrangig immateriell:

„Ich bekomme positives Feedback vom Chef, dem Geschäftsführer. Und mir persönlich macht es Spaß, mit Leuten zu interagieren, mich mit Leuten ausei-nanderzusetzen und auch einen repräsentativen Charakter für die Firma zu

ha-ben und zu dem Kreis der Leute zu gehören, die über echte Perspektiven spre-chen. Das finde ich super, das macht mir Spaß.“ (Herr Jessen)

Erfolg ist für die Ingenieur_innen dieses Typs eine fachliche Angelegenheit und keine Frage der finanziellen Gratifikation – es geht ihnen um die Anerkennung, die sie für den gelungenen Einsatz ihrer fachlichen Kompetenz erhalten. Eine positive Bestätigung durch Vorgesetzte ist ihnen wichtiger als die Höhe des Einkommens. Es macht sie stolz, wenn sie für die Firma als Vertrauensperson und Fachkraft in Kundengesprächen auftreten können. Es ist ihr Wunsch, etwas zu bewegen und voranzubringen. Es macht ihnen Spaß, „tolle, große Sachen mit beglei-ten und mit entscheiden zu dürfen“ (Herr Quade). Als Führungskraft konstruieren sie sich in der Rolle, „voran zu gehen und Visionen und Strategien zu entwickeln“ (Frau Kuhn). Gleich-zeitig betonen sie ihre Technikaffinität, die sie auch als Führungskräfte für die Aufgaben moti-viert:

„Ein bisschen Koordination, ein bisschen Fachebene. Das Projekt ist noch nicht zu groß, also ich hab noch die Möglichkeit mich mit Details zu beschäfti-gen, wie das da unten genau abläuft, und da mitzureden und mitzudenken. Und

nichtsdestotrotz ist es ein Team von fünf, sechs Leuten, die ich koordinieren kann.“ (Herr Tammens)

Für diesen karriereorientierten Typ bedeutet aktive Grenzziehung eine Karriereplanung, die vor dem Hintergrund der zu erwartenden zeitlichen Anforderungen in Spitzenpositionen beim mitt-leren Management endet.

Anders positionieren sich die weiteren drei Interessentypen zu den betrieblichen Leistungsan-forderungen. Im größten Kontrast zu den Führungskräften steht der Typ „Entspannter Nicht-aufstieg“. Diese Ingenieur_innen verfolgen bewusst keine berufliche Karriere, sondern sind

„normale Projektmitarbeiter“. Ihre Motivation ist der Spaß „an der technischen Tüftelei, an der

Bastelei“. Spaß an der Arbeit haben sie außerdem durch ein gutes Betriebsklima und ein nettes Kollegium, in dem „Lockerheit“, „Familiarität“, eine „gute Atmosphäre“ und „Wertschätzung“

üblich sind (Herr Reuter). Technologieentwicklung sehen sie als einen gesellschaftlichen Bei-trag, der sie stolz macht. Es motiviert sie, für diesen Beitrag Wertschätzung und Respekt zu bekommen. Wenn in Fachzeitschriften ein Produkt gelobt wird, in dem eine von ihnen mit ent-wickelte Technologie zur Anwendung kommt, dann erfüllt sie das mit Stolz.

Die Thematisierung von Belastungen durch die Leistungsanforderungen spielt in diesem Typ eine wichtige Rolle. Die Entscheidung gegen Karriere als Vorbeugung gegen Überlastung ist hier am deutlichsten. Sie haben die Erfahrung einer gesundheitsgefährdenden Überlastung wäh-rend des Berufseinstiegs gemacht. Sie ziehen daher die Grenze des beruflichen Aufstiegs bereits bei der Personalverantwortung. Ihre Haltung zur Erwerbsarbeit ist davon geprägt, die vertrag-liche Arbeitszeit einzuhalten. Diese bewusste Haltung entspringt der Erfahrung, dass das Leben bereits einmal durch Überarbeitung „vollkommen aus dem Rhythmus war“, so Frau Esser. Sie hat damals „den Beruf sehr, sehr ernst genommen und auch zu wichtig genommen“, so dass sie ihr „Privatleben vernachlässigt“ hat. Auch Herr Reuter schildert den Berufseinstieg als große Herausforderung, da er nach nur drei Monaten Einarbeitungszeit alleinverantwortlich für ein kompliziertes und problematisches Projekt war. Als Einsteiger war es zudem schwierig für ihn, von den erfahrenen Produktionsarbeitern ernst genommen zu werden. Damals kam er schnell auf 50 bis 60 Stunden Wochenarbeitszeit, der Stress hat eine schwere Erkrankung ausgelöst, und „das hat damals zwischendurch in drei Wochen Krankenhaus geendet wegen Überlastung“.

Rückblickend sagt er, dass er sich einen „effektiven Wirkungsgrad erst erarbeiten“ musste.

Heute hat er ein gutes „Selbstmanagement“ durch „Checklisten“. Sein Leitspruch ist: „Für Hek-tik habe ich keine Zeit.“ (Herr Reuter)

Die hohen Leistungsanforderungen werden in diesem Interessentyp dabei nicht als unangemes-sen empfunden, sondern als ein Sachzwang verstanden, das heißt als notwendiger Ausdruck der Konkurrenz der Unternehmen am globalen Markt:

„Wenn wir technisch komplizierte Produkte anbieten wollen, die funktionieren, dann muss man natürlich Gehirnschmalz reinstecken. Das bedeutet mehr Arbeit

für die Entwickler. Wenn gleichzeitig der Preis stimmen soll, dann darf es nicht zu viele Ingenieure geben, die sind teuer. Und dann haben wir den Salat. Das

bedeutet steigende Arbeitsbelastung.“ (Herr Reuter)

Auch bei den anderen beiden Typen – „Strategischer Verzicht“ und „Kalkulierte Vernachlässi-gung der Selbstsorge“ – steht das technische Interesse im Mittelpunkt, wobei der gesellschaft-liche Sinn der berufgesellschaft-lichen Arbeit von ihnen noch ausdrückgesellschaft-licher hervorgehoben wird als im Typ „Entspannter Nichtaufstieg“. Von der Arbeit in der „Waffenindustrie“ grenzen sie sich ab.

Sinn und Gerechtigkeit sind für sie zentrale Werte im Beruf:

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„Ich wollte einen Arbeitgeber haben, der der Gesellschaft etwas zurückgibt.

[…] Im Großunternehmen hatte ich das Gefühl, dass das, was ich da mache, nur jemandem nutzt um reich zu werden, den Aktionären quasi. Für mich be-stand aber das Ziel meiner Ausbildung nicht nur darin, Geld zu verdienen,

son-dern etwas zu bewirken.“ (Frau Pamuk)

Im Kontrast zu den Nicht-Karriereorientierten werden von diesem Typ hohe Leistungsanforde-rungen nicht aus der Perspektive der persönlichen Gefährdung thematisiert, sondern als not-wendiges Charakteristikum von Industrieproduktion in der globalen Konkurrenz:

„Es wird sehr stark auf die Kosten geachtet. Im Studium [Zweitstudium Be-triebswirtschaft] habe ich gelernt, dass man einen Unternehmer im Unterneh-men haben möchte, der sich selbst rationalisiert, selbst managt, selbst steuert.

Da kommt sehr viel Druck auf die Mitarbeiter zu.“ (Frau Ünsal)

Es ist zu vermuten, dass die Akzeptanz von und der gelingende Umgang mit hohen Leistungs-anforderungen in der Charakteristik des Samples zu suchen sind. Die Auswahl der Inter-viewpersonen bildet überwiegend Bedingungen ab, in denen es zum Interviewzeitpunkt stabile tarifvertragliche Regelungen zu Arbeitszeiten gibt. Eine Ausnahme zum typenübergreifenden Verständnis für den Leistungsdruck bildet die Kritik von Frau Ivers40 an dem übermäßigen Leistungsdruck in ihrem Betrieb. Der Hintergrund ihrer Erfahrung ist eine drohende Insolvenz und die Übernahme durch einen Fonds, der einen Wiederverkauf mit Gewinnmaximierung an-strebt:

„Es ist so, dass die Auslastung der Leute nicht mehr passt. Unser Eigentümer ist ein Private Equity Fonds, der zieht das Geld hier raus, gibt aber nichts zu-rück. […] Unter diesem ganzen Druck gehen auch die Kollegen nicht mehr

or-dentlich miteinander um. Die beschimpfen sich gegenseitig, schieben sich je-weils die Schuld zu. Die Atmosphäre ist nichts, wo man wirklich gerne arbeitet.

Das finde ich, das geht von oben runter, dass man nicht wertschätzend mit den Leuten umgeht, dass Anerkennung fehlt.“ (Frau Ivers)

Auch die beiden zuletzt genannten Typen beschreiben jeweils eigene Grenzziehungspraxen.

Der Typ „Strategischer Verzicht“ nimmt für eine Prioritätensetzung auf außerberufliche Inte-ressen die beschränkten beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten in Kauf, die sich aus der selbst gewählten Teilzeit ergeben. Die Grenzziehung des Typs „Gefährdete Selbstsorge“ ist ambiva-lent. Es handelt sich um Mütter in beruflichen Leitungspositionen. Ihr zentrales Vereinbarungs-interesse liegt darin, einen anspruchsvollen Beruf und eine aktive Mutterschaft zu vereinbaren.

Dazu achten sie auf die Einhaltung vertraglicher Arbeitszeiten. Sie positionieren sich aber ge-rade nicht als Personen, die auf Karriere verzichten, sondern verbinden Karriere und Eltern-schaft so, dass sie dabei eine Gefährdung der Selbstsorge in Kauf nehmen.

40 Frau Ivers gehört zu den drei Fällen, die keinem Typen eindeutig zugeordnet sind. Vgl. dazu Abschnitt 6.2.5.

In diesem Abschnitt habe ich gezeigt, dass die Identifikation mit den fachlichen Inhalten in allen Interessentypen hoch ist und für die berufliche Zufriedenheit höher gewichtet wird als die materielle Gratifikation. Gleichzeitig thematisieren die jungen Ingenieur_innen Leistungsan-forderungen, die belastend sein können. Im Folgenden zeige ich, dass den jungen Inge-nieur_innen zufolge diese Privilegien für ihre Berufsgruppe zwar einen Standard darstellen, dass es aber in ihren Augen keine Selbstverständlichkeit ist, diesen Standard individuell zu erreichen.

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