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Ziel und Vorwegnahme von Relativierungen

Diese Analyse zeigt erstmals überzeugend, dass eine wirklich hohe Stabilität sozial-emotionaler Persönlichkeitsmerkmale erst im höheren Erwachsenenal-ter erreicht wird. Nicht nur im Kindes- und JugendalErwachsenenal-ter, sondern auch noch im jüngeren Erwachsenenalter können also deutliche Persönlichkeitsveränderun-gen stattfinden, und die Stabilität nimmt mit Ausnahme der vorübergehenden Destabilisierung in der Pubertät bis zum Alter von ca. 80 Jahren nicht ab. (S.

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Die Stabilität nimmt also über den Lebenslauf betrachtet zu, wobei die allgemeine Destabilisierung im Jugendalter und ihre Auswirkung auf die korrelative Stabilität im Jugendalter auch durch Pinquart und Silberweisen (2002) belegt werden: „Die Korrelationen sind [dann] nur etwa halb so groß wie bei Längsschnittstudien zum Temperament in der Kindheit und zur Veränderung der Persönlichkeit im frühen und mittleren Erwachsenenalter“ (S. 107; Hervorhebung durch D.L.). Insofern kann da-von ausgegangen werden, dass sich die Stabilitätskoeffizienten dieser Studie, wäre die Erhebung deutlich vor der Pubertät gewesen, allenfalls noch höher gezeigt hät-ten.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Frage nach der Merkmalssta-bilität über einen großen Längsschnitt wie der vorliegende aus empirischer wie auch aus entwicklungstheoretischer Sicht Sinn macht. Dass darüber hinaus gemäß der Selbstbestimmungstheorie die Verursachungsprinzipen dieser Stabilität in die Be-rechnungsmodelle miteinfließen, stellt bei allen Relativierungen von solchen zeitlich ausgedehnten Longitudinalstudien (vgl. folgendes Kap. 2.8) den Wesenskern dieser Arbeit dar.

2.8 Ziel und Vorwegnahme von Relativierungen

Nach diesen Beschreibungen der Schlüsselbegriffe und die in der Einleitung grob formulierte Fragestellung wird nun das Ziel dieser Arbeit geklärt. Es soll geprüft werden, ob und inwiefern die „soziale Eingebundenheit“ gemäß der Selbstbestim-mungstheorie (SDT) unter Verwendung von längsschnittlichen Daten (1980 bis 2002) der LifE-Studie (Lebensverläufe ins frühe Erwachsenenalter)15 (Projektlei-tung: Fend, Georg, Berger, Grob, & Lauterbach; siehe zusf. Grob und Erzinger, 2004) zur Bestimmung der Leistungsmotivation im Jugendalter und der beruflichen Weiterbildungs- und Leistungsmotivation im Erwachsenenalter herangezogen wer-den kann.

Es ergeben sich folgende vier Unterziele, welche im Kapitel 5.1 mit konkreten Fra-gestellungen übersetzt werden:

15 LifE-Studie: Nationalfonds-Projekt (SNF 100013-101806) „Vom Jugendlichen zum Erwachsenen. Fol-low-Up zur Längsschnittuntersuchung ‚Entwicklung im Jugendalter aus den Jahren 1979-1983’“

2 Begriffsdefinitionen und Ziel 2.8 Ziel und Vorwegnahme von Relativierungen

1. Prüfen der Effekte von sozial wahrgenommener familiärer und außerfamiliärer sozialer Eingebundenheit gemäß der SDT auf die Leistungsmotivation und auf die berufliche Leistungs- und Weiterbildungsmotivation

2. Prüfen der Effekte differentieller Wirkungszusammenhänge

3. Prüfen von motivationalen Stabilitäts- und Kontinuitätsnachweisen vom frühen Jugendalter ins frühe Erwachsenenalter

4. Prüfen der allfälligen Effekte familiärer und außerfamiliärer sozialer Beziehun-gen im frühen JuBeziehun-gendalter direkt und (über die Leistungsmotivation im JuBeziehun-gendal- Jugendal-ter) indirekt auf die berufliche Leistungsmotivation und die berufliche Weiterbil-dungsmotivation im frühen Erwachsenenalter (22 Jahre später)

Die folgenden Ausführungen dienen der Offenlegung von methodischen und daten-satzbezogenen Eigenheiten im Rahmen dieser Studie. Allfällige Relativierungen der Befunde sind so ausgewiesen und für den Leser identifiziert. Allfällige Grenzen der zu Tage geförderten Erkenntnisse werden so vorweggenommen und transparent ge-macht. Es werden vier Bereiche erläutert: die im nachhinein erarbeitete Forschungs-frage, der Einbezug des explorativen Charakters, die Analysenfolge und die Längs-schnittproblematik bei t2 minus t1 von über 20 Jahren.

Im Nachhinein erarbeitete Forschungsfrage

Die Konstanzer Longitudinalstudie war ein Großprojekt, das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) während acht Jahren finanziert wurde und von ver-schiedenen Forschungsfragen unterschiedlicher Disziplinen geleitet war. Das Unter-suchungsdesign und die Instrumentenverwendung ist aber nicht für eine Follow-Up-Befragung 20 Jahre später in irgendeiner Weise vorbereitet und ausgelegt worden.

Die vorliegende Forschungsfrage und deren Beantwortung ist also a posteriori iden-tifiziert und erarbeitet worden. D.h. zuerst mussten solche Variablen und Konstrukte aus dem großen Datensatz von über 4000 Variablen gefunden werden, welche einen wesentlichen Bezug zu den hier interessierenden Bereichen Motivation und Bezie-hung hatten. Dann war abzuklären, auf welche Motivationstheorie(n) zurückgegrif-fen werden könnte, um grundlegende Fragen zur längsschnittlichen Entwicklung der Lern- und Leistungsmotivation über 20 Jahre hinweg zu verfolgen. Danach musste geprüft werden, ob die sodann gewählte Theorie der SDT sich mit den vorliegenden Variablen und Konstrukten methodisch genügend nachweisen ließ. Insbesondere die Themenbereiche Eltern-Kind-Beziehung, Lehrer-Schüler-Beziehung und Lern- und Leistungsmotivation avancierten folglich zu Kernbereichen, welche den essentiellen Teil der SDT „soziale Eingebundenheit als Auslöser der Motivation“ operationali-sierbar machten.

Einbezug vieler Variablen mit entsprechendem explorativen Charakter

Diese oben beschriebene Herangehensweise ist dafür verantwortlich, dass eine Viel-zahl von Variablen zur sozialen Eingebundenheit in Familie und in der Schule bzw.

bei der Peergroup in die Analysen eingeflossen ist und dass die Studie dadurch auch einen explorativen Charakteranteil hat. Auch die verschiedenen Formen des

Kon-2 Begriffsdefinitionen und Ziel 2.8 Ziel und Vorwegnahme von Relativierungen

strukts „Eltern-Kind-Beziehung“ sind in den Analysen mitberücksichtigt. Zum einen weisen sie, wenn sich alle Formen signifikant zeigen, auf klare Wirkungen der so-zialen Eingebundenheit auf die Motivation hin und reduzieren so eine allfällige Restbefürchtung einer inhaltlichen und methodischen Zufälligkeit. Diese in der So-zialwissenschaft bekannte Irrtumswahrscheinlichkeit ist vor allem darum zu berück-sichtigen, weil die Forschungsfrage nach der Erhebung erarbeitet wurde. Insofern dient also die Vielzahl der Befunde und deren zum Teil explorative Charakter einem ausgewogenen Erkenntnisprozess bei einem so langen Längsschnitt. Viele der hier gefundenen Einzelbefunde zum kurzen Längsschnitt zwischen 1980 und 1982 sind in den informationsreichen Monografien über den Konstanzer Längsschnitt von Prof. Dr. Fend (1990, 1991a, 1997, 1998) in dieser differenzierten Form noch nicht gezeigt worden.

Die Studie fokussiert unter der SDT-Perspektive die Leistungsmotivationsentwick-lung aufgrund sozialer Einbettung in Familie und Schule über 20 Jahre hinweg.

Bewusst gewählte Analysenfolge

Es ist nicht die Aufgabe der Forschung, alle Mess- und Berechnungsfehler mit 100%iger Sicherheit auszuschließen, sondern komplexitätsreduzierte Modelle auf-zuzeigen, welche nicht verworfen werden. Auf dieser Basis kommen verschiedene Analyseverfahren zur Anwendung.

Die Hypothesenprüfungen erstrecken sich über die gesamten Ergebniskapitel. In ei-nem ersten Schritt kommen Korrelationsberechnungen (1) über die gesamte Stich-probe hinweg (d.h. Frauen und Männer aller Schulformen zusammen) zur Anwen-dung. In einem zweiten Schritt werden Partialkorrelationen (2) eingesetzt, welche die stark beeinflussenden Kontrollvariablen (z.B. Leistungsposition) auspartialisie-ren. Diese zwei Analysen werden über die gesamten 20 familiären und die 15 außer-familiären Variabeln zur sozialen Eingebundenheit (Skalen und Einzelitems in Kap.

7.2.2 und 7.3.2) mit den entsprechenden abhängigen motivationalen Persönlich-keitsmerkmalen mit 13 und 35 Jahren getätigt. Weil sich die Anwendung multipler Regressionsanalysen (3) aufgrund dieser hohen Zahl an Variablen und auch wegen der Multikollinearitätsprobleme schwierig gestaltet, werden diese nur für einzelne signifikante Ergebnisse im Weiteren benutzt. Schließlich werden die in den einzel-nen Analysen konzise herausgearbeiteten Schlüsselvariablen mittels Strukturglei-chungsmodellen (4) fehlerbereinigt analysiert.

Unter dieser methodischen Vorgangsweise dürfen die korrelativen und partialkorre-lativen signifikanten Zusammenhänge wohl auch mit kausalen Wirkungsmechanis-men in Verbindung gebracht werden, vor allem dann, wenn sie unter explizitem Theoriebezug zur SDT stehen, obwohl solche Zusammenhänge streng wissenschaft-lich auch umgekehrt, zweiseitig16 oder durch eine weitere Variable verursacht sein könnten.

16 Im Gegensatz zur SDT, welche einseitige Wirkungsmechanismen von der ökologischen Ebene auf die psychische Ebene des Kindes modelliert, propagiert die Theorie des Interaktionismus grundsätzlich die ge-genseitige Beeinflussung. In den Strukturgleichungsmodellen ist vor allem nach der SDT vorgegangen worden.

2 Begriffsdefinitionen und Ziel 2.8 Ziel und Vorwegnahme von Relativierungen

Zur Thematik der Bestimmung von Persönlichkeitsmerkmalen über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren.

Es dürfte von vornherein klar sein, dass die Erbringung eines Ursachennachweises von Motivation über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten auch unter Berücksichti-gung einer adäquaten Theorie und der schrittweisen Anwendung von komplexer werdenden Analysen immer hinterfragt werden kann. Die Realität zeigt sich selten in modellhaft aufbereiteter Weise. Korrelations-, Regressions- und Strukturglei-chungskennzahlen fallen über einen so großen Zeitraum dementsprechend tief aus.

Dies zeigt sich auch in den verschiedenen Befunden im Kapitel vier. Nun können signifikante Nachweise und in komplexen Modellen aufgespürte theoriekonforme Tendenzen mit dem Generalargument in den Wind geschlagen werden, dass eine eingegrenzte Fragestellung bezogen auf nur ein Persönlichkeitsmerkmal zu kurz greift, um über die Persönlichkeitsentwicklung während zwei Jahrzehnten überhaupt relevante Aussagen machen zu können. Methodisch könne dies gar nicht genügend berücksichtigt werden, so ein allenfalls weiterer Einwand.

Es ist hier nicht der Ort, über die Aussagekraft der vorliegenden Ergebnisse auf-grund dieser auf-grundsätzlichen Überlegungen mit diesem langen Längsschnitt ein Ur-teil zu fällen. Dies ist ein separater wissenschaftlicher und vor allem methodologi-scher Diskurs, der nicht Gegenstand dieser Arbeit ist.

Um aber genau dieser Thematik dennoch etwas Rechnung zu tragen, ist bei der Prü-fung der aufgestellten Hypothesen zu Beginn jeweils sowohl deskriptiv als auch be-wusst explorativ vorgegangen worden, bevor die schließende Statistik zum Zug kam. Auf der einen Seite gibt es nicht immer schon Befunde über spezifische Wir-kungsweisen von bestimmten Variablen auf andere über einen so großen Zeitraum, auf der anderen Seite weist die Verwendung der stattlichen Anzahl der Variablen und deren Zusammenhänge auf grundsätzliche und ganzheitliche Perspektiven hin, die für andere Forschungsfragen durchaus Bedeutung haben könnten. Verschiedens-te ForschungsdesideraVerschiedens-te sind im TheorieVerschiedens-teil entsprechend aufgeführt worden und können mit den vorliegenden Ergebnissen ergänzt werden.