• Keine Ergebnisse gefunden

Zur Person und zum Selbstverständnis Arno Schmidts

Im Dokument "Jedes Ende ist auch ein neuer Anfang" (Seite 108-111)

Strukturmerkmale

4 Arno Schmidt: Schwarze Spiegel

4.1 Zur Person und zum Selbstverständnis Arno Schmidts

Arno Schmidt hat zahlreiche utopische Romane geschrieben. Zu nennen sind hier Schwarze Spiegel (1951), Die Gelehrtenrepublik (1957), Kaff auch Mare Crisium (1960) und Die Schule der Atheisten (1972). Allen gemeinsam ist ein schwarzer, pessimistischer Grundtenor, der sich unter anderem durch Arno Schmidts Behauptung begründen ließe, er sei ein Atheist.378 Sein weltverneinender Pessimismus trägt metaphysisch-theologische und zugleich ketzerisch-blasphemische Züge. Diese sind wohl charakteristisch für seine Utopien.379 Dennoch betont Schmidt:

„Kulturpessimist“ ist ein hartes Wort, und ich lehne im Allgemeinen die Bezeichnung für mich ab (nicht weil wir noch leidlich viel Kultur hätten : aber es war meiner, aus

historischen Studien reichlich gespeisten Ansicht nach, nie anders, als jetzt !) […].380 Darüber hinaus sind die Themen „Misanthropie“ und „Solipsismus“

paradigmatisch für Arno Schmidts Werk. Jan Süselbeck bezeichnet Schmidt neben Thomas Bernhard als herausragenden Einzelgänger der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur.381

Heinrich Schwier charakterisiert Schmidts Schwarze Spiegel in seinem kommentierenden Handbuch „Niemand“ als Weltuntergangsroman, als Versuch,

„die Geschichte, die ‚Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft‘, zu rekonstruieren, die Zeit anzuhalten, ‚die Toten‘ zu ‚wecken‘ und ‚das Zerschlagene‘ neu, nach allen Regeln der Kunst, zusammenzufügen.“382 Schwier geht davon aus, dass der Roman als Dokument seiner Zeit als kulturelles Gedächtnis zu sehen ist.383

So beklagt Schmidt in seinen Werken nur allzu oft den „Untergang der Kultur“, wirbt aber zugleich für ihre Erhaltung und ihre Bewahrung (vgl. Brief an George

378 Vgl. Arno Schmidt, „Atheist ? : Allerdings !“, Bargfelder Ausgabe Werkgruppe III, Band 3, Essays und Aufsätze I, Arno Schmidt Stiftung (Hg.), Haffmans Verlag, Zürich 1995, 317-326. Im Folgenden zitiert als: Arno Schmidt, „Atheist ? : Allerdings !“.

379 Vgl. Götz Müller, a. a. O., 273.

380 Arno Schmidt, „Die aussterbende Erzählung“, Bargfelder Ausgabe Werkgruppe III, Bd.

3, Essays und Aufsätze I, Arno Schmidt Stiftung (Hg.), Haffmans Verlag, Zürich 1995, 181-183, hier: 183.

381 Vgl. Jan Süselbeck, „Der verlegte Schlüssel. Misanthropie und Solipsismus im Werk Arno Schmidts und Thomas Bernhards. Ein Ausblick“, in: „Zettelkasten 21. Aufsätze und Arbeiten zum Werk Arno Schmidts“, Jahrbuch der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser 2002, Rudi Schweikert (Hg.), Bangert & Metzler, Wiesenbach 2002, 105-143, hier: 109.

382 Heinrich Schwier, „Niemand“, a. a. O., 13.

383 Ebd.

R. Stewart im zweiten Teil des Romans (SP, 233ff.), in dem das antike Griechenland aufersteht; auch dies ist wieder als schmidttypische Erinnerungskultur zu verstehen, die auf die Bewahrung, Weitergabe und Erneuerung eines unersetzbaren kulturellen Erbes zielt): „Ist das vielleicht meine Schuld, wenn sich Einer ehrlich bestrebt, das Gedächtnis der Menschheit zu sein – daß Der dann sogleich als antiquiert, ja, verschrullt, ausgeschrien wird ? ! […]“.384

Schmidts Frau Alice notiert in ihrem Tagebuch 1954 die politische Entwicklung, die Anlass zur Sorge gibt, und zugleich den Titel des drei Jahre zuvor erschienenen Kurzromans reflektiert. Dabei wird nur eine der vielen möglichen Bedeutungen des Titels angesprochen:

A. sagt, wenn Westm. das Ablehnen, und sie wären dazu verrückt genug, so gibt’s in Kürze Krieg. Osten rüstet dann genau so u. da brauchts nur wenig Anlaß. – Tja die Menschheit ist wahnsinnig. Schwarze Spiegel rücken immer näher.385

Im Titel des Romans ist Schwier zufolge das poetische Programm bereits in nuce enthalten. Nimmt man die Erläuterung zu „Reziproke Radien“ (SP, 213) hinzu, kommt der schwarze Spiegel u.a. als Einheitskreis in den Blick, der sich seinerseits als Symbol des Menschen, des Künstlers und auch des Kunstwerks begreifen lässt, „in dem sich Alles spiegelt und dreht und verkürzt !“ (SP, 213).

Der Roman trägt also bereits im Titel die zentrale Metapher für das poetische Programm, das Schmidt in seinen „Berechnungen I“386 umrissen hat.

Unter der Chiffre des schwarzen Spiegels reflektiert sich Kunst kontinuierlich seit der Renaissance als Ausdruck tiefer Schwermut; Literatur vermag sich indessen gerade in der Melancholie besonders intensiv spiegeln.387 „Der schwarze Spiegel ist ein altes Sinnbild der Schwermut. Ihn hält schon bei Hans Baldung, Lukas

384 Arno Schmidt, „Hundert Jahre (Einem Manne zum Gedenken)“, Bargfelder Ausgabe Werkgruppe II, Bd. 2, Arno Schmidt Stiftung (Hg.), Haffmans Verlag, Zürich 1990, 162.

385 Alice Schmidt, „Tagebuch aus dem Jahr 1954“, Suhrkamp, 2004, 239 (13.11.1954). Im Folgenden zitiert als: Alice Schmidt, „Tagebuch 1954“.

386 Vgl. Arno Schmidt, „Berechnungen I“, in: „Rosen & Poree“, Stahlberg Verlag, Karlsruhe 1959, 283-292: Kernpunkt der „Berechnungen I“ ist Schmidt zufolge, zu gewissen, immer wieder vorkommenden verschiedenen Bewusstseinsvorgängen oder Erlebnisweisen die genau entsprechenden Prosaformen zu entwickeln. Ausgangspunkt für die Berechnung sei zum Einen die Besinnung auf den Prozess des „Sich-Erinnerns“, d.h. der Erinnerungsprozess. Eine zweite neue Prosaform ergibt sich für Schmidt aus der Überlegung, dass es keine jüngste Vergangenheit im Sinne eines „epischen Flusses“ der Ereignisse, eines Kontinuums, gebe. Aus dieser porösen Struktur der Gegenwartsempfindung ergebe sich ein löchriges Dasein, das für Schmidt Anlass war, ein entsprechendes literarisches Verfahren zu entwickeln. Darüber hinaus gebe es noch zwei weitere Bewusstseinsvorgänge, nämlich den „Traum“ und das „Längere Gedankenspiel“ (vgl. Arno Schmidt, „Berechnungen II“, a. a. O., 293-308).

387 Vgl. Heinrich Schwier, „Niemand“, a. a. O., 8.

Cranach und noch bei Böcklin die ‚Melancholie‘ in der Hand, ebenso Tizians

‚Sybille‘ und Bellinis ‚Vanitas‘.“388

Schmidts Roman kann darüber hinaus auch als Spiegel der Menschheitsentwicklung gelesen werden: Der Rezipient rekonstruiert den Weg des Menschen vom Jäger, Sammler und Nomaden über den Ackerbauern und Viehzüchter bis hin zum Schriftkundigen und Künstler. Dabei handelt es sich um eine Entwicklung, die der namenlose Protagonist als zweiter Robinson und Lederstrumpf nach der Apokalypse erneut durch- und nachlebt.

Dabei könnte Schwarze Spiegel auch auf den Eingang in die Unterwelt hinweisen, ganz in der Tradition eines Initiationsromans, in dem eine Reise ins Totenreich inszeniert wird. Schenkt man dieser Interpretation Glauben, eröffnet sich sogleich ein weiterer Verknüpfungspunkt: Der Bericht aus der Unterwelt verweist auf Platons Höhlengleichnis in der „Politeia“.

Schmidt verwendet also die „Hohlwelten“-Motivik in Verbindung mit der Unterweltthematik und dem Höhlengleichnis im Roman, wobei diese drei Komplexe häufiger im Gesamtwerk zu verorten sind. Mit Platon teilt Schmidt schließlich die Ansicht, Literatur habe aus der Höhle der Vorurteile ins Reich der Wahrheit zu führen.389

Wie aus diesen Anführungen deutlich wird, handelt es sich bei den Schwarzen Spiegeln um einen in seinen Dimensionen komplexen Text: Die von Schmidt avisierte Poetik des Unendlichen390 erschwert eine exakte Interpretation, da die Deutung des Werkes nach vielen Seiten offen ist.

Prinzipiell kritisch zu bewerten, aber dennoch nicht ganz außer Acht zu lassen, ist die Autorposition.391 Die misanthropische Tendenz im Werk Arno Schmidts ist durchaus zurückzuführen auf den Autor selbst, wie man aus seinem Tagebuch erfahren kann:

Er [Arno Schmidt] : ich war schon als Kind so : keinen Menschen mochte ich sehn. Wenn meine Eltern zu Besuch gehen wollten habe ich geheult sie konnten mich zum Mitgehn

388 Walter Muschg, „Das Farbenspiel von Stifters Melancholie“, in: „Studien zur tragischen Literaturgeschichte“, ders. (Hg.), Franke, Bern, München 1965, 181.

389 Vgl. Heinrich Schwier, „Niemand“, a. a. O., 30f.

390 Vgl. SP, 206: „[…] ein Fahrrad zu führen ist wunderbar ! Und diese leeren Orte noch schöner; auf der Kreuzung fuhr ich acht Kreise […].“; vgl. Friedhelm Rathjen, „Ein treffliches leichtes Gerät mit Holzfelgen und roten Reifen. Samuel Beckett & seine Fahrräder“, Häusser, Darmstadt 1996, 41: „Es ist keineswegs Zufall, daß Schmidts endzeitlicher Erzähler auf der Kreuzung exakt acht Kreise fährt […]: die liegende Acht […] ist bekanntlich das mathematische Unendlichkeitszeichen.“

391 Mit der kritisch zu bewertenden Autorposition im Œuvre Arno Schmidts hat sich Josef Huerkamp in seinem Werk „‘Gekettet an Daten & Namen‘. Drei Studien zum

‚authentischen‘ Erzählen in der Prosa Arno Schmidts“, edition text + kritik, München 1981, beschäftigt. Ebd., 19: Huerkamp kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass „Werk und Person […] zu guten Teilen unverständlich [sind], weil das eine nur Projektion des anderen ist, und vice versa: der unbegreifliche Mann vergegenständlicht sein Ego im opaken Werk.“

nur zwingen. Ich bin so, kann nichts dafür. In Schwarze Spiegel habe ich mein Ideal geschildert, gar nichts Abschreckendes.392

4.2

Schmidts „Längeres Gedankenspiel“ als

Im Dokument "Jedes Ende ist auch ein neuer Anfang" (Seite 108-111)