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Aspekte der literarischen Katastrophendarstellung

Im Dokument "Jedes Ende ist auch ein neuer Anfang" (Seite 182-188)

um eine letzte Warnung, und Wirklichkeit wird in ihr als konditional gesehen.645 Schließlich gibt es den „post-apokalyptischen Text“646 (3), der anzeigt, dass alles schon längst passiert, aber nicht bemerkt worden ist. Die Apokalypse kann also auch übersehen bzw. verdrängt worden sein, und auch diese These ist auf verschiedene textimmanente oder historische Parameter hin zu interpretieren.

Beispielsweise kann sie diachron auf eine historische Vergangenheit ausgelegt bzw. als Verdrängungsmechanismus innerhalb der Figuren gedeutet werden.

Auch die letzten Menschen der in dieser Arbeit untersuchten Romane werden mit Aspekten konfrontiert, die auf bisher verdeckte Seiten der eigenen Identität verweisen. Diese brechen im postapokalyptischen Raum wieder hervor oder werden erst entdeckt.

also nicht auf eine „Nebenwelt“ oder den Untergang einer Rasse, sondern auf die gesamte Menschheit. Gezeigt wird jedoch die lokale Katastrophe, die das Ich schildert. Die lokale Begrenztheit steht im Fall von Schwarze Spiegel für ein

„Experiment im Kleinen“ und bildet eine globale Katastrophe ab.650

„Ob außer mir überhaupt noch jemand übrig war? Wohl kaum; vielleicht irgendwo auf den Südzipfeln der Kontinente, die vermutlich noch am wenigsten abgekriegt hatten […]“ (SP, 221), so schätzt Schmidts Protagonist die Auswirkungen der Katastrophe ein. Dieses Zitat kann als Hinweis auf die Globalität der Katastrophe gelesen werden. Dennoch handelt es sich nicht um eine globale Katastrophe im absoluten Sinne: Das Überleben des Ich-Erzählers und der Frau bestätigen, dass es nicht zu einer vollkommenen Auslöschung der Menschheit gekommen ist. Lisa berichtet darüber hinaus über ihre Erfahrungen und gemeinsam kommen sie zu dem Schluss, „daß ganz Mitteleuropa menschenleer ist“ (SP, 244). So hat es Asien, Europa, Nordamerika, Südafrika und die Industriezentren Australiens und Südamerikas erwischt. Ein paar Einzelindividuen mögen zwar hie und da noch nomadisieren, doch ihr Überleben ist aufgrund der harten Bedingungen fraglich.

Eine Wiederbevölkerung sei denk-, aber in absehbarer Zeit nicht vorstellbar (vgl.

SP, 244).

Die zu behandelnden Romane sind von einer Indifferenz der Katastrophenursache geprägt: Die Gründe für das Verschwinden oder den Verfall der Menschheit werden – abseits der einzelnen Varianten hinsichtlich etwaiger Überreste – nur unzureichend verhandelt. Es wird zu zeigen sein, ob diese Nicht-Darstellung bzw. Nicht-Konkretisierung als historisches Merkmal (im Sinne einer Nicht-Darstellbarkeit) oder textimmanentes Merkmal (als Funktion für andere Textinhalte) interpretierbar ist.

Die Katastrophe im Roman Schwarze Spiegel wird nicht dargestellt, wobei dies nicht als historisches Merkmal gewertet werden kann: Der Roman wurde 1951 veröffentlicht, also nach den atomaren Katastrophen von Hiroshima und Nagasaki. Es darf vermutet werden, dass Arno Schmidt durchaus über den Vorgang einer Atomexplosion informiert war. Insofern liegt es nahe, die Katastrophe als textimmanentes Merkmal zu interpretieren.

Die Ausblendung der eigentlichen Katastrophe und die Fokussierung auf die

„Welt danach“ legen eine mediale Verdrängung nahe, die wiederum eine spezifische Modellierung des Wissens über die Katastrophe und ihre Modalitäten bedingt. In den Schwarzen Spiegeln erfährt man davon nur von diesem Zeitpunkt aus in „Rückblende“, in selbst diegetisch medialen Kontexten, als Erinnerung des

650 Vgl. ebd., 77.

Protagonisten und der Frau. Genaues Detailwissen über die Katastrophe wird nicht wiedergegeben, der Rezipient muss sich mit Vermutungen begnügen.651 Diese Nicht-Darstellung der Katastrophe ist aber mehrfach funktional: Sie kann als rhetorische Strategie der Emotionslenkung den Schrecken verstärken, sie kann kognitiv zu der eigenständig zu erbringenden Leistung der Rekonstruktion über kulturelles Wissen evozieren, sie kann aber auch mental als eigentliche Verdrängung dessen, was man nicht wahrhaben will, fungieren.652 Hans Krah zufolge liegt die Leistung der Ausblendung genau im Spektrum aller dieser Möglichkeiten begründet.653 Die Verdrängung der Katastrophe bzw. deren Nicht-Darstellbarkeit verweise diegetisch bzw. metadiegetisch auf ein entscheidendes Moment: Dadurch könne die Katastrophe rudimentär mit „Sinn“ belegt werden.654 So heißt es in den Schwarzen Spiegeln: „[…] Aber die Deutschen schrieen ja noch zweimal nach Männchen machen, und ‚Es ist so schön Soldat zu sein‘ : they asked for it and they got it ! […].“ (SP, 213). An anderer Stelle wird der Verweis auf den Dritten Weltkrieg noch einmal deutlich, die Menschen haben sich in einem letzten Krieg regelrecht selbst ausgerottet: „‘Rußland und die USA haben sich gegenseitig vollständig fertig gemacht‘ (SP, 244), ‚Mitteleuropa [ist]

menschenleer‘ (SP, 244), ‚Asien, Europa (Asiopa besser) –; ebenso Nordamerika –‚ […] ‚Südafrika hats auch erwischt; ebenso die Industriezentren Australiens und Südamerikas.‘“ (SP, 244). Der Dritte Weltkrieg erlaubt wohl keine Sinnstiftung, liefert aber eine Begründung der Katastrophe. In Arno Schmidts Schwarzen Spiegeln fällt auf, dass die angedeutete atomare und bakterielle Katastrophe das menschliche Leben ganz plötzlich vernichtet hat. Die Skelette, die noch in den Autowracks sitzen, verdeutlichen die Unmittelbarkeit der Katastrophe.

Wenn die Darstellung der Katastrophe und deren Ursachen bewusst oder unbewusst ausgespart werden, kann dies auch auf eine Tendenz zur Schwierigkeit der Darstellung bzw. auf deren Nicht-Darstellbarkeit verweisen. Ist dies als Ausdruck einer künstlerischen Überforderung zu werten? Oder ist dies vergleichbar mit der Überforderung von der Beschreibung der Konzentrationslager655 und anderen historischen Schreckbildern, die Sprachlosigkeit und Beschreibungsimpotenz hervorrufen können? Lässt sie sich vielleicht sogar als „kriminelle Naivität der Verharmlosung“656 klassifizieren?

651 Vgl. ebd., 89.

652 Vgl. ebd., 89f.

653 Vgl. ebd., 90.

654 Vgl. ebd.

655 Vgl. Marianne Kesting, „Warten auf das Ende. Apokalypse und Endzeit in der Moderne“, in: „Poesie der Apokalypse“, Gerhard R. Kaiser (Hg.), Königshausen und Neumann, Würzburg 1991, 175.

656Ebd.

Die vielfältigen Interpretationsansätze dieser Elemente in den Romanen, die sowohl Traum, realer Verweis oder Kunstgriff sein können, verweisen gerade nicht auf ein Versagen angesichts der Darstellungsmöglichkeiten.

So spricht Marianne Kesting in diesem Zusammenhang von einer

„Negativstruktur“657 der Endzeitliteratur. Die große und bedeutende Literatur des Genres stelle demnach die Katastrophe eben nicht im realistischen Detail dar, sondern scheint diese geradezu auszusparen. Nur noch eine „subjektive Reaktion auf die apokalyptische Bedrohung“658 werde angezeigt, nicht aber diese selbst. Die Arbeit mit Andeutungen und Aussparungen mache jedoch gerade die

„Unangemessenheit des ästhetischen Mittels mit zum Thema“659 und erfasse „ex negativo mehr von den drohenden endzeitlichen Schrecken als deren Ausmaler und ohnmächtige Moralisierer“660.

Ob eine ästhetische Gestaltung des Untergangs überhaupt noch möglich sei und ob ein Inferno, das das Ende der Menschheit bewirke, überhaupt adäquat wiedergegeben werden könne, stellt auch Klaus Vondung in Frage.

Angemessenheit bedeute in diesem Fall, „[…] daß das eigentlich Unvorstellbare und dessen Bedeutung, nämlich Abschluß der Menschheitsgeschichte zu sein, angemessen repräsentiert ist“661. Zu bedenken sei hier, dass jede künstlerische Gestaltung per se schon ästhetisches Vergnügen erzeuge. In diesem Zusammenhang stehe auch die Problematik, ob eine positive Rezeption angesichts des Ernstfalls nicht grundsätzlich deplatziert sei. Vondung hält die Schriftsteller für diejenigen, die eine Antwort darauf geben – und nur wenigen habe es dabei die Sprache verschlagen.662

Auch Krah konstatiert, dass Katastrophen, bei denen der Mensch durch kriegerische Auseinandersetzung Anteil hat, darstellerisch übergangen werden.663 Die vage Darstellung von Katastrophenformen sei nicht als Zeichen für den Rückgang kreativer Impulse zu werten. Endzeitdarstellungen sind aber dennoch mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, so z.B. in Schwarze Spiegel:

Obwohl die Katastrophe im Text explizit auf einen Atomkrieg zurückgeführt wird (der Schrecken des Krieges stecke in dem, was er zur Folge habe, ist also von

657Ebd., 176.

658 Ebd.

659 Ebd.

660 Ebd.

661 Klaus Vondung, a. a. O., 433.

662 Vgl. ebd.: So z.B. Wolfgang Hildesheimer, dem es nach eigener Aussage „die Worte verschlagen“ habe. „Von Arno Schmidt über Günter Grass bis Günter Kunert und Christa Wolf haben sich [jedoch] Schriftsteller mit der Möglichkeit des definitiven Endes literarisch auseinandergesetzt […].“

663 Vgl. Hans Krah, a. a. O., 93.

der Wirkung aus beschreibbar664), konnte man sich die globalen Auswirkungen eines solchen auf Umwelt und Klima 1951 wohl noch nicht vorstellen. Und so radelt der Protagonist als letzter Mensch durch eine unbeeinträchtigte Natur der Lüneburger Heide.665

In den neueren Texten wird die Ausblendung der Katastrophe mit dem Aspekt der Unmittelbarkeit kombiniert, wobei sich der Wissens- und Informationsverlust fortsetzt. Darüber hinaus wird die Katastrophe durch den Verzicht auf Exemplifizierung auch aus ihrem zeitlichen Kontext gehoben, was wiederum den Blick auf ontologisch-universale Gültigkeiten lenkt. Was Krah für die früheren Texte feststellt, gilt jedoch auch für aktuelle postapokalyptische Szenarien:

Naturgewalten dienen als „Chiffre der Darstellbarkeit und Vermittelbarkeit“, um die „‘Qualität‘ der Katastrophe“ vorstellbar zu machen.666 Gab es in den früheren Texten aber keinen eigenständigen Code des Sprechens über Katastrophen, so scheint das Sprechen über die Katastrophe generell an Bedeutung verloren zu haben. Ein Befund aus Mitte der achtziger Jahre besagt, dass sich der Gegenstand äußerster Bedrohung angesichts des Weltuntergangs gegen eine literarische Bearbeitung sperre.667 Dennoch stellt sich die Frage danach, warum Literatur – zumindest im Hinblick auf das Motiv des letzten Menschen – Katastrophen im Zusammenhang mit dem Verschwinden der Menschheit nicht unmittelbar darstellt.

Dies wird z.T. durch die vorgestellten Diskurse beantwortet: Denn diese ziehen die Möglichkeit einer völligen Vernichtung jederzeit in Betracht. Indem nun die verschiedenen Bestandteile der Katastrophe ausgespart werden, wird der Eindruck der nicht vorhandenen Manipulation noch stärker in den Fokus gerückt.

Solche Strukturen markieren das „Ende“ weiterhin als „übernatürliches“ Ereignis.

Darüber hinaus wird auf textimmanenter Ebene ein Konzept entworfen, das das spurlose Verschwinden der Menschen im Hinblick auf den Identitäts- und Geschichtsverlust der Protagonisten weiterführt.

Schließlich können die vage Darstellung einer Katastrophe und ihrer Auswirkungen mit einer Distanzierung in Verbindung gebracht werden, die an

664 Vgl. Eginhard Hora, „Materialistische Halbtrauer“, in: „Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur“, Heinz Ludwig Arnold (Hg.), Heft 20, Richard Boorberg Verlag, München 1971, 1. 665 Vgl. Klaus Vondung, a. a. O., 434.

666 Vgl. Hans Krah, a. a. O., 93f.

667 Vgl. Carl Pietzcker, „Grenzen und Möglichkeiten der ‚Atomliteratur‘“, in: „Trauma, Wunsch und Abwehr. Psychoanalytische Studien zu Goethe, Jean Paul, Brecht, zur Atomliteratur und zur literarischen Form“, ders., Königshausen und Neumann, Würzburg 1985, 124.

jene erinnert, welche nuklearer Kriegsführung anhaftet. So wurde beispielsweise in den achtziger Jahren die Verharmlosung der Neutronenbombe als „saubere Waffe“ kritisiert, die einen „begrenzbaren“ Schaden für die Zivilbevölkerung vorgab.668 Die Katastrophe im Sinne des Weltuntergangs kann also real gedacht werden und wird vom Bezugsmodell selbst zum mental zu verarbeitenden Phänomen.669

Jabłkowska sieht einen weiteren eklatanten Unterschied darin, dass die Autoren der neueren Anti-Utopien nicht an einen „Erschütterungseffekt“ ihrer Literatur glauben. Die latente Unmöglichkeit einer guten Lösung hat die Negation der Hoffnung zur Folge – was sich in neuen künstlerischen Ausdrucksformen widerspiegle. Christa Wolf bestätigt Jabłkowska, wenn sie über ihre Erzählung Kassandra schreibt:

– Jetzt muß man nicht mehr ‚Kassandra‘ sein: Die meisten beginnen zu spüren, was kommen wird. Ein Unbehagen, das viele als Leere registrieren, als Sinn-Verlust, der Angst macht. Eine neue Sinngebung durch die verbrauchten Institutionen – woran viele gewöhnt waren – ist nicht zu erhoffen. […] Sich den wirklichen Zustand der Welt vor Augen zu halten, ist psychisch unerträglich. In rasender Eile […] verfällt die

Schreibmotivation, jede Hoffnung, ‚etwas zu bewirken‘. Wem soll man sagen, daß es die moderne Industriegesellschaft, Götze und Fetisch aller Regierungen, in ihrer absurden Ausprägung selber ist, die sich gegen ihre Erbauer, Nutzer und Verteidiger richtet: Wer könnte das ändern. Der Wahnsinn geht mir nachts an die Kehle.670

Die zunehmende Überästhetisierung der Katastrophenereignisse, deren literarische Thematisierung eigentlich durch den bewusst hervorgerufenen Schock wachrütteln will, scheint spätestens seit den 1950er Jahren für die Wirkungslosigkeit anti-utopischer Kritik verantwortlich zu sein. Das Abstumpfen der Leser aufgrund der Überzahl der Katastrophen in der Realität des 20.

Jahrhunderts und der ständigen Überreizung durch die Produkte der Kulturindustrie lassen die Anti-Utopie zur Mode verkommen und relativieren die pädagogische Wirkung auf das Publikum.671 Dabei handelt es sich eigentlich um operationale Literatur, bei der die künstlerische Form hinter politik- und gesellschaftskritische Anliegen zurücksteht und die eine Ästhetik des Schreckens hervorkehren soll. Peter Sloterdijk sagt über das damalige Verhältnis zu Katastrophen und den Verlust ihrer ursprünglichen Intention:

Das aktuelle Alternativbewußtsein zeichnet sich durch etwas aus, was man als

pragmatisches Verhältnis zur Katastrophe bezeichnen könnte. Das Katastrophische ist eine Kategorie geworden, die nicht mehr zur Vision, sondern zur Wahrnehmung

668 Vgl. Anton-Andreas Guha, „Die Neutronenbombe oder Die Perversion menschlichen Denkens“, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 1982, 111f.

669 Vgl. Hans Krah, a. a. O., 16.

670 Christa Wolf, „Voraussetzungen einer Erzählung: Kassandra“, Frankfurter Politik-Vorlesungen, Luchterhand, Darmstadt und Neuwied 1983, 97.

671 Vgl. Stephan Meyer, a. a. O., 202.

gehört.672 […] Wer in dieser Logik zu Ende denkt, kommt zu einem fatalen Schluß: nur der real geschehende Weltuntergang wäre eine überzeugende Warnung vor dem Weltuntergang. […] Somit wäre die einzige Katastrophe, die allen einleuchtet, die Katastrophe, die keiner überlebt.673

Die gegenwärtige Zukunftsliteratur existiert Jabłkowska zufolge demnach in der Spannung zwischen Apokalypse und Groteske.674

Im Dokument "Jedes Ende ist auch ein neuer Anfang" (Seite 182-188)