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Stärken der diskurstheoretischen Perspektive

3 Theoretischer Rahmen zur Analyse institutionellen Wandels

3.3 Gründe für die Verbindung einer diskursanalytischen

3.3.2 Stärken der diskurstheoretischen Perspektive

Insgesamt können diskursanalytische Ansätze als komplementär zum histori-schen und soziologihistori-schen Neoinstitutionalismus gesehen werden (Schmidt 2008).

26 Neuere Arbeiten zu institutional work sind zu finden in Lawrence et al. (2009, 2013).

Letztere geben vor allem auch Hintergrundinformationen, welche für die Analyse institutionellen Wandels wichtig sind (vgl. Schmidt 2008). Dies gilt im besonderen Maß für den historischen Institutionalismus, denn vor allem mit dem klassischen Ansatz kann eher selten Wandel erklärt werden, da die Betonung vielmehr auf locked-in-Effekten und positiven Verstärkungsprozessen liegt (vgl. auch Rixen/Vi-ola 2014). Wenn critical junctures aber als Auslöser für Wandel identifiziert werden, wird im Allgemeinen jedoch nicht erklärt, wie es zu diesem kritischen Zeitpunkt kam. Diskursanalytische Ansätze können dagegen vielmehr Einblicke gewähren, inwiefern die pfadabhängigen Strukturen immer wieder neu rekonstruiert werden und wie und warum critical junctures entstehen können (Schmidt 2008). Aber auch in den dynamischeren Ansätzen des historischen Institutionalismus (Thelen 2004, Streeck/Thelen 2005) ruht der Analysefokus stärker auf Veränderungen der nor-mativen und regulativen institutionellen Dimension, die kulturell-kognitive dage-gen wird oft vernachlässigt (siehe Graf 2013: 44).

In Bezug auf den soziologischen Institutionalismus betont Schmidt (2008: 320) zuerst einmal die Gemeinsamkeiten. Dieser wie auch diskursanalyti-sche Ansätze akzentuieren die kulturell-kognitive Ebene und es stehen vor allem Ideen und Vorstellungen im Vordergrund. Beide Ansätze sind konstruktivistisch und teilen eine Ablehnung gegenüber Rational-Choice-Ansätzen in Bezug auf In-dividuen. Zudem lehnen sie beide die Annahme, dass es eine objektive Rationali-tät gäbe, ab. Interessen bestehen nicht unabhängig von Ideen. Alle Interessen sind Ideen und Ideen machen Interessen aus (Hay 2006). Wenn auch in beiden Ansät-zen Ideen bzw. Wissen im Vordergrund stehen, sind Diskurse jedoch im Gegen-satz zu Ideen nicht nur der Text oder Inhalt (was gesagt wird) sondern auch der Kontext, die Formationsregeln dessen, was gesagt wird. Diskurse umfassen mehr als die bloße Struktur, sie erfassen ebenfalls die dazugehörige Agency. So betont Wendt (1987) in Anlehnung an Giddens Konzept der Dualität der Struktur, dass Strukturen einen inhärenten diskursiven Charakter besitzen, d.h., sie sind un-trennbar mit den Überlegungen und dem Selbstverständnis, die Akteure zu ihrem Handeln bringen, verbunden, während aber die Agenten gleichzeitig diese Struk-turen konstituieren.

Die Hauptdifferenz zwischen dem soziologischen und diskursiven Institu-tionalismus besteht nach Schmidt (2008: 320) darin, inwiefern Ideen als dynami-sche Konstrukte gesehen werden und inwiefern Machtaspekte als relevant be-trachtet werden. Das Spektrum der Fragen einer Diskursanalyse sei größer, denn es interessiert viel stärker ebenfalls, wer als Träger von Ideen identifiziert wird und in welche Richtung sich diese entwickeln – ob eher hierarchisch von oben oder auch in einem Prozess von unten nach oben. Es ergibt sich auf diese Weise die Möglichkeit, anstatt nur von einer hierarchischen Vermittlung auszugehen, auch zu beobachten, wie Ideen und Glaubensgrundsätze sich in einem Prozess der kontinuierlichen Infragestellung ändern. Welche gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland und Frankreich sind aktiv bei der Gestaltung institutionellen Wan-dels von Durchlässigkeit? Für diese Arbeit wäre folglich gleichermaßen spannend

zu untersuchen, woher mögliche Ideen stammen, die institutionellen Wandel zwi-schen den Organisationsfeldern der Hochschulbildung und Berufsbildung indu-zieren. Handelt es sich vor allem um exogene neu über z.B. europäische Koordi-nierungsprozesse eingebrachte Ideen oder um andere endogene, in diesem Fall nationalstaatliche bzw. dem Organisationsfeld entstammende Vorstellungen, wel-che die institutionelle Entwicklung um Durchlässigkeit prägen?

Zudem erlaubt die Diskursanalyse eine stärkere Prozessorientierung, da Sinn- und Deutungsmuster nicht nur festlegen, wie Akteure ihre Welt begrifflich fassen, sondern auch durch mögliche Rekonzeptualisierung als Ressource genutzt wer-den können, um Wandel zu ermöglichen (Schmidt 2008, 2010: 4). Wie bereits im Abschnitt zum Verhältnis vom Diskurs zu Institutionen herausgearbeitet wurde, dass Institutionen durch Diskurse erzeugt und legitimiert werden, begrenzen aber bestehende Institutionen gleichsam wiederum Diskurse. Diskursanalysen können demnach bei der Rekonstruktion von institutionellem Wandel helfen, indem sie Untersuchungen der diskursiven Auseinandersetzungen um die Transformation gesellschaftlicher Definitionsverhältnisse anleiten. Auch wenn in vielen Analysen gezeigt werden konnte, dass institutionelle Arrangements sich eher langsam än-dern und sich durch eine gewisse Trägheit auszeichnen, so konnte jedoch auch gezeigt werden, wie durch neue Diskurse alte ‚Wahrheiten‘ bzw. altes Wissen seiner Selbstverständlichkeit enthoben wird, unter Rechtfertigungsdruck gelangt und einem Prozess der Delegitimation ausgesetzt wird, aus dem die Institutionen schließlich verändert hervorgehen (Keller 2008). Insbesondere Michel Foucaults Arbeiten fordern auf, die Herkunft von Sinn-Setzungen durch Raum und Zeit zurückzuverfolgen. Zudem rückt er die Ausbildung und Verbreitung neuer Dis-kurse in Auseinandersetzung mit den bestehenden symbolischen Ordnungen und deren Transformationen in den Mittelpunkt der Diskursanalyse, wobei durch den inhärenten Konnex zwischen Wissen und Macht Diskursanalysen auch immer die Veränderungen der Kräfteverhältnisse in den Blick nehmen und somit Macht und Konfliktanalysen sind27. Gerade wenn Institutionen wie Durchlässigkeitsstruktu-ren im Bildungssystem – maßgeblich zukünftige – die Lebenschancen der Indivi-duen und deren sozialen Platzierung in der Gesellschaft mitbestimmen, ist davon auszugehen, dass deutliche Verteilungskonflikte in der Gesellschaft vorherrschen, wobei bestehende Strukturen von den herrschenden Gruppen einer Gesellschaft verteidigt werden, während sie von den Benachteiligten infrage gestellt wird. Da Diskurse als Ort der Institutionalisierung, der Reproduktion und der Veränderung von gesellschaftlichen Wissensvorräten, den Ideologien, Leitbildern, Vorstellun-gen, gelten, ist anzunehmen, dass auch hier die gesellschaftlichen Konfliktlinien 27 Keller (2008) kritisiert die hermeneutische Wissenssoziologie für ihren zu starken Fokus auf die Mikroanalyse von Wissen, da so der Analyse systematisch die Karrieren öffentlicher Diskurse als Prozesse der Wissenskonstitution und -zirkulation entgehen. Aber auch stärker expert_innengestütztes Wissen bzw. institutionelles Wissen sickert in die Wirklichkeitskonstruktion der Individuen ein, so dass die Untersuchung solcher Phänomene notwendigerweise zu den Untersuchungsgegenständen einer wissenssoziologischen Perspektive gehört.

sichtbar sind. So schlägt auch Scherrer (2001) vor, zu analysieren, von welchen Institutionen Verharrungsmomente ausgehen oder auch Konkurrenzsituationen entstehen, welche ebenfalls diskursiv wahrgenommen werden. Es öffnet sich der Blick für die politischen Auseinandersetzungen um den Institutionenwandel. Zu fragen wäre insofern z.B., welche Akteure eine erhöhte Durchlässigkeit zwischen Hochschulbildung und Berufsbildung befördern oder behindern? Welche Strate-gien werden verfolgt?

Die diskursanalytische Erweiterung der neoinstitutionalistischen Theorien betont neben der Ideenebene somit auch die Rolle von Macht und handelnden Akteuren. Die diskursanalytische Annahme einer gegenseitigen Subversion von Struktur und Subjekt bietet dabei einen Ansatz zur Analyse von institutionellem Wandel (Scherrer 2001). Auch wenn auf diese Dualität von Handlung und Struk-tur ebenfalls im soziologischem Institutionalismus hingewiesen wird (u.a. Scott 2008, Hasse/Krücken 2005), so bleiben diese Aspekte in den Analysen doch weit-gehend ausgeblendet (Scherrer 2001, Schmidt 2008, siehe aber Meyer/Jepperson 2000). Searle (1995) betont, dass Institutionen sich nicht nur unbewusst ändern, indem die Institutionen anders genutzt werden, sondern auch bewusst geändert werden, indem man sich entscheidet, sie anders zu nutzen. Diskurs ist ein inter-aktiver Prozess, der es erlaubt, Institutionen zu verändern, weil der deliberative Charakter von Diskursen es erlaubt, über Institutionen zu reden.

Insbesondere in Zeiten, in denen Institutionen sich ändernden Bedingungen ausgesetzt sind, wie z.B. durch die Bologna- und Kopenhagen-Prozesse, ist anzu-nehmen, dass über den Diskurs über die Institutionen verschiedene Vorstellun-gen über den Wandel von Institutionen sichtbar werden.

Inwiefern können sich neue Vorstellungen zu Durchlässigkeit durchsetzen?

Inwiefern können europäische Prozesse genutzt werden, da diese durch ihre Vor-gaben Durchlässigkeitsforderungen eine größere Legitimität geben könnten?

Kommt es quasi zu diskursiven Machtverschiebungen in Frankreich und Deutschland?