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Kompensatorische Wirkungen?

Nun folgen einzelne Befunde zur beruflichen Leistungsmotivation und zur berufli-chen Weiterbildungsmotivation. Es zeigt sich auch hier, dass der soziale Kontext für unterschiedliche Zusammenhänge sorgt.

- Insgesamt kann gesagt werden, dass Personen mit hohen Leistungsmotivations-werten eine ausdauernde und härtere Arbeitsweise an den Tag legen als niedrig leistungsmotivierte Personen (Choi & Schmidt, 2006, S. 52).

- Gemäß Somm und Dröge (2004) ist Anstrengung für Personen, die sich im sozia-len Aufstieg befinden, nach wie vor von großer Bedeutung für die Interpretation des Erfolgs. Dagegen ist es für Personen im Milieu der Dienstleistungselite oft nicht mehr „en vogue“, von Anstrengung zu sprechen, auch wenn diese riesig sein mag. Anstrengung ist für diese Gruppe nicht mehr per se die Voraussetzung von Leistung (vgl. S. 33). Dieser Befund zeigt, dass die Wertigkeit von Leis-tungsmotivation je nach sozialer Schicht eine andere ist.

- Auch Choi und Schmidt (2006) erschließen unter Verwendung von Variablen der sozialen Herkunft Zusammenhänge, welche die milieuspezifische Konstituierung von Leistungsmotivation konkretisieren und in dieser Weise Erklärungsmodelle für die Wahl spezifischer Bildungswege erlauben.

- Bieri Buschor, Forrer und Maag Merki (2002) weisen in ihrer Untersuchung an-hand von knapp 15’000 18-22-jährigen Schweizer Männern aus, dass die Leis-tungsmotivation46, das politische Interesse und die Kontingenzüberzeugung (Deutung, inwiefern sich Leistung in der Gesellschaft lohnt) mit Betawerten von .77, .54 und .45 weit größere Erklärungswerte für die Weiterbildungsbereitschaft (in den ersten fünf Jahren nach der (Berufs-)Ausbildung) aufweisen als der Bil-dungshintergrund mit einem Betawert von .27. Aufgrund dieses Befunds ist es angezeigt, den Bildungshintergrund und die soziale Schicht bei den Regressions-analysen und den Strukturgleichungsmodellen in Kap. 7 ebenfalls zu berücksich-tigen.

Aber nicht nur SDT-bezogene Aspekte wie Selbstständigkeit und Aufgabenschwie-rigkeit bestimmen die Ausprägung der Berufsmotivation im Erwachsenenalter. Auch der Berufsstatus wirkt sich signifikant auf die Weiterbildungsbereitschaft aus (vgl.

Buchmann, König, Hong Li, Sacchi, 1999). Selbst die Stellung im beruflichen Kon-text sowie der Arbeitssektor wirken ebenfalls als wesentliche Bestimmungsfaktoren der Weiterbildungsbereitschaft (ebd.; Harney, Weischet & Geselbracht, 1999). Und schließlich gibt es gemäß Martin (1987) einen bedeutsamen Einfluss der Leistungs-motivation auf die Weiterbildungsbereitschaft.

4.8 Kompensatorische Wirkungen?

Bevor übergegangen wird zur Ausformulierung der Fragestellung und deren Be-gründungen, sollen in diesem letzten theoretischen Kapitel wesentliche Belege auf-geführt werden, welche das Verhältnis zwischen Schule und Elternhaus

46 Leistungsmotivation ist aus den Subskalen Hoffnung auf Erfolg und Angst vor Misserfolg zusammenge-setzt.

4 Forschungsstand 4.8 Kompensatorische Wirkungen?

ren. Es interessiert die Frage, ob gewisse Kontexte in Familie und Schule längerfris-tig additiv oder kompensatorisch wirken.

Die bis hierhin dargelegten Zusammenhänge und Wirkungsweisen der familiären und außerfamiliären soziale Eingebundenheit und der eigenaktiven Persönlichkeit des Jugendlichen auf seine Leistungsmotivation sollen im Folgenden spezifisch im Kontext des Gymnasiums betrachtet werden.

Die längsschnittliche Wirkungsweise des Einflusses familiärer sozialer Beziehungen auf die Leistungsmotivation haben Exeler und Wild (2003) bei Gymnasiasten unter-sucht. Und zwar haben sie die Ausgestaltung häuslicher Lehr-Lern-Arrangements unter der Frage betrachtet, ob und inwiefern sie die Lernmotivation von Siebtkläss-lern im Fach Chemie beeinflusst.

Anknüpfend an frühere Arbeiten wird dabei angenommen, dass Eltern durch ein direktiv-kontrollierendes Verhalten bei der Hausaufgabenbetreuung häufig unbeabsichtigt dazu beitragen, dass Schüler eine negative Haltung gegenüber schulischen Inhalten entwickeln und ihr Lernverhalten zunehmend von äusse-ren Anreizen abhängig machen. Dagegen sollte die Bereitschaft von Schülern, sich selbstbestimmt – aus Interesse oder mit dem Ziel der Erweiterung der ei-genen Kompetenzen – mit chemischen Fragen zu beschäftigen, umso größer werden, je mehr das Verhalten der Eltern als emotional zugewandt, autonomie-unterstützend und strukturierend erlebt wird. Geprüft wurden diese Annahmen im Rahmen einer längsschnittlich angelegten Studie, in der etwa 215 Gymnasi-asten drei mal im Abstand von sechs Wochen bzw. einem halben Jahr nach verschiedenen Formen der Lernmotivation und der elterlichen Hausaufgaben-betreuung gefragt wurden. In Teilauswertungen zur Prüfung der Validität der Schüleraussagen wurden zudem parallel erhobene Einschätzungen der Eltern herangezogen. Die Ergebnisse stützen selbstbestimmungstheoretische Annah-men und weisen Veränderungen in der Lernmotivation von Schülern als Folge lernbezogener Einstellungs- und Verhaltensmuster von Eltern selbst bei Kon-trolle der sozialen Herkunft und schulischen Leistungsfähigkeit von Schülern aus. (S. 6, Hervorhebung durch D.L.)

Wie bereits genannt wurde, besteht vor allem bei Jungen ein starker Zusammenhang zwischen der Eltern-Kind-Beziehung und der Schulleistung. Wie ist nun die Rolle der Schule? Sorgt sie mit ihren gesellschaftlichen Funktionen, ihrem Wettbewerbs-charakter und der häufig angewendeten sozialen Bezugsnormorientierung in den Klassen für eine Zuspitzung dieser Thematik bzw. Problematik? Hat die Schule auch protektive Anteile? Die Frage dreht sich um das Synergie-, Additions- und Kompen-sationsmodell bezüglich Einflüssen von Elternhaus, Schule und Peers (vgl. Fend, 1998, S. 399ff).

4 Forschungsstand 4.8 Kompensatorische Wirkungen?

Da Eltern in der Regel hohe Bildungserwartungen an ihre Kinder haben, sind Inte-ressenkonflikte zwischen Elternhaus und Schule bei niedrigen Leistungen meistens vorprogrammiert (vgl. Pekrun, 1997; Klein-Allermann & Kracke, 1995). Somit wirkt die Schule als Stressor für die Familie. Aber die Schule kann auch eine pro-tektive Funktion in familialen Krisensituationen haben:

Schneewind et al. (2000) halten fest, dass die Studie von Hetherington, Cox und Cox (1982) zur emotionalen Verhaltensentwicklung bei Scheidungskindern zeigen konn-te, “dass nachteilige Folgen der elterlichen Trennung weitgehend abgefangen wer-den konnten, wenn die Kinder Schulen mit einem autoritativen Klima besuchten, das ihnen positiven Rückhalt bot und Anforderungen klar strukturierte. Der positive Einfluß solcher Schulen war nicht nur bei Scheidungskindern, sondern auch bei Kindern aus konfliktbeladenen Kernfamilien größer als bei Kindern aus eher harmo-nischen Kernfamilien” (S. 301). Hier wird also auf die kompensatorische Funktion eines sozialen Klimas und einer positiven Lehrer-Schüler-Beziehung in einem autoritativem Erziehungsverhältnis in der Leistungsentwicklung bei sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen hingewiesen.

Gemäß querschnittlichen und kurzen längsschnittlichen Forschungsresultaten von Pekrun (1991) bietet die familiäre Lernumwelt durch das vorherrschende Klima und den emotionalen Rückhalt Schutz vor negativen Einwirkungen anderer Entwick-lungsumwelten (z.B. Schule).47 Jedoch konnte er keine Interaktionseffekte zwischen der schulischen und der familiären Umwelt für die Vorhersage von Prüfungsangst feststellen. Er zieht daraus den Schluss, dass die zwei Umwelten offenbar unabhän-gig voneinander wirken.

Bei der ganzheitlichen Betrachtung der Eltern-Kind-Beziehung und der Lehrer-Schüler-Beziehung bei der Bestimmung der Leistungs- und Weiterbildungsmotiva-tion im Erwachsenenalter stellt sich also die Frage, ob additive oder kompensatori-sche Wirkungen in den Analysen feststellbar sind.

Was spricht gegen die kompensatorische Funktion der Schule während der Jugend-zeit? In der „Stage-Environment-Fit-Theorie“ (Eccels & Midgley, 1989) stehen die schulischen Kontextbedingungen im Zentrum, welche nach Meinung der Autoren zunehmend weniger auf die sich entwickelnden Bedürfnisse der Schüler abgestimmt sind. Das Bedürfnis nach Selbst- und Mitbestimmung auf der Sekundarstufe werde durch den stark lehrergesteuerten Unterricht zunehmend frustriert. Viele Lehrer, vor allem in höheren Schulstufen sähen es nicht mehr als ihre Aufgabe an, sich mit den persönlichen Problemen von Schülern zu befassen. Zudem werde auch das zuneh-mende Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit durch die kompetitive Ausrichtung der Schule und die fehlenden kooperativen Lehr-Lern-Angebote in Mitleidenschaft gezogen. Die Passung zwischen Bedürfnissen der Schüler und dem schulischen Um-feld verschlechtere sich mit zunehmender Klassenstufe, da dem zunehmenden

47 Insbesondere der schulische Leistungsdruck oder der in der Klasse herrschende Wettbewerb kann, so Pekrun, durch das soziale Wohlbefinden in der Familie derart abgefedert werden, dass die Angst vor Leis-tungsanforderungen und Prüfungen sich in Grenzen hält.

4 Forschungsstand 4.8 Kompensatorische Wirkungen?

dürfnis nach Kompetenz schlechtere Noten, dem zunehmendem Bedürfnis nach so-zialer Eingebundenheit mehr Konkurrenz und dem zunehmenden Streben nach Au-tonomie mehr Fremdsteuerung im Unterricht entgegen stehen.48

Dieser „Stage-Environment-Fit“ wird inhaltlich auch von Pekrun und Helmke (1991) belegt. Zusammenfassend stellen sie fest, „dass die durchschnittlichen Fä-higkeits-Selbstkonzepte von Schülern ebenso wie Durchschnittswerte für Schulein-stellungen und leistungsrelevante Motivation im Laufe der Grundschulzeit absinken, während … die durchschnittliche Prüfungsangst während der ersten Schuljahre zu-nimmt“ (S. 50).

Gemäß Ergebnissen der COCON-Studie (Competence and Context) des Jacobs Cen-ter an der Universität Zürich (vgl. Buchmann, Fend & ProjektmitarbeiCen-ter, 2006) ge-hört die Anstrengungsbereitschaft zu den produktiven Kompetenzen im Prozess des Aufwachsens. Damit „sind überfachliche, lebensbereichsübergreifende Fähigkeiten gemeint, die effizientes und effektives Handeln in verschiedensten Situationen in der Schule oder am Arbeitsplatz ermöglichen“ (S. 4). Anstrengungsbereitschaft wird in dieser Studie als „Gradmesser der Antriebsstärke von positivem Handeln in Schule und Beruf“ herangezogen.

Es ging dabei um die Untersuchung der oft geäußerten Klage, junge Leute seien nicht anstrengungsbereit und leistungsbewusst. Die Ergebnisse zeigen, dass 15-Jährige in der Schweiz eine hohe Anstrengungsbereitschaft aufweisen, dass sie bei 21-Jährigen aber noch deutlicher ausgeprägt ist (vgl. ebd.). Hier ist also ausgewie-sen, dass sich der zeitlich begrenzte Einbruch der Lern- und Leistungsmotivation während der Adoleszenz im frühen Erwachsenenalter wieder erholt, was mit dem Stage-Environment-Fit erklärt werden könnte und mit der Destabilität im Jugendal-ter (vgl. Kap. 2.7) übereinstimmt.

Überraschenderweise zeigt die COCON-Studie dasselbe Resultat wie beim Kon-stanzer-Längsschnitt: Die Leistungsbereitschaft ist nicht vom schulischen Niveau abhängig. Jedoch wird das Ergebnis der COCON-Studie, dass es zwischen schuli-scher Leistung und Anstrengungsbereitschaft keinen Zusammenhang gibt (vgl.

Buchmann et al., 2006, S. 8), in der vorliegenden Studie widerlegt. Die Autoren von COCON weisen in ihrer Bilanz auf die ausschlaggebende Bedeutung des schuli-schen und familiären Umfelds hin: Die Einschätzung und die positive Rückmeldung des Lehrers, das Eingebettet-Sein in der Schulklasse und die emotionale Verbun-denheit in der Familie sorgen wesentlich dafür, wie hoch die Anstrengungsbereit-schaft der Jugendlichen ist. Somit ist die Theorie der SDT querschnittlich einmal mehr untermauert, ebenso das Additionsmodell. Wild und Hofer (2002) weisen den additiven Einfluss von Familien- und Schulkontext auf die schulische Lernmotivati-on ebenfalls empirisch aus. „Schüler waren am stärksten intrinsisch motiviert, wenn sie sowohl das elterliche Verhalten im Umgang mit schulischen Belangen als auch

48 Die Stage-Environment-Fit-Theorie ist also insofern kompatibel zur SDT von Deci und Ryan.

4 Forschungsstand 4.8 Kompensatorische Wirkungen?

das Instruktionsverhalten der Lehrer als autonomieunterstützend, stimulierend und emotional zugewandt beschrieben“ (S. 221).

5 Fragestellung, Rahmenmodell und Begründung 4.8 Kompensatorische Wirkungen?

5 Fragestellung, Rahmenmodell und Begründung

In diesem Kapitel werden die Fragestellung (Kap. 5.1) und das Rahmenmodell (Kap.

5.2) dieser Arbeit vorgestellt. Im Kapitel 5.3 wird dann die Begründung der einzel-nen Fragestellungen zur Bestimmung der Leistungsmotivation durch die soziale Eingebundenheit dargestellt.

Um potenziell förderliche und hinderliche psychologische Merkmale des Elternhau-ses und der Schule längsschnittlich nachzuweisen, wird auf die von Deci und Ryan (1985; 2000) entwickelte SDT zurückgegriffen, die zuvor in Kapitel 3.2 vorgestellt worden ist.

Zusammenfassend könnte die Prozesswirkung am Beispiel des sowohl fördernden als auch fordernden autoritativen Erziehungsstils der Eltern (s.a. Kap. 4.2.3) folgen-des Ergebnis nach sich ziehen: „Die Eltern versuchen ohne moralische Appelle und strenge Kontrollmaßnahmen auszukommen; und sie bürden dem Kind, zumindest vordergründig, keinen vorformulierten Lebensplan auf. Dennoch stellt sich im ent-scheidenden Moment heraus, dass der Jugendliche den geheimen berufsbiografi-schen Intentionen der Eltern Folge leistet und genau die Profession anstrebt, der die Eltern oder bestimmte Verwandte ebenfalls nachgehen. Weder werden die Schüler in ihrer schulbiographischen Entwicklung eindeutig von den Eltern fremdbestimmt noch wird ihnen gänzliche Wahlfreiheit … zugestanden. Gespeist werden die Er-folgsorientierung … aus einer Familienideologie …“ (Nittel, 1992, S. 359). Es ist gemäß der SDT anzunehmen, dass die Wirkung von solchen Familienideologien auf die Erfolgsorientierung Jugendlicher nur gelingen kann, wenn die Eltern-Kind-Beziehung sehr gut ist, ansonsten die Wirkung des Internalisierungsprozesses von Werten und Überzeugungen eher gering bleiben würde. Sozialisation, Internalisie-rung und Lernmotivation stehen also in gegenseitiger Verbindung, wie Wild und Hofer ebenfalls festhalten:

Aus der Perspektive der Selbstbestimmungstheorie ist zu vermuten, dass der lern- und leistungsfördernde Effekt familiärer Sozialisation wesentlich über Veränderungen der Lernmotivation vermittelt wird. Eltern – ebenso wie Leh-rer oder andere Bezugspersonen – können danach durch eine an den Bedürf-nissen Heranwachsender orientierte Gestaltung der Lern- und Entwicklungs-umgebung dazu beitragen, dass die intrinsische Motivation zur Ausei-nandersetzung mit neuen Erfahrungen aufrechterhalten bleibt und der Prozess der Internalisierung (auch schulbezogener) Werte und Standards voranschrei-tet. (Wild & Hofer, 2000, S. 36; Hervorhebung durch D.L.)

Dieses Zitat ist darum besonders aussagekräftig, weil es die schulleistungsbezogene familiäre Sozialisation auf den Punkt bringt. Ob Jugendliche in der Familie erfolg-reich sozialisiert worden sind, merkt man also anhand der Höhe ihrer Leistungs- und Lernmotivation, und zwar bezüglich der internal regulierten und somit