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Feldzugang und Sampling

Im Dokument Prekäre Privilegien (Seite 71-75)

5 Methodisches Vorgehen der empirischen Untersuchung

5.1.1 Feldzugang und Sampling

Meine Position im Datenerhebungsprozess war die der von außen ins Feld kommenden und dem Ingenieurwesen fremden Sozialforscherin. Den Zugang zu Interviewpersonen habe ich auf mehreren Wegen gefunden. Zu Beginn des Forschungsprozesses habe ich sechs Ex-pert_innengespräche mit Vertreter_innen des Deutschen Ingenieurinnenbundes, des Netzwer-kes Frauen im Ingenieurberuf des VDI und des Vereins Frauen in Naturwissenschaft und Tech-nik, außerdem mit hauptamtlichen Gewerkschafter_innen aus den Vorstände von IG BCE und IG Metall und aus einer Verwaltungsstelle der IG Metall mit Zuständigkeit für hochqualifizierte Angestellte geführt. Die Gespräche dienten der Vorbereitung der empirischen Studie, so dass keine systematische Auswertung erfolgte (zu den Ergebnissen vgl. 2.2.3). Diese Kontakte habe

27 Um den Unterschied zwischen dem theoretischen Ansatz und der empirischen Methode zu benennen, ver-wende ich in Bezug auf die Theorie den Begriff des Mehrebenenansatzes und in Bezug auf die Methode den Begriff der Mehrebenenanalyse. Der Ansatz steht als gesellschaftstheoretischer Beitrag zur Intersektionali-tätsdebatte für sich. Die praxeologische empirische Analyse ist hingegen an die theoretische Herleitung der Ebenen und die Verknüpfung mit der Analyse von Herrschaftsverhältnissen gebunden.

ich dann für die Suche nach Interviewpersonen genutzt, indem ich meine Gesprächs-partner_innen darum gebeten habe, mein Gesuch an in Frage kommende Menschen weiterzu-leiten. Diese Bitte habe ich auch an einige Interviewpersonen aus einem zuvor abgeschlossenen Forschungsprojekt (Nowak/Hausotter/Winker 2012) gerichtet, von denen ich wusste, dass sie in betrieblichen Netzwerken oder in Gewerkschaftsgremien aktiv sind. In sozialen Netzwerken im Internet habe ich mein Gesuch in regionalen Ingenieur_innennetzwerken, beruflichen Frau-ennetzwerken und Netzwerken ausländischer Ingenieur_innen veröffentlicht. Des Weiteren habe ich Betriebsrät_innen größerer Unternehmen angeschrieben, die ich einer gewerkschaftli-chen Broschüre über Gleichstellungspolitiken entnommen habe. Zusätzlich habe ich nach je-dem Interview meine Gesprächspartner_in gebeten, Kolleg_innen und Bekannte anzusprechen, die sich eventuell zu einem Interview bereit erklären würden.

Letztendlich verliefen die erfolgreichen Kontaktwege über firmeneigene Frauennetzwerke (drei Personen), überbetriebliche Frauennetzwerke (zwei Personen), hauptamtliche oder betriebliche Gewerkschafter_innen (zehn Interviewpersonen), das Schneeballprinzip (fünf Personen) und über mein persönliches Umfeld (zwei Personen). Diese Aufzählung bedeutet nicht, dass die Interviewpersonen unbedingt den genannten Gruppen verbunden sind. Dies gilt nur für die je-weilige Kontaktperson.

Das Sampling erfolgte überwiegend deduktiv anhand eines qualitativen Stichprobenplans bzw.

gemäß des selektiven Samplings (Kelle/Kluge 2010: 50f., Merkens 1997). Ich habe von meiner Fragestellung ausgehend die soziodemografischen Kriterien für die Auswahl der Interviewper-sonen festgelegt (vgl. 5.1.1). Da meine Forschungsperspektive auf Alltagspraxen junger Inge-nieur_innen in nicht-prekären Angestelltenverhältnissen in der Privatwirtschaft zielt, waren die entsprechenden Kriterien für das Sample: Festangestellte in einem Unternehmen, seit mindes-tens zwei Jahren im Berufsleben stehend, keine Angestellten reiner Softwareunternehmen oder aus dem Bereich der New Economy, Alter von 25 bis 40 Jahren.

Das selektive Sampling zielt auf eine größtmögliche Heterogenität der Fälle innerhalb der Stichprobe, so dass „sämtliche hypothetisch relevanten Merkmalskombinationen bzw. -träger im Sample vertreten sind“ (Lamnek 2005: 192). Der begrenzte Umfang einer Dissertation setzt diesem Anspruch Grenzen. Jedoch habe ich Wert darauf gelegt, dass „theoretisch relevante Merkmale in ausreichendem Umfang durch Einzelfälle vertreten sind“, um eine angemessene Bandbreite zu erhalten (Kelle/Kluge 2010: 55). Konkret habe ich darauf geachtet, dass ver-schiedene Fachgebiete, verver-schiedene Unternehmensgrößen, Personen mit unterschiedlichem Status und Aufgabengebieten sowie Menschen mit und ohne Kinder, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und Menschen aus unterschiedlich großen Städten bzw. aus ländlichen Regionen vertreten sind.

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Grundsätzlich geht es beim Sampling in der qualitativen Forschung nicht um statistische Re-präsentativität, sondern um eine angemessene inhaltliche Repräsentation. Diese ist erreicht,

„wenn einerseits der Kern des Feldes in der Stichprobe gut vertreten ist und andererseits auch die abweichenden Vertreter hinreichend in die Stichprobe aufgenommen sind“ (Merkens 1997: 100). In der Berücksichtigung von seltenen und ungewöhnlichen Fällen erhebe ich mit meinem Sample nicht den Anspruch einer umfassenden Repräsentation des Feldes. Im Hinblick auf den Kern des Feldes, also die nicht prekär angestellten jungen Ingenieur_innen, gehe ich aber davon aus, anhand des Samples eine Typologie von Interessen in der Vereinbarung unter-schiedlicher Lebensbereiche herausgearbeitet zu haben, die dem Ziel der verstehenden Explo-ration des Gegenstandes angemessen ist. Dies lässt sich induktiv, angelehnt an das Theoretische Sampling nach Glaser und Strauss (Glaser/Strauss 1967, vgl. auch Mey/Mruck 2011: 28f.), wie folgt begründen: Zu Beginn der Erhebungsphase ging es darum, eine groß gefasste Stichprobe variantenreich abzubilden. Wie in jedem iterativen qualitativen Forschungsprozess, der sich zwischen der Vertiefung des Forschungsstandes und des theoretischen Rahmens, der empiri-schen Datenauswertung und der Schärfung der Fragestellung hin und her bewegt, grenzte ich mein Projekt im Verlauf auf Fragen der Vereinbarung unterschiedlicher Lebensbereiche ein.

Ich habe induktiv ich so lange Daten erhoben, bis sich die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Fällen wiederholten. Dabei kam es mir nicht darauf an, explorativ das gesamte Feld möglicher Interessenbereiche von jungen Ingenieur_innen abzuarbeiten, sondern aussage-kräftige Interessentypen zur Vereinbarung unterschiedlicher Lebensbereiche zu gewinnen. Ich gehe davon aus, dass die nunmehr in den Typen erfassten Interessen, Vereinbarungspraxen, Probleme und Konflikte in der Alltagsbewältigung junger Ingenieur_innen eine soziologische und gesellschaftspolitische Relevanz haben. Die Daten können also als theoretisch gesättigt bezeichnet werden.

Das abgeschlossene Sample aus 21 Personen setzt sich wie folgt zusammen:

 Geschlecht und Alter: Zwölf Frauen und neun Männer im Alter von 27 bis 40 Jahren.

Eine Ausnahme hinsichtlich dieses Stichprobenmerkmals ist eine 44-jährige Inter-viewperson, die mir bei der Kontaktaufnahme von sich aus dargelegt hatte, aufgrund der jungen Kinder (ein bis vier Jahre alt) in der gleichen Lebenssituation zu sein, wie die von mir avisierte Zielgruppe.

 Lebensweise und Sorgearbeit: Eine Person ist Single. 20 Personen leben in hetero-sexuellen Partnerschaften oder Ehen. 13 Personen haben Kinder und alle Personen mit Kindern leben mit dem_der Partner_in zusammen. Sechs leben mit Partner_in ohne Kinder und zwei leben alleine. Gerne hätte ich Alleinerziehende befragt, da die Zeit-konflikte bei ihnen vermutlich noch größer sind. Jedoch konnte ich trotz intensiver

Bemühungen keine entsprechende Person finden.28 Häusliche Pflegearbeit leistet ne der interviewten Personen und Pflegebedürftigkeit von Angehörigen spielt in kei-nem Interview eine Rolle. Ausgehend von der Annahme, dass dies ein typisches Merkmal der Altersgruppe, also der Stichprobe ist, habe ich an dieser Stelle keine wei-teren Interviewpartner_innen gesucht, die An- und Zugehörige pflegen.

 Herkunft und Wohnort: Die Wohnorte der Interviewten sind bundesweit breit verteilt.

Vier pendeln täglich oder wöchentlich zwischen Wohn- und Erwerbsarbeitsort. Drei Personen stammen aus dem Ausland.

 Branchen und Unternehmensgrößen: Die Branchenzughörigkeit ist weit gefächert. 15 Interviewte sind in internationalen Konzernen angestellt, drei in mittleren Unterneh-men mit unter 250 Beschäftigten und zwei in Klein- und Kleinstbetrieben mit unter 50 Beschäftigten. Eine Ausnahme hinsichtlich dieses Stichprobenmerkmals stellt eine wissenschaftliche Mitarbeiterin eines öffentlich finanzierten Forschungsinstitutes dar.

Sie habe ich interviewt, da sie ihre Entscheidung für den öffentlichen Dienst und ge-gen eine Stelle in der Privatwirtschaft getroffen hat, um kein Leiharbeitsverhältnis ak-zeptieren zu müssen. Ich erhoffte mir von diesem Fall Informationen über den subjek-tiv erlebten Prekarisierungsdruck auf Berufseinsteiger_innen und Umgangsweisen damit.

 Studium und berufliche Position: 20 Interviewte sind Festangestellte. Alle haben ein Diplom oder einen Masterabschluss an einer Universität oder einer Fachhochschule erworben. Zehn sind Sachbearbeiter_innen bzw. Projektmitarbeitende, sieben sind Projektleiter_innen und vier sind Führungskräfte. Eine Ausnahme hinsichtlich des Stichprobenmerkmals nicht-prekäre Beschäftigung stellt eine befristet beschäftigte Person dar. Für diese Ausnahme sprach, dass eine zweijährige befristete Beschäf-tigung in diesem Unternehmen einen Standard des Berufseinstiegs darstellt. Ich er-hoffte mir auch von diesem Fall Informationen über den subjektiv erlebten Preka-risierungsdruck auf Berufseinsteiger_innen und Umgangsweisen damit.

 Berufliche Arbeitszeit: 15 Personen arbeiten in Vollzeit (35 bis 40 Stunden pro Woche) und sechs in Teilzeit (25 bis 32 Stunden pro Woche).

28 Wenn ich dies bei der Suche nach dem Schneeballprinzip angesprochen habe, wurde mir ausnahmslos gesagt, man kenne keine alleinerziehenden Kolleg_innen. Über die Gründe kann ich an dieser Stelle nur mutmaßen.

Die geringe Präsenz von alleinerziehenden Ingenieur_innen kann an einer Tabuisierung des Themas liegen.

Sie kann aber auch daran liegen, dass bei hochqualifizierten Berufstätigen eine „stabile Partnerschaft sowohl für Frauen als auch für Männer eine wesentliche Voraussetzung für den Übergang zur Elternschaft darstellt“

(Müller 2013: 268), oder daran, dass sich der Ingenieurberuf kaum mit den Sorgearbeitsanforderungen von Alleinerziehenden vereinbaren lässt.

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 Politisches und soziales Engagement: Zehn der Interviewten sind politisch, gewerk-schaftlich oder sozial engagiert bzw. in Vereinen aktiv. Insgesamt acht sind Gewerk-schaftsmitglieder, wobei davon nur drei gewerkschaftlich aktiv sind. Eine Person ist Betriebsratsmitglied ohne Gewerkschaftsmitglied zu sein.

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