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Bildungsstrukturen als funktionales Erfordernis oder Legitimation

2 Durchlässigkeit – Eine konzeptionelle und theoretische

2.3 Bildungsstrukturen als funktionales Erfordernis oder Legitimation

Wie bereits deutlich wurde, sind Analysen über die Strukturen des Bildungssys-tems, d.h. die Untersuchung der strukturellen Durchlässigkeit, für die Frage von sozialer Ungleichheit, relevant. Soziale Ungleichheit kann dabei aus unterschied-lichsten Perspektiven analysiert werden (Solga et al. 2009). Auch die Bedeutung von Bildung und deren Strukturen kann verschieden bewertet werden. Meyer (1977) unterscheidet einmal die Perspektive, in welcher das Bildungssystem eine Sozialisationsfunktion der Individuen übernimmt und eine weitere Sichtweise, in der das Bildungssystem stärker eine Allokations- und Legitimationsfunktion ein-nimmt16. Die erste Perspektive entspricht einer eher strukturfunktionalistischen Sicht auf Bildung während die zweite eine konflikttheoretische und institutionelle Perspektive verbindet. Im Folgenden sollen diese beiden Perspektiven mit Bezug auf Durchlässigkeitsstrukturen von Bildungssystemen und deren Wandel darge-stellt werden.

16 Meyer (1977) kritisiert die Sicht der klassischen Vertreter der Allokationstheorie, da sie die Bedeutung von Bildung als Institution in der Gesellschaft meist auf individuelle Konsequenzen verkürzen und den Einfluss auf die gesellschaftlichen Strukturen als Ganzes aus dem Auge verlieren. In dieser Arbeit sollen beide Ansätze verbunden werden. So soll die stärker konflikttheoretische Perspektive im Fokus stehen, ohne die institutionellen Wirkungen von Bildung aus dem Blick zu verlieren.

22.3.1 Selektions- und Sozialisationsfunktion von Bildung – Eine strukturfunktionalistische Perspektive

Eine dominante Sichtweise schreibt dem Bildungssystem die Aufgabe der Sozia-lisation der Individuen der Gesellschaft zu (siehe Meyer 1977: 57), d.h., es wird angenommen, dass durch den Besuch von Bildungsorganisationen die Individuen ihr Wissen, ihre Kompetenzen ausbauen sowie verstärkt moderne Werte und Ori-entierungen sozialisiert werden. Die im Bildungssystem erworbenen Kompeten-zen sind daraufhin die Grundlage, auf deren Basis die Positionen in der Gesell-schaft vergeben werden. Aufbauend auf dem im Bildungssystem erworbenen Hu-mankapital werden die Personen somit ihren Funktionen in der Gesellschaft zu-geführt.

Es handelt sich hierbei vor allem um eine funktionalistische Perspektive, in welcher soziale Ungleichheiten als notwendige Voraussetzung des Funktionierens moderner Gesellschaften betrachtet werden und dass, nur wenn auch Ungleich-heit besteht, sich Gesellschaften fortschrittlich entwickeln (Davis/Moore 1945).

Jede Gesellschaft hat die Aufgabe, ihre fähigsten Mitglieder auf die gesellschaft-lich wichtigen Positionen zu verteilen. Um dies zu gewährleisten, bedarf es einer Anreizstruktur in Form von unterschiedlichen Belohnungen für die differenten notwendigen gesellschaftlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten, damit die Individuen bereit sind, in zusätzliche Qualifikationen für den Erwerb von sozialen Positionen zu investieren. Dem Bildungssystem kommt dann die Aufgabe zu, die Individuen entsprechend ihrer Begabung und Fähigkeiten erst zu sozialisieren und dann zu selektieren (vgl. Fend 1980, 2006; Parsons 1959). Die Sozialisations- und damit zusammenhängende Selektionsfunktion des Bildungssystems spielt so-mit aus funktionalistischer Perspektive eine signifikante Rolle. Dabei sollen in modernen Gesellschaften askriptive Merkmale wie soziale Herkunft nicht mehr die Selektion bestimmen. Denn der gesellschaftliche Wandel erfordert, dass nicht mehr nur die höheren Schichten einer Gesellschaft Bildung erhalten können, son-dern alle gesellschaftlichen Gruppen entsprechend ihrem Talent, der Begabung oder Fähigkeiten (Bell 1994). Der Allokationsmodus in modernen Gesellschaften ist stattdessen die meritokratische Selektion (Solga 2005a; Waldow 2014a, b).

Meritokratie ist eine Herrschaftsordnung, in der die Begabung und Leistungs-fähigkeiten der Individuen über die gesellschaftlichen Positionen, die sie errei-chen, bestimmen. Leistung setzt sich in dieser Perspektive zusammen aus der in-dividuellen Begabung17, ihrem Talent und der Anstrengung, die aufgewendet

17 Die Annahme, dass es natürliche Begabungsunterschiede gibt, ist zentral für die ‚meritokratische Leitfigur‘ nach (Solga 2005a). Solga weist aber daraufhin, dass Begabung selbst ein soziales Konstrukt ist, die im Rahmen der meritokratische Leitfigur ausgeblendet wird. Schon allein durch die unterschiedlichen Auffassungen, die es zum Konzept Begabung in unterschiedlichen Gesellschaften gibt, wird die soziale Konstruktion deutlich. So unterscheidet Lenhardt (2002) zwischen einem demokratischen Glauben an universelle Bildungsfähigkeit, der in den USA

wird, um etwas zu erreichen (vgl. Ruß 2012). Becker und Hadjar (2009: 40f.) fas-sen die von Goldthorpe (1996) entwickelten Prämisfas-sen der bildungsbasierten Me-ritokratie folgendermaßen zusammen. Die erste Prämisse ist, dass „Verantwor-tungspositionen einzig nach demonstrierter Kompetenz im Sinne von Fähigkei-ten zu besetzen sind“. Die zweite Prämisse ist, dass die „Chancen auf Bildungs-erwerb einzig von natürlichen Begabungen abhängen“. Insofern werden allein be-gabte Lernende für die höheren Bildungsgänge selektiert. Die dritte Prämisse un-terstreicht die Bedeutung des „Leistungskriterium[s] als Basis jeglicher Selektio-nen in moderSelektio-nen Gesellschaften“. Leistung dient dann der Rechtfertigung für so-ziale Ungleichheiten.

Doch wie kann man nun Durchlässigkeit aus funktionalistischer Perspektive betrachten, und inwiefern ist Durchlässigkeit ebenfalls ein Problem, welches be-handelt werden sollte? Fehlende Durchlässigkeit aus funktionalistischer Sicht ist in modernen Gesellschaften erst dann problematisch, wenn erstens die Selektion im Bildungssystem nicht meritokratisch erfolgt und Korrekturen im Bildungsver-lauf notwendig erscheinen. Zweitens wird Durchlässigkeit wichtig, wenn die Trennung von Bildungsbereichen nicht mehr den Funktionserfordernissen der Gesellschaft entspricht. Spezifisch auf die Trennung von beruflicher Bildung und Hochschulbildung bezogen stellt sich die Frage, ob sich die Trennung mit dem Wandel der industriellen Gesellschaft, in welcher sich die berufliche Bildung ent-wickelt hat (vgl. Thelen 2004) hin zu einer postindustriellen oder Wissensgesell-schaft (vgl. Bell 1975), weiterhin als funktional erweist. Bilden berufliche und Hochschulbildung weiterhin die in der Gesellschaft benötigten Fähigkeiten aus, trotz des Wandels, der mit einem Anstieg an wissensintensiven Berufen einher-geht, die klassischerweise durch die Hochschulbildung beliefert werden? Wird diese Frage negativ beantwortet, wäre auch hier anhand funktioneller Erforder-nisse eine größere Durchlässigkeit eine Möglichkeit auf diese ErforderErforder-nisse zu reagieren. So unterstreicht auch Parsons (1959) die Bedeutung von Bildung für moderne Gesellschaften und die Bildungsexpansion als Voraussetzung für die ge-sellschaftliche Modernisierung. Durchlässigkeitsstrukturen sind vor diesem Hin-tergrund aber nicht für alle Lernenden eines Bildungssystems notwendig, sondern nur für diejenigen, die aufgrund ihrer Leistung im Bildungssystem auch für wei-tere höhere Bildungsgänge selektiert werden können.

Bildungssystem sei. Während letzterer davon ausgeht, dass es verschiedene natürliche Begabungen, die sich im Verlauf nicht verändern, gibt, die dann auch unterschiedlich behandelt werden sollten, weshalb unterschiedliche Bildungsgänge entwickelt werden, geht man in der ersten Variante davon aus, dass jedes Individuum per se bildungsfähig ist und dass Leistungsversagen durch erneute Anstrengung beantwortet werden solle.

22.3.2 Allokations- und Legitimationsfunktion von Bildung – Eine institutionelle und konflikttheoretische Perspektive

Der funktionalistische Ansatz, in welchem angenommen wird, dass das Besuchen von Bildungsorganisationen tatsächlich zu einem Kompetenz- und Produktivi-tätszuwachs führt – auf Basis derer die gesellschaftlichen Positionen meritokra-tisch verteilt werden –, wird aus konflikt- und institutionentheoremeritokra-tischer Sicht in-frage gestellt. Während die Erfordernisse der Gesellschaft aus funktionalistischer Perspektive im Vordergrund stehen, werden hier die bestehenden Herrschafts-verhältnisse und deren Legitimation in den Fokus der Erklärung gerückt. Der Aufbau von Bildungssystemen, deren Stratifikation sowie die darin bestehenden unterschiedlichen individuellen Möglichkeiten zur Höherqualifizierung werden dann als Ausdruck institutionalisierter Schließungsprozesse gefasst.

So wird im Rahmen der Allokationstheorie angenommen, dass die Aufgabe von Bildungsinstitutionen weniger die Sozialisation als vielmehr die legitimierte Verteilung von Individuen auf Positionen qua Bildungsabschluss ist. Auf Grund-lage der Dauer und Art der Bildung, die abgeschlossen wurde (Meyer 1977: 59), werden Individuen klassifiziert und zu gesellschaftlichen Positionen zugeordnet, unabhängig, ob und wie sich deren Humankapital tatsächlich vergrößert hat. Das Vertrauen auf die Bildungszertifikate reicht aus, um den Zugang zu wichtigen ge-sellschaftlichen Positionen zu kontrollieren. Dies ist die Kernannahme über das Funktionieren kredentialistischer Gesellschaften. Aus dieser Perspektive können nach Collins (1979) Bildungszertifikate als zentrales Kriterium für soziale Schlie-ßungsprozesse angesehen werden. So schrieb bereits Weber (1922 [1980]: 577):

Wenn wir auf allen Gebieten das Verlangen nach der Einführung von geregelten Bil-dungsgängen und Fachprüfungen laut werden hören, so ist selbstverständlich nicht ein plötzlich erwachender ‚Bildungsdrang‘, sondern das Streben nach Beschränkung des Angebots für die Stellungen und deren Monopolisierung zugunsten der Besitzer von Bildungspatenten der Grund.

Kredentialismus ist somit ein Weg der Reproduktion sozialer Ungleichheiten, in dem Ressourcen und Lebenschancen über das Erreichen von Bildungszertifika-ten kontrolliert wird. Das Erreichen der Bildungszertifikate wird jedoch durch die ungleiche Ressourcenausstattung der Lernenden der unterschiedlichen sozialen Schichten über im Lernkontext institutionell verankerte Selektionsmechanismen beeinflusst (vgl. Bourdieu/Passeron 1971), so dass Kinder aus höheren sozialen Schichten wesentlich wahrscheinlicher einen höheren Abschluss erreichen. Die soziale Ungleichheit wird so in Form von Bildungszertifikaten manifestiert und verschleiert (vgl. Bourdieu 2009), denn wenn angenommen wird, dass Bildungs-zertifikate leistungsbasiert vergeben werden, sind die erzielten Zertifikate auch die Ergebnisse individueller Begabung und Anstrengungen. Herkunftsbedingte Un-terschiede werden auf diese Weise in ‚erworbene‘ Merkmale umgewandelt (siehe Solga 2005b).

Aus konflikttheoretischer Perspektive sind Bildungsinstitutionen demnach nicht nur an der Reproduktion von sozialer Ungleichheit beteiligt, sie legitimieren auch Ungleichheit und tragen so zu ihrer Persistenz bei. So sieht Solga (2005a) in der meritokratischen Leitfigur moderner Gesellschaften eine Ideologie, die der Rechtfertigung von Ungleichheiten dient, da sie Bildung als Chance präsentiert und damit Zugang zu privilegierten Positionen über Bildungszertifikate legiti-miert. Auch Baker (2011: 27) betont, „The belief that formal education is the proper context for the playing out of merit is widely held in postindustrial so-ciety.“ Und gerade dieser Glaube „could be education’s deepest sociological im-pact as an institution over the course of the education revolution.“

Es geht demnach nicht nur um die Konsequenzen von Bildung für die ein-zelnen Individuen, sondern um den Einfluss von Bildung als Institution. Denn Bildung kann das Leben der Menschen, auch unabhängig ihrer individuellen Bil-dungswege beeinflussen, da durch Bildung die Perzeption der Realität der Men-schen mitbestimmt und legitimiert wird. Durch Bildung werden Wissenskatego-rien aber auch PersonenkategoWissenskatego-rien geschaffen. Auch wird im Bildungssystem ein bestimmtes Wissen als ‚richtig‘ und geltend vermittelt. Bildung besteht demnach aus einem Regelnetzwerk „creating public classifications of persons and knowledge. It defines which individuals belong to these categories and possess the appropriate knowledge. And it defines which persons have access to valued positions in society“ (Meyer, 1977: 55). Diese institutionalisierten Regeln stellen einen mächtigen Mythos moderner Gesellschaften dar, die dabei helfen, die Welt zu interpretieren und bestehende Organisationsstrukturen zu legitimieren (Meyer/Rowan 1992). Wenn Bildung nun als Mythos moderner Gesellschaften angesehen werden kann, dann beruht nach Meyer (1977) deren Geltungskraft auf dem Folgenden:

The effects of myths inhere, not in the fact that individuals believe them, but in the fact that they „know“ everyone else does, and thus that „for all practical purposes“

the myths are true. (Meyer 1977: 75)

Was bedeutet dieser eher generelle Blick auf die institutionellen und herrschafts-relevanten Konsequenzen von Bildung für das Problem von Durchlässigkeit?

Zum einen soll deutlich gemacht werden, dass Durchlässigkeit eng verbunden mit der Problematik sozialer Schließung ist. Wenn also Positionen in der Gesellschaft vermehrt über das Bildungssystem vermittelt und legitimiert werden, ist der Zu-gang zu Bildung eine Ressource, die es zu monopolisieren gilt. Die Stratifizierung von Bildungssystemen, in denen die Absolvent_innen aus bestimmten Bildungs-bereichen eher in statusniedrige Positionen gelangen und aus anderen Bereichen den Erwerb von statushöheren Positionen ermöglichen, ist ein Weg, Bildung als Ressource zu monopolisieren. In der Literatur zu tracking zwischen beruflichen und akademischen Programmen wird dieser Prozess der sozialen Schließung deutlich. So dienen getrennte Bildungswege zu einer Ablenkung von Kindern aus einem Haushalt mit niedrigem sozialem Status weg vom Hochschulsystem in

ei-nen vermeintlich sicheren Berufsbildungsweg, der aber perspektivisch nur be-grenzte Aufstiegsmöglichkeiten bietet (Shavit/Müller 2000a). Tracking ist dann ein Mechanismus zur intergenerationalen Reproduktion sozialer Ungleichheit. Insbe-sondere in Ländern wie Deutschland, in denen die Schüler_innen früh durch ein mehrgliedriges Schulsystem in bestimmte Bildungswege sortiert werden, ist die Frage des tracking zwischen Berufs- und Hochschulbildung besonders wichtig (vgl. Allmendinger 1989; Shavit/Müller 2000a). Aber auch in Ländern, welche weniger stark getrennte Bildungsbereiche aufweisen sind Mechanismen der Ab-lenkung festzustellen. So zeigen Brint und Karabel (1989, 1991) dieses eindrück-lich für die Rolle der Community Colleges in den USA.

Durchlässige Bildungsstrukturen können dann aber ein Weg sein, dass, auch wenn ein bestimmter Bildungsweg eingeschlagen wurde, dieser wieder verlassen werden kann, da es von jedem Punkt im Bildungssystem Anschlussmöglichkeiten zur Weiterbildung auch in andere Bildungsbereiche gibt. Aus der stärker konflikt-theoretischen Perspektive gilt es demnach zu untersuchen, inwiefern durchlässige Strukturen zu einer geringeren Schließung im Bildungssystem führen? Wie müs-sen Strukturen gebaut werden, um dieses Ziel zu erreichen. Und inwiefern ist es zu beobachten, dass einerseits Strukturen durchlässiger gemacht werden, um an anderer Stelle neue Schließungsmechanismen einzubauen?

So kann z.B. in Sachen Durchlässigkeit des Bildungssystems wichtig sein, in-wiefern es rein kredentialistisch funktioniert und ob, wenn das der Fall ist, ledig-lich bestimmte Zertifikate aus einem Bildungsbereich Zugang ermögledig-lichen oder auch Zertifikate aus allen anderen? Wenn also Zertifikate weiterhin über Zugang entscheiden sollen, ist aus Durchlässigkeitsperspektive wichtig, dass die Gleich-wertigkeit von Zertifikaten aus unterschiedlichen Bildungsbereichen anerkannt wird. Eine Möglichkeit, Zugang nicht kredentialistisch zu organisieren, wäre dann der universale Zugang oder der Zugang über Eignungstests. Während der univer-sale Zugang keine/n ausschließt, kann ein Zugang über Eignungstests auch ein Mittel sein, um Individuen aus bestimmten Bildungsbereichen auszuschließen.

Wichtig wäre dann, dass der Zugang nicht spezifische Formen des inkorporierten Kapitals (vgl. Bourdieu 1987), welches nur durch bestimmte Bildungswege erlangt wird, erfordert, sondern von allen Interessierten gleichermaßen erfolgreich be-standen werden kann.

Wenn man an Anrechnung denkt, sind es theoretisch gerade nicht allein die Zertifikate, sondern die in den einzelnen Bildungsgängen vermittelten Kompe-tenzen, die verglichen werden. Dies gilt vor allem, wenn auch non-formale und informelle Kompetenzen wie Berufserfahrung bei der Bewertung miteinfließen und es sich somit nicht nur um pauschale Verfahren handelt. Über Anrechnung kann demnach mitunter ein rein kredentialistischer Blick eingegrenzt werden.

Vor allem aber die Einführung von Strukturen, welche auf die heterogenen Bedürfnissen der Lernenden eingehen und das Ziel verfolgen, alle Lernenden zum Bildungserfolg zu führen, können Schließungsmechanismen, die

Bildungsteilneh-mer_innen aus einem Bereich benachteiligen, außer Kraft gesetzt werden. So kön-nen z.B. Informationsangebote herrschaftsbedingte Chancenungleichheiten, wie Informationsasymmetrien, ausgleichen. Auch die angepasste Lernorganisation und die Kultur in den Bildungsorganisationen spielen somit eine wichtige Rolle.

Anhand des differenzierten Durchlässigkeitskonzepts wird demnach deutlich, dass es mehrere Stellschrauben gibt, um institutionelle Durchlässigkeit aus einer stärker konflikttheoretischen Perspektive zu gewährleisten oder zu erschweren.

Aber nicht nur die Bildungssysteme an sich, sondern auch deren Wandel wer-den aus wer-den unterschiedlichen Perspektiven unterschiedlich erklärt (vgl. auch Graf 2013). So kann einerseits der Wandel von Bildungsstrukturen als funktionale Anpassung gesehen werden und somit die Notwendigkeit von Reformen im Vor-dergrund stehen. In der stärker konflikttheoretischen institutionellen Perspektive wird andererseits dieser Funktionalismus dahingehend hinterfragt, inwiefern Ver-änderungen der Bildungsstrukturen dazu beitragen, dass sowohl bestimmte Grup-pen systematisch von Bildungschancen sowie gesellschaftlichen Positionen fern-gehalten als auch bestehende Herrschaftsverhältnisse manifestiert werden. Zu-gleich ist aus der institutionen- und konflikttheoretischen Sicht bedeutend, inwie-fern bestehende Bildungsstrukturen weiterhin als legitim gelten bzw. deren Legi-timität infrage gestellt wird. Vor dem Hintergrund konflikttheoretischer Theorien sozialer Ungleichheit ist fehlende Durchlässigkeit dann problematisch, wenn durch die Trennung von Bildungsbereichen bestimmte Gruppen systematisch von dem Erreichen von gesellschaftlich wertvollen Positionen ausgeschlossen werden. Ob und wie Durchlässigkeit umgesetzt wird, hängt damit eng damit zu-sammen, inwiefern bestehende Herrschaftsverhältnisse verändert werden.

Die vorliegende Arbeit versucht, diese konflikttheoretische und institutio-nentheoretische Perspektive auf Bildung und Durchlässigkeit aufzunehmen, in-dem die Perspektive des soziologischen Neoinstitutionalismus mit einer diskurs-analytischen Forschungsperspektive verbunden wird. So werden in dieser Arbeit folgende Fragen untersucht: Wie wird argumentiert? Welche Schließungsprozesse und damit Barrieren zu Durchlässigkeit werden in den Diskursen sichtbar? Wer-den Schließungsstrategien deutlich? Aber auch die Frage des Funktionalismus wird in dieser Arbeit aufgegriffen. Inwiefern spielen funktionalistische Argumen-tationen eine Rolle? Wird die Funktion der Trennung von Berufs- und H ochschul-bildung als notwendig angesehen oder infrage gestellt? Diese Fragen sollen in den Länderkapiteln nachgegangen werden. Nachfolgend soll allerdings beginnend der weitere theoretische Rahmen zur Analyse institutionellen Wandels dargelegt wer-den.

3 Theoretischer Rahmen zur Analyse