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Bestimmung von Interessentypen

Im Dokument Prekäre Privilegien (Seite 97-102)

6 Interessen junger Ingenieur_innen

6.1 Bestimmung von Interessentypen

Für eine Typenbildung müssen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Fällen entlang von theoretisch schlüssigen und dem empirischen Material angepassten Vergleichsdi-mensionen herausgearbeitet werden. Im vorliegenden Fall zielt die Typenbildung auf Interessen und auf die Vereinbarungspraxis von Lebensbereichen, weshalb dies die beiden Vergleichsdi-mensionen sind. Die Typen sollen eine Analyse sozialer Ungleichheiten innerhalb der unter-suchten Berufsgruppe ermöglichen. Dabei sollen Kategorien weder reproduziert noch vernach-lässigt werden (Koch/Winker 2003: 31). Aus diesem Grund werden soziale Kategorien wie Al-ter und Geschlecht nicht als Vergleichsmerkmale herangezogen, sondern erst nach der Heraus-arbeitung der Interessentypen wird geprüft, ob bestimmte soziale Gruppen in einzelnen Typen besonders stark oder schwach vertreten sind (Winker/Degele 2009: 91).

6.1.1 Erste Vergleichsdimension: zentrale Interessen

Zur Analyse von Interessentypen erwiesen sich die auf Subjektkonstruktionen beruhenden In-terviewanalysen als gewinnbringend. Bei den Subjektkonstruktionen handelt es um verdichtete Selbstpositionierungen. Die in den Subjektkonstruktionen erfassten Interessen entsprechen da-her der hier zugrunde gelegten Definition von Interessen als Ergebnis der Abwägung zwischen eigenen Wünschen einerseits und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen andererseits. Anhand der verschriftlichten und überwiegend von den Interviewpersonen verifizierten Interviewana-lysen lassen sich alle genannten Interessen auflisten. Wünsche, die im Interview nur am Rande benannt werden oder sogar nur implizit zu vermuten sind, tauchen mehrheitlich gar nicht erst in den Subjektkonstruktionen auf. Wenn sie doch auftauchen, konnte ich sie an dieser Stelle konkretisieren und prüfen, ob sie als Interessen im Sinne eines Ergebnisses einer Abwägung zwischen Wünschen und Möglichkeiten konstruiert werden.

Um hierfür ein Beispiel zu nennen: Alle von mir interviewten Eltern sagen an mindestens einer Stelle im Interview, dass sie gern Eltern sind, dass ihre Kinder ein ganz wichtiger Teil ihres Lebens sind, und dass sie sich wünschen, Zeit mit ihnen zu verbringen. Dies habe ich nicht einfach als ‚Interesse an den eigenen Kindern‘ bewertet, sondern detaillierter geschaut, welche

Interessen Eltern im Zusammenhang mit ihren Kindern benennen. Tatsächlich konkretisieren alle Interviewten diesen Wunsch dahingehend, welche Form der Elternschaft und der Zeit mit ihren Kindern sie sich wünschen. Im Ergebnis lassen sich drei Varianten von auf Elternschaft bezogenen Interessen identifizieren, das heißt drei Merkmalsausprägungen: das Interesse an gemeinsamer Qualitätszeit (umfasst Zeit mit den eigenen Kindern, aber auch Zeit zu zweit in der Partnerschaft), das Interesse, die Kinder in Einrichtungen gut versorgt zu wissen, und das Interesse an aktiver Elternschaft in einem Alltag mit Kindern.

Die in den Interviews genannten Interessen lassen sich vier Bereichen zuordnen: individuelle Interessen, berufliche Interessen, familiäre Interessen und gesellschaftspolitische Interessen.

Das Merkmal individuelle Interessen35 umfasst Wünsche an Freizeit, Selbstsorge und persönli-che Beziehungen. Das Merkmal beruflipersönli-che Interessen umfasst Wünspersönli-che an die betrieblipersönli-che Ar-beitsgestaltung, das berufliche Tätigkeitsprofil sowie an die Position in betrieblichen Hierar-chien. Das Merkmal familiäre Interessen umfasst Wünsche an die Paarbeziehung, die eigene Elternrolle und die Verteilung von Haus- und Sorgearbeiten. Das Merkmal gesellschaftspoliti-sche Interessen umfasst Wüngesellschaftspoliti-sche an soziales bzw. politigesellschaftspoliti-sches Engagement. Diese Interessen-bereiche entsprechen den LebensInteressen-bereichen, welche die jungen Ingenieur_innen miteinander vereinbaren möchten. Folgende Interessen wurden genannt:

 Individuelle Interessen: Gesundheit, Muße, Sport, Hobbys, Freundschaften, Selbstbestimmung des Wohnortes

 Berufliche Interessen36: Eigenverantwortung, Zusammenarbeit mit Menschen, technische Inhalte, fachliche Projektleitung, Management und Personalführung, sinnvolle Tätigkeit, Wertschätzung und Respekt, arbeiten im Ausland, Teilzeit, reguläres

Beschäftigungsverhältnis, Karriere, Nichtkarriere

 Familiäre Interessen: gute Betreuung der Kinder in Einrichtungen, aktive Elternschaft und Alltag mit Kindern, Qualitätszeit, Entlastung von Familienarbeit (durch Partner_in, Eltern, Institutionen, Haushaltshilfen), partnerschaftlich-egalitäre Arbeitsteilung, Alltagskontakt zur Herkunftsfamilie

35 Da es sich grundsätzlich um subjektive Interessen handelt, muss die Bezeichnung individuelle Interessen in diesem Zusammenhang erklärt werden. Bei allen vier Dimensionen handelt es sich um je eigene bzw. persön-liche Interessen der Person. Als individuelle Interessen bezeichne ich selbstbezogene, auf das Ich bezogene Interessen, in Abgrenzung zu den kollektiven Bezugsrahmen der anderen drei Interessendimensionen Be-trieb, Familie und Gesellschaft.

36 Das Einkommen wird von den Interviewten nicht als Interesse benannt. Das heißt nicht, dass Geld für sie keine Rolle spielt. Im Gegenteil: In der vertiefenden Analyse wird deutlich, dass die jungen Ingenieur_innen ein verlässliches und hohes Einkommen als selbstverständliches Merkmal ihres Berufes verstehen und dies teils ein Kriterium für ihre Berufswahl darstellte. Jedoch wird das Einkommen nicht als subjektives Interesse konstruiert, sondern als feststehende Rahmenbedingung wahrgenommen (vgl. dazu 7.2.2).

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 Gesellschaftspolitische Interessen: ehrenamtliches Engagement, betriebliche Angestelltenvertretung, politisches Engagement

Um aussagekräftige Merkmalsausprägungen dieser Vergleichsdimension zu erhalten, wurde diese Vielzahl von Interessen zu Interessenclustern verdichtet. Dazu habe ich empirische Re-gelmäßigkeiten mit Hilfe einer einfachen Kreuztabelle identifiziert. Auf der horizontalen Achse sind die Merkmalsausprägungen und auf der vertikalen Achse die Fälle angeordnet. Aufgrund der überschaubaren Fallzahl war das Markieren von Korrelationen ohne Software von Hand möglich. Anschließend erfolgte die Prüfung auf inhaltliche Sinnzusammenhänge, so dass irre-levante Korrelationen, die offensichtlich nicht miteinander in Wechselwirkung stehen, verwor-fen werden können. Die Fälle mit ähnlichen Interessenkombinationen habe ich um das jeweils zentrale Interesse herum gruppiert, woraus sich Fallgruppen mit gleichen oder ähnlichen Inte-ressenkonstellationen ergaben: erstens Karriere im Zentrum, zweitens individuelle und gesell-schaftspolitische Interessen im Zentrum, drittens Elternschaft und Familie im Zentrum. Die Merkmalsausprägungen der Vergleichsdimension zentrale Interessen sind in Abbildung 4 dar-gestellt.

Abbildung 4: Vergleichsdimension zentrale Interessen

Zentrale

egalitäre Arbeitsteilung 1, 11, 15 Geschlechtsspezifische

Arbeitsteilung 20, 14

Hobbies & ehrenamtliches Engagement 10, 17

Individuelle &

fachliche Projektleitung 4, 5, 6, 16

Elternschaft &

6.1.2 Zweite Vergleichsdimension: Vereinbarungspraxis von Lebensbereichen

Die Merkmalsausprägung der zweiten Vergleichsdimension – Vereinbarungspraxis von Le-bensbereichen – habe ich ebenfalls anhand der Subjektkonstruktionen und Interviewanalysen erarbeitet. Bei der Vergleichsdimension zentrale Interessen war es überwiegend möglich, mit den konkreten Nennungen der Interviewten zu arbeiten. Bei der Vergleichsdimension Verein-barungspraxis war mehr Interpretation nötig, da die Beschreibung des eigenen Alltagshandelns oft über mehrere Subjektkonstruktionen hinweg erfolgt. Dementsprechend sind die Merkmals-ausprägungen hier stärker abstrahierende Adjektive. Fünf unterschiedliche Beschreibungen der eigenen Vereinbarungspraxis lassen sich in den Interviewauswertungen identifizieren. Alle be-schreiben ihr Handeln als selbstbestimmt. Außerdem beschreibt jeweils ein Teil der Interview-ten die eigene Vereinbarungspraxis als priorisierend, eng kalkulierend, verzichInterview-tend oder flexi-bel ausgleichend. Auch hier habe ich die Merkmalsausprägungen geclustert und konnte im Er-gebnis drei typische Charakterisierungen der eigenen Vereinbarungspraxis herausarbeiten: 1.

selbstbestimmt priorisierend und eng kalkulierend, 2. selbstbestimmt priorisierend und verzich-tend, 3. selbstbestimmt flexibel-ausgleichend. Abbildung 5 zeigt die Merkmalsausprägung der Vergleichsdimension Vereinbarungspraxis von Lebensbereichen.

Abbildung 5: Vergleichsdimension Vereinbarungspraxis von Lebensbereichen

Vereinbarungspraxis von Lebensbereichen Fallnummern

Selbstbestimmt

Priorisierend

Eng kalkulierend 1, 10, 11, 14, 15, 17, 20

Verzichtend 2, 4, 6, 8, 12, 16, 21

Flexibel-ausgleichend 3, 5, 7, 9, 13, 18, 19

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6.1.3 Interessentypen

Ausschlaggebend für die Verdichtung des Materials zu Typen soll, so Kelle und Kluge, nicht die technische Identifikation von Merkmalskombinationen sein. Vielmehr geht es darum, den gesellschaftlichen Sinn und die Bedeutung von Merkmalskombinationen zu erfassen (Kelle/Kluge 2010: 90f.). Dementsprechend erfolgte das Clustern der Interessen und der Ver-einbarungspraxis mit Blick auf empirische Korrelationen und auf theoretisch interessante Sinn-zusammenhänge. Dies gilt auch für die Zusammenschau der beiden Vergleichsdimensionen.

Diese erfolgte mittels einer Kreuztabelle (Abbildung 6), welche die Matrix für die abschlie-ßende Gruppierung der Fälle darstellt.

Abbildung 6: Vier Interessentypen anhand von zwei Vergleichsdimensionen

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