• Keine Ergebnisse gefunden

Wissenssoziologische Diskursanalyse

4 Design und Methoden

4.2 Erhebungs- und Analyseverfahren

4.2.1 Wissenssoziologische Diskursanalyse

Nachfolgend soll es um das diskursanalytische Vorgehen gehen, da dessen Ergeb-nisse im Zentrum der Analyse stehen. Wie bereits dargestellt, dient die Dis-kursanalyse der Untersuchung der normativen, aber vor allem der kulturell-kog-nitiven institutionellen Entwicklung in Deutschland und Frankreich. Zudem soll sie auch zeigen, welche Rolle den Europäisierungsprozessen in den nationalen Debatten zugestanden wird. Ich lehne mich an das Vorgehen der wissenssoziolo-gischen Diskursanalyse nach Keller (2005, 2006, 2007a, b, 2008) und Truschkat (2008) an und werde nachfolgend die Schritte des Forschungsprozesses genauer darstellen: Als erstes geht es darum, offenzulegen, woher das für eine Diskursana-lyse notwendige Kontextwissen stammt. Anschließend wird die Korpusbildung, d.h. die Selektion der zu analysierenden Dokumente, und schließlich das Vorge-hen der Feinanalyse dargestellt.

Kontextwissen

Keller (2007b: 82) weist darauf hin, dass es bereits vor der Datenerhebung not-wendig ist, sich näher mit dem Gegenstandsbereich der Forschung zu befassen.

Sowohl für den deutschen als auch für den französischen Fall bedeutet dies, eine gute Kenntnis der jeweiligen Bildungssysteme, der dazugehörigen wichtigen Ak-teure und damit auch der Diskursträger zu erlangen. Für diese Arbeit erfolgte dies vor allem über Sekundärliteratur, aber auch über explorative Ex-pert_inneninterviews sowie teilnehmende Beobachtungen an Fachtagungen. Die Erarbeitung des notwendigen Kontextwissens führte auch dazu, dass der der For-schungsgegenstand von dem allgemeineren Fokus auf das Verhältnis der Berufs- zur Hochschulbildung in Deutschland und Frankreich auf den spezifischen Fokus auf Durchlässigkeitsstrukturen eingegrenzt wurde.

Diese Eingrenzung auf Durchlässigkeit erfolgte nach einem ersten For-schungsaufenthalt in Frankreich im März 2010 durch die Vertiefung des Wissens über das französische Bildungssystem und dessen Problematiken, die kaum durch eine einfache Rezeption von Bildungssystembeschreibungen in der Sekundärlite-ratur zu erfassen gewesen wären. Da die in Deutschland offensichtliche Proble-matik von Durchlässigkeit in Frankreich aufgrund des differenzierten Bildungs-systems, das diese für Deutschland typische Segmentierung in berufliche und Hochschulbildung nicht aufweist, nicht offensichtlich war, wurde mithilfe von explorativen Expert_inneninterviews und Sekundäranalysen untersucht, worin in Frankreich die Problematiken im Verhältnis von beruflicher und Hochschulbil-dung bestehen könnten. Es stellte sich heraus, dass auch in Frankreich Durchläs-sigkeitsprobleme existieren, die mit dem Verhältnis von beruflicher Bildung und höherer Allgemeinbildung verbunden sind.36 Auf diesen Weg konnte der Fokus für die Diskursanalysen begrenzt werden.

Korpusbildung

Nachdem das Thema eingegrenzt worden war, musste der zu analysierende Text-korpus für beide Fälle erstellt werden. Die Daten des Korpus wurden gemäß der grounded theory nach dem Verfahren des theoretical samplings ausgewählt (Strauss/Corbin 1996). Das heißt, nicht nur die Analyse, sondern auch die Aus-wahl der Daten erfolgte nach theoriegeleiteten und reflektierten Kriterien. Bei der Datenauswahl war damit das Konzept der theoretischen Sensitivität (Strauss/Corbin 1996) leitend. „Theoretische Sensibilität setzt sich nach STRAUSS und CORBIN aus Literaturkenntnissen, beruflichen und persönlichen Erfahrungen und aus den Erkenntnissen zusammen, die im Rahmen des laufen-den Forschungsprojekts gewonnen werlaufen-den“ (Truschkat et al. 2005: Abs. 12, Hervorhebung im Original). Die Datenauswahl wurde in zweifacher Hinsicht

theoretisch angeleitet. Erstens wurden die zu untersuchenden Akteure bzw.

relevante Organisationen identifiziert. Zweitens wurde auch die Begrenzung auf Durchlässigkeit theoretisch beeinflusst.

A

Auswahl der Akteure

Bei der Analyse unterscheide ich in Anlehnung an Schmidt (2008) zwischen zwei verschiedenen Diskursräumen: dem koordinativen und dem kommunikativen Diskursraum, die jeweils einer unterschiedlichen Logik unterliegen. Der koordi-native Diskursraum wird getragen von Akteuren, die im Zentrum der Politikfor-mulierung stehen und die beteiligt sind an der Weiterentwicklung von Program-men und Politiken. Diese Akteure umfassen politische Akteure, Beamte, Ex-pert_innen sowie die unterschiedlichen organisierten Interessengruppen in dem zu untersuchenden Politikbereich. Die Nähe des Konzepts des koordinierten Dis-kursraums zu dem des Organisationsfeldes soll an dieser Stelle unterstrichen wer-den. Die vorherrschende Logik der Diskurse hier ist die des Verhandelns, da es sich um eher geschlossene Debatten handelt außerhalb des Blickfeldes der Öf-fentlichkeit (Schmidt 2008).

Die prävalente Logik im kommunikativen Feld ist die des Argumentierens, da hier Entscheidungen vor einem größeren Publikum, der Öffentlichkeit, be-gründet werden müssen (Schmidt 2008) Beispiele von solchen Diskursräumen wären das Parlament oder auch die Medienöffentlichkeit. Hier stehen stärker die Notwendigkeit und Angemessenheit von Politiken oder Veränderungen im Blick-punkt. Akteure sind vor allem Politiker, aber auch die jeweiligen Interessengrup-pen und Journalisten (Schmidt 2008).

Im Rahmen der Arbeit werde ich die Diskursanalyse mit Fokus auf den ko-ordinativen Diskursraums durchführen. Dieser Fokus erklärt sich anhand von drei Gründen: Erstens gibt es, vor allem für Deutschland, ein generelles Ungleich-gewicht in der medialen Berichterstattung zu Hochschulbildung und beruflicher Bildung, wobei Letzterer traditionell weniger Beachtung geschenkt wird. Um über Entwicklungen im deutschen und französischen Bildungssystem informiert zu sein, wurden zudem regelmäßig die deutsche und französische Presse ab 2009 verfolgt und auch rückwirkend über Lexis Nexis37 durchgeschaut.38 Zweitens zeigte sich neben dem Ungleichgewicht in der Berichterstattung über Hochschul- und Berufsbildung, dass in beiden Ländern auch über den Bologna-Prozess viel 37 Lexis Nexis ist ein Portal, das den Zugriff auf verschiedenste Datenbanken, u.a. auch Datenbanken internationaler Presse erlaubt. Es bietet die Möglichkeit, in den Volltexten von z.B. Zeitungen nach Stichworten zu suchen.

38 Im Rahmen der Datenbank Lexis Nexis wurde in Deutschland die taz und in Frankreich die Zeitung Le Monde nach Stichworten, die im Zusammenhang mit den europäischen Prozessen stehen könnten (z.B. Europa, Bologna, ECTS, Kopenhagen, ECVET, Qualifikationsrahmen), sowie nach allgemeineren Stichworten wie Hochschulbildung und Berufsbildung durchsucht. So war es möglich, einen Einblick über die Relevanz der Prozesse in den Medien zu erhalten. Es wurden stärker links-orientierte Zeitungen ausgesucht, da diese traditionell viel über Bildungsproblematiken berichten.

stärker berichtet wurde als über den Kopenhagen-Prozess. Aus dem deutschen Fall war aber bekannt, dass der Kopenhagen-Prozess relevant war und vor allem Diskussionen um den Qualifikationsrahmen in Expert_innenkreisen stattfanden, so dass deutlich wurde, dass diese Entwicklungen über eine Medienanalyse nicht abgebildet werden würden. Da der Kopenhagen-Prozess zu Beginn des For-schungsprozesses drittens auch nocht nicht sehr lange bestand, ist anzunehmen, dass Beschlüsse oder Prozesse der Umsetzung kaum in Gang gesetzt worden wa-ren, die medial hätten wirksam sein können.

Nach der Entscheidung für die Untersuchung des koordinativen Diskurses musste eine Auswahl der zu untersuchenden Akteure erfolgen. Diese erfolgte an-hand der Kenntnis der Governance der Organisationsfelder der Hochschul- und Berufsbildung in Frankreich und Deutschland (vgl. Kapitel 6 und 8). Die ausge-suchten Akteure sind jeweils kursiv geschrieben.

In Deutschland ist Hochschulbildung größtenteils Ländersache, wobei es auch ein Hochschulrahmengesetz gab, welches auf Bundesebene beschlossen und verändert wurde, das bis zum Beschluss 2007 in der Föderalismuskommission eine größere Reichweite hatte. Zudem wird das Hochschulsystem z.B. durch die Exzellenzinitiative von Bundesebene weiterhin mit beeinflusst (Leibfried 2010;

Simon 2010), so dass neben den Länderregierungen auch das Bildungs- und For-schungsministerium (BMBF) als Akteur im Hochschulwesen eine Rolle spielt. Für die Länder wird stellvertretend die Kultusministerkonferenz (KMK) als Akteur auf-genommen, da im Rahmen dieser Arbeit eine Analyse der Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern mit den bestehenden Forschungsressourcen nicht mög-lich gewesen wäre. Zudem sind die Kultusminister bedeutend für die Regelungen der allgemeinbildenden Schulen und für Fragen der Zulassung zum Studium.

Wichtig sind außerdem die Hochschulen, wobei die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als ihre Vertreterorganisation untersucht wurde. Weitere Akteure im Be-reich Hochschulbildung in Deutschland sind Studierende, Professor_innen und Gewerkschaften.

Berufsbildung in Deutschland wird sowohl auf Bundesebene (Berufspraxis) als auch auf Landesebene (Berufsschulen und schulische Berufsausbildungen) ge-regelt. Insofern wurden sowohl das Bildungsministerium39 als auch die Kultusminister-konferenz als Akteure betrachtet. Zudem ist das deutsche Berufsbildungssystem durch seine korporatistische Organisation gekennzeichnet. Wichtige Akteure sind die Arbeitgeber und Kammern sowie die Gewerkschaften. Da es eine größere Menge an Gewerkschaften und Arbeitgeberverbändern wie auch Handwerks-, In-dustrie- und Handelskammern gibt, musste sich forschungspragmatisch auf eine kleine Auswahl beschränkt werden. Auf Gewerkschaftsseite wird der Deutsche Ge-werkschaftsbund (DGB) näher beleuchtet, da er viele Gewerkschaften mit ihren

39 Neben dem Bildungsministerium sind auch noch andere Ministerien an der Regulation beteiligt (z.B. Wirtschaftsministerium, Landwirtschaftsministerium), aber nur Ersteres wurde in die

Überzeugungen vertritt. Außerdem wurde der Deutscher Industrie- und Handelskam-mertag (DIHK) als zu untersuchender Akteur ausgewählt,40 da er als Dachorgani-sation der Industrie- und Handelskammern die Interessen der gewerblichen deut-schen Wirtschaft und somit nicht nur einen Industriezweig vertritt. Zudem finden unter der Aufsicht der Kammern die Prüfungen der beruflichen Aus- und Wei-terbildung statt.

In Frankreich wird sowohl die Hochschul- als auch die Berufsbildung stark von zentralstaatlicher Ebene gesteuert. Wichtige Ministerien sind das Bildungs- und das Forschungsministerium, wobei das erste eher für die die Bildung bis Ende der Sekundarstufe II verantwortlich ist und das zweite stärker für die Hochschulbil-dung. Im Laufe des Untersuchungszeitraums gab es unterschiedliche Benennun-gen und KompetenzzuordnunBenennun-gen der Ministerien. Es wurde aber versucht, je-weils die wichtigen für die sekundäre Allgemein- und Berufs- und für die Hoch-schulbildung in die Analyse mitaufzunehmen. Ähnlich wie in Deutschland sind gerade bei der Berufsbildung oft mehrere Ministerien verantwortlich. Hier wurde sich auf das Bildungsministerium beschränkt. In Frankreich wurden zusätzlich zu den Vertretern der Ministerien auch fünf ausgewählte Reden des Präsidenten und des Premierministers (aber allein für den ersten Zeitraum) mit aufgenommen.

Dies war notwendig, da es allgemein schwierig war, für den ersten Zeitraum ent-sprechende Dokumente zu erhalten. Begründet werden kann das damit, dass so-wohl der Premierminister als auch der Staatspräsident als Vertreter der nationalen Regierungspolitik im semipräsidentiellen französischen politischen System gelten können. Für den zweiten Zeitraum in Frankreich und generell in Deutschland wurde aber auf eine Ausweitung der Regierungsakteure verzichtet, um das zu un-tersuchende Material zu begrenzen.

Ähnlich wie in Deutschland sind im Hochschulbereich zunehmend auch die Hochschulen selbst wichtige Akteure, da diesen im Laufe der Zeit mehr Autono-mie zuerkannt wurde. Als Hauptakteur wurde das französische Pendant der Hochschulrektorenkonferenzen, die Conférence des présidents d’université (CPU)41 in die Analyse einbezogen sowie die Association des Directeurs d’IUT (ADIUT)42 als Vertreter der berufsorientierten technischen Hochschulen. Auch wenn Frank-reich sowohl in der Hochschulbildung als auch in der sekundären Berufsbildung

40 Auch der Zentralverband des Handwerks (ZdH) und die Handwerkskammern sind sehr wichtige Organisationen in der deutschen Berufsbildung, aber nur eine Auswahl an Akteuren kann untersucht werden.

41 Die CPU vertritt dabei vor allem Universitäten, aber auch die an den Universitäten angegliederten Technischen Hochschulen (IUT) sowie ausgewählte grandes ecoles. Der Fokus der Vertretung liegt aber auf den Universitäten.

42 ADIUT habe ich mit aufgenommen (wenn auch nur für den zweiten Zeitraum), da diese speziell eine Vertretung der technologischen Hochschulen ist, die durch ihre langjährige finanzielle Sonderstellung im Vergleich zu den Universitäten und der Selektivität bei der Studierendenaufnahme andere Positionen im Diskurs einnehmen könnten als die, die in der CPU vertreten werden.

vor allem als staatszentriert klassifiziert wird, darf der Einfluss der Gewerkschaf-ten und Unternehmen nicht unterschätzt werden. So haben GewerkschafGewerkschaf-ten durch Generalstreiks schon auf einige Reformen Einfluss genommen. Zudem sind die Sozialpartner besonders in der Berufsbildung bei der Gestaltung der Dip-lome institutionalisierte Partner. Dies gilt auch für berufliche Abschlüsse im Hochschulbereich (vgl. Kapitel 8). Da die französische Gewerkschaftslandschaft aber stark zersplittert ist, war es nicht einfach, sich auf einen Akteur zu beschrän-ken. Aus diesem Grund wurde einerseits ein Gewerkschaftsbund ausgewählt, die Confédération générale du travail (CGT), die eine Ansammlung verschiedener links-orientierter Gewerkschaften vertritt und den zweitgrößten Gewerkschaftsbund in Frankreich darstellt. Zum anderen wurde explizit die größte Gewerkschaftsunion für den Erziehungsbereich ausgewählt, die Fédération Syndicale Unitaire (FSU), um einen noch stärkeren Fokus auf die Entwicklungen im Bildungssystem von Ge-werkschaftsseite aufzunehmen.43 Für die Unternehmensseite wurde der Arbeitge-berverband Mouvement des entreprises de France MEDEF (vorher CNPF) als Akteur ausgesucht. MEDEF gilt als die größte Unternehmensunion in Frankreich.

MEDEF ist ein Dachverband von rund 840 lokalen und regionalen Branchenver-einigungen und vertritt mehr als 700.000 Unternehmen (Martin 2005). Zudem gehört der MEDEF zu den wenigen staatlich anerkannten Tarifpartnern auf Ar-beitgeberseite. Die regionale Ebene wurde für den französischen Fall nicht ein-bezogen, da die Entscheidungsbefugnis auf dieser Ebene noch wesentlich durch die Bundesebene begrenzt wird, auch wenn die regionalen Regierungen gerade in der Berufsbildung kontinuierlich durch Prozesse der Regionalisierung (Powell et al. 2012c) an Einfluss gewonnen haben.

Anzumerken bleibt, dass die Auswahl der Akteure immer auch aus einer for-schungspragmatischen Logik erfolgte. Die Begrenzung auf den koordinativen Diskursraum sowie die Selektion von Akteuren innerhalb dieses Diskursraums bedeutet zudem auch, dass in dieser Arbeit nur Aussagen über ein begrenztes Diskursspektrum gemacht werden können und nicht der gesamtgesellschaftliche Diskurs zu Durchlässigkeit analysiert wird. Dennoch wird mit diesem begrenzten Fokus auf die wichtigsten Organisationen, die die Steuerung der Bildungssysteme in Deutschland und Frankreich mit bestimmen, ein wichtiger Diskursauschnitt untersucht, da es diese Akteure sind, die einen großen Einfluss auf die Gestaltung des Bildungssystems haben.

43 Beide Gewerkschaften können als politisch stärker linksorientiert eingeordnet werden. Die Auswahl wurde aus einer Logik der maximalen Kontrastierung getroffen, um ein breites

E

Erstellung des Samples Bestimmung der Daten- und Textsorten

Zur Analyse des koordinativen Diskurses bieten sich verschiedene Formate an.

So können das Beschlüsse, Reden, Pressemitteilungen, offizielle Statements, In-terviews in Organisationszeitschriften sein. Da nicht alle Organisationen die glei-che Art von Datenformaten verwenden, um ihre Organisationsmeinung zu pub-lizieren, wird sich nicht auf ein Format beschränkt und gleichzeitig die Breite des Diskurses besser erfasst. Dieses Vorgehen muss mit der Schwierigkeit umgehen, dass die verschiedenen Textsorten nicht immer gleich aufgebaut sind. So sind z.B.

Pressemitteilungen meist wesentlich verdichteter, während in Stellungnahmen meist die Argumentationslinie besser nachzuvollziehen ist.44 Wichtig bei den Textsorten ist, dass sie eine Stellungnahme, eine Position der Organisation wider-spiegeln und nicht ausschließlich empirische Daten ohne weitere Bewertung auf-zählen. Wissend, dass auch diese Form der Daten zur Untermauerung von Posi-tionen genutzt werden und eine Form der Konstruktion von Wirklichkeit darstel-len, stehen in dieser Arbeit trotzdem Positionsäußerungen im Vordergrund, da anzunehmen ist, dass hier die den Argumentationen unterliegenden Strukturen und Vorstellungen eher rekonstruiert werden können. Auch ist in Stellungnah-men die Abgrenzung zu anderen Positionen eher zu erwarten.

Strategie der Dokumentengewinnung

Aus dem Forschungsdesign ergibt sich, dass Akteursdokumente für beide Unter-suchungszeiträume benötigt werden: für Frankreich 1985-1998 und für Deutsch-land 1990-1998 für den ersten Zeitraum und jeweils 1998 bis 201245 für den zwei-ten Zeitraum. Doch wie genau erfolgte die weitere Beschränkung des Korpus?

Auf der Suche nach den Positionspapieren wurden in einem ersten Schritt die Homepages der Organisationen nach relevanten Stellungnahmen untersucht.

An dieser Stelle ergab sich das Problem, dass auf den jeweiligen Organisations-homepages nur Positionen der letzten Jahre, aber selten der letzten zwei Jahr-zehnte zu finden sind. Aus diesem Grund wurde eine mehrdimensionale Strategie der Materialgewinnung verfolgt. Neben den Homepages der Organisationen, die gezielt nach Reden, Pressemitteilungen und anderen Stellungnahmen durchsucht wurden, wurden nationale Archive aufgesucht (das HRK-Archiv46, das Archiv der CPU47, das Archiv des französischen Bildungs- und Forschungsministerium in

44 Für die Feinanalyse aber werde ich mich nicht auf Interviews stützen, weil sie erstens teilweise auch dem kommunikativen Diskurs angehören und zweitens anders aufgebaut sind und natürlich auch von den Fragen des Journalisten abhängen.

45 Während auch wichtige Entwicklungen, die 2013 stattfanden, noch in die regulative Analyse einflossen, erfolgte die Diskursanalyse nur bis Ende 2012.

46 Archiv/Bibliothek der Hochschulrektorenkonferenz, Ahrstraße 39, Bonn.

47 Archiv der CPU im „La Maison des Universités“, 103 Bvd St Michel, Paris.

Paris48 sowie die Bibliothek der Documentation Francaise49). Des Weiteren wur-den einige Organisationen direkt angeschrieben, um entweder eine Material-sammlung zu erhalten (BMBF, CGT, MEDEF) oder bestimmte Dokumente, auf die im Verlauf der Untersuchung hingewiesen wurde (KMK, DGB, CPU). Auch wurden Konferenz- bzw. Tagungsdokumentationen, in denen z.B. Reden oder auch wichtige Positionspapiere gesammelt waren, sowie archivierte Organisati-onszeitschriften (DGB, FSU) verwendet. Für den französischen Fall war zudem eine Onlinedatenbank50 besonders hilfreich, in der Reden und Stellungnahmen, vor allem der französischen Akteure wie Politiker_innen, von Gewerkschaften und auch Unternehmen, digital archiviert aufzufinden sind.

Die Datensuche kann als ein kontinuierlicher Prozess beschrieben werden, da die Datenerhebung nicht vollständig abgeschlossen war, bevor die Analyse be-gann. Zum Teil gaben auch bereits bestehende Dokumente Hinweise auf andere wichtige zu untersuchende Positionspapiere, die dann gezielt gesucht wurden.

Auswahl der Daten für die Feinanalyse

Da in der Datenauswertung eine qualitative Strategie verfolgt werden soll, muss der verfügbare Datenbestand nach systematisch reflektierten Kriterien reduziert werden, so dass eine Analyse unter der Bedingung der vorhandenen Ressourcen machbar ist. Ausgehend von der Vielzahl von Stellungnahmen, die man recher-chieren kann, erfolgte die Datenauswahl für die Feinanalyse in mehreren Schrit-ten. Erstens wurden nur die Dokumente ausgewählt, die das Thema Durchlässig-keit zwischen Berufs- und Hochschulbildung thematisieren. Im Prozess der Aus-wahl bekam man auch einen generellen Überblick über die bildungspolitischen Diskurse, die die Berufs- und die Hochschulbildung in den beiden Ländern be-treffen. Dieses Kontextwissen ist insofern wichtig, als es einen Eindruck vermit-telt, welche Rolle Durchlässigkeit im Vergleich zu anderen Themen spielt.

Die Schwierigkeit der Selektion von durchlässigkeitsrelevanten Dokumenten bestand darin, dass mit der Diskursanalyse auch darauf abgezielt wird, die Vor-stellungen von Durchlässigkeit erst zu rekonstruieren. Erschwerend kam hinzu, dass insbesondere in Frankreich Durchlässigkeit (perméabilité) als Begriff nicht ver-wendet wird, so dass eine Suche, die allein den Begriff Durchlässigkeit als An-haltspunkt nimmt, nicht erfolgversprechend sein konnte. Keller (2007b: 68) be-schreibt das Problem der Datensammlung folgendermaßen:

Wenn Gegenstände durch Diskurse erst in ihrer spezifischen, erkennbaren Gestalt geschaffen werden, kann nicht einfach vom Gegenstand ausgehend ein Diskurs er-schlossen werden.

48 Archives du ministère de l’Education nationale et de l’enseignement supérieur, 97 rue de Grenelle, Paris.

49 Librairie der Documentation Française, 29 quai Voltaire, Paris.

Insofern war Durchlässigkeit allein als Gegenstand nicht ausreichend. Um aber trotzdem eine Auswahl treffen zu können, half das heuristische Konzept Durch-lässigkeit, welches in Kapitel 2 erarbeitet wurde. Relevant waren Thematisierun-gen von Zugangsmöglichkeiten zwischen den Bildungsbereichen, von Anrech-nungsmöglichkeiten, von bestimmten Formen organisationaler Verbindungen, z.B. duales oder alternierendes Lernen bzw. institutionalisierte Übergänge, sowie von der Frage nach Strukturen, die ein erfolgreiches Lernen im jeweils anderen Bildungsbereich ermöglichen bzw. erst darüber informieren und dafür interessie-ren. Kurzum, alle möglichen thematisierten Verbindungen bzw. verbindungsför-dernden Strukturen zwischen Berufs-51 und Hochschulbildung wurden als rele-vant erachtet und in einem ersten Schritt ausgewählt. Dabei musste nicht das ge-samte Dokument diese Themen behandeln. Es reichte auch, wenn dies nur in Abschnitten der Fall war. Um der Gefahr der zu starken Einengung auf vorgefer-tigte Kategorien zu verringern, wurden die Dokumente explizit nicht nur nach diesen Kategorien ‚abgesucht‘, sondern reflexiv und offen nach weiteren in der Empirie wichtigen Merkmalen gelesen. Zudem ist anzumerken, dass die verwen-dete Arbeitsdefinition quasi eine bereits interpretierte Konzeption von Durchläs-sigkeit ist, die dem wissenschaftlichen Diskurs entspringt (Kapitel 2). Insofern stammt die Arbeitsdefinition quasi aus der Empirie. Zudem kann der

Insofern war Durchlässigkeit allein als Gegenstand nicht ausreichend. Um aber trotzdem eine Auswahl treffen zu können, half das heuristische Konzept Durch-lässigkeit, welches in Kapitel 2 erarbeitet wurde. Relevant waren Thematisierun-gen von Zugangsmöglichkeiten zwischen den Bildungsbereichen, von Anrech-nungsmöglichkeiten, von bestimmten Formen organisationaler Verbindungen, z.B. duales oder alternierendes Lernen bzw. institutionalisierte Übergänge, sowie von der Frage nach Strukturen, die ein erfolgreiches Lernen im jeweils anderen Bildungsbereich ermöglichen bzw. erst darüber informieren und dafür interessie-ren. Kurzum, alle möglichen thematisierten Verbindungen bzw. verbindungsför-dernden Strukturen zwischen Berufs-51 und Hochschulbildung wurden als rele-vant erachtet und in einem ersten Schritt ausgewählt. Dabei musste nicht das ge-samte Dokument diese Themen behandeln. Es reichte auch, wenn dies nur in Abschnitten der Fall war. Um der Gefahr der zu starken Einengung auf vorgefer-tigte Kategorien zu verringern, wurden die Dokumente explizit nicht nur nach diesen Kategorien ‚abgesucht‘, sondern reflexiv und offen nach weiteren in der Empirie wichtigen Merkmalen gelesen. Zudem ist anzumerken, dass die verwen-dete Arbeitsdefinition quasi eine bereits interpretierte Konzeption von Durchläs-sigkeit ist, die dem wissenschaftlichen Diskurs entspringt (Kapitel 2). Insofern stammt die Arbeitsdefinition quasi aus der Empirie. Zudem kann der