• Keine Ergebnisse gefunden

Stabilität in der Leistungsmotivationsentwicklung

Wild und Hofer (2000) bleiben aber aufgrund der vielen querschnittlichen Studien zum Einfluss der elterlichen Erziehungspraktiken für die Lernmotivation vorsichtig bei der Interpretation von kausalen Wirkungsweisen anhand der SDT. Unter Bezug-nahme zu „inner working models“, in welchen Beziehungserfahrungen über konti-nuierliche alltägliche Interaktionen zwischen Jugendlichen und Eltern verdichtet sind und der Tatsache, dass Jugendliche und Eltern in der Mehrheit über das Ju-gendalter hinaus emotional verbunden bleiben, vermuten sie, dass Eltern „über das gesamte Kindes- und Jugendalter hinweg“ Einfluss aufs Lernen der Kinder haben (vgl. S. 37).

Kracke und Hofer (2002) weisen aufgrund von längsschnittlichen Analysen im Kon-text des Einstiegs ins Berufsleben bei Jugendlichen nach, dass „die Beharrlichkeit und Ausdauer, sich um einen Ausbildungsplatz zu bemühen, ganz wesentlich von der emotionalen Unterstützung der Eltern“ abhängt (S. 99). In diesem Sinne ist eine förderliche Kommunikation in der Familie durch Verbundenheit und zunehmende Wechselseitigkeit der Eltern-Kind-Beziehung gekennzeichnet.

Wenn sich also signifikante Wirkungen der familiären sozialen Eingebundenheit und der Kommunikation auf das Leistungsverhalten im Übergang ins Berufsleben (in einem Zweijahres-Längsschnitt) ergeben, dann ist auch davon auszugehen, dass dies – allerdings in schwächerer Form – auch für einen 20 bis 22 Jahre langen Längsschnitt gilt. Dass nicht nur Variablen auf der ökologischen Ebene, sondern auch Persönlichkeitsaspekte des Jugendlichen selbst als Bestimmungsfaktoren der Entwicklung herangezogen werden dürfen, wird durch die Erkenntnisse aus Pfad-analysen belegt (vgl. a.a.O., S. 100), wonach der autoritative Erziehungsstil als auch die adaptive Persönlichkeit (Problemlösekompetenz, Selbstwirksamkeit, …) des Ju-gendlichen einen Beitrag zur Aufklärung des berufsbezogenen Explorationsverhal-ten leisExplorationsverhal-ten.

Insgesamt gibt es zahlreiche differentielle Befunde, die je nach Kontext einen längsschnittlichen Einfluss der sozialen Eingebundenheit auf die nachschulische o-der berufliche oo-der sogar nachberufliche Motivation nachweisen.

Im Folgenden wird der Zusammenhang der Leistungsmotivation im Jugendalter und der beruflichen Leistungsmotivation und Weiterbildungsmotivation im Erwachse-nenalter betrachtet und mit statistischen Befunden unterlegt.

4.6 Stabilität in der Leistungsmotivationsentwicklung

Im Folgenden wird die längsschnittliche Perspektive in der Leistungsmotivations-entwicklung thematisiert. Es werden Befunde sowohl in allgemeiner als auch in dif-ferenzierter Form bezüglich Geschlecht oder Schultyp berichtet. Diese Ausführun-gen begründen somit die These einer Leistungsmotivationsstabilität in diesem lan-gen Längsschnitt und bereiten auf die Ergebnisse in Kapitel 7.6 vor.

4 Forschungsstand 4.6 Stabilität in der Leistungsmotivationsentwicklung

Stabilität oder Kontinuität weisen darauf hin, dass etwas gleich bleibt, Instabilität bzw. Diskontinuität meint das Gegenteil43, d.h. das Persönlichkeitsmerkmal ändert sich. Nach Asendorpf (1996) lässt sich die Stabilität einer Persönlichkeitseigenschaft durch eine Längsschnittstudie zwischen zwei Meßzeitpunkten t1 und t2 bestimmen, in der dieselbe Eigenschaft „zu diesen beiden Zeitpunkten in einer Stichprobe von Personen gemessen und dann die Korrelation zwischen den beiden Zeitpunkten be-stimmt wird. Diese Korrelation beschreibt die mittlere Stabilität der Eigen-schaftswerte in der betrachteten Stichprobe; sie ist eine Eigenschaft der Stichprobe, nicht einzelner Personen“ (S. 232).

Jedoch ist es in dieser Arbeit bezüglich des Entwicklungsbegriffs wichtig, worauf der Fokus gerichtet werden muss:

Denn bei hoher Stabilität (und damit auch Kontinuität) liegt keine bedeutsame differentielle Entwicklung vor und damit auch keine interessante Frage für die Persönlichkeitsentwicklung. […] Wichtiger als Beschreibungen der differen-tiellen Entwicklung sind deshalb Analysen der Einflüsse auf die Persönlich-keit und ihre Entwicklung: Warum ist Franz intelligenter als der gleichaltrige Fritz, und warum ist Fritz aggressiver als Franz? Wenn sich diese Unterschie-de erst im Verlauf Unterschie-der Zeit entwickelt haben: Warum haben sie sich so und nicht anders entwickelt? Dies sind Fragen der Erklärung von Persönlichkeits-unterschieden und ihrer Entwicklung. (Asendorpf, 1996, S. 241f; Hervorhe-bung durch D.L.)

Montada (2008) weist darauf hin, dass der Stabilitätsbegriff (bzw. Kontinuitätsbeg-riff) in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht wird. Eine ist die „Erklärung inter-individueller Unterschiede aus vorausgehenden Unterschieden in einer anderen Di-mension“ (S. 41). Wenn im Folgenden die schulische und berufliche Leistungsbe-reitschaft auf dem Hintergrund der unterschiedlich sozialen Einbettung in Familie und Schule in unterschiedlichen Schulformen erklärt wird, dann wird diesem Ver-ständnis entsprochen. Somit ist ausgewiesen, dass der Fokus auf der Erklärung von Motivation liegt.

Mit Stamm (2005) kann auf die längerfristige Wirkung von Persönlichkeitsmerkma-len im Rahmen der leistungsbezogenen Entwicklung während der Schulzeit hinge-wiesen werden: „Nicht die allgemeinen Fähigkeitsniveaus oder das frühe Lesen- oder Rechnenlernen sind Bedingungsmerkmale für Leistungsexzellenz am Ende der obligatorischen Schulzeit, sondern besonders ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale wie Ausdauer, Leistungsmotivation oder Konzentrationsvermögen“ (Stamm, 2005, S. 210).

43 Die beiden Begriffe stehen in gegenseitiger Abhängigkeit: „Aus einer hohen beobachteten Stabilität [gemessen durch Korrelationen] folgt eine hohe Kontinuität und Stabilität des Eigenschaftskonstrukts [z.B.

Angst] und eine hohe Konstruktvalidität [Skala Angst] der Eigenschaftsmessungen zu beiden Zeitpunkten“

(Asendorpf, 1996, S. 237f).

4 Forschungsstand 4.6 Stabilität in der Leistungsmotivationsentwicklung

Wenn die Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen untersucht wird, dann ist es wichtig, adoleszenzspezifische Erkenntnisse zu berücksichtigen: Gemäß Asendorpf (1996) kann es in manchen Eigenschaften pubertätsbedingt zu einer vorübergehen-den Destabilisierung kommen (S. 234). Darum wird in der vorliegenden Untersu-chung der Aufklärung der Leistungsmotivation im Jugendalter ein kleineres Gewicht eingeräumt als der Bestimmung der beruflichen Leistungs- und Weiterbildungsmo-tivation im Erwachsenenalter mit einem 22-Jahre-Längsschnitt.

Grundsätzlich lässt sich langfristig besser vorhersagen, wer unauffällig bleibt, als wer auffällig bleibt44. In Längsschnittstudien sind pathologische Gruppen durchwegs instabiler als die Kontrollgruppen (vgl. a.a.O., S. 237). Diese Feststellung könnte in der vorliegenden Arbeit derart interpretiert werden, dass bei Hauptschulabsolventen aufgrund der geringeren Qualifikation und des eher geringeren sozialen Status eine kleinere Stabilität zu erwarten ist. „Problematische“ Lebensverläufe – was nicht mit

„pathologisch“ gleichgesetzt wird – sind wahrscheinlich bei Jugendlichen eher anzu-treffen, welche die Hauptschule besuchten als wenn sie am Gymnasium waren, so die Vermutung.

In Kapitel 2.7 wurde die Stabilität von allgemeinen Persönlichkeitseigenschaften (Big Five) thematisiert. Nun werden weitere Belege dafür aufgeführt, dass es einen längsschnittlichen Zusammenhang von motivationalen Persönlichkeitsmerkmalen im Jugend- und im Erwachsenenalter gibt bzw. von einer Stabilität ausgegangen werden kann:

- Die Schule sorgt für den Erwerb einer stabilen grundlegenden Arbeitshaltung bzw. Lernmotivation (Achtenhagen & Lempert, 2000; Baumert, 2000).

- Wenn Weinert (2001) überfachliche Kompetenzen als relativ stabile Dispositio-nen bzw. Personmerkmale (vgl. auch Grob & Maag Merki, 2001, S. 59) bezeich-net, dann können Lernbereitschaft, Lernkompetenz und Leistungsmotivation, die als überfachliche Kompetenzen gelten (vgl. Grob & Maag Merki, 2001; Ramsei-er, 2004), ebenfalls als stabil angenommen werden.

- Nach Spiess Huldi (2003) gibt es eine Kontinuitätsrangfolge, bei der kognitive Fähigkeiten (z.B. Intelligenz) am stabilsten, Temperamentseigenschaften (z.B.

Gewissenhaftigkeit) etwas weniger stabil und Werte, Lebensziele sowie Einstel-lungen variabler Natur sind.

- Gemäß Stuhlmann (2005) gibt es wenig empirische Befunde zu den Langzeitef-fekten von schulisch entwickelter Lern- und Leistungsmotivation. Eine qualitati-ve retrospektiqualitati-ve Studie von Schräder-Naef (1997) zu den Determinanten von Weiterbildungsbereitschaft zeigt aber, dass sich Erwachsene mit schulischen De-fiziten nicht weiter bilden, wenn sie negative Schulerfahrungen gemacht haben, d.h. eine negative Grundhaltung gegenüber Schule und Lernen entwickelt haben.

44 Die Tradition in der Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie, nach einer hohen langfristigen Kon-tinuität und Stabilität von Eigenschaften zu suchen, ist aber nur von begrenztem Nutzen für ein tieferes Verständnis der Persönlichkeitsentwicklung (z.B.: Stabilität von Aggressivität bei Vater und Sohn, im Kindes- und im Erwachsenenalter (vgl. Asendorpf, 1996, S. 241f).

4 Forschungsstand 4.6 Stabilität in der Leistungsmotivationsentwicklung

- Überhaupt ist Lernen im Erwachsenenalter im Gegensatz zu schulischem Lernen vermehrt selbstgesteuert und selbstorganisiert (vgl. Sembill, 2000). Somit können auch die Motivationseigenschaften „berufliche Leistungsmotivation“ und „beruf-liche Weiterbildungsmotivation“ als selbstbestimmt betrachtet werden, welche sowohl intrinsische als auch extrinsische Anteile beinhalten (vgl. SDT-Kontinuum in Kap. 3.2.4).

Die in Kapitel 7.6 aufgeführten Berechnungen müssen also der Frage nachgehen, ob sich die Leistungsmotivation im Sinne einer Disposition relativ stabil im Lebenslauf zeigt und inwiefern diese beeinflusst wird vom sozialen und strukturellen Umfeld (Familie, Schulform, …).

Da die Sozialisationsforschung zeigen konnte, dass „Menschen in gleicher Lebens-lage auch ähnliche Wertvorstellungen, Einstellungen und Verhaltensweisen entwi-ckeln“ (Hurrelmann, 2001, S. 673), ist davon auszugehen, dass die berufliche Positi-on entscheidenden Einfluss auf die Ausprägung der MotivatiPositi-on hat. VPositi-on großer Be-deutung sei dabei die Qualität und Länge der Bildung/Ausbildung und die Art und Weise der Arbeits- und Berufstätigkeit. Bedingungen in Ausbildung und Arbeit be-einflussen also die Persönlichkeitsentwicklung nicht unwesentlich (ebd.). Hieraus wird ersichtlich, dass bei der Bestimmung der beruflichen Weiterbildungs- und Leis-tungsmotivation durch Variablen des Jugendalters Partialkorrelationen benötigt werden, die den höchsten Ausbildungsabschluss kontrollierend verwenden.

„Die herausragende Bedeutung der motivationalen Bedingungen für Lernen und Leistung über die gesamte Lebensspanne und die z.T. hohe Stabilität motivationaler Dispositionen sind Sachverhalte, die im Prinzip längst bekannt sind“ (Krapp, 2003, S. 93). Dies kann im Rahmen des sozialen Kontextes als auch bezüglich der eigenen personalen Steuerungsmechanismen verstanden werden. Upmeier zu Belzen, Vogt, Wieder und Christen (2002) stellen nämlich fest: „Je früher Kinder definierte Inte-ressen ausbilden, desto besser sind sie in der Lage, erneut InteInte-ressen aufzubauen“

(S. 305). Demzufolge ist die Vermutung naheliegend, dass es sich auch beim Per-sönlichkeitsmerkmal „Leistungsmotivation“ ähnlich auswirkt: je früher Kinder und Jugendliche sich leistungsmotiviert entwickeln, desto mehr wird der Prozess der In-ternalisierung und Transformation (s. Kap. 3.2.4 B) gefördert und desto größer ist die Stabilität. Krapp (2003) bilanziert diese Thematik wie folgt: „Empirische Unter-suchungen aus vielen anderen Forschungsbereichen zeigen sehr deutlich, dass der Lehrer und die in der Schule vorherrschenden Lern- und Lebensbedingungen einen z.T. prägenden Einfluss auf die Richtung und die Qualität der längerfristig wirksa-men motivationalen Dispositionen einer Person haben“ (S. 99).

Somit sind Zusammenhangs- und Stabilitätsberechnungen zwischen der Leistungs-motivation und der beruflichen Leistungs- und WeiterbildungsLeistungs-motivation umschrie-ben und begründet und es kann übergegangen werden zur Betrachtung der ganzheit-lichen Entwicklung im Rahmen der Sozialisation von Leistungsmotivation vom frü-hen Jugendalter bis ins Erwachsenenalter.