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Vaterschaft und Beruf

Im Dokument Prekäre Privilegien (Seite 182-187)

7 Prekäre Privilegien im Alltag junger Ingenieur_innen

7.3 Diskriminierung bewältigen

7.3.4 Vaterschaft und Beruf

In den familiären Interessen der jungen Väter meiner Studie zeigt sich eine wesentliche Verän-derung der Geschlechterverhältnisse in diesen Berufen in den letzten 20 Jahren. Noch um die Jahrtausendwende zeigten männliche Berufsanfänger aus Natur- und Ingenieurwissenschaften eine ausgeprägt niedrige Bereitschaft, Elternzeit in Anspruch zu nehmen (Minks 2001: 72). Die

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Interessentypen zeigen, dass eine Karriereorientierung, die früher selbstverständlich und durch geschlechtshierarchische Arbeitsteilung abgesichert war, auch bei Männern zum Gegenstand subjektiver Aushandlungsprozesse wird. Die Erwerbsarbeit wird mit Freizeit-, Gesundheits- und Familieninteressen abgewogen (Heilmann 2012: 58f.). Mit Michael Meuser kann von ei-nem Wandel der vorherrschenden Leitbilder ausgegangen werden. Meuser identifiziert einen neuen Vaterschaftsdiskurs, in dem das Engagement von Vätern in den Familien zunehmend positiv betrachtet und die Figur des finanziellen Ernährers der Familie abgewertet wird (Meuser 2011: 72). Für Menschen mit höheren Einkommen ist durch die Elterngeldreform von 2007 auch der finanzielle Anreiz für eine Erwerbsreduzierung oder Erwerbsunterbrechung erhöht worden, da die Höhe des Elterngeldes seitdem einkommensabhängig ist und als Lohnersatz-leistung mindestens 65 Prozent des ausfallenden Einkommens ersetzt (Ehlert 2008: 8). Für den Wunsch nach aktiver Vaterschaft gibt es zunehmend verschiedene Rollenangebote, z. B. als Erzieher, Berater, Partner oder Spielkamerad (Müller 2013: 258, vgl. auch Fthenakis et al.

2006).

Dass dieser normative Wandel auch von jungen Ingenieur_innen getragen wird, bestätigt eine aktuelle Studie von Yves Jeanrenaud zum Verhältnis von Ingenieur_innen zu Elternschaft. Da-rin wird ein verbreiteter Egalitätsanspruch verzeichnet. Viele leben in Partnerschaften, bei de-nen beide in Vollzeit erwerbstätig sind und in dede-nen für beide Partner_inde-nen die Familie – dem Leitbild nach – einen Ausgleich zum Beruf bietet. Familie ist ein „gemeinsames Projekt“

(Jeanrenaud 2015: 118). Jeanrenaud spitzt seine Analyse dahingehend zu, dass nur Frauen da-runter litten, für den Familienwunsch die Karriere einzuschränken. Männer hingegen deuteten eine solche Einschränkung als Wahl zwischen Lebensweisen (ebd.: 141f.). Dem widersprechen meine Ergebnisse. Meine Analyse von Interessentypen zeigt, dass es andere Faktoren gibt – etwa die politische Haltung und die eigenen Interessen – die beeinflussen, ob und wie sich jemand den Abstrichen bei den beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten entweder ohnmächtig gegenübersieht oder diese als aktiv gewählten Verzicht erlebt. Meine Ergebnisse stützen eher Yvonne Haffners Einschätzung, dass die berufliche Leistungsnorm für Ingenieur_innen, die an das Ideal einer Person ohne unbezahlte Sorgearbeitsverantwortung gekoppelt ist, nicht nur Frauen benachteiligt,

„sondern auch jene Männer, die versuchen eine gleichberechtigte Aufgabenver-teilung in ihrer Partnerschaft aufzubauen und ihre Zeit daher nicht gänzlich der bezahlten Erwerbstätigkeit zur Verfügung stellen“. (Haffner 2008: 49)

Nur bei einer Minderheit, den Männern des karriereorientierten Typs „Ausbalancierte Selbst-verwirklichung im Beruf“, findet sich ein positiver Bezug auf die Ernährerrolle, die selbstkri-tisch-akzeptierend bis normativ-überzeugt geschildert wird. Ansonsten überwiegt die Identifi-kation mit aktiver Vaterschaft. Diese fällt nicht nur durch ihre Häufigkeit ins Auge, sondern durch die hohe Bedeutung, die sie für die Konstruktion der familiären Interessen und für die

Vereinbarung der Lebensbereiche hat. So berichten die meisten jungen männlichen Ingenieure mit Blick auf familiäre und individuelle Interessen davon, dass sie das Aufwachsen ihrer Kinder begleiten und als Bezugsperson für Alltagsfragen zur Verfügung stehen möchten. Aber nur eine Minderheit realisiert diese aktive Vaterschaft. Dies gelingt dem Typ „Strategischer Verzicht im Beruf“, bei dem die gleichberechtigte partnerschaftliche Aufteilung von Sorgearbeit der Grund dafür ist, die Erwerbsarbeitszeit zu reduzieren. Die meisten jungen männlichen Ingenieure be-gnügen sich aber mit einer Inanspruchnahme von zwei Monaten Elternzeit. Sie begründen dies mit ihrer Erfahrung, dass in den Unternehmen die Akzeptanz für eine darüber hinausgehende berufliche Pause von Vätern fehlt.

Zum Auseinanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit beim Wunsch nach aktiver Vaterschaft gibt es klare Befunde aus der Sozialforschung: Die Quote der Männer, die eine kurze Elternzeit in Anspruch nehmen, steigt zwar; eine längerfristige Übernahme von Betreuungsverantwortung erfolgt jedoch kaum, was sich auch an der stagnierenden Teilzeitquote bei Männern ablesen lässt (Pfahl/Reuyß 2010). Während die Zustimmung zum Modell aktiver Vaterschaft steigt, stellen Väter im Gegensatz zu Müttern ihre alltägliche Zeitverwendung aber real nicht vom Beruf zugunsten der Familie um. Sie übernehmen weniger Verantwortung für die Routinesor-gearbeiten und bleiben häufiger dauerhaft in der Rolle des mithelfenden SorRoutinesor-gearbeitenden ver-haftet (Adler/Lenz/Stübel-Richter 2015: 83–85). Dies korrespondiert mit der verbreiteten be-ruflichen Norm, nach der in industriellen Großunternehmen eine zweimonatige, eher symboli-sche Elternzeit von Vätern etabliert ist, während bei Müttern mit einer längerfristigen Unter-brechung und Rückkehr mit reduziertem Stundenumfang gerechnet wird (Lott/Klenner 2016: 14f., Mahler Walther/Lukoschat 2009: 17).

In diesem Abschnitt habe ich gezeigt, dass die jungen erwerbstätigen Väter kaum dauerhaft ihren Erwerbsumfang reduzieren. Trotz des Gleichheitsideals sind es regelmäßig die Mütter, die ihre Erwerbsarbeit reduzieren. Ein partnerschaftlich-gleichheitsorientiertes Modell, das auf der Teilzeit beider Elternteile beruht, ist die Ausnahme.

7.3.5 Zwischenbilanz

Das hier analysierte Spannungsfeld liegt zwischen dem Wunsch nach einer Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Beruf und Familie und den prekären Privilegien in Form von Dis-kriminierungserfahrungen von Frauen und berufstätigen Eltern. Im ersten Abschnitt habe ich die Diskriminierungserfahrungen von Frauen im Ingenieurberuf wiedergegeben. Die Berichte handeln von direkter Ablehnung von Frauen in einem technischen Berufsfeld. Bei Ingenieurin-nen mit Migrationshintergrund wird die AußenseiterinIngenieurin-nenrolle durch negative Stereotype ge-genüber Migrantinnen verstärkt. Männer thematisieren diese Diskriminierung von Frauen im

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Beruf nicht, aber sie befürworten eine Erhöhung des Frauenanteils in ihrem beruflichen Um-feld, da sie sich davon eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Ergebnisse, ein verbes-sertes Arbeitsklima und gewinnbringende fachliche Impulse versprechen. Es sind überwiegend Frauen, die außerdem Erfahrungen mit der beruflichen Benachteiligung von berufstätigen Müt-tern machen. Die berufliche Leistungsfähigkeit wird ihnen aberkannt, oder sie sehen sich in der Leistungskonkurrenz gegenüber kinderlosen Kolleg_innen im Nachteil. Väter thematisieren diesen beruflichen Nachteil in geringerem Maße, aber auch bei ihnen gibt es eine Unzufrieden-heit darüber, dass für Väter nur eine maximale Elternzeit von zwei Monaten in den Unterneh-men anerkannt wird.

Im zweiten Abschnitt habe ich das Verhältnis zwischen der positiven Betonung einer Ge-schlechterdifferenz und der Anpassung von Frauen an die männerdominierten beruflichen Ar-beitskulturen diskutiert. Von Männern gibt es zwar die rhetorische Bezugnahme auf eine ge-wünschte Erhöhung des Anteils weiblicher Kolleginnen, aber dies ist nicht mit einem Bezug auf die bestehenden beruflichen Hürden für Frauen verbunden. Weibliche Ingenieurinnen hin-gegen müssen sich früh in ihrer beruflichen Laufbahn damit auseinandersetzen, dass sexistische und rassistische Diskriminierungen und Stereotype ihre Erfolgsaussicht auf eine privilegierte Berufssituation einschränken. Es wurde gezeigt, dass bei den Selbstpositionierungen von Frauen die erfolgreichen Bewältigungsweisen vergangener Konflikte im Zentrum stehen.

Dadurch geraten die erfolgreichen Umgangsweisen mit der eigenen Minderheitenposition zu einem Gesamtbild der Berufskultur, in dem Diskriminierung keine prägende Rolle spielt. Die Positionierung als beruflich ambitionierte Frau erfolgt in dezidierter Abgrenzung zur wahrge-nommenen Dominanz von weiblicher Familienorientierung, insbesondere zum Rollenmodell der Hausfrau. Diese Positionierungen lassen sich aufgrund des Geltungsbereiches meines Samples jedenfalls für jene Frauen feststellen, die im Ingenieurberuf und in der Privatwirtschaft verbleiben und nicht den Beruf oder die Branche wechseln.

Im dritten Abschnitt habe ich das Gleichheitsideal diskutiert, das in Familie und Partnerschaft vorherrscht. Es hat sich gezeigt, dass Geschlechterverhältnisse im familiären und partnerschaft-lichen Kontext als aktiv zu gestaltende Beziehungspraxis konstruiert werden. Die explizit ge-schlechtshierarchisch organisierte Familie ist in der Minderheit, und es sind unter den Inter-viewten ausschließlich Männer, die dieses Modell leben. Die vorliegenden Interessentypen zei-gen, dass das Ernährermodell, welches traditionell eng mit der beruflichen Kultur von Inge-nieur_innen verbunden ist, unter den jungen IngeInge-nieur_innen keine selbstverständliche Zustim-mung erfährt. Stattdessen überwiegt – zumindest rhetorisch – eine normative Orientierung an egalitärer partnerschaftlicher Arbeitsteilung.

Im vierten Abschnitt bin ich darauf eingegangen, wie die ausgeprägte Bezugnahme auf den Wunsch nach aktiver Vaterschaft zu bewerten ist. Hier passen sich die jungen Väter dem ge-ringen von den Unternehmen akzeptierten Handlungsspielraum an. Die anerkannte Erwerbsre-duzierung ist eine zweimonatige Elternzeit ohne anschließende dauerhafte ReErwerbsre-duzierung des Er-werbsumfangs. Ein partnerschaftlich-gleichheitsorientiertes Modell, das auf der Teilzeit beider Elternteile beruht, ist die Ausnahme. Trotz des Gleichheitsideals sind es regelmäßig die Mütter, die ihre Erwerbsarbeit reduzieren. Die Alternative dazu ist das gleichheitsorientierte, jeweils vollzeiterwerbstätige Paar, in dem beide Eltern mit einer sehr hohen Arbeitsbelastung in Beruf und Familie zurechtkommen müssen.

Insgesamt hat die Analyse dieses Spannungsfeldes – zwischen einerseits gewünschter Gleich-berechtigung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie und andererseits Diskriminierung von Frauen und Eltern – gezeigt, dass unter jungen Ingenieur_innen die Positionierung als moderne Vorreiter_innen von Chancengleichheit in Beruf und Gesellschaft in Abgrenzung zu einer vor-herigen Generation überwiegt. Prekäre Privilegien zeigen sich in diesem Spannungsfeld zum einen daran, dass Frauen die Diskriminierungserfahrungen im Beruf ganz überwiegend indivi-duell und konfliktvermeidend bewältigen und sich als Minderheit in die bestehende Berufskul-tur einpassen. Es gelingt der einzelnen Ingenieurin, sich dezidiert als Frau erfolgreich in der Berufskultur zu behaupten, allerdings wird durch die genutzten Strategien die Kultur der Dis-kriminierung nicht in Frage gestellt, sondern stabilisiert. Den gleichen Effekt hat die Praxis der Männer, die sich einen höheren Frauenanteil im Beruf wünschen. Sie streichen die angenom-menen positiven weiblichen Eigenschaften hervor und verzichten darauf, Diskriminierung zu thematisieren oder dagegen aktiv zu werden. Stattdessen führen sie den geringen Frauenanteil auf ein unterstelltes geringeres Interesse von Frauen an technischen Berufen zurück.

Zum anderen zeigen sich prekäre Privilegien in diesem Spannungsfeld daran, dass die meisten Eltern entgegen ihrer Wünsche auf eine gleichberechtigte Reduzierung der Erwerbsarbeit ver-zichten und stattdessen dem geschlechtshierarchischen paarzentrierten Modell folgen, indem die Mütter den Erwerbumfang langfristig reduzieren und die Väter in Vollzeit weiterarbeiten.

Damit verbundene Alltagskonflikte zeigen sich dahingehend, dass Mütter aber auch Väter Probleme bei der Vereinbarung von Vollzeitberuf und Familie thematisieren. Konflikte inner-halb der Paarbeziehungen über die Arbeitsteilung spielen keine Rolle. Es gibt eine kleine, sich aber deutlich positionierende Gruppe von Vätern, denen die anerkannten zwei Elternzeitmonate nicht ausreichen, um ihre familiären Interessen zu realisieren, aber überwiegend wird die Mehr-fachbelastung durch familiäre und berufliche Arbeit von Frauen bzw. Müttern bewältigt.

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