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2 Durchlässigkeit – Eine konzeptionelle und theoretische

2.2 Identifikation eines Durchlässigkeitskonzepts

2.2.4 Heterogenität der Lernenden

Der vierte Aspekt des Durchlässigkeitskonzepts bezieht sich auf die institutionel-len Rahmenbedingungen, welche auf die Anpassung an heterogene Bedürfnisse der Lernenden abzielen. Die Schaffung von Strukturen, welche es ermöglichen, mit der Heterogenität von Lernenden umzugehen, ist allgemein eine Vorausset-zung zur Realisierung eines inklusiven Bildungssystems, das jedem Individuum die Möglichkeit der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit und Fähigkeiten bietet (vgl. z.B. Pfahl/Powell 2010; Powell 2011). Für die Frage von Durchlässigkeit ist dieser Aspekt insbesondere relevant. Angenommen, dass einzelne Bildungsberei-che und vor allem Organisationsfelder unterschiedliBildungsberei-chen Logiken unterworfen

sind, kann man auch davon ausgehen, dass diese unterschiedlichen Umgebungen zu einer unterschiedlichen Sozialisation der Lehrenden und Lernenden sowie ei-ner unterschiedlichen Entwicklung im Lebensverlauf führen. Umso wichtiger wird die Frage des Umgangs mit Heterogenität, wenn sich in dem Bildungssystem die Lernenden in den Bildungsbereichen auch noch anderweitig systematisch un-terscheiden, wie z.B. nach sozialer Herkunft, Migrationshintergrund, Geschlecht oder einer Kombination mehrerer askriptiver Merkmale. Will man nun jedoch sämtliche Bildungswege und damit auch Bildungsbereiche für alle Individuen gleichermaßen offen halten, bedeutet dies ferner, dass man den Lernenden ihren Bedürfnissen entsprechende institutionelle Lernbedingungen ermöglicht. Es geht insofern nicht nur darum, den Zugang formal zu erhalten, sondern auch um das Ermöglichen eines erfolgreichen Absolvierens des Bildungsgangs. Hierfür bedarf es Strukturen, die auf die Heterogenität der Lernenden ausgerichtet sind. Das Er-schaffen von förderlichen Bedingungen kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden. Zum einen geht es darum, den Individuen Bedingungen zu bieten, die dabei unterstützen und motivieren, auch den individuell passenden Bildungsgang zu wählen und Zugang zu ‚bereichsfremden‘ Bildungswegen zu suchen. Hier müssen die Strukturen vor dem Beginn des Bildungsgangs wirken. Zum anderen bedarf es Strukturen, welche das erfolgreiche Lernen im ‚fremden‘ Bildungsbe-reich selbst erleichtern.

In der Literatur zur Durchlässigkeit zwischen Berufs- und Hochschulbildung können verschiedene strukturelle Möglichkeiten, welche eine Anpassung an hete-rogene Bedürfnisse fördern, identifiziert werden (vgl. z.B. Banscherus et al. 2015;

Freitag et al. 2011; Hegelheimer 1986; Mucke/Kupfer 2011; Teichler/Wolter 2004; Wolter 1994; Wolter et al. 2014). Diese sind auch auf andere Bildungsberei-che übertragbar, würden aber dann andere Schwerpunkte oder Spezifizierungen aufweisen. Strukturen, welche vor allem erst den Weg in einen ‚fremden‘ Bil-dungsbereich ebnen, sind zum einen a) Informations- und Beratungssysteme über die verschiedenen Lernwege und zum anderen Unterstützungsstrukturen, z.B. b) Finanzierungsmöglichkeiten, welche eine Aufnahme des Lernweges ermöglichen.

In den Bildungsorganisationen selbst sind dann für das Lernen förderliche Bedin-gungen zu finden: c) in der Art und Weise wie das Lernen organisiert ist und un-terstützt wird und d) welche Lern- und Lehrkultur vorherrscht und inwiefern diese offen bzw. flexibel auf Veränderungen reagiert. Gleichsam sind weiterhin Beratungs- und Informationsangebote auch während des Bildungsgangs wichtig für die Lernendenorientierung und –motivation. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die Zuordnung zur zeitlichen Wirksamkeit der Strukturen lediglich eine analytische ist und letztlich auch Strukturen, die das Lernen selbst erleichtern, wie die Lernorganisation auch dazu beiträgt, ob der Bildungsgang überhaupt in Betracht bezogen wird oder nicht. Im Folgenden sollen die einzelnen Strukturen, die den Umgang mit heterogenen Bedürfnissen erleichtern vorgestellt werden.

a) Informationen und Beratung über Lernwege

Ob die Individuen sich für bestimmte Bildungswege entscheiden, also den Zu-gang suchen, ist nicht nur signifikant von den individuellen Präferenzen abhängig, sondern auch davon, ob sie über Möglichkeiten im Bildungssystem ausreichend informiert sind. Speziell durch die Sozialisation in getrennten Bildungsbereichen entstehen Informationsasymmetrien, welche ausgeglichen werden müssen. Für die Studienbeteiligung beruflich Qualifizierter in Deutschland haben z.B. Nickel und Leusing (2009) herausgefunden, dass ein Grund für die geringe Beteiligung in der mangelnden Infrastruktur von Informations- und Beratungsdienstleistun-gen zu finden ist. Es reicht daher nicht, formal durch Zugangs- oder Anrech-nungsverfahren die Systeme durchlässiger zu machen. Die Lernenden müssen auch über diese Möglichkeiten und über das, was sie erwartet, informiert sein, damit diese ihre Wirkung entfalten. Auf diese Weise wird der Informationsnach-teil, der besteht, da sie nicht zu den ‚typischen‘ Studierenden gehören, ausgegli-chen. Fördernde Strukturen wären dann z.B. spezifische Beratungsangebote ex-plizit für beruflich Qualifizierte über deren Möglichkeiten im Hochschulsystem.

b) Finanzierung

Für das Beispiel der beruflich Qualifizierten, welche den Zugang in das Hoch-schulsystem suchen, stellt Sicherstellung der Finanzierung eine weitere wichtige Opportunitätsstruktur dar (vgl. Mucke/Kupfer 2011). Die Frage der Finanzie-rung stellt sich dabei auf mehreren Ebenen. Das Standardstudium in Deutschland ist derzeit noch oft als Vollzeitstudium konzipiert. Beruflich Qualifizierte müssten dann ihre Berufstätigkeit stark einschränken und sind mit der Frage konfrontiert, wie sie ihren Lebenserhalt und ihren Lebensstandard finanzieren und aufrecht-erhalten. Kompliziert wird die Situation zudem, wenn die meist etwas älteren be-ruflich Qualifizierten einen erschwerten Zugang zu Stipendien oder anderen För-derungsmöglichkeiten erhalten, da diese oft noch altersgebunden und ausgerich-tet auf den jüngeren ‚Durchschnittsstudierenden‘ sind. Im Hinblick auf fördernde Bedingungen zwischen Berufs- und Hochschulbildung existieren mehrere Möglichkeiten, das Finanzierungsproblem zu lösen. Zum einen könnten Stipen-dien explizit für bestimmte Zielgruppen eingerichtet werden oder bestehende Un-terstützungsmaßnahmen angepasst werden.

c) Lernorganisation und Unterstützungsstrukturen

Auch die Bedürfnisse, wie Lernen organisiert ist, können sich zwischen den ein-zelnen Bildungsteilnehmer_innen und auch systematisch zwischen den Lernen-den, welche aus unterschiedlichen Bildungsbereichen kommen, unterscheiden.

Differenzen kann es so z.B. erstens in den Wünschen zur zeitlichen und örtlichen

Ausgestaltung geben. So weisen Mucke und Kupfer (2011) darauf hin, dass be-ruflich Qualifizierte in Deutschland, welche sich für ein Hochschulstudium ent-scheiden, oft bereits andere familiäre und berufliche Verpflichtungen haben kön-nen als traditionelle Studierende15 und damit flexible Studienmodelle wie Teilzeit, berufsbegleitende Studiengänge oder das Fernstudium bevorzugen, da sie so bes-ser Beruf, Familie und Studium vereinbaren können. Insofern dienen flexible Stu-dienstrukturen, die unterschiedliche Lernrhythmen und -orte ermöglichen, dazu, jene Lernenden zu gewinnen, die ein traditionelles Vollzeitstudium nicht realisie-ren könnten.

Ähnlich wichtig sind zweitens entsprechende Anpassungen der Infrastruktur.

Wenn nämlich die Lernzeiten und -orte flexibler gestaltbar sind, müssen auch Serviceeinrichtungen für die Lernenden angepasst werden. Beispiele wären fle-xible Zeiten der Beratungsdienste, Sprechstunden, Bibliotheken, Kindereinrich-tungen. Dementsprechend würden alle und nicht nur die traditionellen Lernenden von der für ein erfolgreiches Lernen notwendigen Infrastruktur profitieren.

Drittens, sollte auch in der Didaktik und Methodik der Lernangebote sowie in den Curricula auf die Bedürfnisse und auch Vorerfahrungen der Lernenden eingegangen werden. Am Beispiel der beruflich Qualifizierten, welche ein Hoch-schulstudium aufnehmen, ginge es darum, auf berufliche Vorerfahrungen Bezug zu nehmen, aber auch auf die neue Lernumgebung z.B. durch Einführungskurse in das wissenschaftliche Arbeiten oder Brückenkurse vorzubereiten. Auch die In-tegration von berufspraktischen Elementen in die Lehrpläne wäre eine Möglich-keit, das Angebot an die Bedürfnisse anzupassen (Mucke/Kupfer 2011). Andere Beispiele wären die Einführung von Tutorien, die helfen, Gelerntes in Kleingrup-pen zu vertiefen. Auf diese Weise könnte es besser möglich sein, auf die indivi-duellen Fähigkeiten zu reagieren und diese gezielt zu fördern. Umgekehrt könnten Absolvent_innen eines Studiums Praktika helfen, sich in die Spezifik des Berufs-feldes, in denen sie sich weiterbilden wollen, vertraut zu machen.

Viertens sind Beratung und Information nicht nur vor dem Beginn des Bil-dungsgangs von Bedeutung, sondern auch im Verlauf desselbigen wichtig (Hanft et al. 2013; Hartmann-Bischoff/Brunner 2013). Insbesondere Beratung ver-schafft die Möglichkeit, bestehende Probleme zu erkennen und anzugehen oder auch Bildungsentscheidungen im Bildungsgang zu treffen. Im Gegensatz zu tra-ditionellen Bildungsteilnehmer_innen kann vor allem für solche aus dem anderen Bildungsbereich eine Beratung dabei helfen, die neuen Regeln, Logiken und die

15 Im Gegensatz zu traditionellen Studierenden definieren Teichler und Wolter nicht-traditionelle Studierende folgendermaßen: „Studierende, die nicht auf dem geraden Weg bzw. in der vorherrschenden zeitlichen Sequenz und Dauer zur Hochschule gekommen sind; nicht die regulären schulischen Voraussetzungen für den Zugang erfüllen; und solche, die nicht in der üblichen Form des Vollzeit- und Präsenzstudiums studieren (sondern als Teilzeit-, Abend- und Fernstudierende). Eine genaue Abgrenzung ist auch deshalb nicht zu treffen, weil manche Studierende in einigen Aspekten als ‚traditionell‘, in anderen dagegen als ‚nicht-traditionell‘

eingestuft werden können.“ (Teichler/Wolter 2004: 72)

Kultur der Bildungsorganisation und des -bereichs zu verstehen und darin zu re-üssieren.

d) Kultur der Offenheit in den Organisationen

Ein weiterer bedeutender Punkt, welcher in einigen Studien betrachtet wird (vgl.

Alheit 2009; Völk 2011), besteht in der Frage der Kultur der aufnehmenden Or-ganisationen. Besteht eine Kultur der Offenheit gegenüber der Heterogenität der Lernenden und ihren Bedürfnissen, ist eine Integration von Lernenden aus ande-ren Bildungsbereichen wahrscheinlicher und erfolgversprechender als bei einer Orientierung auf eine vermeintlich bedürfnishomogene Gruppe traditioneller Lernender. Völk (2011) macht dies am Beispiel der Hochschullehrenden deutlich, welche mit ihren Annahmen hinsichtlich der Studierfähigkeit von beruflich Qua-lifizierten bzw. auch mit ihren Positionen zur Frage der Anrechenbarkeit von be-ruflichen Abschlüssen den beruflich Qualifizierten das Lernen in Hochschulen erleichtern oder erschweren können. Die vorherrschende Kultur kann in einem engen Zusammenhang mit der Lernorganisation und der Ausgestaltung der In-formations- und Beratungsstrukturen stehen. Es ist aber auch denkbar, dass so-wohl eine adäquate Lernorganisation als auch passende Informations- und Bera-tungsstrukturen gegeben sind, die Kultur in der aufnehmenden Organisation dies (eventuell noch) nicht widerspiegelt. Dies entspräche einem klassischen Fall der losen Kopplung (vgl. DiMaggio/Powell 1983; Meyer/Rowan 1977) zwischen Re-gelungen und tatsächlicher Praxis bzw. Kultur.

Auch Alheit (2009) konnte darlegen, dass in deutschen Universitäten vor-herrschende Kulturen bzw. der „universitäre Habitus“ (Alheit 2009: 224) einen negativen Einfluss auf den Erfolg von nicht-traditionellen Studierenden haben können. Er identifiziert „Symptome für eine latente symbolische Schließung des deutschen Hochschulsystems“ (Alheit 2009: 224). Dies arbeitet er heraus anhand von Interviews mit Studienberatern der unterschiedlichen Fächergruppen, welche gerade für nicht-traditionelle Studierende als Gatekeeper wirken können. Auch Teichler und Wolter (2004: 69f.) stellen fest, dass der Studienerfolg nicht nur für die sogenannten nicht-traditionellen Studierenden stärker vom Studienfach und dem damit verbundenen Klima als von der Art der Studienberechtigung bestimmt werden. Es wird somit auch an dieser Stelle die besondere Rolle der Organisati-onskultur angesprochen. Deutlich wird jedoch ebenfalls, dass es nicht nur eine Kultur in Organisationen geben muss, sondern, dass diese auch fachspezifisch variieren kann.

In den Ausführungen zum Umgang mit heterogenen Bedürfnissen wird deut-lich, dass dieser Aspekt stark auf Chancengleichheit abzielt. Dabei geht es darum, dass diejenigen im Bildungsgang, welche durch z.B. unterschiedliche Sozialisation in anderen Bildungsbereichen andere Voraussetzungen mitbringen, in dem Bil-dungsgang die gleichen Chancen auf erfolgreiches Lernen haben. Durch

Infor-mations- und Beratungsangebote werden auf diese Weise mögliche Information-sasymmetrien aufgehoben, welche ebenfalls durch das Lernen im anderen Orga-nisationsfeld zustande kommen. Die Anpassung der Finanzierungsangebote oder auch der Lernorganisation und Kultur an die Bedürfnisse, d.h. diesen ein Studium z.B. finanziell und auch zeitlich zu ermöglichen, zielen ebenfalls auf Chancengleichheit.

An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass diese Strukturen, die den Umgang mit den heterogenen Bedürfnissen von Lernenden erleichtern, nicht nur relevant sind für Fragen der Durchlässigkeit, d.h. des Bildungserfolges von Lernenden aus einem Bereich in einem anderen, sondern vielmehr allgemein für ein erfolgreiches Absolvieren von Bildungsgängen wichtig sind. Zudem besteht die Gefahr, dass durch spezifische Förderinstrumente für eine fest definierte Gruppe deren Andersartigkeit unterstrichen und reproduziert wird und somit auch die Trennung in der Organisation auf diese Weise bestehen bleibt. Wichtig für Strukturen, welche den Umgang mit der Heterogenität der Lernenden unter-stützen, ist somit, dass sie allgemein die Homogenitätsannahmen von Lernenden hinterfragen und nicht zur Stigmatisierung von Gruppen beitragen. Es gibt nicht

‚die‘ traditionellen Studierenden und auch nicht ‚die‘ beruflich Qualifizierten.

Beide Gruppen sind auch in sich heterogen. Die Lösung dieses Problems ist keine einfache, aber eine Möglichkeit besteht darin, dass unterstützende Angebote nicht nur für eine Zielgruppe eröffnet werden, sondern allgemein allen Lernenden der Organisation offenstehen, aber mögliche spezifische Bedürfnisse integrieren. Auf diese Weise wird eine größere Durchlässigkeit zwischen Bildungsbereichen geför-dert, ohne die Trennung der Bildungsbereiche zu reproduzieren.