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1 INTERKULTURELLE KOMPETENZ: THEORIEN, KONZEPTE,

1.4 Z IEL INTERKULTURELLER K OMPETENZ

In diesem Abschnitt werden einzelne Aspekte der Debatte um das Ziel interkultureller Kompetenz näher erläutert. Anschließend werden Schlussfolgerungen formuliert, die ausschlaggebend im Kontext dieser Arbeit sind.

Im wissenschaftlichen Diskurs ist die Auseinandersetzung um das Ziel interkultureller Kompetenz zumeist mit zwei Begriffen verbunden: „Erfolg“ und „Angemessenheit“. Wie Straub (2007: 41) bemerkt, steht alles, was über dieses Konstrukt gesagt werden mag, im Zeichen dieser beiden Kriterien (Straub 2007: 41). In den gängigen Ansätzen zu interkultureller Kompetenz sind jedoch unterschiedlich gesetzte Akzente auf diese Kriterien zu beobachten. Darüber hinaus werden sie abhängig von der Disziplin, vom Ziel der Untersuchung sowie von der zu untersuchten Zielgruppe unterschiedlich erläutert und definiert, wenn überhaupt. Außer diesen zwei Kriterien ist in der interkulturellen Forschung auch eine Verbindung des Ziels interkultureller Kompetenz mit der persönlichen Weiterbildung zu beobachten (vgl. Rathje 2006). Im Folgenden wird auf die nähere Klärung der Ziele interkultureller Kompetenz eingegangen.

Erfolg

„Erfolg“ bzw. „erfolgreiches“ Handeln in interkulturellen Situationen wird mit „Eignung zur Zielerreichung“ in einer interkulturellen Interaktion definiert und meistens mit den ökonomisch ausgerichteten Ansätzen in Verbindung gebracht (vgl. Rathje 2006). Nach Rathje (2006) zielen die ökonomisch orientierten Ansätze auf das Gelingen und die Produktivität einer interkulturellen Interaktion ab und positionieren interkulturelle Kompetenz dementsprechend als Erfolgsinstrument. Eine Analyse unterschiedlicher Beiträge zu diesem Thema verdeutlicht, dass interkulturelle Kompetenz nicht nur zur Erreichung ökonomisch

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ausgerichteter Ziele, sondern auch zu einer gelungenen interkulturellen Interaktion oder zu zufriedenstellenden interkulturellen Beziehungen beitragen soll (Leenen 2007; Mecheril 2010;

Chen/Starosta 1996). So definiert beispielsweise Leenen interkulturelle Kompetenz als „[...]

Fähigkeiten, die ein Gelingen der Kommunikation bzw. Interaktion zwischen Ego und Alter ermöglichen [...]“ (Leenen 2007: 773), während Chen/Starosta darunter „satisfaction in a relationship or the accomplishment of specific task-related goal“ (Chen/Starosta 1996: 358) verstehen.

Die Auseinandersetzung mit dem Erfolgskriterium interkultureller Kompetenz lässt weiterhin feststellen, dass bei seiner Bestimmung zwei Begriffe Verwendung finden: „Effektivität“ und

„Effizienz“. Mit den beiden Begriffen wird das Erreichen von Interaktionszielen assoziiert, wobei sie nicht differenziert und meistens synonym verwendet werden. Hier ist jedoch eine nähere Erläuterung dieser Begriffe notwendig.

Effektivität bedeutet Wirkung oder Wirksamkeit. Sie bezeichnet in der Regel ein Maß für die Zielerreichung und beschreibt die Relation zwischen dem erreichten Ziel und dem definierten oder vorgegebenen Ziel (vgl. Maiwald 2009: 20). Demnach kann interkulturelles Agieren dann als effektiv betrachtet werden, wenn es zu den sich selbst definierten oder vom Dritten vorgegebenen Zielen führt.

Effizienz hingegen wird als ein Maß für Wirtschaftlichkeit definiert und bezeichnet das Verhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln und dem definierten oder vorgegebenen Ziel, wobei diese in einem optimalen Kosten-Nutzen Verhältnis stehen (vgl. Schulte-Zurhausen 2005: 5). Unter Kosten werden dabei nicht nur monetäre Mittel verstanden. Auf interkulturelle Interaktionen übertragen würde das bedeuten, dass der Interagierende alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen soll, um so viel wie möglich von der Interaktion zu profitieren bzw.

die Interaktionsziele mit maximalem Profit zu erreichen.

Die Gleichsetzung des Ziels interkultureller Kompetenz mit dem Erfolg des interkulturellen Handelns wird im wissenschaftlichen Diskurs kritisiert. Die Schwerpunktsetzung auf Erreichung der Ziele im Sinne eines „Homo oeconomicus“ verbindet Straub (2007: 41) mit der Gefahr, die Komplexität interkulturellen Handelns auf eine rein technisch-funktionale Dimension, die universell einsetzbar scheint, zu reduzieren. Eine solche Reduzierung setzt voraus, dass jede Form interkulturellen Handelns einen bestimmten Zweck verfolgt. Auch andere Interkulturalitätsforscher (z. B. Frindte 2003; Aries 2003; Herzog 2003; Rathje 2006) sehen in einer an Erfolgsgesichtspunkten ausgerichteten Definition interkultureller Kompetenz die Gefahr der Instrumentalisierung interkultureller Kompetenz zur Durchsetzung eigener Vorteile bzw. der Vorteile des jeweils mächtigeren Interaktionspartners durchblicken. Dabei

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bleiben die Rahmenbedingungen, die für den sogenannten Erfolg einer interkulturellen Interaktion ausschlaggebend sein können, unberücksichtigt (vgl. Rathje 2006: 6).

Persönliche Weiterentwicklung

Im Gegensatz zu den Ansätzen, die erfolgreiches Verhalten in interkulturellen Interaktionen voraussetzen, zielen die geistes- bzw. erziehungswissenschaftlichen Ansätze auf persönliche Weiterentwicklung der Interaktionspartner ab (vgl. Rathje 2006). Interkulturelle Kompetenz erhält in diesem Fall, so Rathje, das Ziel, das persönliche Wachstum anzuregen bzw. zu ermöglichen. Wierlacher (2003d) definiert in diesem Zusammenhang interkulturelle Kompetenz als Fähigkeit, die bei interkultureller Interaktion dafür sorgt, dass sich für die Interaktionsteilnehmer „eine Veränderung ihrer selbst“ vollzieht (Wierlacher 2003d: 216).

Einerseits implizieren die an persönlicher Weiterbildung orientierten Ansätze kein unhaltbares Erfolgsversprechen und schließen die Gefahr der Instrumentalisierung aus, andererseits besteht die Gefahr der Generalisierung und vor allem der Idealisierung, da diese Ansätze die Handlungsziele, denen Menschen in interkultureller Interaktion typischerweise unterliegen, ausklammert. Im Sinne der geforderten pragmatischen Fruchtbarkeit des Konzepts wird dafür plädiert, die Handlungsziele der Interaktionspartner in einer Zieldefinition interkultureller Kompetenz explizit zu berücksichtigen (vgl. Rathje 2006: 7).

Angemessenheit

Angemessenheit ist ein kulturabhängiges Phänomen und lässt sich daher wesentlich schwerer erfassen (vgl. Fritz/Möllenberg/Werner 1999: 16–17). Im Gegensatz zu den erfolgsorientierten Ansätzen zielen die Ansätze, die bei der Konzeptualisierung interkultureller Kompetenz das Angemessenheitskriterium ins Zentrum interkultureller Interaktionen stellen, auf die Schätzung der Werte der Zielkultur und setzen ein Verhalten unter Berücksichtigung der Ziele des Interaktionspartners sowie unter Befolgung der für den Partner wichtigen Umgangsregeln voraus (vgl. Müller/Gelbrich 2004). Die Gleichsetzung der Angemessenheit mit dem Erfüllen bzw. Nicht-Verletzen kultureller Regeln und Erwartungen der anderen stellt ein Missverständnisrisiko dar, wenn die beiden Interaktionspartner sich an diesem Kriterium orientieren und versuchen, zugleich den Verhaltensregeln des anderen zu folgen. So können beispielsweise die beiden Interaktionspartner bei der Begrüßung nonverbale Verhaltensnormen der jeweils anderen Kultur übernehmen und somit in der Interaktion den Erwartungen des Interaktionspartners widersprechen. Situationen dieser Art werden von Knapp-Potthoff (1997:

190) als „interkulturelles Paradox“ bezeichnet.

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Lustig und Koester (2003) beziehen Angemessenheit nicht auf die Zielkultur, sondern auf die Interaktionssituation bzw. auf den Kontext: „[...] the actions of the communicators fit the expectations and demands of the situation. Appropriate communication means that people use the symbols they are expected to use in the given context. “ (Lustig/Koester 2003: 64). Aber auch hier geht es um das Erfüllen von Erwartungen durch den Gebrauch der

„richtigen“ Symbole in einem bestimmten Kontext, wobei nicht klar ist, aus welcher der interagierenden Kulturen diese Symbole stammen und wer sie bestimmt.

Fernerhin ist zu bemerken, dass viele sowohl erfolgs- als auch angemessenheitsorientierte Konzepte interkultureller Kompetenz (z.B. Deardorf 2004) nur eine handelnde Seite bzw. nur einen Akteur im Visier haben, der bestimmte Ziele zu erreichen oder zu berücksichtigen hat, sich bestimmten Situationen anpassen soll, Verhaltensregeln und -normen der Zielkultur, des Interaktionspartners oder des Kontextes folgen soll. Die anderen Interaktionspartner bleiben in diesen Konzepten meistens passiv oder gar unerwähnt, die Bedeutung ihrer Interaktionsziele wird nicht berücksichtigt, von einem interkulturell kompetenten Verhalten ihrerseits wird nicht vorausgegangen. Darüber hinaus wird die Prozesshaftigkeit interkultureller Interaktionssituationen nicht in Betracht gezogen. Unter Berücksichtigung der Spezifik interkultureller Interaktionen als Prozesse, in denen „Interkulturen“ ausgehandelt werden, soll allerdings das Ziel interkultureller Kompetenz weniger auf Verfolgung der so genannten richtigen oder angemessen Verhaltensnormen oder darauf ausgerichtet sein, den Erwartungen des Interaktionspartners zu entsprechen, sondern auf die Aushandlung gemeinsamer Kommunikations-Verhaltensregeln, die von allen Beteiligten akzeptiert und gelebt werden und auf bewusste Gestaltung oder Bildung der „Interkultur“, die in der Tat eine dritte Kultur darstellt (vgl. Barmeyer 2011: 57).

Da sowohl Kultur als auch Interkulturalität als prozesshafte, dynamische Konzepte definiert werden, ist es schwierig, wenn nicht fast unmöglich, feste, wenn auch nur für eine kleinere Zielgruppe gültige Bestandteile oder Teilkompetenzen interkultureller Kompetenz zu erfassen.

Ein weiterer Grund dafür besteht in den vielen Faktoren, die Einfluss auf die interkulturelle Interaktion und somit auf die interkulturelle Kompetenz ausüben können, sowie in den vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten dieser Faktoren. Im nächsten Abschnitt werden einige der möglichen Faktoren näher dargestellt, die als relevant für das Konzept interkultureller Kompetenz, der dieser Arbeit zugrunde liegen soll, betrachtet werden.