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Kapitel 2: Zur Staats- und Ideologietheorie

2. Der Staat – materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses

2.5. Die Materialität des Staates

2.5.5. Staat und Ökonomie

2.5.5. Staat und Ökonomie

Die Axiome des Kapitalismus sind offensichtlich weder theoretische Sätze noch ideologische Formeln, sondern operative Aussagen, die die semiologische Form des Kapitals bilden und als Bestandteil in die Gefüge der Produktion, Zirkulation und Konsumtion eingehen.

Gilles Deleuze/Félix Guattari

a) Dass nach den bisherigen Ausführungen Staat und Ökonomie nicht einander äußerliche Strukturen sind, der Staat aber auch nicht aus der Ökonomie

„ableitbar“ ist, liegt auf der Hand. Ebenso ist offensichtlich, dass dem kapitalis-tischen Staat bezüglich der (erweiterten) Reproduktion des Kapitals erhebliche Bedeutung zukommt. Da diese ökonomische Funktionen schon von den ver-schiedenen Staatsformen des Monopolkapitalismus wahrgenommen wurden, erscheint es Poulantzas erforderlich, die Spezifik des modernen Staates auch anhand seiner Verbindung mit der ökonomischen Struktur zu untersuchen.

Die Differenz zwischen dem modernen Staat und den Staatsformen des Konkurrenzkapitalismus arbeitet Poulantzas anhand der Anordnung der beiden Räume („Staat“ – Raum der Politik, „Ökonomie“ – Raum der Reproduktion) heraus. Hierbei werden die beiden Räume nicht als aneinandergrenzende Räu-me gedacht, wobei der politische Raum auf den ökonomischen einwirkt, oder als Räume, die sich zunehmend gegenseitig durchdringen, deren Konturen aber gleich blieben [St, S. 151]. Es sei im Gegenteil davon auszugehen, dass die Struktur und der Inhalt der Räume sich mit den verschiedenen Produktionswei-sen ändern. Ebenso sei die Struktur dieser Räume auch von den verschiedenen Stadien einer Produktionsweise abhängig, wenn diese auf einer erweiterten Reproduktion basiere. Die spezifische Trennung der beiden Räume ist somit innerhalb des kapitalistischen Staates nicht konstant, sondern diese Trennung werde von den Phasen der Entwicklung der ökonomischen Struktur transfor-miert, „wenn sich die Konfiguration dieser Bereiche (Staat und Ökonomie) ändert, reproduziert sich diese Trennung in neuen Formen“ [St, S. 152].

Die Trennung der Räume verlaufe allerdings nicht hierarchisch (wie im Basis-Überbau-Schema), sondern die der kapitalistischen Produktionsweise eigentümliche Trennung von Staat und Ökonomie ist durch die „spezifische Form der Präsenz des Staates in den Produktionsverhältnissen“ erkennbar

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[ebd.; Hervorhebung S.v.B.]. Der Staat interveniert somit nicht (denn dann wäre er der Ökonomie äußerlich und die Unterscheidung der verschiedenen kapitalistischen Staatsformen wie liberaler Staat, Faschismus usw. ließen sich, in polit-ökonomischer Hinsicht, nur anhand des Ausmaßes der Intervention be-stimmen), sondern die staatliche Struktur ist in der kapitalistischen Gesell-schaftsformation in der ökonomischen Struktur beständig anwesend. Daraus folgert Poulantzas, dass die Veränderungen der Rolle des Staates bezüglich der Akkumulation und Reproduktion des Kapitals selbst eine Verschiebung des politischen und ökonomischen Raums nach sich zieht, sich dabei aber auch die Relation der beiden Räume verändert. Indem die gesellschaftliche Arbeitstei-lung, die Reproduktion der Arbeitskraft usw. modifiziert werde, folge darauf eine Verschiebung in den Räumen, so dass bisher untergeordnete Bereiche wie z. B. Städtebau, Verkehrswesen, Umwelt etc. direkt in den Verwertungsraum des Kapitals integriert und angepasst werden und für die Reproduktion des Kapitals von entscheidender Bedeutung werden können. Durch die Notwendig-keit der Integration und Modifikation werde das Verhältnis des staatlichen Raumes dahingehend betroffen, dass Orte des staatlichen Handelns verschoben werden, der Staat selbst zunehmend in den Raum der Kapitalverwertung gezogen werde (oder der Raum der Verwertung sich in den Staat ausweite), bis der Staat selbst „ganze Sektoren der Kapitalverwertung und Reproduktion der Arbeitskraft“ [ebd.] übernehme oder diese Sektoren mit ihm verflochten seien.

Diese Verflechtung ist Kennzeichen der qualitativen Differenz des modernen Staates vom liberalen Staat, sie tangiere dabei die gesamte (Re-) Organisation des Staates, „sämtliche Funktionen des Staates, seien sie repressiver, ideologi-scher oder anderer Natur, können wegen seiner neuen ökonomischen Rolle nicht mehr isoliert betrachtet werden“ [St, S. 153].

Die Verschiebung der Räume in der Entwicklung des kapitalistischen Staates hat sich nach Poulantzas derart vollzogen, dass die ökonomischen Funktionen des Staates im frühen Monopolkapitalismus im Vergleich zu den ideologischen und repressiven Funktionen nur eine untergeordnete Rolle hatte, wenngleich natürlich die Entwicklung des Kapitalismus ohne einen ökonomi-sche Funktionen wahrnehmenden Staat – der als „ideeller Gesamtkapitalist“

(Marx) agierende Staat – nicht denkbar ist. Im Gegensatz dazu zeichne sich der moderne Staat dadurch aus, das seine ökonomische Funktion nun eine

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determinierende und dominante Stellung innehaben. Dem Staat kämen nicht nur neue Aufgaben zu, sondern die gesamte Struktur des Staates werde auf diese Dominanz hin neu ausgerichtet.

Sämtliche Maßnahmen des Staates werden gegenwärtig in Bezug auf seine ökonomische Rolle reorganisiert. Dies gilt über ideologisch-repressive Maßnahmen des Staates hinaus für seine Tätigkeiten in der disziplinierenden Normalisierung, der Strukturierung von Raum und Zeit, der Einführung neuer Prozesse der Individualisierung und der kapitalisti-schen Körperlichkeit sowie der Ausarbeitung strategischer Diskurse und der Wissenschaftsproduktion. [ebd.]

Das bedeute, dass die ideologischen und repressiven nicht von den ökonomi-schen Funktionen des Staates getrennt erfasst werden können, die Ausübung von Gewalt und die ideologische Indoktrination durch den Staat sei verbunden mit dem „Rhythmus der Akkumulation und Reproduktion des Kapitals“ [ebd.].

Die ideologischen und repressiven Funktionen seien jedoch weiterhin spezi-fisch für die staatliche Struktur, wesentliche innere Widersprüche des Staates seien somit an dieser Linie zwischen den ökonomischen und politisch-hegemonialen Funktionen angesiedelt.

Diese Widersprüche seien auf die innere Logik der jeweiligen Räume zu-rückzuführen: die ökonomischen Funktionen des Staates schaffen „vom Staat nur schwer zu beherrschende Unruhen“ [St, S. 154], sie sind quer zu den zur Organisierung der Hegemonie erforderlichen Maßnahmen angeordnet und dazu geeignet, das (Selbst-) Verständnis des Staates als „Garant von Wohlstand und Allgemeinwohl“ [ebd.] in Frage zu stellen. Zweifellos seien die ökonomischen Maßnahmen des modernen Staates vor dem Hintergrund des „Rhythmus der Kapitalakkumulation“ unumgänglich, wobei er selbst die interne Logik der Produktionsweise aber nicht in Frage stellen könne. Dadurch ergebe sich für den Staat die Problematik, dass seine ökonomische und seine politische Strate-gien tendenziell auseinander fallen, die vom Staat ausgehenden Maßnahmen zur Stützung der Kapitalreproduktion hätten somit zur Folge, dass die Hegemo-nie selbst betroffen wird [ebd.]. Daraus resultierend verschärfen sich die Widersprüche für Poulantzas sowohl innerhalb des Blocks an der Macht als auch die Widersprüche zwischen diesem Block und den beherrschten Massen und würden zu Krisen führen, die nicht allein ökonomische Krisen seien. Da der staatliche Raum zunehmend an die Kapitalreproduktion gebunden ist, ist sein politisches Handlungsfeld zur Organisierung der Hegemonie beschnitten,

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die Ausweitung des Staates ist keine Ausweitung seiner Macht gegenüber der Wirtschaft. Sie vergrößert ganz im Gegenteil seine Abhängigkeit von ihr: Diese Ausweitung entspricht einer Unterordnung aller sozio-ökono-mischen Bereiche unter den Akkumulationsprozess des Kapitals. [ebd.]

Das heiße für die Einschätzung des jeweils aktuellen Regierungspolitik, dass die Durchführung bestimmter ökonomischer Maßnahmen nicht auf eben diese aktuelle politische Programmatik zurückgeführt werden kann, dies würde eine Überpolitisierung des staatlichen Handelns darstellen. Umgekehrt könne das staatliche ökonomische Handeln nicht von der politischen Strategie getrennt gesehen oder dieses Handeln als von der Ökonomie bestimmt interpretiert werden, sondern dieses ist immer auch auf die Aufrechterhaltung der Hegemo-nie gerichtet, so dass sich das ökonomische Handeln des Staates auch als notwenige „Anpassung an die politische Strategie der hegemonialen Fraktion“

[ebd.] darstellt.

In diesem Zusammenhang sei die ideologische Funktion des Staates nicht seiner ökonomischen Funktion untergeordnet, sondern die ökonomischen Maß-nahmen des Staates sind selbst „ideologisch“, indem sie sich in der Form des Technokratismus darstellen und die Ideologie des Wohlfahrtsstaates begrün-den. Daraus schließt Poulantzas, dass die Widersprüche innerhalb der staatli-chen Struktur nicht nur zwisstaatli-chen der ideologisch-politisstaatli-chen und der ökonomi-schen Struktur zu suchen sind, sondern dass die ökonomiökonomi-schen Maßnahmen des Staates in sich selbst widersprüchlich sind. Indem der Staat einerseits den Notwendigkeiten der Kapitalreproduktion Rechnung tragen will, andererseits durch ökonomische Handlungen Kompromisse durchsetzen und die Hegemo-nie aufrecht erhalten muss, entwickele sich eine äußerst widersprüchliche Wirtschaftspolitik. [St, S. 155]

Aufgrund der ökonomischen Funktion des Staates, die sich zwangsläufig in spezifischen staatlichen Institutionen materialisieren, rückt Poulantzas von der Althusser'schen Konzeption von ISA und RSA tendenziell ab, es gibt in der Konzeption Poulantzas' neben diesen Apparaten (deren Existenz er keineswegs bestreitet) eine Anzahl staatlicher Apparate, die in erster Linie andere Funk-tionen als die Ausübung von Repression oder die Reproduktion der herrschen-den Ideologie wahrnehmen: Die ökonomischen Staatsapparate (wenngleich auch die repressiven und ideologischen Staatsapparate eine ökonomische Funktion innehaben, so vor allem die Armee/Rüstungsproduktion).

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Die Reorganisation, die Ausweitung und die Konsolidierung dieser wirklich ökonomischen Staatsapparatur – also das Restrukturierungs-prinzip des staatlichen Raums – lässt sich denn auch nur begreifen, wenn man mit einer analogischen Vorstellung bricht, die die Staatsapparate in einem in sich geschlossenen Feld differenziert. [St, S. 156]

Die Restrukturierung des staatlichen Apparats unter ökonomischen Gesichts-punkten wird nach Poulantzas anhand folgender Tendenzen sichtbar:

1. Die zunehmende Spezialisierung der ökonomischen staatlichen Apparate, 2. eine Spezialisierung nicht-ökonomischer Staatsapparate auf ökonomische

Funktionen,

3. die auf ökonomische Ziele gerichtete horizontale „Vernetzung“ der ideologischen, politischen und ökonomischen Staatsapparate [ebd.].

Der auf ökonomische Funktionen spezialisierte Apparat ist nach Poulantzas zum einen vom Rhythmus der Kapitalakkumulation und -reproduktion am meisten betroffen, zum anderen von der jeweiligen Konjunkturpolitik der aktu-ellen Regierung am unabhängigsten; er folgt einer internen Logik, die in relati-vem Widerspruch zur (Staats-) Politik steht. Indem er sowohl mit den Wider-sprüchen des Blocks an der Macht als auch mit den WiderWider-sprüchen zwischen dem Block an der Macht und den beherrschten Massen verschränkt ist,

„beweist er am deutlichsten die Kontinuität des Staates in diesen Widersprü-chen“ [St, S. 157]. Der ökonomische Staatsapparat sei dabei der „privilegierte Sitz der monopolistischen Fraktion“ [ebd.], die innerhalb des Blocks an der Macht die Hegemonie inne habe. Da aber dem ökonomische Staatsapparat eine organische Funktion im Reproduktionsprozess des gesamten Kapitals zu-komme, sind ebenso andere Fraktionen des Kapitals in ihm vertreten, wodurch sich Widersprüche im ökonomischen Staatsapparat als auch im Block an der Macht bereits abzeichnen. Wenn der ökonomische Staatsapparat aber nicht von den anderen Staatsapparaten getrennt gesehen werden könne, bedeute das in Bezug auf die Dominanz der ökonomischen Funktionen innerhalb des moder-nen Staates, dass diese Dominanz auch eine institutionelle Verschiebung und Transformation nach sich ziehe, sie verlaufe zuungunsten des Parlaments, der Parteien und anderer Institutionen der parlamentarischen Demokratie und stärke die Regierung und die administrativen Apparate184. Der ökonomische Staatsapparat

184 Siehe dazu den Abschnitt 2.6

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partizipiert also – und zwar vollständig – am gesamten politischen Mechanismus des Staates; er konstituiert ein politisches Dispositiv – nicht nur weil er zugunsten der Kapitalakkumulation eingesetzt wird, sondern auch weil er in spezifischer Form die politischen Kompromisse und Konflikte ausdrückt, die innerhalb des Staates ausgefochten werden.

[St, S. 157 f.]

Die Analyse des ökonomischen Staatsapparates darf nach Poulantzas aber nicht dazu verleiten, innerhalb dieses Apparates eine Trennung zwischen technokra-tisch-administrativen, politisch „neutralen“ Apparate und politisch-ökonomi-scher Apparate anzunehmen, wie eine theoretische Trennung von Produktiv-kräften und Produktionsverhältnissen nahe legen könnte – also die Annahme, dass sich die Produktivkräfte (relativ) unabhängig von den Produktionsver-hältnissen entwickeln könnten.

Wenn die Produktivkräfte eine eigene, nicht zu vernachlässigende Materialität besitzen, existieren sie doch immer nur verbunden mit bestimmten Produktionsverhältnissen und unter deren Primat. Der Klassenkampf findet immer schon im Zentrum des Arbeitsprozesses statt:

Der Grundwiderspruch des Kapitalismus ist ein Klassenwiderspruch zwischen der ausbeutenden Klasse und den ausgebeuteten Klassen.

Ökonomische Funktionen, die jeder Staat im Hinblick auf die „Produk-tion im allgemeinen“ erfüllen muss, gibt es nicht. Diese Funk„Produk-tionen werden immer schon im Klassenkampf eingesetzt und haben also politi-schen Charakter und Bedeutung. Der ökonomische Staatsapparat besitzt in seiner gesamten Konstitution politischen Charakter. [St, S. 158 f.]

b) Die bisher dargestellten theoretischen Ansätze haben nach Ansicht Poulantzas eher deskriptiven Charakter, er ist im Anschluss daran bemüht, die innere organische Verbindung der ökonomischen Funktionen des Staates her-zuleiten. Im Zentrum steht für Poulantzas dabei der tendenzielle Fall der Profit-rate185, hierbei seien die (ökonomischen) Maßnahmen des Staates vor allem als Gegentendenzen zu verstehen, mit denen der Staat auf den tendenziellen Fall der Profitrate reagiere [St, S. 159]186. Dabei seien vor allem allem zwei Strate-gien des Staates auszumachen:

185 Poulantzas geht offensichtlich davon aus, dass die Marx'schen Untersuchungen zum tendenziellen Fall der Profitrate [vgl. dazu MEW Bd. 25, S. 221 ff.] weiterhin Gültigkeit haben. Hirsch stellt diesbezüglich fest, dass es durchaus (relativ kurze) historische Phasen gibt, in denen die Profitrate stabil bleibt oder steigt [Hirsch 1974, S. 104 ff.], allerdings scheint dies nur zu gelingen, wenn die gesellschaftlichen Verwertungsbedingungen des Kapitals (Stand der Klassenkämpfe, massive Rüstungsausgaben des Staates, Wiederaufbau infolge von Kriegen etc.) dafür geeignet sind, der „normale“ technologische Innovationszyklus selbst scheint den tendenziellen Fall der Profitrate nicht kompensieren zu können.

186 So auch Hirsch 1974.

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1. Die Entwertung bestimmter Teile des konstanten Kapitals,

2. Die Erhöhung des Exploitationsgrades durch Innovation und Qualifikation.

Nach Poulantzas kommt derzweitenGegentendenz die Hauptrolle zu. Zwar sei es richtig, dass der Staat durch Subventionen, staatliche Investitionen usw. Pro-duktionszweige, die negative Profitraten erwirtschaften, aufrecht erhalte, um so die Durchschnittsprofitrate, vor allem des Monopolkapitals, zu stärken. Aller-dings seien diese Maßnahmen in erster Linie als Umschichtungen und Redistri-butionen des Mehrwerts zwischen Teilen des Kapitals zu bewerten [St, S. 160 f.]. Im Gegensatz dazu sei die zweite Gegentendenz, also die Erhöhung der Mehrwertrate und des Exploitationsgrades durch den Staat, die langfristig dominante Strategie und mit dem Klassenkampf in Beziehung stehende Ten-denz, die in der Produktion eine Abkehr von der extensiven Ausbeutung der Arbeit (Konzentration auf die Produktion des absoluten Mehrwert) hin zu einer intensiven Ausbeutung durch technologische Innovationen (Konzentration auf die Produktion des relativen Mehrwert) bewirke187. Durch diese Verschiebung, die mit der zunehmenden Internationalisierung des Arbeitsprozesses zu-sammenfalle, würden sich dem Staat wiederum neue Aufgaben stellen, insbe-sondere hinsichtlich der erweiterten Reproduktion der Arbeitskraft. Diese Aufgaben würden beispielsweise folgende Bereiche betreffen:

1. Qualifikationsprozesse der Arbeitskraft, Schulwesen und Berufsausbildung, 2. wissenschaftliche Forschung,

3. industrielle Umstrukturierung,

4. Verkehrs-, Gesundheits- und Wohnungswesen, 5. kollektive Konsumtion [St, S. 162].

Dass die Maßnahmen des Staates in diesen heterogenen Bereichen auf die Intensivierung des Arbeitsprozesses, auf

die Erhöhung des Exploitationsgrades durch die erweiterte Reproduktion-Reglementierung der Arbeitskraft zielen, hat wichtige politische Konse-quenzen. Dies erlaubt erstens, den direkten politischen Aspekt dieser Interventionen festzustellen. Zweitens lassen sich so ihre ideologisch-politischen Einsätze kennzeichnen. [ebd.]

187 Mandel stellt zur Frage der Technologie fest, dass der Glaube „an die Allmacht der Technologie“ die für den Spätkapitalismus spezifische Ideologie sei, „sie proklamiert die Fähigkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung, ihre Krisenanfälligkeit allmählich zu beheben, ihre Widersprüche technisch zu lösen“ [Mandel 1974, S. 445].

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Die Verschiebung des Produktionsprozesses hin zu einer Erhöhung des Explo-itationsgrades bedeute aber nicht, dass die Aktivität des Staates bezüglich der Reproduktion der Arbeitskraftlediglichauf die Qualifikation derselben abzielt, sondern sie richte sich immer auf die gesellschaftliche Arbeitsteilung, d. h. sie ist auf die Veränderung der Produktionsverhältnisse zur Erhöhung des relativen Mehrwerts gerichtet.

Diese Maßnahmen machen aus dem Staat den direkten Drahtzieher der Kapitalkonzentration und Zentralisierung. Dieser Prozess ist selbstver-ständlich weder bloß technischer noch bloß juristischer Natur. Er umfasst vielmehr wichtige Veränderungen der Produktionsverhältnisse: differen-zielle Verbindungen von Machtbefugnissen sowie Besitz- und ökonomi-schen Eigentumsgraden innerhalb der vom Kapital und seinen verschiedenen Trägern zugleich im nationalen und im Weltmaßstab eingenommen Stellung. [St, S. 163]

Die Veränderung der Produktionsverhältnisse beinhalte eine Umgestaltung/

Reorganisation des Arbeitsprozesses: die Schaffung neuer nationaler wie inter-nationaler Produktionseinheiten, die einen „integrierten Arbeits- und Produk-tionsprozess ermöglichen“ [ebd.]. Dieser integrierte ProdukProduk-tionsprozess beschleunige die technologische Innovation und ermöglicht die rasche Er-höhung der Produktivität.

Neben diesen allgemeinen Funktionen im Kontext der Produktionsver-hältnisse lassen sich nach Poulantzas aber auch die spezifischen Funktionen des Staates im Bereich der Zirkulation und Konsumtion bestimmen. Wenn die Produktion gegenüber der Zirkulation determinierend ist und die Maßnahmen des Staates immer auf die Produktionsverhältnisse gerichtet sind, bedeute dies, dass das Handeln des Staates sich maßgeblich nicht auf individuelle Konsum-tion oder auf Begrenzung/KoordinaKonsum-tion des Marktes richte. Entscheidend sei vielmehr seine Rolle bezüglich der kollektiven Konsumtion, denn durch die Eingriffe in Wohnungs-, Gesundheits-, Verkehrs- und Bildungswesen und deren öffentlicher Finanzierung werde eine Steigerung der Arbeitsproduktivität und damit verbunden eine Steigerung des relativen Mehrwerts erzielt [St, S.

164]. Diese Maßnahmen können wiederum nicht als technisch-administrative, als zu einer bestimmten Entwicklung der Produktivkräfte gehörige interpretiert werden, sondern es gelte, deren spezifisch politischen Charakter zu erfassen.

Selbstverständlich zwingt die Hegemonie des Monopolkapitals der Strategie des Staates eine bestimmte Richtung auf. Insofern diese Interventionen jedoch die Reproduktion der Gesamtheit der Arbeitskraft

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betreffen und auf eine strukturelle Reorganisation der Arbeitsprozesse verweisen, bewirken sie eine nachhaltige Reproduktion der kapitalis-tischen gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Diese effektive Verwaltung-Reglementierung der Arbeitskraft, einschließlich der neuen Formen der disziplinarischen Normalisierung und der Unterordnung-Unterwerfung [...] unter die kapitalistischen politischen und ideologischen Verhältnisse, scheint in ihrem politischen Inhalt über die einfache monopolistische Hegemonie weit hinauszugehen und immanenter Bestandteil des Kerns der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu werden. [St, S. 165;

Hervorhebung S.v.B.]188

c) Im weiteren stellt sich für Poulantzas die Frage, warum die jeweiligen öko-nomischen Maßnahmen vom Staat und nicht vom Kapital selbst ausgeführt werden. Hierbei sei festzustellen, dass es prinzipiell keine ökonomische Funk-tion gebe, die nicht vom Staat wahrgenommen werden könne, vom Aufbau der Infrastruktur bis hin zu Organisation der Kapitalzentralisierung189. Die Geschichte dieser ökonomischen Maßnahmen des Staates ist

weder eine homogene Geschichte noch die lineare Geschichte eines Staates, der in sich nach und nach diese oder jene eigentlich ökonomi-schen Aktivitäten oder Bereiche summiert und sich aneignet: Sie ist eine Geschichte von Vorstößen und Rückzügen, die sich in den verschiedenen Formationen ungleich entwickelt. [St, S. 166]

Da Poulantzas als Theorierahmen den tendenziellen Fall der Profitrate gewählt hat, ergibt sich für ihn als Erklärung dieses Phänomens, dass die Bereiche, die vom Staat in seine ökonomischen Aktivitäten aufgenommen werden, für das private Kapital unrentabel (geworden) seien, also die Profitrate der jeweiligen Bereiche unterhalb der Durchschnittsprofitrate liege [ebd.]190. Andererseits be-ruhe der „Interventionismus“ aber auch auf einer politischen Komponente, da der Staat auch in Bereichen tätig ist, die für das Kapital sehr wohl rentabel sind191. Zum einen beträfe dieses Handeln ökonomische Felder, die für die allgemeine Reproduktion des Kapitals erforderlich seien (z. B. Forschung192,

188 Vgl. hierzu die Ausführungen in Tausend Plateaus zur Unterwerfung/Unterjochung [Deleuze/Guattari 1992, S. 633 ff.].

189 Wie der „Staatssozialismus“ gezeigt hat, kann auch der Staat, ironischerweise mit einer

„marxistischen“ Ideologie versehen, auch die komplette Strukturierung der Gesellschaft in Klassen selbst hervorbringen.

190 So auch Hirsch 1974, S. 57.

191 Selbstverständlich ist auch die Aktivität in den unrentablen Bereichen (z. B. Sanierung defizitärer Unternehmen) selbst politisch.

192 Hirsch konstatiert ebenso, dass die „systematische Erzeugung von Wissenschaft und Technologie zu einem wesentlichen Teil Funktionsbereich der staatlichen Administration“

sei [Hirsch 1974, S. 69]. Gerade durch diese Funktionszuweisung sollte aber auch klar sein, dass die Technologie selber politisch ist und dementsprechend nie klassenneutral,

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Kommunikation), die aber, in der Hand einzelner Fraktionen des Kapitals, Risi-ken sowohl für die Ökonomie im engeren Sinn als auch für die relative Stabili-tät des politischen Kompromissgleichgewichts im Block an der Macht bergen können. Die Durchführung dieser Funktionen durch den Staat würden also dem Allgemeininteresse der Bourgeoisie in ihrer Gesamtheit folgen [St, S. 167].

Kommunikation), die aber, in der Hand einzelner Fraktionen des Kapitals, Risi-ken sowohl für die Ökonomie im engeren Sinn als auch für die relative Stabili-tät des politischen Kompromissgleichgewichts im Block an der Macht bergen können. Die Durchführung dieser Funktionen durch den Staat würden also dem Allgemeininteresse der Bourgeoisie in ihrer Gesamtheit folgen [St, S. 167].