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Technik und Karriere

Im Dokument Prekäre Privilegien (Seite 157-161)

7 Prekäre Privilegien im Alltag junger Ingenieur_innen

7.2 Belastungsproben im Beruf

7.2.3 Technik und Karriere

Im Folgenden diskutiere ich den Umgang mit Belastungen. Dazu gehe ich auf die Diskussion um typische Erwerbsarbeitsorientierungen von hochqualifizierten Angestellten ein (vgl. 3.3).

Dabei zeige ich auch, wie die eingangs vorgestellten unterschiedlichen Positionierungen der Interessentypen zu betrieblichen Leistungsanforderungen mit Interessen in anderen Lebensbe-reichen verknüpft sind.

Privilegien gelten in der Erwerbsarbeitsforschung als Teil einer sozialen Austauschbeziehung zwischen Unternehmen und Angestellten. Ich beziehe mich hier auf Forschungen dazu, wie durch verschiedene Formen betrieblicher Kontrolle die potenzielle Arbeitskraft eines Menschen in eine reale Arbeitsleistung für das Unternehmen umgewandelt wird (für einen Überblick ver-schiedener Ansätze zu diesem so genannten Transformationsproblem vgl. Marrs 2010). Die Ansätze, die ich verwende, unterscheiden grundlegend zwischen indirekten Kontrollformen und einer direkten, technischen oder bürokratischen Kontrolle der Arbeitsleistung. Ausschlag-gebend für die nachfolgende Betrachtung ist, dass indirekte Kontrollformen charakteristisch für die hochqualifizierte Angestelltenarbeit sind. Dem Paradigma der „verantwortlichen Autono-mie“ folgend, übertragen Unternehmen den Angestellten gezielt Verantwortung. Sie gewähren ihnen autonome Handlungsspielräume, damit sie möglichst viel ihres Arbeitskraftpotenzials in Engagement und Leistungen für das Unternehmen umsetzen (Friedman 1987: 100ff.). Es gilt als Schlüssel zum Verständnis hochqualifizierter Erwerbsarbeit, dass Unternehmen den Be-schäftigten Gestaltungsspielräume gewähren und die BeBe-schäftigten dafür Motivation und En-gagement an den Tag legen. Diese Praxis beruht auf der Annahme, dass rigide Kontrollen eher

demotivieren, wohingegen verantwortliche Handlungsspielräume Leistungsbereitschaft, Krea-tivität, Flexibilität und Innovation anreizen können. Verantwortliche Autonomie ist somit eine auf Vertrauen basierende soziale Tauschbeziehung zwischen Unternehmen und Beschäftigten (Marrs 2010: 340).

Hermann Kotthoff und Alexandra Wagner haben sich den Erwerbsarbeitsorientierungen42 von Führungskräften und außertariflichen Angestellten gewidmet (Kotthoff 1997, Kotthoff/Wagner 2008). Unter dieser Gruppe der hochqualifizierten Angestellten verzeichnen die Autor_innen eine verbreitete Beitragsorientierung. Damit meinen sie, dass die Beschäftigten besondere Pri-vilegien erhalten, namentlich überdurchschnittliche Einkommen, Beschäftigungssicherheit und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten. Dafür legen sie eine besonders ausgeprägte und lang-fristig auf ein Unternehmen orientierte Loyalität an den Tag (Kotthoff 1997: 35ff.). Ihre Iden-tifikation mit der Firma geht deutlich über das Maß der vornehmlich mit ihrem Beruf identifi-zierten „Professionalisten“ hinaus (Kotthoff/Wagner 2008: 289).

Wie sind die Orientierungen der vorliegenden Interessentypen einzuordnen? Es finden sich deutliche Kennzeichen der verantwortlichen Autonomie: Motivation und Engagement der Be-schäftigten im Gegenzug zu empfundenen Privilegien im Einkommen und den Gestaltungs-möglichkeiten, sind in allen vier Typen erkennbar. Eine darüber hinaus gehende Orientierung an einem unternehmerischen, marktwirtschaftlich ausgerichteten Beitrag zum Unternehmens-erfolg zeigt sich indes kaum. MarktUnternehmens-erfolg wird als sachlich-ökonomische Notwendigkeit und Herausforderung begriffen. Dies nehmen die jungen Ingenieur_innen auch als Herausforderung wahr und passen ihre Leistungsbereitschaft dementsprechend an. Ähnliche Orientierungsmus-ter von Hochqualifizierten werden in den Ergebnissen einer aktuellen Studie des SOFI Göttingen und des ISF München abgebildet, die sich mit den Gerechtigkeitsansprüchen und Interessenorientierungen im Betrieb vor dem Hintergrund von Krisenerfahrungen von diversen Berufsgruppen beschäftigt (Kratzer/Tullius 2016). Der Leistungsbegriff, mit dem die Inter-viewten sich identifizieren, ist nicht auf den direkten Markterfolg ihrer Abteilung oder ihres Unternehmens ausgerichtet, sondern auf konkrete technische Problemlösungen. Der eigene Beitrag wird nicht am unmittelbaren Markterfolg gemessen, sondern an einem „aufwandbezo-genen Leistungsbegriff“, also über „die ei„aufwandbezo-genen Fähigkeiten und Bemühungen definiert“

(ebd.: 119).

42 In der vorliegenden Studie wird darauf Wert gelegt, stets genau anzugeben, um welche Arbeit in welchem Lebensbereich es sich handelt (zur realen und analytischen Trennung von Lebensbereichen vgl. 3.1). Daher verwende ich den Begriff Erwerbsarbeitsorientierung für jene Konzepte, die ausschließlich betriebliche Ver-hältnisse in den Blick nehmen. Diesen Begriff verwende ich der Genauigkeit halber auch dann, wenn in den zitierten Studien von Arbeitsorientierung die Rede ist.

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Typenübergreifend, selbst im karriereorientierten Typ „Ausbalancierte Selbstverwirklichung im Beruf“, spielt für die berufliche Verortung die Identifikation mit einem speziellen Unterneh-men oder einer Produktmarke kaum eine Rolle, sondern höchstens mit den Produkten im All-gemeinen, aber eher noch mit Branchen oder mit bestimmten Technologien. Es überwiegt eine professionelle, das heißt berufsbezogen-fachliche Orientierung, die an inhaltlichen Interessen ausgerichtet ist. Die Ingenieur_innen haben aus technischer Leidenschaft ihre Fächer studiert und möchten als Fachkraft und Expert_in Prozesse gestalten und Probleme lösen, oder forschen und entwickeln.

„Ich habe dann gedacht, ich geh in eine Branche, die viel Geld hat und wo man dann auch eher forschen und entwickeln kann. Das ist in Deutschland halt die Waffenindustrie oder meine jetzige Branche. So bin ich in diesen Industriezweig

gekommen. […] Die Branche oder das Produkt ist mir relativ egal, weil ich eher losgelöst arbeite.“ (Frau Ünsal)

Die Bezugnahme auf die technischen Kernkompetenzen des Berufes ist dabei keine Domäne der Männer, sondern findet sich ebenso in den Positionierungen vieler weiblicher Ingenieurin-nen. Gleiches gilt für die Karriereorientierung.

Die Beitragsorientierung im Sinne einer besonderen Identifikation mit unternehmerischen Zie-len ist in den vorliegenden Interessentypen junger Ingenieur_innen kaum ausgeprägt. Ansatz-weise findet sie sich bei denen, die sich als Führungskräfte positionieren. Man kann dies so deuten, dass sich auch in der heute jungen Generation von Ingenieur_innen das fortsetzt, was bereits in den ersten ingenieursoziologischen Studien festgestellt wurde und für die gesamte Berufsgruppe bis heute gilt: Nicht qua Berufswahl, sondern erst mit der angestrebten Position im Unternehmen erfolgt die persönliche Positionierung als beitrags- oder professionsorientiert (Will-Zocholl 2011: 265). Nur wer ein Aufstiegsziel zur Führungskraft verfolgt, macht sich eine Beitragsorientierung zu Eigen. Junge Ingenieur_innen haben also verschiedene Optionen, ihre fachlich-technischen beruflichen Interessen zu realisieren. Die Interessentypen bilden hier-bei das Spektrum der Möglichkeiten ab, innerhalb dessen sich junge Ingenieur_innen zu ver-schiedenen beruflichen Laufbahnen positionieren.

Um die Analyse der Positionierung zu unterschiedlichen Laufbahnen zu vertiefen, nehme ich als Ausgangspunkt eine Beobachtung aus dem Fazit der Führungskräftestudie von Kotthoff und Wagner. Darin wird ein Bruch im historisch tradierten beruflichen Status von Hochqualifizier-ten beschrieben. Der Bruch liegt darin, dass sich der enge Konnex von Fach- und Führungs-kraftlaufbahn auflöst. Die Trennung erfolgt bereits am Beginn des Berufsweges (Kotthoff/Wagner 2008: 295). Die vorliegende Typologie erlaubt den Schluss, dass unter jun-gen Injun-genieur_innen diese Trennung als normal angesehen ist und von ihnen als Entscheidungs-möglichkeit zwischen verschiedenen beruflichen Wegen und Lebensweisen akzeptiert wird.

Die Typen verdeutlichen eine hohe Akzeptanz von Fachlaufbahnen bzw. Ex-pert_innenlaufbahnen. Diese Laufbahnen zielen auf die Bindung hochqualifizierter Mitarbei-ter_innen durch eine Qualifizierung mit unternehmensspezifischem Wissen. Das Entwick-lungsziel ist hier kein Statusaufstieg in der Unternehmenshierarchie, sondern die Professiona-lisierung, das heißt eine Entwicklung der fachlichen Kompetenzen. Fachlaufbahnen beinhalten fachliche Verantwortung ohne Führungsverantwortung (Stockhausen/Deuter 2011). Eine aktu-elle Studie zeigt, dass dieses Angebot insbesondere für Hochqualifizierte attraktiv ist, die auf eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie Wert legen (Ladwig/Domsch/Dehnavi 2014: 140). Im Gegensatz dazu steht die Aufstiegskarriere als Führungskraft im Management, die in großen Unternehmen heute immer seltener die Form eines hierarchischen Aufstiegs in einem Funktionsbereich hat. Anja Bultemeier und Andreas Boes haben branchen- und berufs-übergreifend Karrieremuster untersucht. Sie stellen fest, dass angehende Führungskräfte breit angelegte Erfahrungen sammeln sollen und dazu viele Wechsel zwischen Aufgabengebieten, Standorten und Abteilungen durchlaufen:

„Karriere funktioniert in den Unternehmen über die Zuschreibung von Potenzial und dieses offenbart sich in Bewährungsproben […]. Bevor die Karrierewilligen in die offizielle Karriereentwicklung eintreten, also die erste hierarchische Kar-riereposition einnehmen, haben sie bereits eine langjährige Bewährungskarriere hinter sich; sie haben also schon Karriere vor der eigentlichen Karriere ge-macht.“ (Bultemeier/Boes 2013: 130)

Laut Bultemeier und Boes wird in den zeitlichen Verfügbarkeitsanforderungen dieses Karrie-revorfeldes keine Rücksicht auf die soziale Lage der Anwärter_innen genommen, wodurch Menschen mit Sorgearbeitsverantwortung oder Verpflichtungen und Interessen in anderen Le-bensbereichen strukturell benachteiligt werden (Bultemeier/Boes 2013: 139). Yves Jeanrenaud interpretiert die positive Sichtweise auf Fachlaufbahnen als beschönigende Umdeutung von misslungenen Aufstiegskarrieren, die durch Elternschaft ins Stocken geraten sind (Jeanrenaud 2015: 138). Hingegen unterstreichen meine Ergebnisse die Sichtweise, dass es sich bei jungen Ingenieur_innen hier um eine aktive, bewusste und durchaus nicht ohnmächtige Wahl handelt.

Das bedeutet auch, dass die Unternehmen sich nicht darauf verlassen können, dass die Präsenz-kultur auch in zukünftigen Generationen von Ingenieur_innen Akzeptanz finden wird.

Die eingangs geschilderte hohe Bedeutung von Grenzziehung in allen Interessentypen sehe ich als Hinweis darauf, dass junge Ingenieur_innen sehr bewusst versuchen, ihre Interessen in den außerberuflichen Lebensbereichen vor beruflicher Überlastung zu schützen. Auch Interviewte mit fachlichen Leitungsaufgaben, die an der Grenze zur Beförderung in den außertariflichen Bereich arbeiten, ringen darum, ihre beruflich Verantwortung auszubauen, ohne in den außer-tariflichen Bereich zu wechseln, da es dort keine Kontrolle der Arbeitszeiten gibt:

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„Man bekommt nur Arbeitspakete, und dann kann es natürlich auch passieren, dass man 50 Stunden die Woche arbeitet. Das kann ich mir in der momentanen

familiären Situation nicht leisten.“ (Frau Ünsal)

Die Trennung in Fach- und Führungskraftlaufbahnen folgt theoretisch einer Trennung von tech-nischen und betriebswirtschaftlichen Aufgabengebieten. Demnach wird in den Unternehmen konsequent differenziert zwischen „Konstrukteuren, die noch selbst konstruieren und Hand an-legen und Projektingenieuren, die nur noch die Fäden ziehen“ (Will-Zocholl 2011: 213). Eine erzwungene Zunahme der Koordinations- und Verwaltungsarbeit gegenüber der Konstruktions-arbeit kann dabei als „Verlust“ erlebt werden (ebd.: 256ff.). Die jungen Ingenieur_innen meiner Studie erleben einen solchen Verlust nicht. Im Gegenteil: Die erfolgreiche Realisierung von berufsbezogenen Interessen wird gerade als selbstbestimmte und informierte Entscheidung über verschiedene Laufbahnen wahrgenommen. Projektverantwortung lässt sich in den verwirklich-ten beruflichen Interessen durchaus mit dem Wunsch nach technisch-fachlichen Aufgaben ver-binden. Die Interviewten mit Projektverantwortung beschreiben eine befriedigende ausgewo-gene Mischung zwischen technischem „Basteln“ und Koordinationsaufgaben. Als die relevante Schwelle, an der man den Bezug zum Technischen verliert, gilt für die jungen Ingenieur_innen nicht die fachliche Projektverantwortung. Erst die Personalverantwortung markiert diese Grenze. Hier beginnt die Aufstiegskarriere. Diese wird nur von einem der vier vorliegenden Interessentypen gewählt. Ich deute dies dahingehend, dass die Entscheidungsmöglichkeit zwi-schen karriereorientierten und horizontalen Laufbahnen für junge Ingenieur_innen heute eine Selbstverständlichkeit ist. Diejenigen, die sich für eine Aufstiegskarriere bis ins Management entscheiden, sind dabei in der Minderheit. Selbst der karriereorientierte Typ setzt durch einen Karriereverzicht – wenn auch auf einem hohem Statusniveau – den beruflichen Leistungsan-forderungen zur Wahrung anderer Interessen Grenzen. Dies unterstreicht, wie wichtig jungen Ingenieur_innen ein gelingender Ausgleich zwischen beruflichen Interessen, betrieblichen An-forderungen und Interessen in anderen Lebensbereichen ist. Im Folgenden betrachte ich, ob und wie sie dies mit politischem Handeln verbinden.

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