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Eigene Forschungsperspektive

Im Dokument Prekäre Privilegien (Seite 52-55)

3 Prekäre Privilegien

3.4 Eigene Forschungsperspektive

Zusammenfassend führe ich die Erkenntnisse dieses Kapitels zu einer Forschungsperspektive auf prekäre Privilegien zusammen. Im Unterkapitel 3.1 wurde die soziale Ungleichheitsfor-schung als theoretischer Bezugsrahmen für die Definition von prekären Privilegien herangezo-gen. Privilegierung und Prekarisierung wurden als Begünstigung bzw. Beeinträchtigung der Möglichkeiten definiert, die eigenen Wünsche und Interessen zu realisieren. Den Bezugsrah-men der Analyse bildet die Annahme von umfassenden gesellschaftlichen Prekarisierungspro-zessen im Neoliberalismus, die das Leben aller gesellschaftlichen Gruppen – wenn auch sehr unterschiedlich – betreffen. Prekäre Privilegien definiere ich vor diesem Hintergrund als die gleichzeitig günstigen und aktuell in vielfältiger Hinsicht einschränkenden Bedingungen für die Realisierung eigener Wünsche und Interessen.

Es wurde gezeigt, dass prekäre Privilegien in der Erwerbsarbeit, der Sorgearbeit und der Ver-einbarung von Lebensbereichen zu suchen sind. Sie umfassen materielle Existenzunsicherheit, aber auch die bloße Angst vor dem Verlust noch bestehender Sicherheit, und fehlende Ressour-cen für die Sorgearbeit für Kinder, Angehörige und sich selbst. Das heißt, die Prekarisierung umfasst den gesamten Alltag, auf dem daher der Fokus der Untersuchung liegt. Es wurde ge-zeigt, dass einzelne Menschen nie vollständig privilegiert oder prekarisiert, sondern immer mehrdimensional in sozialer Ungleichheit verortet sind. Daher wird in der Untersuchung die soziale Ungleichheit innerhalb der untersuchten Gruppe der Ingenieur_innen in den Blick ge-nommen.

Kapitel 3 Prekäre Privilegien 47

Im Unterkapitel 3.2 wurde anhand von Daten und Forschungsbefunden begründet, dass Inge-nieur_innen als prekär Privilegierte zu betrachten sind. Die prekären Privilegien lassen spezifi-sche Alltagskonflikte erwarten. Die Betrachtung hat gezeigt, dass Ingenieur_innen über viele berufsbedingte Privilegien verfügen. Der Beruf hat ein hohes gesellschaftliches Ansehen und die berufliche Zufriedenheit von erwerbstätigen Ingenieur_innen gilt ebenfalls als hoch. Es wird Vollbeschäftigung mit einzelnen Fachkräfteengpässen verzeichnet und die Einkommen sind im Vergleich zu anderen Berufsgruppen hoch. Gleichzeitig nehmen prekäre Beschäftigung und Outsourcing zu und können Angst vor Existenzunsicherheit mit sich bringen. Mit dem ein-gangs begründeten Fokus auf soziale Ungleichheit wurden hierbei sexistische Ungleichheiten, rassistische Ungleichheiten, Ungleichheiten entlang von sozialer Herkunft und entlang des Al-ters beleuchtet.

Die beruflichen Kompetenzanforderungen steigen, ebenso der Zeit- und Leistungsdruck. Inge-nieur_innen können unter diesen Bedingungen ihre eigenen hohen Ansprüche an gute Arbeit nicht immer erfüllen. Darüber hinaus lässt die zeitextensive berufliche Leistungskultur kaum Spielraum für unbezahlte Sorgearbeit. Hier habe ich die forschungsleitende Annahme begrün-det, dass die Wünsche von jungen Ingenieur_innen an die Vereinbarung von Beruf, Familie und anderen Lebensbereichen im Konflikt mit den beruflichen Anforderungen stehen. Durch man-gelnde zeitliche Ressourcen für Haus- und Sorgearbeit steht die Reproduktion der Arbeitskraft verstärkt unter Druck. Die Selbstsorge von erwerbstätigen Eltern, die beide in Vollzeit erwerbs-tätig sind, und von Alleinerziehenden ist besonders gefährdet. Gleiches gilt für die Muße in einem hochgradig durchorganisierten Alltag.

Im Unterkapitel 3.3 wurden Forschungen zum Umgang von Hochqualifizierten mit diesen Kon-flikten in der Erwerbs- und Sorgearbeit und in der Vereinbarung von Lebensbereichen vorge-stellt. Diese Forschungen beschäftigen sich auf der einen Seite mit der individuellen Interes-senverfolgung bei hohen Belastungen im Beruf und bei der familialen Bewältigung der kon-fliktreichen Vereinbarung von Lebensbereichen. Auf der anderen Seite setzt sich die Forschung mit der kollektiven, betrieblichen Interessenvertretung und einer Verbesserung der Rahmenbe-dingungen für die Vereinbarung unterschiedlicher Lebensbereiche auseinander. An welche Grenzen das individuelle Handeln angesichts prekärer Privilegien gerät und inwieweit hier kol-lektives Handeln ansetzt, ist Gegenstand von wissenschaftlichen Kontroversen. Mit Blick auf die Forschungen zum Umgang mit Konflikten in der Erwerbsarbeit habe ich argumentiert, dass durch den Fokus auf betriebliche Konflikte andere subjektiv relevante Problemlagen und An-satzpunkte für politisches Handeln aus dem Blick geraten. Zwar ist in der geschlechterkriti-schen Soziologie die konfliktträchtige Vereinbarung von Beruf und Familie ein zentrales Thema, allerdings steht hier oft die Sorgearbeit im Fokus, und es fehlt an einer systematischen Berücksichtigung weiterer Lebensbereiche wie gesellschaftlichem oder politischem Engage-ment.

Um an dieser Stelle die Perspektive zu erweitern, gehe ich vom gesamten Alltag der befragten Personen aus und untersuche – so die erste Forschungsfrage – welche Interessen in welchen Lebensbereichen ihnen wichtig sind und wie sie diese miteinander vereinbaren wollen und kön-nen. Es werden sowohl subjektiv gelingende Strategien als auch Probleme und Konflikte her-ausgearbeitet. Die Analyse soll zeigen – so die zweite Forschungsfrage – wie sich prekäre Pri-vilegien im Alltag junger Ingenieur_innen ausdrücken. Dabei gilt die besondere Aufmerksam-keit, wie oben begründet, den sozialen Ungleichheiten innerhalb der Berufsgruppe. Das Augen-merk der Untersuchung liegt auf der Privatwirtschaft, da hier die große Mehrheit der Inge-nieur_innen arbeitet. Dabei geht es bewusst nicht um prekäre Beschäftigungsverhältnisse, son-dern um regulär und abgesichert angestellte Ingenieur_innen in Unternehmen unterschiedlicher Größe in verschiedenen Branchen. Diese abgesicherten Beschäftigungsverhältnisse stellen den Idealtypus der privilegierten Lebensbedingungen von Ingenieur_innen dar. Mich interessiert, inwiefern sich gerade auch hier Prekarisierungen in Erwerbs- und Sorgearbeit und der Verein-barung unterschiedlicher Lebensbereiche zeigen, um – so die dritte Forschungsfrage – Ansätze für politisches Handeln zu diskutieren die sich daraus ergeben. Die Gruppe der Interviewten grenze ich auf junge Ingenieur_innen im Alter von 25 bis 40 Jahren ein, um die Lebensphase zu erfassen, in der die Reibungsflächen zwischen Interessen und Anforderungen in Beruf, Fa-milie und anderen Lebensbereichen besonders groß sind. Darüber hinaus interessiert mich eine möglichst große Bandbreite an Lebenssituationen: Menschen mit und ohne Kinder, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, Menschen in unterschiedlichen Familien- oder Partner-schaftsmodellen und an unterschiedlichen Orten in Deutschland.

Kapitel 4 Interessen 49

4 Interessen

Der Begriff des Interesses ist die zentrale Analysekategorie der vorliegenden Studie. Ich unter-suche, welche Interessen junge Ingenieur_innen verfolgen, um zu analysieren, wie sie prekäre Privilegien erleben und wie sie damit umgehen. Im Folgenden widme ich mich den methodo-logischen Anforderungen, die aus dieser Zielstellung erwachsen. Zunächst definiere ich einen sozialkonstruktivistischen Begriff von Interesse als sozialer Praxis (4.1). Daran anschließend begründe ich die Entscheidung für eine subjektorientierte praxeologische Herangehensweise (4.2). Danach gehe ich auf die Bedeutung von Intersektionalität für soziale Ungleichheitsfor-schung ein und stelle den Intersektionalen Mehrebenenansatz vor, mit dem soziale Ungleich-heiten ausgehend von subjektiven Praxen und unter Berücksichtigung der drei Ebenen Sozial-strukturen, symbolische Repräsentationen und Identitäten untersucht werden können (4.3). Ab-schließend fasse ich die methodologischen Prämissen zusammen, mit denen ich in der vorlie-genden Untersuchung die Positionierung junger Ingenieur_innen im Kontext prekärer Privile-gien analysiere (4.4).

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