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Die Staatspartei im autoritären Etatismus

Kapitel 2: Zur Staats- und Ideologietheorie

2. Der Staat – materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses

2.6. Der moderne Staat – Autoritärer Etatismus

2.6.3. Die Staatspartei im autoritären Etatismus

a) Der oben beschriebene Zentralisationsprozess beinhaltet nach Poulantzas aber auch, dass die Funktion der Parteien sich transformiere, sie seien nun weniger „Orte der politischen Formulierung und Ausarbeitung von Bündnissen und Kompromissen“ [St, S. 211], ebenso seien sie „kaum noch Organismen, die wirkliche repräsentative Beziehungen zu den gesellschaftlichen Klassen haben“ [ebd.]. Poulantzas begreift die moderne Partei nun vielmehr

„Trans-2.6.3. Die Staatspartei im autoritären Etatismus

missionsriemen für die Entscheidungen der Exekutive“, Popularisieren und Propagieren die Staatspolitik und besitzen somit auch keine Legitimations-funktion mehr, letztere verlagere sich „auf plebeszitäre und rein manipulative Regelkreise (die Medien), die von der Verwaltung und der Exekutive beherrscht werden“ [ebd.]. Die Transformationen der politischen Parteien sei u.

a. auch daran erkennbar, dass die meisten westlichen Staaten sich tendenziell zu einem Zwei-Parteien-System wandelten; diese Parteien würden mehr oder weniger abwechselnd die Regierung stellen. Hierbei sei festzustellen, dass die Differenz zwischen diesen „Staatsparteien“ zum einen darin liegen, dass sie auf unterschiedliche Methoden die gleiche Politik propagieren würden, dies sei

„die berühmte 'Entideologisierung' dieser Parteien“ [St, S. 212]. Zum anderen könnten die Parteien politisch dahingehend differenziert werden, dass ihre Politiken mit den Widersprüchen innerhalb des Blocks an der Macht als auch mit den Widersprüchen in Bezug auf die beherrschten Klassen in Verbindung stehen, aber ihre Politiken lediglich Varianten derselben Politik sind210; die Parteien sind

nicht mehr der reale Ort der Austragung dieser Widersprüche. Sie sind Resonanzböden von Widersprüchen, die in dem dominanten Zentrum, der Verwaltung und der Exekutive, wirken. [ebd.]

Das heißt, dass die Parteien die organische Rolle, die sie in den Anfängen der repräsentativen Demokratie gehabt hätten, mit ihrer Transformation nicht mehr Klassenrepräsentanten gegenüber der Spitze der Exekutive seien, sondern die Stellung eines Repräsentanten der Spitzen des Staates gegenüber der Bevölke-rungeinnehmen würden. Weiterhin bedeute der Transformationsprozess für die Parteien, insbesondere wenn sie eine fundamentale Opposition darstellen, dass sie nicht länger die Rolle des Volksvertreters gegenüber dem administrativen Apparats einnehmen (also beispielsweise eine Kontrollfunktion wahrnehmen können), sondern von dem Zugriff auf die Verwaltung ausgeschlossen werden.

Erst indem sie sich – ihre einzelnen Abgeordneten und ihre Politik – ganz der Verwaltung unterwerfen, erhielten sie überhaupt Zugang zu dieser [St, S. 213].

210 Da beide Parteien den gleichen politischen Dispositiven folgen, kommt es nach Poulantzas dazu, dass sich im Staatsapparat „interparteiliche Netze“ bilden, der zentrale Staatsapparat fungiere als „Forum der Einheitspartei“. Diese „virtuelle Einheitspartei“ (Agnoli) habe gegenüber den nicht-dominanten Parteien eine Kontrollfunktion, indem jede nicht dem Forum zugehörige Partei als revolutionäre Gefahr dargestellt werde, „die Identität dieses Forums der Einheitspartei beruht darauf, dass jede andere Partei zum Feind erklärt wird“

[St, S. 217].

2.6.3. Die Staatspartei im autoritären Etatismus

Das Begreifen der Parteien als „Transmissionsriemen“ ist in der Perspek-tive der Transformation der Parteien also durchaus im Lenin'schen Sinn zu ver-stehen: die Parteien sind nicht länger Artikulationsplattformen von Klassen und Klassenfraktionen, im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit steht vielmehr umgekehrt die Popularisierung des politischen Programms der Exekutive, welche von der jeweiligen Partei gestützt wird (gelingt diese Popularisierung nicht, wird dies im aktuellen Diskurs der Politiker als „Vermittlungsproblem“ bezeichnet).

Die institutionellen Transformationen sowie die Mutation der Parteien zum „Transmissionsriemen“ konstatierte Johannes Agnoli (freilich von einem anderen theoretischen Rahmen ausgehend) vor Poulantzas in der BRD. Agnoli erkannte in dem Transformationsprozess einen neuen Herrschaftsmechanismus, in dem die Parteien „sich in dem Modus, nicht in der Substanz“ [Agnoli 1990, S. 51] voneinander unterscheiden. In der Folge ergebe sich für die Parteien zwar ein realer Kampf, dieser sei für die Wähler aber rein illusorisch, da de facto austauschbare Positionen angeboten werden. Diese Austauschbarkeit/

Auswechselbarkeit sei für die moderne Volkspartei auch in ihrem Selbst-verständnis und ihrer Selbstdarstellung notwendig, um Wähler anderer Parteien überhaupt für sich gewinnen zu können [ebd., S. 53]. In der Schlussfolgerung ergeben sich für Agnoli ähnliche Konsequenzen wie für Poulantzas:

Verbindet sich die ideologische und organisatorische Form der Volks-partei mit der Formalisierung der Parteienpluralität, so wird ein zwei-faches politisch erreicht: Das demokratische Spiel der Kräfte um die Machtverteilung kann fortgeführt und damit die Konstitutionalität auf-rechterhalten werden; zugleich wird verbürgt, dass keine wesentlichen Änderungen zu erwarten sind. [ebd.]

In einem anderen Punkt geht Agnoli konsequenter als Poulantzas zu Werke: die Vervielfältigung der Parteien mit einem einheitlichen Programm und dem Streben zum Überwinden der klassenbezogenen Politik, dem (vermeintlichen) klassenübergreifenden Interessenausgleich und der Überwindung der Prole-tarität stehe in engem Verhältnis mit der faschistischen Einheitspartei [ebd., S.

54], denn sowohl die faschistische Einheitspartei als auch die Volksparteien zielen ungeachtet eines etwaigen klassenmäßigen Auftrags auf die Bildung einer großen Gemeinschaft, in der die Einzelnen der gleichen sittlichenVerpflichtung unterliegen, jedoch einen ungleichen materiellen Anteil an wirtschaftlicher und politischer Macht [...] erhalten. [ebd.]

2.6.3. Die Staatspartei im autoritären Etatismus

b) Die Transformation der dominanten Parteien zu Staatsparteien (von Poulantzas synonym mit „herrschender Massenpartei“ verwendet [St, S. 214]) und die Verlagerung zahlreicher politischer Prozesse in die Verwaltung hinein beinhaltet nach Poulantzas, dass auch die Verwaltung sich zu einer „realen politischen Partei der gesamten Bourgeoisie unter der Hegemonie des Mono-polkapitals innerhalb eines demokratischen Rahmens“ wandelt [St, S. 215], d.

h. dass es zu einer gewissen Doppelherrschaft kommt: Die Staatspartei hat nun neben ihrer Funktion als Transmissionsriemen die Aufgabe, den administra-tiven Apparat zu homogenisieren, ihn auf horizontaler und vertikaler Ebene auf die Einhaltung der Regierungspolitik hin zu kontrollieren. Die dominante Staatspartei „spielt die Rolle einer Polizei der Verwaltung“ [ebd.], sie „funktio-niert also parallel zur administrativ-politischen Kontrolle als Netzwerk der strikten politischen Unterordnung der ganzen Verwaltung unter die Spitzen der Exekutive“ [ebd.]. Dabei sei dieser Prozess selbst wiederum widersprüchlich, die politische Kontrolle von oben stoße auf ständigen und vielfachen Widerstand des bürokratischen Apparats, auch trotz der „disziplinarischen Maßnahmen der Gleichschaltung der Verwaltung“ [ebd.]. Die Funktion der dominanten Partei bedinge aber auch, dass sie selbst von der Spitze der Exekutive kontrolliert wird, entweder dadurch, dass die Spitze der Exekutive die Kontrolle über die Partei erlange oder aber, das Spitze der Exekutive selbst historisch eine die Partei kontrollierende Position erlangt habe.

Die Präsenz der Staatsparteien in der Verwaltung bedeute aber nicht, dass die Politisierung der Verwaltung hierauf zurückzuführen sei, denn wie dargelegt sei die Verwaltung schon „reale Partei“, die Interessen des Monopol-kapitals seien unmittelbar in ihr anwesend, ebenso nehme die Verwaltung Aufgaben der Organisation der Hegemonie wahr. Da sie nun unmittelbar mit den sozio-ökonomischen Interessen konfrontiert sei, werde der Schein der Neutralität der Verwaltung zunehmend aufgegeben, die Verwaltung politisiere sich „nun offen und massiv“ [St, S. 216]. Damit einhergehend nehme der Druck der Exekutive zu, indem sie auf der Grundlage ihrer Regierungspolitik das Verwaltungspersonal von oben nach unten austauscht und Hierarchien aufbricht und reorganisiert [ebd.]. Hierbei sei festzustellen, dass immer mehr Beamte sich „von selbst“ der Staatspartei anschließen würden, es komme zu einer Osmose zwischen dominanter Partei und Verwaltung. Dies könne zum