• Keine Ergebnisse gefunden

Zur theoretischen Konstitution des Politischen

Kapitel 2: Zur Staats- und Ideologietheorie

2. Der Staat – materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses

2.1. Zur theoretischen Konstitution des Politischen

Eine Annäherung an das theoretische Objekt „Staat“ versucht Poulantzas, indem er dieses Objekt zu den marxistischen Begriffen der Produktionsweise und der Gesellschaftsformation in Beziehung setzt und unter Rückgriff auf die Epistemologie Althussers den Begriff des Politischen eingrenzt. Für Poulantzas sind dabei die Begriffe Produktionsweise und Gesellschaftsformation nicht identisch zu setzen124:

a) DieProduktionsweiseist der Modus, in welcher eine bestimmte Verbindung von ökonomischen, politischen, ideologischen und theoretischen Strukturen und darin eingebettete Praxisformen hergestellt wird und diese zu einer Einheit formiert werden, die Strukturen und Praxisformen sind selbst durch ihre spezi-fische Verbindung Teilbereichsstrukturen einer spezispezi-fischen Produktionsweise.

Das Spezifikum einer Produktionsweise lässt sich somit über die Art ermitteln, wie die Einheit der Produktionsweise, also die Einheit relativ autonomer gesellschaftlicher Strukturen erzeugt wird. Hierbei kommt der ökonomischen Struktur die Rolle der determinierenden Struktur zu, indem sie einer anderen gesellschaftlichen Struktur die dominante Rolle zuweisen als auch diese Rolle selbst wahrnehmen kann125:

Wenn die Einheit, die die Struktur mit Dominante darstellt, impliziert, dass zu jeder Produktionsweise eine dominante Ebene oder Instanz gehört, dann ist das Ökonomische tatsächlich nur insofern determi-nierend, als es dieser oder jener Instanz die beherrschende Rolle

124 Bei der theoretischen Konstruktion der Produktionsweise/Produktionsverhältnisse greift Poulantzas offensichtlich auf die Arbeiten Balibars zurück, vgl. DKL, Bd. 2, S. 279 ff.

125 So findet sich auch bei Marx die Ansicht, dass die Ökonomie nicht in jeder Gesellschafts-formation die dominante, aber immer die determinierende Struktur ist: „Soviel ist klar, daß das Mittelalter nicht vom Katholizismus und die antike Welt nicht von der Politik leben konnte. Die Art und Weise, wie sie ihr Leben gewannen, erklärt umgekehrt, warum dort die Politik, hier der Katholizismus die Hauptrolle spielte“ [MEW, Bd. 23, S. 96, Fn. 33].

2.1. Zur theoretischen Konstitution des Politischen

zuschreibt; das heißt also, nur insofern, als es die Verschiebung der Dominanz regelt, die sich aus der Dezentrierung der Instanzen ergibt.

[Poulantzas 1980, S. 12]

Diese Dezentrierung der Strukturen und die daraus resultierende spezifische Anordnung bilden die Grundstruktur der Produktionsweise. Die spezifische Determination durch das Ökonomische in dieser Grundstruktur ist „Indiz der Dominiertheit und Überdeterminiertheit der Produktionsweise“ [ebd.]. Eine spezifische Produktionsweise als abstrakt-formales Objekt (Erkenntnisobjekt) existiert in einer historisch determinierten Gesellschaftsformation aber nicht in dem Sinn, dass sie die alleinige innerhalb dieser Gesellschaftsformation ausge-übte Produktionsweise wäre und demzufolge das abstrakt-formale Objekt (Erkenntnisobjekt) mit dem historisch-konkreten Objekt (Realobjekt) zusammenfallen würde.

b) Nach Poulantzas werden in einer konkretenGesellschaftsformation mehrere

„reine“ Produktionsweisen (feudalistische, kapitalistische, patriarchale usw.) gleichzeitig ausgeübt126, hierbei werden dieses Produktionsweisen miteinander verknüpft; die spezifische Verbindung der Produktionsweisen untereinander ist Kennzeichen für die konkreten historische gesellschaftliche Produktionsweise [ebd., S. 13]. Die Untersuchung einer solchen „Pluralität von Produktions-weisen“ [Lipietz 1992, S. 9] oder „Konfiguration von Konfigurationen“ [ebd.]

ermöglicht es zum einen, die Differenz zwischen sich ähnlichen Gesellschafts-formationen zu erschließen; zum zweiten ist es möglich, theoretisch den Über-gang von einer Produktionsweise in eine andere zu erschließen, ohne dabei anzunehmen, dass die eine Produktionsweise aus der historisch vorgelagerten heraus entstanden wäre.

Eine Gesellschaftsformation ist also dadurch gekennzeichnet, dass in ihr eine bestimmte Produktionsweise eine dominierende Rolle inne hat und diese die anderen neben dieser ausgeübten Produktionsweisen beherrscht. Die Domi-nanz einer Produktionsweise über die anderen bewirkt, dass die sich Grund-struktur der beherrschenden Produktionsweise in die Gesellschaftsformation einschreibt, quasi „der gesamten Gesellschaftsformation ihren Stempel auf-drückt“ [ebd.]. Diese Beherrschung einer Gesellschaftsformation durch eine

126 Hier greift Poulantzas wiederum auf Balibar zurück, vgl. DKL, Bd. 2, S. 276, Fn. 6.

2.1. Zur theoretischen Konstitution des Politischen

dominante Produktionsweise bestimmt die spezifische Anordnung und Ver-knüpfung der anderen gesellschaftlichen Instanzen. Dies bedeutet für Poulantzas natürlich auch, dass die Ebene des Politischen in einem spezifischen Verhältnis zu der beherrschenden Produktionsweise steht und dementsprechend die theoretische Konstitution des Politischen als Teilbereichsebene der Pro-duktionsweise erfolgen muss [ebd., S. 14] und sich in die Synchronie des Begriffs der Produktionsweise [DKL, Bd. 2, S. 317] einfügen muss, die Dezentrierung der Struktur in der theoretischen Konstitution also reflektiert wird. Eine Teilbereichsinstanz wie das Politische könne somit

insoweit Gegenstand einer Teilbereichstheorie sein, als sie innerhalb einer gegebenen Produktionsweise gesondert dasteht. Ihre Erhebung zum Objekt der Wissenschaft, d. h. die Aufstellung ihres eigenen Begriffs, hängt nicht von ihrer Natur ab, sondern von ihrerStellung und Funktion innerhalb der besonderen Verbindung, die diese Produktionsweise kenn-zeichnet. [Poulantzas 1980, S. 14]

Eine Teilbereichstheorie des Politischen setzt laut Poulantzas eine Einzeltheo-rie der Produktionsweise voraus [ebd., S. 15]; bevor die Teilbereichstheorie des Politischen entworfen werden kann, ist also zu rekapitulieren, wodurch eine Produktionsweise innerhalb des historischen Materialismus gekennzeichnet ist.

Die Grundstruktur einer Produktionsweise ist nach Poulantzas eine Verbindung spezifischer, dieser Grundstruktur zugehöriger Elemente127:

1. die unmittelbaren Produzenten/ArbeiterInnen, 2. der Produktionsmittel,

3. der Nicht-Arbeitenden, die sich das Mehrprodukt aneignen [ebd., S. 24].

Die jeweilige Verbindung dieser Elemente sei spezifisch für jede Produk-tionsweise und werde durch eine doppelte Beziehung hergestellt:

1. das Aneignungsverhältnis, 2. das Eigentumsverhältnis [ebd.].

Das Aneignungsverhältnis betreffe das Verhältnis der Arbeitenden zu den Pro-duktionsmitteln innerhalb des Arbeitsprozesses, mithin die Produktivkräfte.

Davon zu unterscheiden sei das Eigentumsverhältnis, das den Eigentümer als Eigentümer sowohl an den Produktionsmitteln, der Arbeitskraft und dem

127 Hier schließt sich Poulantzas unmittelbar an Balibars Ausführungen inDas Kapital lesen an, vgl. DKL, Bd. 2, S. 287].

2.1. Zur theoretischen Konstitution des Politischen

Arbeitsprodukt zwischen das Aneignungsverhältnis treten lässt, das Eigentums-verhältnis „definiert die ProduktionsEigentums-verhältnisse im eigentlichen Sinne“ [ebd.].

c) Das Verhältnis von Aneignung und Eigentum lässt sich weiter differen-zieren: Das Eigentumsverhältnis gehört für Poulantzas vollkommen der ökono-mischen Struktur an und ist von den juristischen Formen, die es annimmt, zu trennen128. Die Trennung des Arbeiters von den Produktionsmitteln und die Aneignung des Mehrwerts durch den Eigentümer der Produktionsmitteln sei kennzeichnend für jede Klassengesellschaft. Demgegenüber sei das Aneig-nungsverhältnis innerhalb von Klassengesellschaften variabel: während der vorkapitalistischen Produktionsweisen konnte laut Poulantzas dieses Verhältnis eine Einheit der Arbeitenden mit den Produktionsmitteln darstellen, ist dem-gegenüber in der kapitalistischen Produktionsweise dieses Verhältnis durch die Trennung der Arbeitenden von den Produktionsmitteln geprägt. Die Eigentums- und Aneignungsverhältnisse bilden somit eine historisch variable Verbindung, die den eigentlichen Bereich der Ökonomie innerhalb einer Pro-duktionsweise darstellt, „die Verbindung des Systems der Produktivkräfte mit dem System der Produktionsverhältnisse“ [ebd.].

Symptomatisch für die kapitalistischen Produktionsweise sei, dass das Aneignungs- und das Eigentumsverhältnis eine Homologie bilden würden, also die Trennung der Eigentumsverhältnisse mit der Trennung innerhalb des Ver-hältnisses der realen Aneignung zusammenfalle. Hingegen seien die vorkapi-talistischen Produktionsweisen durch die Nicht-Homologie dieser beiden Ver-hältnisse gekennzeichnet. Dabei seien die Relationen von Aneignungs- und Eigentumsverhältnis bestimmend für „die Determiniertheit einer Produktions-weise in letzter Instanz durch das Ökonomische, und die der Verknüpfung und des Indizes der Dominanz in ihren Instanzen“ [ebd., S. 25].

Ausgehend von der relativen und spezifischen Autonomie der Instanzen einer Produktionsweise, also der ideologischen, politischen und ökonomischen Ebenen und deren spezifische Determiniertheit lasse sich theoretisch eine

Teil-128 So führt auch Offe aus, dass sich das Eigentumsverhältnis zwarhistorischüber die juristi-sche Form des Eigentums herausgebildet habe, dies sei im entwickelten Kapitalismus aber kein geeignetes Unterscheidungskriterium, da selbst öffentlich-rechtliche Institutionen

„Träger des unverändert kapitalistischen Verwertungsprozesses“ sein könnten [Offe 1975, S. 9].

2.1. Zur theoretischen Konstitution des Politischen

bereichstheorie dieser Ebenen konstruieren, soweit sie die Einordnung der jeweiligen Ebenen innerhalb einer spezifischen Produktionsweise berücksich-tige. Dies trifft nach Poulantzas auch auf die politische Instanz zu, so dassvor dem Hintergrund der Produktionsweisedie Frage nach dem Begriff der Politik aufgeworfen werden kann.

In einer ersten Annäherung bestimmt Poulantzas den rechtlich-politi-schen „Überbau“ Staat als das Politische, demgegenüber die verschiedenen Momente des Klassenkampfes als die Politik [ebd., S. 35]. Die Bestimmung des Klassenkampf als die Politik führt Poulantzas auf die Aussagen von Marx und Engels zurück, dass jeder Klassenkampf ein politischer Kampf und dieser Klassenkampf der Motor der Geschichte sei. Hierbei seien diese Aussagen anti-historizistisch zu interpretieren, das Politische müsse

in die Struktur einer Gesellschaftsformation eingeordnet werden, nicht nur als spezifische Ebene, sondern auch als kritische Ebene, wo sich die Widersprüche einer Gesellschaftsformation widerspiegeln und verdich-ten. [ebd., S. 38]

Die Struktur, innerhalb derer diese Widersprüche zu einer politischen Praxis führen und die gleichzeitig selbst Angriffsziel dieser politischen Praxis bildet, ist für Poulantzas der Staat: „Die politischen Strukturen [...] einer Produktions-weise und einer Gesellschaftsformation bestehen in der institutionalisierten Staatsmacht“ [ebd., S. 40 f.].