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Bedeutung und Einfluss der Eltern-Kind-Beziehung

4.2 Familiäre soziale Eingebundenheit und Leistungsmotivation

4.2.2 Bedeutung und Einfluss der Eltern-Kind-Beziehung

Der Begriff „Eltern-Kind-Beziehung im Allgemeinen“ umfasst in dieser Studie fol-gende Variablen: Wohlfühlen zu Hause, Eltern-Kind-Beziehung, Reibereien, Ge-sprächsintensität, außerfamiliäre Vertrauensperson bei persönlichen Problemen und bei Problemen mit anderen (s.a. Kap. 6.3.2).

Nach Fend (1998) bleibt eine positive Eltern-Kind-Beziehung in der Kindheit (12.

Lebensjahr) grundsätzlich auch im Jugendalter (13./14./15. Lebensjahr) erhalten und ist somit stabil. „Sie ist der an Gewicht alle anderen Aspekte überragende Sachver-halt“ (S. 140). Zwischen Knaben und Mädchen zeigen sich keine signifikanten Un-terschiede, jedoch erstaunlicherweise zwischen den Schultypen (vgl. ebd.). Wie zeigt sich die Situation bezüglich Eltern-Kind-Beziehung heutzutage in land? Nachfolgendes Zitat weist auf eine Problematik hin, die spezifisch in Deutsch-land gilt:

Ein umfassender UNICEF-Bericht zum Wohlergehen der Kinder in Industrie-ländern zeichnet ein ernüchterndes Bild der Situation in Deutschland.

Deutschland ist nur Mittelmaß, wenn es darum geht, verlässliche Lebensum-welten für die junge Generation zu schaffen. […] Mehr als die Hälfte der 15-jährigen Deutschen sagen, dass ihre Eltern kaum Zeit haben, sich mit ihnen zu unterhalten. In Ungarn und Italien machen nur etwa ein Viertel der Jugendli-chen diese Erfahrung. Eine vertiefende Studie für Deutschland zeigt, dass die Situation der Kinder in den einzelnen Bundesländern stark voneinander ab-weicht. (UNICEF, 2007)

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Gemäß der SDT würde diese gesellschaftliche Entwicklung für die Leistungsmoti-vation eine negative Veränderung bedeuten. Wie sich das Essentielle an der Eltern-Kind-Beziehung zeigt, lässt sich mit Ausführungen von Ciompi (1982) aufzeigen.

Seiner Meinung nach umfasst menschliches Erleben in jedem Moment sowohl kog-nitive als auch affektive Elemente. Elterliches Verhalten kann – im weitesten Sinne – immer als „etwas Doppeltes, Bipolares, nämlich [als] etwas sowohl Kognitives als auch Affektives“ (S. 169) erfahren werden.

Die Mutter kann ihrem Kind hundertmal sagen, es solle sein Zimmer in Ord-nung halten oder die Suppe löffeln, ohne zu schlürfen: Ihre Worte bleiben so-lange leerer Schall, als ihnen nicht durch begleitende Emotionen – Ärger, Wut, Spannung oder Aussicht auf Belohnung, Freude, liebevolle Zuwendung – so viel ‚Nachdruck’ verliehen wird, dass sie tatsächlich ‚Eindruck’ machen.

(S. 169)

Ciompi sagt, dass diese fundamentalen Botschaften als „Regelsystem höherer Ord-nung, in die alle einzelnen Kommunikationselemente eingebettet sind“ wirken (S.

217). Es sind

jene grundlegenden positiven oder negativen Botschaften, welche durch die gesamte Haltung und Einstellung eines Menschen einem anderen gegenüber vermittelt werden, und die sich am ehesten durch so allgemeine Polaritäten wie Wohlwollen/Übelwollen, Vertrauen/Misstrauen, Offenheit/Verschlossen-heit, Klarheit/UnklarOffenheit/Verschlossen-heit, Objektliebe/narzisstische Liebe umschreiben lassen.

Sie und nicht die einzelnen verbalen oder averbalen Kommunikationselemen-te sind nach meiner Überzeugung das eigentlich Wichtige und Wirksame … . (S. 216)

Wenn im Rahmen der Beurteilung der Eltern-Kind-Beziehung die Bedeutung von Reibereien mitberücksichtigt wird, dann können diese Fundamentalbotschaften ge-mäß Storch (1994) auch in Konflikten zwischen Jugendlichen und Eltern in positiver Weise für die Entwicklung der Kinder ins Gewicht fallen, solange das Bemühen um Versöhnung die Oberhand behält. Die Mütter und Väter, die sich vor Konflikten nicht scheuen, geben so ihren Kindern zu verstehen, dass diese für sie so wichtig sind, dass sie es eben schaffen, sie „zur Weissglut“ zu bringen (vgl. S. 131).

Die Eltern-Kind-Beziehung weist aber immer auch einen genetischen Anteil auf, der unbeeinflussbar ist. Nach Schneewind, Walper und Graf (2000) belegt eine Reihe von Studien, dass sowohl das elterliche Erziehungsverhalten (z. B. elterliche Wärme oder Konflikte bzw. Negativität in Eltern-Kind-Beziehungen) als auch das wahrge-nommene Familienklima substantielle genetische Varianzteile aufweisen (vgl. S.

255).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Eltern-Kind-Beziehung, die Kommunikation und das Erziehungsverhalten zuhause für die gesamte Entwicklung

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von zentraler Bedeutung sind. Die Items Wohlfühlen zu Hause, Eltern-Kind-Beziehung, Reibereien, Gesprächsintensität, außerfamiliäre Vertrauensperson bei persönlichen Problemen und bei Problemen mit anderen werden zu diesen Kernka-tegorien gezählt.

Nach diesen Ausführungen zur Bedeutung der Eltern-Kind-Beziehung im Allgemei-nen folgen nun Hinweise, die den Einfluss der Eltern-Kind-Beziehung auf die Leis-tungsmotivation thematisieren.

B) Einfluss der Eltern-Kind-Beziehung

In Anlehnung an die SDT vermuteten Wild und Remy (2002a), dass 3. Klässler um-so eher selbstbestimmt und aufgabenorientiert in Mathematik lernen, je eher sie von ihren Eltern beim häuslichen Lernen in einer emotional zugewandten und autono-mieunterstützenden Weise angeleitet werden und je eher Eltern Hausaufgaben als Lernchance definieren (Prozessorientierung). Ihre Vermutung konnte bestätigt wer-den. Fremdbestimmte Formen der Lernmotivation dagegen waren bei den Schülern ausgeprägt, deren Eltern einen direktiv-kontrollierenden Umgang mit schulischen Belangen zeigten, überhöhte Leistungserwartungen hegten und in häuslichen Lehr-Lern-Arrangements das Leistungsergebnis ins Zentrum stellen (Produktorientie-rung).

Folglich ist eine grundsätzliche Prozessorientierung bei der Beziehungsgestaltung für die Förderung der Leistungsmotivation des Kindes angemessen. Es gilt aber auch, die richtige Dosis bei der Bekräftigung zu finden. Im Einklang mit Arbeiten zum Korrumpierungseffekt von Verstärkungen (vgl. Deci, Koestner & Ryan, 2001) sollen häufige Bekräftigungen nach Erfolgen vermieden werden, da diese eher mit geringer (intrinsischer) Motivation einhergehen.

Als überlegen erweist sich ein Interaktionsverhalten, bei dem die Kinder auf die Richtigkeit ihrer Ergebnisse schließen, wenn Eltern kommentarlos zur nächsten Aufgabe übergehen und das Gefühl entwickeln, dass diese richtige Lösung durchaus von ihnen erwartet wurde. Ein solches Verhalten geht mit einem hohen Selbstwirksamkeitserleben des Kindes einher. … Entgegen den Erwartungen scheint es also vorteilhaft, wenn Eltern im Regelfall nicht (zu) sensibel auf die kindlichen Bedürfnisse achten, sondern statt dessen eine sach-liche Arbeitssituation schaffen, die es dem Kind erlaubt, sich auf die Aufga-ben zu konzentrieren und nicht Anforderungen auf Inhalts- und Bezie-hungsebene zu reflektieren. (Wild et al., 2006, S. 383; Hervorhebung durch D.L.).

Auch bildungsrelevante Aktivitäten in der Familie, welche nicht direkt auf schuli-sche Anforderungen bezogen sind, sind gemäß Marjoribanks (1994) für die Leis-tungsentwicklung und die Bildungslaufbahn der Kinder sehr wichtig. In den Be-rechnungen weiter hinten beziehen sich die Freizeitaktivitäten auf eben diese Tatsa-che.

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Mit Daten aus dem Längsschnittprojekt “Von der Kindheit zur Jugend in der Fami-lie”, welches von Kreppner am Max-Planck-Institut geleitet wurde, zeigt Ullrich (1996), dass positives kommunikatives Verhalten der Eltern einen positiven Zusam-menhang mit den Schulleistungen des Kindes nach sich zog. Zudem wird ausgewie-sen, dass jedem Elternteil eine eigenständige Rolle in der Auseinandersetzung mit dem Kind zukommt. In Familien leistungsstarker Schüler werden befähigende Kommunikationsformen und Verhandlungsbereitschaft gelebt, während in Familien eher leistungsschwacher Schüler die Kommunikation einschränkend und weniger emotional ist.

Die Bedeutung der sozialen Beziehung für die Leistungsmediatoren Motivation, Leistungsangst und Fähigkeitsselbstkonzept wird auch durch den Schlussbericht des SNF-Projekts „Schulkontext und Identitätsentwicklung im Jugendalter“ von Neu-enschwander, Herzog und Holder (2001) bestätigt. Folgender Satz als Beleg: „Die Eltern-Schüler-Beziehung in der Sicht des Kindes war generell der stärkste Prädiktor für Leistungsmediatoren. […] Erwartungsgemäß sind nicht Wissenskonzepte son-dern Konzepte der sozialen Beziehung zur Lehrperson, in der Klasse und in der Schule zentral“ (S. III).

Die neurobiologische Forschung kann die Wirksamkeit der Eltern-Kind-Beziehung auf die Leistungsmotivation ebenfalls untermauern: Es ist ein „Freundschaftshor-mon“34 gefunden worden, dass die Motivation an die Qualität der Beziehung zum jeweiligen Gegenüber koppelt. Wir sind also „besonders dort motiviert, wo wir für bzw. mit solchen Menschen etwas tun können, mit denen wir uns zwischenmensch-lich verbunden fühlen“ (Bauer, 2007a, S. 2). Bauer hält sehr treffend fest, dass es in jüngerer Zeit gelang,

die Stimuli zu identifizieren, welche die menschlichen Motivationssysteme hochfahren können. Das Ergebnis war recht verblüffend: Was die Motiva-tionssysteme des menschlichen Gehirns aktiviert, ist die Beachtung, das Inte-resse, die Zuwendung und die Sympathie anderer Menschen, was sie inakti-viert ist soziale Ausgrenzung und Isolation. Auch hier macht das Gehirn aus Psychologie wiederum Biologie, oder anders ausgedrückt: Die stärkste Moti-vationsdroge für den Menschen ist der andere Mensch. Dies bedeutet: Es gibt keine Motivation ohne zwischenmenschliche Beziehung. Menschen sind in ih-ren zentralen Motivationen auf soziale Akzeptanz hin orientierte Wesen, ein Umstand, der in der neurobiologischen Szene der USA den Begriff des „social brain“ entstehen ließ. […] Neuere Untersuchungen zeigen, dass Ausgrenzung aus der Sicht des Gehirns ähnlich wahrgenommen wird wie absichtsvoll zuge-fügter körperlicher Schmerz. Da zugezuge-fügter körperlicher Schmerz ein potenter Auslöser von Aggression ist, wird verständlich, warum auch soziale Ausgren-zung bzw. Bindungslosigkeit aggressives Verhalten begünstigt: Das Gehirn

34 namens Oxytocin

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macht keine bzw. kaum eine Unterscheidung zwischen körperlichem und psy-chischem Schmerz und beantwortet daher beides mit Aggression35. (S. 2f) Das soziale Moment (Empathie in der Familie) erweist sich in einem Strukturglei-chungsmodell im Vergleich zum Schulmonitoring (Schulaufmerksamkeit) und kul-turellen Kapital der Eltern als bedeutendster Faktor zur Vorhersage der Schuleinstel-lung und des darauffolgenden Schulerfolgs des Kindes, wie Zinnecker und Georg (1996) zeigen (vgl. Abbildung 4.2).

Abbildung 4.2: Vorhersage der Schuleinstellung durch das Elternhaus (Zinnecker & Georg, 1996, S. 306) Koeffizienten für Väter in Klammern. Alle Angaben nach Angabe der Kinder

Insgesamt ist die Relevanz einer empathischen Eltern-Kind-Beziehung für vorlie-gende Fragestellung sowohl empirisch als auch theoretisch ausgewiesen.

4.2.3 Bedeutung und Einfluss des Erziehungsstils