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Differenzideal im Beruf

Im Dokument Prekäre Privilegien (Seite 172-179)

7 Prekäre Privilegien im Alltag junger Ingenieur_innen

7.3 Diskriminierung bewältigen

7.3.2 Differenzideal im Beruf

Interviewte, die sich zu Geschlechterverhältnissen äußern, beziehen sich im beruflichen Kon-text durchweg positiv auf herkömmliche Vorstellungen von Geschlechterdifferenz. Hierbei the-matisieren Männer eindimensional, dass Frauen aufgrund weiblicher Eigenschaften eine Berei-cherung im beruflichen Kontext seien. Frauen hingegen positionieren sich in mehrfacher Hin-sicht: als Trägerinnen von als weiblich konstruierten sozialen Kompetenzen, als leistungsbe-reite Kollegin und mit Bezug auf die ingenieurfachlich-technischen Kernkompetenzen.

Unabhängig davon, ob sie von eigenen Sexismuserfahrungen berichten, erleben sich die jungen Ingenieurinnen als Minderheit in einem männlich geprägten Umfeld. Sie müssen damit umge-hen, dass die berufsbezogenen Anforderungen männlich konnotiert sind und nicht zu

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chen Rollen- und Verhaltenserwartungen passen. Männer bewerten ein „entschiedenes, verant-wortungsvolles, dynamisches und dominantes Verhalten“ von Frauen im Beruf negativ als

„Vermännlichung“ (Stein 1997: 89). Entsprechend schildert eine Interviewte:

„Man wird als Frau, wenn man seine Sache durchzieht, oft als knallhart darge-stellt. Ich fühl mich überhaupt nicht knallhart, im Gegenteil. […] Im Vergleich zu Männern kann ich mich da überhaupt nicht als knallhart sehen. Aber weil man eben doch von einer Frau erwartet, dass sie ziemlich sanftmütig ist und das dann nicht so richtig erfüllt wird. Es kommt mir so vor, dass da gerade die

Älteren ein bisschen Schwierigkeiten haben.“ (Frau Heine)

Frauen stehen vor widersprüchlichen Anforderungen. Für den beruflichen Erfolg müssen sie sich dem Verhalten des männlichen Umfeldes anpassen. Wenn ihnen dies gelingt, dann passt ihr Verhalten nicht mehr zu den vorherrschenden Weiblichkeitsvorstellungen. Frauen müssen also mit widersprüchlichen Erwartungen umgehen. Einerseits müssen sie sich in einem als für Frauen untypisch konstruierten Kompetenzbereich durch besondere Leistungen beweisen. An-dererseits sollen sie sich gleichzeitig nicht in den Vordergrund drängen, weil das als männlich gilt (Kosuch 1994: 259ff., Ihsen 2006: 109f.).

Die deutschen Ingenieurinnen mit Migrationshintergrund berichten in diesem Zusammenhang von mehrfacher Diskriminierung.44 Die Situation hochqualifizierter Frauen mit Migrationshin-tergrund ist bisher berufsübergreifend untersucht worden. Daraus geht hervor, dass sie über-durchschnittliche Leistungen erbringen müssen, um sich im Beruf zu etablieren, und gezwun-gen sind, einen persönlichen Umgang mit verschiedenen Formen der Diskriminierung finden (Ofner 2003: 288). Dies findet sich in den Selbstpositionierungen als lästige Notwendigkeit, sich permanent gegen Stereotype wehren zu müssen. Sexismen und Rassismen summieren sich dabei nicht einfach, sondern verbinden sich zu intersektionalen, das heißt konstitutiv mitein-ander verwobenen Formen der Diskriminierung. Verschiedene Kontexte erfordern unterschied-liche Positionierungen:

Frau Pamuk muss sich ständig positionieren: als Frau im Ingenieurberuf, als Mensch mit Migrationshintergrund in Deutschland und als emanzipierte Frau in der türkischen Community. Dass sie von vielfältigen Diskriminierungen betrof-fen ist, führt dazu, dass sie sehr konsequent reagiert und teilweise auch provokant agiert.

44 Der Geltungsbereich der folgenden Ausführungen zur Verschränkung von rassistischer und sexistischer Dis-kriminierung ist begrenzt auf Frauen, deren Eltern immigriert und die selbst in Deutschland aufgewachsen sind. Migrant_innen, die im Ausland studiert haben und dann nach Deutschland kamen, sind in geringer Zahl im Sample vertreten. Aus den Interviews lassen sich keine belastbaren Aussagen zu Diskriminierungserfah-rungen dieser Gruppe ableiten.

Ähnlich wie bei Sexismus kann sich rassistische Stereotypisierung von zwei Seiten zeigen: als ablehnende, feindliche Haltung oder als wohlmeinende, positive Einstellung (Eckes 2010: 177).

Beide Arten von Stereotypen werden geschildert. Es gibt die bereits zitierten abwertenden Vor-urteile gegenüber konstruierten Fremden. Und es gibt eine Adressierung als attraktive Frau, die mit einer Ignoranz als fachliche Kollegin einhergeht.

„Als junge Frau im Berufsleben habe ich es am Anfang hart gehabt. […] Es waren halt extrem viele Singles dabei. Und da hatte ich entweder das Problem,

dass ich danach gucken musste, dass ich nicht angebaggert und dass ich ernst genommen werde. Das hat so drei, vier Jahre angehalten, wo ich eigentlich ir-gendwann mal gedacht habe, ich habe gar keine Lust mehr. Also es ist eigent-lich nicht von Vorteil, als ausländische Frau so früh in das Berufsleben

einzu-steigen in Deutschland.“ (Frau Ünsal)

In empirischen Studien haben Ulrike Selma Ofner für türkisch-deutsche Akademikerinnen und Schahrzad Farrokhzad für türkisch-deutsche und iranisch-deutsche Akademikerinnen beschrie-ben, dass hochqualifizierte Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland durchgehend die Erfahrung machen, dass ihre Kompetenzen ethnisiert und kulturalisiert werden (Ofner 2003: 254–259, Farrokhzad 2008). Problematisch ist daran, dass die Zugänge zum Erwerbsar-beitsmarkt für hochqualifizierte Migrantinnen in erster Linie als Vertreterin einer ethnischen oder kulturellen Gruppe erfolgen, als sprachkompetent oder kultursensibel für ein spezifisches Zielpublikum, während die berufliche Fachkompetenz abgewertet wird (Ofner 2010: 47). For-schungen zur Situation von hochqualifizierten weiblichen Migrantinnen am MINT-Berufe-Arbeitsmarkt sind selten und beziehen sich überwiegend auf zugewanderte Frauen mit nicht-deutschem Hochschulabschluss (dazu exemplarisch Jungwirth et al. 2012). Viele Frauen mit Migrationshintergrund und mit Erfahrungen rassistischer Diskriminierung geraten aktuell nicht in den Blick einer Forschungslandschaft zu Diskriminierung und Vielfaltsförderung in MINT-Berufen, da diese entweder ‚Frauen‘ oder ‚Migrant_innen‘ in den Blick nimmt.

Im Hinblick auf den Minderheitenstatus als Frau mit oder ohne Migrationshintergrund im In-genieurberuf gibt es einen auffälligen Unterschied zwischen der Forschungsbefunden und mei-ner Empirie: In der Forschung wird der Minderheitenstatus viel problematischer beschrieben, als meine Interviewpartnerinnen ihn darstellen. Von den Interviewten wird die Sichtbarkeit als Frau und die Adressierung als Angehörige einer Minderheit teils als ambivalent erlebt, jedoch überwiegend nicht als negativ, sondern sogar als förderlich. Die erlebte Diskriminierung tritt hierbei hinter die Beschreibung zurück, als Frau von einem überwiegend männlichen Kolle-gium besonders respektvoll behandelt zu werden. Charakteristische Unterschiede zwischen den Typen lassen sich hierbei nicht feststellen; ebenso wenig zwischen den Frauen mit und ohne Migrationshintergrund. Exemplarisch für den positiven Blick auf die eigene Sichtbarkeit als Minderheit steht die folgende Subjektkonstruktion von Frau Pamuk:

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Frau Pamuk hat schon als Kind vermittelt bekommen, dass sie als mathematisch und naturwissenschaftlich interessiertes Mädchen etwas Ungewöhnliches sei. Sie wurde dadurch selbstbewusster, und es hat ihre Berufswahl Richtung Ingenieurin gepusht. Im Beruf setzt sich der Minderheitenstatus fort. Auch wenn sie es manchmal komisch findet, nur mit Männern zusammenzuarbeiten, überwiegt der Bonus, den sie dadurch hat, dass sie als interessant gilt und dass die Leute beson-ders hilfsbereit sind. Gesellschaftlich ist sie mit ihrem Job oft der bunte Hund.

Auch für Frau Otto ist es ein „Türöffner“, dass sie als eine der wenigen Frauen unter den Kol-leg_innen schnell wiedererkannt wird. Männliche Kollegen behandeln sie zuvorkommend, was sie im Gegensatz zu manchen anderen Frauen nicht als störend, sondern als nette Geste emp-findet. Gerade dort, wo man „viel mit Leuten und mit Kommunikation zu tun hat, habe ich als Frau keine Probleme, eher Vorteile“.

Im Folgenden deute ich den positiven Bezug auf Geschlechterdifferenz als Ausdruck prekärer Privilegien. Meine Argumentation lautet, dass es sich um eine Strategie der Konfliktvermei-dung im Umgang mit Diskriminierung handelt. Nur dadurch können sich alle Inter-viewpartnerinnen in dieser zumindest abweisenden, teils sogar feindseligen beruflichen Kultur erfolgreich behaupten. Das berufliche Interesse an Wertschätzung und Respekt können sie so-mit zum Interviewzeitpunkt für sich erfolgreich realisieren. Die hier getroffenen Aussagen sind in ihrem Geltungsbereich begrenzt auf die Frauen, die im Ingenieurberuf bleiben. Eine interna-tionale europäische Studie hat gezeigt, dass die im Beruf stehenden weiblichen Ingenieurinnen zufrieden sind und sich im beruflichen Umfeld wohlfühlen. Genau umgekehrt ist es bei den Aussteiger_innen. Hier

„nennen viele von denjenigen, die ihren Job verlassen haben, die Minderheiten-position und die Männlichkeitskultur im ingenieurwissenschaftlichen Beruf als wichtige Gründe ihrer Entscheidung“. (Sagebiel 2006: 44)

Der Berufsausstieg stellt eine Forschungslücke dar (Renn/Pfenning/Jakobs 2009: 137). Laut einer qualitativen Studie aus Baden-Württemberg ist ‚Familie‘ deutlich der Hauptgrund des Berufsausstieges von Ingenieurinnen, daneben stehen in weitaus geringerem Umfang berufli-che Interessenveränderungen und betriebliberufli-che Ursaberufli-chen (Ihsen et al. 2009: 18). Die Auswir-kungen des Minderheitenstatus verstärken die Tatsache, dass mehr Frauen als Männer ihren Wunsch im Beruf zu bleiben oder nach einer Pause zurückzukehren, nicht realisieren können (ebd.: 27). Christiane Erlemann hat die biografischen Erzählungen von weiblichen Berufs-wechslerinnen aus den Ingenieurberufen analysiert. Sie benennt deren berufliche Ziel- und Wertvorstellungen, die mit den vorgefunden Bedingungen nicht vereinbar waren. Diese lassen sich als Orientierung an sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit und an humanen Arbeitsbe-dingungen zusammenfassen (Erlemann 2002: 397). Erlemann hebt als geschlechtsspezifischen Berufswechselgrund außerdem hervor, dass weibliche Ingenieurinnen in Studium und Beruf Diskriminierung und sexuelle Belästigung erleben (ebd.: 392–397).

Alle meine weiblichen Interviewpartnerinnen, die den beruflichen Habitus der männlichen Kol-legen kritisieren, bescheinigen sich selbst, sich in diesem Umfeld ‚als Frau‘ erfolgreich zu be-haupten und heute sogar „sehr gern in einer Männerdomäne zu arbeiten“ (Frau Ünsal). Die Strategien, mit denen sich die Frauen behaupten, sind auffällig konfliktvermeidend. Sie tragen Züge einer „kontrafaktischen Leugnung“ von Diskriminierung (Geenen 1994: 18). In einer Stu-die über Frauen an Hochschulen hat Elke Geenen unter anderem festgestellt, dass Stu-die Angabe, selbst nicht diskriminiert zu werden, als Bekundung der gewünschten oder tatsächlichen Zuge-hörigkeit zu einer sozialen Gruppe verstanden werden kann. Eine solche Angabe bildet in vielen Fällen weniger die Realität der Ungleichbehandlung ab als die Norm der Gleichberechtigung (ebd.: 20). In den vorliegenden Interviews findet sich eine ebensolche Praxis, die darin besteht, die positiven Seiten einer beruflichen Kultur hervorzuheben, welche an anderer Stelle im Inter-view als Ursache der eigenen Diskriminierung beschrieben wird. Männer seien im beruflichen Umgang unkompliziert, sachlich und bei Streitigkeiten nicht nachtragend. Diskriminierendes Verhalten wird als Teil eines dazu gehörenden und allgemein etwas ruppigen Umgangs relati-viert:

„Dass man sich auf Arbeit auch frauenfeindliche Witze anhören muss, dann muss man auch ein Stück weit hart im Nehmen sein, so würde ich es mal

formu-lieren. […] Ich denke, ich bin da ganz, also ich sehe da über vieles hinweg, ich bin nicht so zimperlich, was das angeht. […] Auch Männer müssen einiges

aus-halten.“ (Frau Otto)

„Wenn die acht Männer ständig gegen die eine Frau agieren, dann ist das ein Problem. Aber ich sehe das eher als menschliche Themen, als dass ich

wahr-nehme, dass es Geschlechterthemen wären. […] Vielleicht nehme ich das zu einfach wahr, aber ich habe doch den Eindruck, dass weniger davon auf das Geschlecht bezogen ist, als auf die charakterlichen Unterschiede, die natürlich auch zum Teil am Geschlecht liegen können aber sich zufällig so oder so

erge-ben. In meinem Team jetzt speziell.“ (Frau Heine)

In den Positionierungen als Frau in der Ingenieurberufskultur finden sich zwei Rechtfertigungs-formen sozialer Ungleichheit wieder. Einige naturalisieren subjektive Interessen und erworbene Kompetenzen als Ausdruck einer angenommenen weiblichen Natur. Andere verfolgen eine me-ritokratische Sichtweise, das heißt die Annahme einer Leistungsgerechtigkeit, der zufolge Un-gleichheiten akzeptabel sind, „soweit sie unterschiedliche Fähigkeiten und Leistungen wider-spiegeln“ (Kraus/Müller 1990: 10). Die Naturalisierung der Geschlechterdifferenz findet sich in den Aussagen: Frauen sind „von der Evolution her anders“ und haben „mehr Weitblick auch im Beruflichen“ (Frau Fenger). Das Ziel ist, sich nicht den Männern anzupassen: „Für mich ist das nichts. Ich möchte eine Frau bleiben.“ (Frau Ünsal) Statt einer Anpassung an die Männer-welt geht es den Interviewten darum, aus den Unterschieden Stärken zu ziehen:

„Auch dazu zu stehen, dass ich halt eine Frau bin und dass ich auch anders ticke, […] dass ich mir Sachen mehr zu Herzen nehme und ich reflektiere mich

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selber damit immer, was die Männer ja auch nicht so wirklich machen.“ (Frau Fenger)

Vereinzelt finden sich auch Selbstpositionierungen von Ingenieurinnen, die sich als untypisch weiblich präsentieren. Hierbei werden die eigenen Interessen und Kompetenzen nicht mit an-genommenen natürlich weiblichen Eigenschaften verknüpft, sondern die persönliche Eignung zum Ingenieurberuf steht im Zentrum. Um die eigene Zugehörigkeit zur Ingenieurkultur zu markieren, grenzen sich diese Ingenieurinnen von anderen Frauen ab. Insbesondere die dezi-diert karriereorientierten bzw. stark beruflich identifizierten Frauen wehren sich gegen hege-moniale Mutterschaftsnormen. Dabei kritisieren sie die fehlende Akzeptanz seitens jener Frauen, die als Mütter in Teilzeit erwerbstätig sind:

„Ich verurteile ja auch keine anderen Frauen für den Weg den sie gewählt ha-ben. Ich sage ja auch nicht, du arbeitest nur Teilzeit und belastet damit die So-zialkassen. Das ist ja alles immer der persönliche Blickwinkel. Und das würde

ich sehr begrüßen, wenn sich bei manchen Frauen eben das Denken ändert.“

(Frau Kuhn)

Statt einer potenziellen Solidarität unter Frauen schildern sie eine Spaltung und Missgunst ent-lang unterschiedlicher Leitbilder von Weiblichkeit und Mutterschaft. Dabei wird in der Positio-nierung als beruflich ambitionierte Frau teils selbst auf etablierte „Substereotype“ (Eckes 2010: 168) zurückgegriffen. Hier kommt die meritokratische Sichtweise zum Tragen, indem die eigene Leistungsfähigkeit und die beruflichen Ambitionen als Gegensatz zum Klischee der nicht arbeitenden Hausfrau präsentiert werden:

„Die gemeine Hausfrau beschwert sich, wie anstrengend ihre Arbeit ist. Aber was Hausfrauen den ganzen Tag machen, schaffe ich in zwei Stunden. […]

Hübsch aussehen muss der, der sonst nichts kann.“ (Frau Albrecht)

Leistung wird als gerechter Erfolgsmaßstab betrachtet. Hingegen wird das gleichstellungspoli-tische Instrument der vielfach erwähnten „Quote“ zugunsten von unterrepräsentierten Gruppen bei Einstellungen und Beförderungen mit dem Verdacht in Verbindung gebracht, dass die Ge-schlechtszugehörigkeit anstatt der Leistung zum Erfolgskriterium werden könnte: „Und halt diese Unterstellung würde ich nicht haben wollen. Und ich fände es scheiße, wenn ich mich das selber fragen müsste.“ (Frau Esser). Dem wird das Leistungsprinzip entgegengesetzt: „Wenn jemand gut ist, hat das nichts mit Geschlecht zu tun“ (Frau Albrecht). Die Zustimmung zu me-ritokratischen Maßstäben für beruflichen Erfolg ist mit der Annahme verbunden, dass im Per-sonalmanagement der Unternehmen Stereotype und Diskriminierung nicht zum Tragen kom-men.

Im vorliegenden Material gibt es keine tiefer gehenden Aussagen über persönliche Erfahrungen mit Leistungsbeurteilungen. An dieser Stelle kann ich daher nur auf Forschungen zum Perso-nalwesen verweisen, die zeigen, dass das meritokratische Prinzip in der betrieblichen Praxis

empirisch nachweisbar geschlechterdifferenzierende Ausprägungen zugunsten von Männern aufweist (für die Pharma- und Biotechnologiebranche vgl. Funder/Sproll 2012). Frauen in män-nerdominierten Berufsfeldern sowie Teilzeitbeschäftigte gehören zu den am schlechtesten be-werteten Gruppen bei Leistungsbeurteilungen (Krell 2011). Die Bewertung von Leistung, Po-tenzial und Kompetenz ist immer in intersubjektive Praxen eingebunden, in denen – trotz aller Bemühungen, dies zu kontrollieren – stets Stereotype und Diskriminierungen nachweisbar sind (Höher/Höher 2007). In einer geschlechtsvergleichenden Studie zum beruflichen Erfolg in In-genieur- und Naturwissenschaften hat Yvonne Haffner festgestellt, dass normative Leistungs-vorstellungen, die Leistung mit zeitlicher Präsenz gleichsetzen und somit Menschen mit fami-liären und Sorgearbeitsverpflichtungen benachteiligen, ausschlaggebend für beruflichen Erfolg sind (Haffner 2008: 48). Auch Ulrike Teubner argumentiert, dass in Deutschland die Unverein-barkeit der beruflichen Leistungs- und Präsenzkultur mit unbezahlter Sorgearbeit der vorherr-schende Mechanismus ist, durch den die Ingenieurberufe Männerdomänen bleiben (Teubner 2009: 182f.). Und Christiane Funken unterstreicht, dass eine „aktive und nachhaltige Diskrimi-nierung“ von Frauen auch bei beruflich erfolgreichen Führungskräften nicht aufhört und den Aufstieg von Frauen in das höhere Unternehmensmanagement verhindert, obwohl viele dafür bereitstehen (Funken 2011: 55). Ein Forschungsteam um Angelika Trübswetter hat organisa-tionskulturelle und individuelle Auffassungen von Führung und Geschlecht in Großunterneh-men, davon mehrere aus technischen Branchen, verglichen. Die Autor_innen kommen zu dem Ergebnis, dass über unterschiedliche Unternehmenskulturen hinweg „weibliche Führungskräfte oft als defizitäre Führungskräfte wahrgenommen werden, die über entscheidende, erfolgsrele-vante Kompetenzen nicht im selben Maße verfügen wie Männer“ (Trübswetter et al.

2014: 161). Dadurch werden sie seltener als Beförderungskandidatinnen wahrgenommen und sind einer „intensiveren Leistungsbewertung“ ausgesetzt (ebd.). Den Forscher_innen zufolge gelten Durchsetzungsstärke, Selbstmarketing, Entscheidungsfreude, Emotionalität und Netz-werken als Stärken männlicher Führungskräfte. Als Stärken weiblicher Führungskräfte gelten hingegen Empathie, Sozialkompetenz, Sachorientierung, Atmosphärenorientierung und In-tegration. Eine besondere Rolle kommt dabei der Kompetenz des Netzwerkens zu. Diese gilt als hervorstechender Faktor für erfolgreiche Führung und wird in erster Linie Männern zuge-schrieben (ebd.: 159–162).

Ein weiteres Argument, das in den vorliegenden Interviews gegen eine gezielte Frauenförde-rung vorgebracht wird, ist die Befürchtung einer Konfrontation mit den Interessen der männli-chen Kollegen, die keinen Erfolg verspreche. Netzwerke finden kaum Erwähnung. Einzelne engagieren sich in Frauenabteilungen von Berufsorganisationen oder in einem internationalen Berufsnetzwerk. Dies ist aber ausdrücklich nichts, was direkt im beruflichen Alltag wirkt. Da-gegen sei es gewinnbringender, durch Weiterbildungen eine Wertschätzung der Andersheit von Frauen unter den männlichen Kollegen anzuregen:

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„Zu respektieren, dass es vielleicht auch gar nicht verkehrt ist, dass man mal einen Moment überlegt, bevor man was sagt und nicht immer alles rauspoltert.

Das ist so eine Sache, wo wir spezielle Trainings halt für Männer und Frauen haben, einfach nur Unterschiede aufzeigen, gucken, wie man sie in Stärken

um-wandeln kann.“ (Frau Fenger)

Der Wunsch nach einem positiv anerkennenden Umgang mit der angenommenen Differenz ist sehr passförmig zu den auch von Männern behaupteten positiven weiblichen Eigenschaften im beruflichen Kontext. Hier klingen Diversity-Management Ansätze durch, die den wirtschaftli-chen Nutzen von Vielfalt für die Organisation hervorheben – im Gegensatz zu anderen Ansät-zen, bei denen ein normativer Gerechtigkeitsbezug ausschlaggebend ist (für einen Überblick vgl. Engel 2007: 100f., Krell/Sieben 2011). Wirtschaftliche Argumente sind hierbei eine Ver-besserung der Unternehmensbindung und der Loyalität der Beschäftigten und eine Steigerung von Produktivität und Innovation (Vedder 2006: 13–15). Problematisch daran kann sein, dass ein kritisch gemeinter Bezug auf Differenz und Diversität in den Hintergrund tritt und Men-schen nicht sensibilisiert werden für abzubauende Diskriminierungen und Machtverhältnisse, sondern Personengruppen auf nutzbringende Eigenschaften festgelegt werden. Die eigentlichen Zielgruppen des Diskriminierungsabbaus können so dauerhaft auf die Position der „Anderen“

festgelegt werden (Dobusch 2015: 63–68). Unterstrichen wird dieser Effekt durch die Praxis der interviewten Ingenieure, die – meist auf Nachfrage nach der Ursache für den geringen Frau-enanteil – Frauen ein allgemein geringeres Interesse an technischen Berufen zuschreiben.

Bis hierhin habe ich den Umgang mit dem Status von Frauen als Minderheit in einer Männer-domäne in den Blick genommen. Von Männern gibt es zwar die rhetorische Bezugnahme auf eine gewünschte Erhöhung des Anteils weiblicher Kolleginnen, aber dies ist nicht mit einem Bezug auf die bestehenden beruflichen Hürden für Frauen verbunden. Die Umgangsweisen der Frauen, die sich trotz Diskriminierung erfolgreich im Beruf etablieren, sind überwiegend kon-fliktvermeidend und individuell. Die sexistische Diskriminierung wird als überwundene Be-rufseinstiegshürde dargestellt, wohingegen sie heute gelernt haben, die betriebliche Arbeitskul-tur zu schätzen. Im Folgenden diskutiere ich als Gegenstück dazu das Gleichheitsideal im fa-miliären und partnerschaftlichen Kontext.

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