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Unterschiedliche Leistungssozialisation in Hauptschule und Gymnasium?

pflege ist eine wesentliche Determinante dieses Förderungsprozesses, wie nachfol-gend noch gezeigt werden wird.

3.3 Unterschiedliche Leistungssozialisation in Hauptschule und Gymnasium?

Im letzten Unterkapitel des theoretischen Hintergrunds soll auf den Zusammenhang zwischen extrinsisch selbstbestimmter Motivation, der Internalisierung und „abs-trakten“ Forderungen in der Schule hingewiesen werden, der sich je nach Schulform sehr differentiell zeigt, so die Kernthese.

Pieter (2004), welche sich intensiv mit der theoretischen Erkundung und Definition des selbstbestimmten25 Lernens auseinandergesetzt hat, charakterisiert die Selbstbe-stimmung in Anlehnung an verschiedene Theorien auf vier Ebenen: auf der meta-kognitiven, auf der meta-kognitiven, auf der volitionalen und auf der motivationalen (vgl.

27). Die vorliegende Arbeit fokussiert in ihrer Fragestellung nur die motivationale Komponente der Selbstbestimmung.

Die Arbeit geht u.a. von folgender These aus: Durch das in Schule und Studium häu-fig vorherrschende Prinzip abstrakter Leistungserbringung in Form lebenskontext-abgelöster Leistungsnachweise, Prüfungen und Übungen wird die extrinsisch moti-vierte Leitungserbringung von Lernenden zu einer Schlüsselkompetenz des „gehei-men Lehrplans“. Intrinsische Aspekte spielen dabei ebenfalls eine wichtige Rolle, sei es zur Unterstützung dieses extrinsischen Durchhaltewillens oder bei der Wahl der Schulform oder des beabsichtigten Studiums. Doch um die Schullaufbahn er-folgreich zu absolvieren, ist v.a. eine große Portion extrinsischer Leistungsmotiva-tion nötig, was nicht selten mit FrustraLeistungsmotiva-tionstoleranz und „Kulissenlernen“ (vgl. Leh-tinen, 1994, S. 143) zu tun hat.

Krause (1995) untersuchte zum Beispiel, welche Ziele Studierende beim Besuch von Lehrveranstaltungen verfolgen. In erster Linie waren es gemäß ihren Auswertungen folgende: „… um dort ‚Scheine’ zu erwerben, sich mit prüfungsrelevanten Lehr-inhalten zu beschäftigen, allgemein schneller das Studium beenden zu können oder weil der Besuch ganz einfach Pflicht ist“ (S. 133). Edelmann (2000) pflichtet dieser Erkenntnis bei, indem er festhält, dass in seinen Motivationspsychologie-Seminarien

„intrinsische Motivation manchmal als ‚eher relevant in Freizeit und Hobby’ und

‚weniger relevant in Schule und Universität’ angesehen wird“ (S. 258). Seiner Mei-nung nach zeigt sich hier das Ergebnis einer dreizehnjährigen schulischen Sozialisa-tionsgeschichte.

25 Selbstbestimmung kann in verschiedenen Bereichen gefordert werden. Metatheoretisch entspricht diese Haltung einem konstruktivistischen Lehr-Lern-Begriff. Pieter (2004) definiert Selbstbestimmung recht um-fassend: Ein Schüler, der selbstbestimmt lernen will, sollte in der Lage sein, Lernbedürfnisse festzustellen, Lernziele zu erkennen, das passende Lernangebot selbst auszuwählen, die Lernzeit und die Lernmedien festzulegen, über Lerntechniken verfügen, die in seinem Lernprozess kontinuierlich angepasst werden und schließlich den Lernprozess selbst kontrollieren, bewerten und mit der Zielerreichung abzuschließen (vgl.

S. 27).

3 Theoretischer Hintergrund 3.3 Unterschiedliche Leistungssozialisation in Hauptschule und Gymnasium?

Diese Studierenden sind also vor allem extrinsisch motiviert. Sind sie dabei aber selbstbestimmt? Der Autonomiebegriff der SDT sorgt häufig für Missverständnisse.

Autonomie ist nach Auffassung der SDT „keineswegs gleichzusetzen mit Unabhän-gigkeit von der (sozialen) Umgebung, sondern bezieht sich darauf, ob eine Person mit den Anregungen, Vorgaben oder Normen der Umwelt übereinstimmt und des-halb freiwillig bereit ist, das eigene Verhalten daran zu orientieren“ (Krapp & Ryan, 2002, S. 65). Somit kann diese Übereinstimmung als von innen verursacht und somit als selbstbestimmte Motivation bezeichnet werden. Wesentlich bei diesem Typ der Motivation ist, dass die Person bei der Vorgehensweise, wie sie ein gewisses Ziel erreicht, Autonomie erlebt.

Ein exemplarisches Beispiel für die Wirkung dieser Autonomie bzw. des Urheber-schaftsgefühls (Origin) zeigt das Ergebnis einer Interventionsstudie. Darin wurden in 16 Grundschulklassen die Effektivität dreier Trainingsmethoden für Lehrer über-prüft. Rheinberg und Krug (1993) weisen in der Bilanz folgendes Ergebnis aus: Eine 1. Trainingsmethode war ein kognitives Training und bestand darin, die motivati-onspsychologischen Konzepte zu vermitteln und Anwendungsmöglichkeiten zu dis-kutieren. Die 2. Trainingsvariante war ein Verhaltenstraining: Es wurden zusätzlich Realisationsvarianten auf Verhaltensebene eingeübt. Bei der 3. Variante ('Origin'-Ansatz) „war entscheidend, dass die Lehrerinnen in den Trainingssitzungen ‚kausale Autonomie’ im Sinne de Charms (1979) erlebten und sich als Urheber eigenen Han-delns sehen konnten. Dazu wurde den Teilnehmerinnen nach einer theoretischen Einführung die weitere Umsetzung wie auch die Planung der Sitzungen selbst über-lassen“ (S. 153). Gemäß den Unterrichtsbeobachtungen veränderten die Lehrer der 'Origin'-Gruppe ihr Verhalten am stärksten in trainingsgewünschter Weise. Insbe-sondere bei der im Vor- und Nachtestvergleich erhobenen Schülermerkmalen (Prü-fungsangst, Schulunlust etc.) zeigte die Methode des 'Origin'-Ansatz wesentliche Ef-fekte.

Auch Heckhausen (1989) und Bandura (1991) haben das Erlebnis der Urheberschaft von Handlung für die Motivation neben Deci und Ryan (1985) als zentral angese-hen. Ist es nun die selbstbestimmte (internal) oder die nur external regulierte Form der Motivation, die in der Schule am meisten gefördert und gefordert wird?

In Anlehnung an das Prinzip der Dekontextualisierung stellen Ulich (2001, S. 125) und Oerter (1985, S. 208ff) fest, dass extrinsisch motivierte Schüler gegenüber in-trinsisch motivierten eher im Vorteil sind. Denn Lerninhalte sind in der Schule meis-tens nicht aus dem unmittelbaren Lebenszusammenhang der Schüler gegriffen. Es geht nicht darum, welche Gefühle und Fragen die Schüler in die Schule hinein tra-gen, es geht oft vielmehr um die Aneignung abstrakter Begriffe und Kategorien.

Man denke z.B. an Textübungen in der Primarschule, in denen Worte den abstrakten Kategorien „Adjektive“, „Nomen,“ usw. zugeordnet werden müssen.

Der Schulalltag verlangt von den Schülern meistens, dass sie unterschiedliche Lern-inhalte schnell lernen, ganz egal, ob sie sich dafür interessieren oder nicht. Denn primär wird das Lernen und die Gedächtnisleistung belohnt. Insofern ist also die

3 Theoretischer Hintergrund 3.3 Unterschiedliche Leistungssozialisation in Hauptschule und Gymnasium?

Motivation sehr eng an die Leistungserfüllung geknüpft. Die Noten werden zum ei-gentlichen Ziel der Lernbemühungen. „Genau darin, nämlich in der Forderung und Förderung einer abstrakten – eben inhaltsunabhängigen – Leistungsbereitschaft, liegt einer der wichtigsten Sozialisationseffekte der Schule“ (Ulich, 2001, S. 127;

Hervorhebung durch D.L.).

Dieses Zitat kann nach der SDT so aufgefasst werden, dass der wichtigste Sozialisa-tionseffekt der Schule nicht in der Vermittlung der inhaltsabhängigen intrinsischen Lernmotivation, sondern in der Vermittlung und Stabilisierung einer extrinsisch aber selbstbestimmten Lern- und Leistungsmotivation zu sehen ist, die wesentlich durch eine erfolgreiche Sozialisation und Internalisierung von Werten und Arbeitseinstel-lungen mittels Erfüllung der drei Grundbedürfnisse zustande kommt und dann län-gerfristig wirksam bleibt.

Weil Gymnasiasten letztlich nicht zum Besuch des Gymnasiums gezwungen worden sind, ist anzunehmen, dass diese Jugendlichen leistungsbezogenes Verhalten am meisten verinnerlicht haben, indem sie grundsätzlich ja gesagt haben zum Lernen, auch von abstrakten Themen. Als Endziel steht das Abitur, welches ihnen viele Tü-ren zur Karriere und Berufswahl öffnet. Weil sie sich auf eine längere Lernzeit ein-gestellt haben, brauchen Sie zur Aufrechterhaltung dieser täglichen Leistungserbrin-gung optimale Beziehungen zu Bezugspersonen und das Erleben von Autonomie.

Das Kompetenzgefühl dürfte für die Ausprägung ihrer Leistungsmotivation wahr-scheinlich weniger Gewicht erhalten, weil sie mit dem Erreichen der höchsten Schulform schon eine grundsätzliche Begabungsbestätigung erhalten haben. Diese wirkt wahrscheinlich vor allem in langfristiger Hinsicht.

Bei Jugendlichen der Hauptschule dürfte dieser Prozess aufgrund des andersartigen Schulkontextes und dessen Ausrichtung jedoch ungleich ablaufen. Indem sie in eine Schulform eingeteilt worden sind, die den tiefsten sozialen Status hat, dürfte ihr Be-gabungskonzept negativ beeinflusst worden sein. Weil das Kompetenzgefühl nach der SDT aber eine Bedingung für die Lern- und Leistungsmotivation ist, dürfte sich ein Mangel davon in besonderer Weise auswirken. Es könnte sein, dass es kurzfris-tig zum Cooling-Out-Effekt (vgl. von Henkurzfris-tig, 1993) kommt oder aber, dass das Mangelbedürfnis in langfristiger Hinsicht wirksam wird.

Die Kernhypothese lautet: Jugendliche der Hauptschule sind und bleiben aus ande-ren Gründen leistungsmotiviert als Jugendliche des Gymnasiums; die Internalisie-rung läuft in unterschiedlicher Hinsicht ab. Zwar tragen soziale Eingebundenheit, Autonomie und Kompetenzerleben bei Hauptschülern ebenfalls zur Stärkung der Leistungsmotivation bei, jedoch in weit geringerer oder anderer Weise als bei den in schon grösserem Maße „leistungsanstrengungssozialisierten“ Gymnasiasten.

Die datengestützte These von Masche, Almagro Pulido und Scheele (2003), dass sich die Eltern-Kind-Beziehung aufgrund nicht erfolgter finanzieller und beruflicher Autonomie von Gymnasiasten stärker als bei den auszubildenden Jugendlichen zeigt, könnte hier ins Bild passen. Sie erhielten den auf den ersten Blick

„parado-3 Theoretischer Hintergrund 3.3 Unterschiedliche Leistungssozialisation in Hauptschule und Gymnasium?

xe[n] Befund, dass die Individuation dort weiter voranschreitet, wo Schritte in den Erwachsenenstatus nicht erfolgen“ (S. 164).

Beim Vergleich der Eltern-Kind-Interaktionen bei Auszubildenden und Schülern konnten Masche et al. (2003) also signifikante Unterschiede festzustellen: „Wo … finanzielle und berufliche Autonomie nicht erreicht wird, entwickelt sich auch die Eltern-Kind-Beziehung stärker in Richtung auf eine partnerschaftliche Wechselsei-tigkeit und weniger auf eine Ablösung hin“ (ebd.). Dies bezeichnen sie als eine

„weiter fortgeschrittene Wechselseitigkeit der Beziehung“ zwischen Eltern und Ju-gendlichen. Und dieser mögliche Befund hat gemäß SDT wiederum eine Wirkung auf die Sozialisation der Leistungsmotivation.

4 Forschungsstand 3.3 Unterschiedliche Leistungssozialisation in Hauptschule und Gymnasium?

4 Forschungsstand

Im Folgenden werden die in empirischen Studien nachgewiesenen Zusammenhänge zwischen motivationalen Persönlichkeitsmerkmalen, insbesondere der Leistungsmo-tivation und den Kontrollvariablen (Kap. 4.1), zwischen der LeistungsmoLeistungsmo-tivation und der familiären (Kap. 4.2) und außerfamiliären Eingebundenheit (Kap. 4.3) auf-gezeigt. Im Weiteren wird über diesbezügliche differentielle (Kap. 4.4) und längsschnittliche (Kap. 4.5) Befunde berichtet. Auch Befunde rund um die Stabilität motivationaler Persönlichkeitsmerkmale vom frühen Jugendalter bis ins frühe Er-wachsenenalter (Kap. 4.6.) werden für die Beantwortung der Fragestellung zusam-men getragen. In den Kapiteln 4.7 und 4.8 steht die ganzheitliche Sicht der Persön-lichkeitsentwicklung aufgrund von sozialen Aspekten in Elternhaus und Schule über den Lebenslauf betrachtet im Vordergrund. In den einzelnen Kapiteln 4.1 bis 4.3 wird jeweils immer über die grundsätzliche Bedeutung und die Ausprägung des ent-sprechenden Konstrukts berichtet, bevor auf den eigentlich interessierenden Wir-kungszusammenhang eingegangen wird.

Der Forschungsstand wird in den Kapiteln 4.1 bis 4.7 systematisch entlang einer Struktur aufgezeigt, welche sich eng an die Forschungsfragen (Kap. 5.1) und an das Rahmenmodell (Kap. 5.2) hält, das eingangs schon in der Übersicht vorgestellt wur-de (Kap. 1.2). In dieser Struktur werwur-den die entsprechenwur-den einzelnen Konstrukte und Variablen des LifE-Datensatzes aufgeführt und wissenschaftlich belegt. Dies kommt einer detaillierten spezifischen Untermauerung der Fragestellung und der entsprechenden Hypothesen gleich. Abbildung 1.1 (vgl. Kapitel 1.2) und Abbildung 5.2 (vgl. Kapitel 5.2) zeigen übersichtlich, welche Untersuchungsebenen in welchen Kapiteln behandelt werden.

In den Werken von Fend (1997, 1998) sind einige Befunde dieses Ergebnisteils, wie schon erwähnt, bereits beschrieben. Allerdings geht die vorliegende Studie differen-tiellen Fragen nach und interessiert sich für die schul- und schichtspezifische länger-fristige Bedeutung der sozialen Einbettung für die Vorhersage der Leistungsmotiva-tion im Jugend- und Erwachsenenalter. Insofern stützt sich dieser Theorieteil also nicht so sehr auf Fends Publikationen, sondern auf Werke aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum in den Bereichen Psychologie, Pädagogik und Entwick-lungspsychologie.