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Die moderne Apokalyptik

Im Dokument "Jedes Ende ist auch ein neuer Anfang" (Seite 97-100)

Strukturmerkmale

3 Zum Verhältnis von Literatur und Weltuntergang

3.2 Die moderne Apokalyptik

[…] die Menschheit müßte mal aus Protest gegen Gott beschließen, am 15. November 1955, abends 18 Uhr 10, geschlossen Selbstmord zu begehen (s giebt ja bestimmt schon Mittel, womit das direkt Spaß macht !) […].338 Die Definition von Apokalypse vor dem Hintergrund der Moderne und des 20.

Jahrhunderts ist für das weitere Verständnis zentral, da von einem Bedeutungswandel gesprochen werden kann.

Unter dem griechischen Begriff Apokalypse ist in erster Linie eine totale Katastrophe zu verstehen, aber auch Unheil und Grauen. Theologisch gesprochen, handelt es sich um eine Schrift über das Weltende; exemplarisch hierfür steht die Offenbarung des Johannes339, in der alle Schlüsselbegriffe christlicher Endzeiterwartung vorkommen. So wird Apk. 20, 1-10 das Theologumenon vom „tausendjährigen Reich“ eingeführt, das dann in Form des Chiliasmus geschichtlich bedeutsam geworden ist, weiter ist dort Vv. 11-15 die Rede vom jüngsten Gericht, das dann in das „Neue Jerusalem“ (Apk. 21, 1-4) mündet. Als Zentrum der christlichen Endzeiterwartung aber kann in der Frühzeit das heilvolle Wiederkommen Christi im Sinne der Weltüberwindung und Neuschaffung des Kosmos bezeichnet werden.340 Die biblische Vorlage handelt also nicht vom Weltende, sondern von der Erneuerung der Menschheit, die aber Utopie sei der Versuch, „die Schöpfung zu revidieren“. (ebd., 116). Cioran begrüßt daher die Ablösung der illusionären Utopie durch die Anti-Utopie: „[…] wir erleben eine Ansteckung der Utopie durch die Apokalypse: die ‚neue Erde‘, die man uns verkündigt, nimmt mehr und mehr die Züge einer neuen Hölle an. […] Die beiden Gattungen, die Utopie und die Apokalypse, […] durchdringen jetzt einander, färben aufeinander ab und bilden eine dritte, die in wunderbarer Weise geeignet ist, die Art Realität, die uns bedroht, widerzuspiegeln; und von nun an werden wir dennoch Ja sagen zu dieser Realität, ein korrektes Ja ohne Illusion. Das wird unsere Weise sein, vor dem Verhängnis makellos zu bleiben.“ (ebd., 109f.).

336 Vgl. ebd., 84, 119f.

337 Vgl. Götz Müller, a. a. O., 38.

338 Arno Schmidt, „Das steinerne Herz. Historischer Roman aus dem Jahre 1954 nach Christi“, Bargfelder Ausgabe Werkgruppe I, Bd. 2, Arno Schmidt Stiftung (Hg.), Haffmans Verlag, Zürich 1986, 7-163, hier: 136f.

339Vgl. Definition Duden: Apokalypse, in: „Duden“, a. a. O.

340 Vgl. Friedemann Richert, a. a. O., 82.

einhergeht mit Unglück, Tod und Zerstörung. Nach der Zeit der Leiden und der Not sollen die Überlebenden das ersehnte Glück auf Erden im „Neuen Jerusalem“ erfahren. Diese chiliastische Hoffnung biblischen Ursprungs hat sich auch in der abendländischen Kultur jahrhundertelang ausgewirkt. Bezeichnend ist aber der Paradigmenwechsel im 20. Jahrhundert, in dem biblische Zerstörungsbilder von Pest, Krieg, Hungersnot und Tod ersetzt werden.341 Das Apokalyptik-Motiv hat um die Jahrhundertwende Eingang in die deutsche Literatur gefunden: Die Endzeitstimmung vor dem Ersten Weltkrieg ist Sinnbild dieser Zeit. Die Forschung sieht aber gerade in der Gegenwartsliteratur den Verlust jeglicher Hoffnung. „Haben ältere Epochen das Ende der Zeiten immer als ein relatives Ende verstanden, so erscheint der Gegenwart die Apokalypse als eine Zeit der endgültigen Zerstörung“.342 Daneben existiert auch die Ansicht, dass der Atomkrieg eigentlich „anti-apokalyptisch“ sei und der Begriff der Apokalypse inflationär verwendet werde; so entziehe sich der Mensch in der globalen Selbstvernichtung dem letzten Gericht.343

Das ursprüngliche, strukturbildende Motiv der Apokalypse, der Anbruch einer neuen Weltordnung, scheint nicht mehr gültig zu sein. Während in der früheren Apokalyptik der Weltuntergang eine Art Durchgang zur neuen vollkommenen Welt darstellt, geht in der Literatur des 20. Jahrhunderts diese Erlösungsvision zunehmend verloren: Die für die Apokalypse charakteristische ‚doppelte Wirklichkeitsaussage‘ trifft nicht mehr zu. Man spricht von der kupierten Apokalypse. Oftmals wird dieser Begriff mit dem „machbaren Weltuntergang[…]“344 verknüpft:

Das Neue ist die mögliche Herstellung der Apokalypse, auf die man bisher vergeblich gewartet hat. Noch ist dieses Ende der Welt ein Phantasma, aber eines ‚das [sic!] einen maßlosen Sog bewirkt: wenn es zum Beispiel technisch möglich wäre, als Zuschauer unbehelligt zu bleiben, würde sich fast niemand diesen letzten Augenblick entgehen lassen.345

341 Vgl. Joanna Jabłkowska, „Literatur ohne Hoffnung“, 107. Vgl. Sven-Aage Jørgensen,

„Utopisches Potential in der Bibel. Mythos, Eschatologie und Säkularisation“, in: Wilhelm Voßkamp (Hg.), „Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie“, Bd.

1, Suhrkamp, Stuttgart 1985, 375-401.

342 Gunter E. Grimm, Werner Faulstich, Peter Kuon (Hg.), „Apokalypse.

Weltuntergangsvisionen in der Literatur des 20. Jahrhunderts“, Suhrkamp, Frankfurt a.

M., 1986, 8.

343Vgl. Manfred Voigts in der Zeitschrift L’80 (1985), zitiert nach: Thomas W. Kniesche,

„Die Genealogie der Post-Apokalypse. Günter Grass’ Die Rättin“, Passagen Verlag, Wien 1991, 31.

344Dietmar Kamper, „Die kupierte Apokalypse. Eschatologie und Posthistoire“, in:

Ästhetik und Kommunikation, Heft 60, Jg. 16, Religion, Ästhetik und Kommunikation Verlags-GmbH, Berlin 1985, 85.

345 Ebd.

Auch Klaus Vondung verweist auf den Terminus der „kupierten Apokalypse“ und stellt fest, dass es der Apokalypse „[s]tets […] auf diese neue Welt“346 ankam,

„die Apokalypse war eine Erlösungsvision“347.

Erst heute, unter der Drohung der „von uns selbst gemachten Apokalypse“, wie Günther Anders die „Möglichkeit unserer Selbstauslöschung“ nannte, ist Erlösung nicht mehr im Blick. Wenn wir dennoch von der Apokalypse eines Atomkriegs sprechen, so haben wir es mit einer „kupierten“ Apokalypse zu tun. Wir können nur die erste Hälfte der

herkömmlichen apokalyptischen Vision meinen; die zweite Hälfte, die Errichtung der neuen, vollkommenen Welt, die früher dem Untergang Sinn und Ziel verlieh, hat sich verflüchtigt.348

Vondung fragt, weshalb dennoch ständig von der Apokalypse gesprochen werde und ob nicht die ebenfalls typisch deutsche quasi-religiöse Sehnsucht nach Erlösung und einem anderen Leben weiterhin zumindest unterschwellig im Spiel sei.349 Für Christoph Holzhey ist dies die „Frage nach einer scheinbar unverständlichen Lust am Untergang und ihr vielleicht allzu schnelles Wegerklären durch ein verdecktes utopisches Begehren“350. In der (post)modernen Apokalypseliteratur werden zudem die Irreversibiltät, der Untergang der Menschheit und die Einseitigkeit der Zerstörung der Welt betont.351 Regina Eickelkamp stimmt mit Vondung überein, wenn sie feststellt:

„Die Visionen und Versionen der uns bevorstehenden Weltuntergänge beinhalten den endgültigen Untergang und die Auslöschung des Menschen als Individuum sowie als Spezies.“352

Dass damit der Begriff eine entscheidende Wende erfahren hat, liegt auf der Hand. Diese hat auch auf das Genre der Endzeitliteratur Auswirkungen – denn wenn keine Erlösung mehr möglich scheint, bedeutet dies eine besondere Strukturbegrenzung. Apokalyptische Konzepte erscheinen dann mehr denn je als Bedrohung. Dass die deutschen Intellektuellen das Konzept der Utopie gegen eine Apokalypse, die nichts mehr verspricht, eingetauscht haben, wird als Synonym für die auf uns wartende, im Bewusstsein immer schon präsente

346 Klaus Vondung, „Die Apokalypse in Deutschland“, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1988, 11.

347 Ebd.

348 Ebd., 11f.

349 Ebd., 12f.

350 Christoph F. E. Holzhey, 22.12.2005, „‘Den Todesstreifen zum Radweg bügeln‘.

Erinnern und Schreiben zwischen Ruinen und ihrer Zerstörung in Reinhard Jirgls Hundsnächte“, TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, No. 15/2003,

„Apokalypse now? Eschatologische Tendenzen in der Gegenwartsliteratur“,

<http://www.inst.at/trans/15Nr/05_16/holzhey15.htm> (03.06.2009).

351 Vgl. Klaus Vondung, a. a. O., 12f.

352 Regina Eickelkamp, 23.12.2005, „Apokalyptische Narrative im Romanwerk Michel Tourniers und Christoph Ransmayrs unter besonderer Berücksichtigung des Motivs der Reise und der Metamorphose“, TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, No.

15/2003, „Apokalypse now? Eschatologische Tendenzen in der Gegenwartsliteratur“,

<http://www.inst.at/trans/15Nr/05_16/eickelkamp15.htm> (Trans. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften Nr. 15/2003) (03.06.2009).

Katastrophe bezeichnet.353 Volker Lilienthal bescheinigt der neueren Katastrophenliteratur „eine allumfassende, eine im Wortsinn totalitäre Zerstörung der Zivilisation und der natürlichen Lebensgrundlagen“354, auch „Irreversibilität“

zählt „zu den Aspekten, unter denen sich fast alle literarischen Untergangsvisionen betrachten lassen.“355

Es stellt sich in diesem Kontext die Frage, ob in den Werken von Schmidt, Haushofer und Rosendorfer „das Prinzip Hoffnung“ wieder präsenter als in anderen Werken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertreten ist oder ob hier der vollständige Verlust der Hoffnung konstatiert werden kann.

Die Wiederkehr der Apokalypse steht auch im Zeichen der in Kap. 6.8 Gattungszusammenhänge besprochenen Remythisierung356. Die mythische Apokalypse im 20. Jahrhundert hegt Zweifel am planmäßigen Fortschritt der Menschheit. Dabei spielt die Apokalypse in der klassischen Utopie keine Rolle – erst mit der Wende zur Anti-Utopie im 20. Jahrhundert wird der Mythos wiederbelebt. Mit dem Zweifel am Fortschritt wird die Idee einer Vollendung der Geschichte gleichsam in den Mythos zurückverwandelt. In der Anti-Utopie wird demzufolge die Wiederholung des Alten und Bekannten zum Mittel einer postmodernen Strukturierung der Welt.357

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