• Keine Ergebnisse gefunden

Zusammenschau der Aspekte von Durchlässigkeit

2 Durchlässigkeit – Eine konzeptionelle und theoretische

2.2 Identifikation eines Durchlässigkeitskonzepts

2.2.6 Zusammenschau der Aspekte von Durchlässigkeit

Wie dargelegt, bestehen verschiedene Möglichkeiten, wie über institutionelle Durchlässigkeit nachgedacht und wie Durchlässigkeit ermöglich werden kann (vgl. Tabelle 1 und Abbildung 1). Wichtig hierbei ist zu betonen, dass die einzel-nen Aspekte sich nicht gegenseitig ausschließen. Im Gegenteil, partiell hängen die

analytisch getrennten Aspekte auch zusammen, bauen aufeinander auf oder un-terstützen die jeweilige Durchlässigkeitswirkung. So ist z.B. die Erteilung des Zu-gangs zu einem Bildungsbereich oder -gang aufgrund der vorangegangen Ab-schlüsse und Zertifikate auch verbunden mit der Anerkennung und impliziten Anrechnung des zuvor Gelernten. Anrechnung dagegen ist nicht ohne die Er-möglichung des Zugangs realisierbar. Institutionalisierte Übergänge verbinden Anrechnung und Zugang. Zudem ist zu erwarten, dass insbesondere integrierte Bildungsgänge oder Organisationen wahrscheinlicher Strukturen aufweisen, wel-che an heterogene Bedürfnisse der Lernenden angepasst sind, als Bildungsgänge oder Organisationen, die nicht Bildungsbereiche verbinden. Dies gilt vor allem, wenn der Zugang zu diesen Organisationen Lernenden aus den getrennten Bil-dungsbereichen offen steht. Anpassung an die heterogenen Bedürfnisse verstärkt zudem die Durchlässigkeitswirkung der anderen drei Aspekte, da die Lernenden nach Zugang, Übergang oder Anrechnung nicht allein gelassen, sondern gemäß ihren Bedürfnissen unterstützt werden.

Abbildung 1 Durchlässigkeitskonzept

1 Zugang 2 Anrechnung; 3a institutionalisierte Übergänge; 3b Integration 4 Anpassung an heterogene Bedürfnisse 5 Anerkennung im Erwerbssystem Quelle: Darstellung der Verfasserin

In der Darstellung der einzelnen Aspekte in Abbildung 1 wird ebenfalls deutlich, dass Durchlässigkeit ein vielfältiges Konzept ist und es viele Institutionalisie-rungsmöglichkeiten von durchlässigkeitsfördernden Bildungsstrukturen gibt. So

kann unterschieden werden zwischen Strukturen, welche stärker innerhalb der Bildungsorganisationen institutionalisiert werden müssten (Aspekt 2 und 4), wäh-rend andere mehr die Verbindungen der unterschiedlichen Bildungsbereiche dar-stellen (Aspekt 3a und 1). Die Organisationen selbst werden in diesen Fällen nicht weiter angepasst werden.

Tabelle 1 Überblick über Durchlässigkeitsaspekte

Aspekte

rechtsbasiert, einklagbar Ungenügende Vorbereitung bzw. fehlende

rechtsbasiert, einklagbar nicht in beiden Bildungsberei-chen erwerbbar, statisches Kompeten-zen aus einem Bereich statisches Konzept von Auf-wand für Individuen und Organisationen

Zuschreibung von (zu viel/zu wenig) Kompetenzen, weniger aufwendig als nur individuell

Abhängig von Unterstützungs-strukturen für Beantragende Anrechnungsbegrenzung

Aspekte (Orien-tierung nur zu best. Bildungs-gängen) Anpassungsforde-rung an die Lernenden an den

‚Standard‘)

Quelle: Darstellung der Verfasserin

Zudem unterscheiden sich auch die Aspekte mit ihren verschiedenen Varianten in Bezug darauf, ob sie eher individuumszentrierte oder gruppenzentrierte Strukturen eröffnen (vgl. Tabelle 1). Anhand dieses unterschiedlichen Fokus kann aber auch die Widersprüchlichkeit des Durchlässigkeitskonzepts deutlich gemacht werden. Denn jeweilige Ausrichtungen bedingen unterschiedliche Vor- und Nachteile. Gruppenspezifische Strukturen können dabei einerseits als stärker zugänglich bzw. barriereärmer gelten. So ist die Umsetzung von einer Regelung für viele mit weniger Aufwand sowohl für die umsetzende Organisation als auch für das Individuum verbunden, zumal solche Regelungen oft mit Berechtigungen für das Individuum einhergehen, welches somit aufgrund angenommener grup-penspezifischer Eigenschaften das Recht z.B. auf Zugang oder eine bestimmten

Anrechnungshöhe hat. Implizit sind aber solchen gruppenspezifischen Struktu-ren Homogenitätsannahmen über die Gruppen eingebaut, welche andererseits auch nachteilig sein können, wenn es keine Strukturen gibt, die das ausgleichen und somit die Heterogenität der Individuen auch innerhalb der Gruppen aner-kennen. So gehen z.B. pauschale Anrechnungsverfahren mit der Gefahr einher, dass einerseits bestimmte Kompetenzen, welche zusätzlich bestehen, unberück-sichtigt bleiben. Zudem ist es möglich, dass durch die Zuschreibung eines gewis-sen Kenntnisstandes eventuell notwendige Unterstützung nicht angeboten wird, da das Individuum mit diesem spezifischen Zertifikat dies alles können müsste.

Individuumszentrierte Verfahren dagegen sind ressourcenaufwendiger, meist insbesondere für die aufnehmende Organisation aber teilweise auch für das Indi-viduum, da hier der Fokus der Strukturen auf die individuellen Biografien und Lebensverläufe gerichtet ist. Dies ist insofern ein Vorteil, dass man der Person mit ihren ganz spezifischen Erfahrungen und Bedürfnissen gerecht werden kann.

Andererseits kann es aber auch nachteilig sein, wenn es keine vorgefertigten Re-gelungen gibt, da das Individuum nicht auf diese bestehen kann, sondern die ei-genen Bedürfnisse und Rechte individuell einfordern muss bzw. sich dieser erst selbst bewusst werden muss.

Eine Schlussfolgerung wäre demnach, dass für Durchlässigkeit in der Umset-zung beides benötigt wird, der Fokus auf Gruppen, damit eine stärkere Instituti-onalisierung stattfindet, und der Fokus auf das Individuum, für eine stärkerer Fle-xibilität und Anpassung. Ebenfalls ist festzustellen, dass die strukturellen Mög-lichkeiten Durchlässigkeit zu schaffen nicht nur förderlich wirken können (vgl.

Tabelle 1).

Einerseits sind Barrieren dabei teilweise konzeptionell inhärent. So ist der Zugang über Berechtigung anhand von Zertifikaten oder einmaligen Prüfungen mit einem statischen Konzept von Studierfähigkeit verbunden, d.h., es wird an-genommen, dass eine Studierfähigkeit a priori vor dem Studium besteht und nicht erst mit dem Vorgang des Studierens erworben wird. Dies kann dazu führen, dass fähige Individuen nicht zugelassen werden, während andere im Studium feststel-len, dass dieses Ihnen nicht liegt. Andererseits gibt es bei der Einführung der un-terschiedlichen durchlässigkeitsfördernden Strukturen immer auch die Gefahr, dass diese bei unzureichender Institutionalisierung ihre Wirkung nicht entfalten können. So helfen individualisierte Anrechnungsverfahren z.B. nur, wenn auch Unterstützung bei der intensiven Vorbereitung gewährt wird. Auch fördern insti-tutionalisierte Übergänge Durchlässigkeit, wenn diese zum Beispiel in alle Rich-tungen genutzt werden können, von der Berufs- in die Hochschulbildung und umgekehrt.

Eine weitere Schlussfolgerung, die sich aus dem Durchlässigkeitskonzept mit den unterschiedlichen Aspekten, deren möglichen Ausrichtungen und Perspekti-ven ergibt, ist, dass es nicht zu erwarten sein wird, dass die europäischen Bildungs-prozesse Bologna und Kopenhagen ein ganz spezifisches Modell von Durchläs-sigkeit vorgeben. Zum einen haben die unterschiedlichen Mitgliedsstaaten, welche

den Prozess gestalten, auch unterschiedliche Traditionen in Bezug auf Durchläs-sigkeit, so dass zu spezifische Vorgaben möglicherweise nicht mit bestehenden Systemen kompatibel wären. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da die Deklara-tionen einstimmig von allen Ländern beschlossen wurden. So dürften die Vorga-ben nicht mit dem bestehenden Subsidiaritätsprinzip in Konflikt stehen. Zum an-deren scheint es auch nicht einfach, ein passendes Modell, in dem alle Eigenschaf-ten aufeinander abgestimmt sind, vorzugeben, da wie zuvor dargelegt, zum einen unterschiedlich Vor- und Nachteile bestehen und zum anderen national jeweils differente Organisationen in den Reformprozess eingebunden sein können. Inso-fern wird es auch in den Nationalstaaten interessant zu untersuchen sein, wie Durchlässigkeit institutionalisiert ist. Welche Aspekte besonders wichtig erschei-nen und welche Inkongruenzen dort bestehen.

Nachdem das Konzept von Durchlässigkeit mit den verschiedenen Ausprä-gungsmöglichkeiten vorgestellt wurde, soll nachfolgend die Frage der Bedeutung durchlässiger Bildungsstrukturen aus der Perspektive von zwei theoretischen Sichtweisen der sozialen Ungleichheitsforschung dargestellt werden.

2.3 Bildungsstrukturen als funktionales Erfordernis oder