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3 Theoretischer Rahmen zur Analyse institutionellen Wandels

3.1 Kernbegriffe und -konzepte

3.1.2 Diskurs und Macht

Im Werk Foucaults kamen neben der Frage der Archäologie immer stärker Über-legungen zu den spezifischen Machtwirkungen der Diskurse hinzu. Diese lassen sich im Konzept der Genealogie wiederfinden (vgl. Klemm/Glasze 2004). Eine Diskursanalyse im Sinne der Genealogie untersucht die Entstehung von Diskur-sen unter Betrachtung sich ändernder Machtkonstellationen sowie Machtspiele und analysiert „Diskurse als Wirkungen von Machtpraktiken“ (Bublitz 2006: 259).

„Denn der Diskurs […] ist die Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht“

(Foucault 2007: 11). In diesem Abschnitt steht das bereits angesprochene Ver-hältnis von Diskurs und Macht im Blickpunkt, da dieses speziell eine Stärke des Diskursansatzes nach Foucault ausmacht und anknüpft an die Perspektive der

Konflikttheorien (vgl. Kapitel 2), welche die Bedeutung von Herrschaftsverhält-nissen für die Ausgestaltung von gesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen beto-nen.

Wie definiert Foucault Macht? Was soll unter Macht verstanden werden?

Unter Macht, scheint mir, ist zunächst zu verstehen: die Vielfältigkeit von Kräftever-hältnissen, welche ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhör-lichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kräfteverhältnisse verwandelt, ver-stärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten – oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sie gegeneinander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung ge-langen und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staats-apparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkör-pern. (Foucault 2003: 93)

Macht wird also definiert als Kräfteverhältnisse. Dabei ist Macht nicht singulär und geht nicht von einer bestimmten Gruppe aus, sondern ist plural zu verstehen – es gibt viele Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft, in der Familie, in der Schule in den Betrieben etc.

Die Macht ist nicht eine Institution, ist nicht eine Struktur, ist nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger. Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt (Foucault 2003: 94).

Macht ist dabei auch nicht etwas Definitives – sie ist vielmehr eine Möglichkeit, auf das Handeln anderer einzuwirken (Lemke 2008: 41). Eine Machtbeziehung besteht also ab dem Moment, wenn A das Handeln von B beeinflusst, unabhängig ob das im Einverständnis mit B war oder gegen seinen Willen geschieht (vgl. auch Definition von Weber (1972: 28). Insofern ist Macht bei Foucault allgegenwärtig (Lemke 2008). Diese omnipräsenten strategischen Beziehungen sind prinzipiell veränderbar. Jedoch räumt Foucault ein, dass es Herrschaftszustände gibt, in wel-chen Macht institutionalisiert wird durch ökonomische, politische oder militäri-sche Mittel – und die in starre Machtbeziehungen münden: In dem Fall sind Herr-schaftszustände ein Extrempunkt von Machtbeziehungen, in dem es einer gesell-schaftlichen Gruppe möglich war „das Feld der Machtbeziehungen zu blockieren und eine dauerhafte Asymmetrie zu etablieren“ (Lemke 2008: 42). In Demokra-tien, wie in den Untersuchungsländern Deutschland und Frankreich, sollte hinge-gen eher die Möglichkeit existent sein, bestehende Machtverhältnisse zu ändern.

Macht und Wissen sind zwei Dimensionen des Diskurses, welche in enger Beziehung zueinander stehen. Wissen kann sich nicht unter neutralen Gegeben-heiten entfalten. Bublitz (2001) beschreibt sie als gegenseitige Zwangswirkungen, denn wenn etwas als Wissenselement in Diskursen auftritt – ist es Teil eines Machtsystems spezifischer Zwänge. Machtmechanismen allerdings sind wiede-rum begründet in Wissenssystemen.

Tatsächlich ist jeder Punkt der Machtausübung zur gleichen Zeit ein Ort der Wissens-bildung. Und umgekehrt erlaubt und sichert jedes etablierte Wissen die Ausübung

Wissen bedeutet Macht und Macht bringt Wissen hervor (Lederle 2008: 127). Es gibt demnach keine Machtbeziehungen ohne dazugehöriges Wissensfeld. Die Machtwirkung von Diskursen besteht dann darin, dass sie die Ordnung der Dinge, die Wissensordnung, herstellen. Die Kräfteverhältnisse, welche diese Ord-nung hervorbringen, lassen sich insofern analysieren, als dass sich die eigentlich instabilen Macht-Wissens-Systeme verfestigen können und sich durch Wiederho-lung kristallisieren und zwar in akzeptierte Praktiken, Routinen, Selbstverständ-lichkeiten, Normen oder Regeln, kurz in Institutionen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Foucault Macht und Widerstand als zusammengehörig begreift. Widerstände entstehen aus der inneren Inkonsis-tenz der Macht. So konstituieren beide ein zirkuläres Verhältnis. Damit gibt es quasi keinen Ort außerhalb von Macht. Eine Umkehrung von Machtverhältnissen ist aber als generell möglich gedacht (vgl. Bublitz 2001). Insofern zielt die Macht stets darauf, gefährliche Kräfte des Diskurses zu kontrollieren. Diese Prozeduren der Gesellschaft zur Kontrolle des Diskurses benennt Foucault in seiner Vorle-sung zur Ordnung des Diskurses; es sind Verbote, der Ausschluss, die Tabuisie-rung, Ritualisierung von Redesituationen, die Grenzziehung zwischen Vernunft und Wahnsinn, Wahrem und Falschen (Foucault 2007).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Diskurse Wissen als Effekt hervor-bringen und konstruieren damit die gesellschaftliche Wirklichkeit. Diese Kon-struktion ist immer mit einer historisch situierten Machtkonstellation verbunden.

Die gesellschaftlichen Wissensvorräte müssen in dieser Hinsicht konzipiert wer-den als sich in ständiger Bewegung befinwer-dend und als untereinander in Konkur-renzbeziehungen stehend. Es gibt nicht nur eine Deutung der Wirklichkeit. Macht und Interessen konkreter Personengruppen entscheiden, welche konkurrierenden Deutungen Geltung erlangen und sich in Institutionen kristallisieren. In Diskur-sen produzieren somit institutionell-organisatorisch bestimmbare Akteure we-sentliche Elemente symbolischer Ordnungen einer Gesellschaft und damit ihr Verständnis der Wirklichkeit. Diese Produktion und Vermittlung von Deutungs-angeboten ist immer konfliktbehaftet (vgl. Schwap-Trapp 2001). Konflikthaf-tigkeit besteht, weil die Deutungen Vorgaben für politische und soziale Hand-lungszusammenhänge produzieren und darüber entscheiden, wie sie wahrgenom-men und bewertet werden. Sie legitimieren soziales und politisches Handeln, aber auch Institutionen, indem sie sagen, was ‚gut‘ und ‚böse‘ ist.

Aus dieser Perspektive der Konflikthaftigkeit erscheint Geschichte demge-mäß als eine permanente Konfrontation von Kräften, als Aneinanderreihung von Machtkämpfen verbunden mit Niederlagen, Siegen und Überwältigungen (vgl.

Fink-Eitel 1990). Dabei müssen die Ereignisse, welche zu Wandel führen, nicht notwendigerweise spektakulär sein.

Die großen Veränderungen kommen auf Taubenfüßen. Es sind Wendepunkte, Ver-schiebungen und Unterbrechungen, in denen unvermerkt Bedeutungen wechseln, Machtbeziehungen kippen, Kräfteverhältnisse umschlagen. (Konersmann 2007: 84)

Für die Frage des Wandels nationaler Durchlässigkeitsstrukturen wird dann an-hand der diskursanalytischen Perspektive zu untersuchen sein, inwiefern sich die Diskurse und ihre Strukturierungen im Lauf der Zeit ändern? Wie wird Durchläs-sigkeit diskursiv konstruiert? Welche konkurrierenden Deutungsangebote gibt es?

Inwiefern setzen sich bestimmte Deutungsangebote über Durchlässigkeit im Lauf der Zeit durch? Durch diese Analyse können insofern auch Aussagen über die Kräfteverhältnisse zwischen Diskursen und zugehörigen Akteursgruppen ge-macht werden.

Wenn Diskurse nun als geregelte Praktiken der Deutungsproduktion und Wirklichkeitskonstruktion verstanden werden, welche Rolle spielen dann Institu-tionen bzw. in welchem Verhältnis stehen Diskurse und InstituInstitu-tionen? Bevor diese Fragen beantwortet werden, soll zuerst der verwendete Institutionenbegriff vorgestellt werden.