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1 INTERKULTURELLE KOMPETENZ: THEORIEN, KONZEPTE,

1.3 I NTERKULTURELLE I NTERAKTION

Im wissenschaftlichen Diskurs findet man mehrere Definitionen des Begriffes „Interaktion“.

Abhängig vom Konzept und vom Anwendungsgebiet überschneidet er sich oft mit den Begriffen „Kommunikation“, „Dialog“ und „Diskurs“ (vgl. Imo 2013: 21)19. So versteht beispielsweise Ten Thije (2002: 62) unter „Interaktion“ „sprachliches Handeln zwischen mindestens einem Sprecher und einem Hörer“. Im Sinne der funktional-pragmatischen Sprachanalyse ist sprachliches Handeln Ten Thije zufolge zweckorientiert, „das heißt auf Verständigung bei der Lösung von gesellschaftlichen Problemen orientiert“ (Ten Thije 2002:

62).

Nach Ehlich (2007) betont Interaktion „als Kategorie für menschliches Handeln dessen nicht-solipsistischen Charakter: nur als Miteinander-Handeln kann Handeln verstanden werden“

(Ehlich 2007: 193).

Soweit die Interaktion sprachlicher Art ist, ist damit die grundlegenden Sprecher und Hörer umfassende Gemeinsamkeit von Kommunikation betont. Die Interaktion kann auf ein vorgängiges und den miteinander Handelnden gegenüber äußerliches System bezogen sein, das den Handelnden Rollen attribuiert und sich ihnen als Ort der Fremde für ihre sozial nicht verwirklichende Individualität darstellt. Die Interaktion kann aber auch gesehen werden als Ort der Erzeugung eben jener Sozialität und der sie bestimmenden Strukturen (Ehlich 2007: 193).

Wenn man Kulturen als schwer voneinander abgrenzbar und fließend betrachtet sowie als Produktionsprozesse von Bedeutungen, die von bestimmten Gruppen von Menschen geteilt und immer weiterentwickelt werden, definiert, stellt sich die Frage, wann und wie sich eine interkulturelle Interaktion bestimmen lässt. Gudykunst und Kim (1992) schlagen z. B. vor, erst dann von einer interkulturellen Interaktion zu sprechen, wenn sich die Interaktionspartner als

„Fremde“ bzw. als Angehörige fremder Kulturen wahrnehmen. Dieser Vorschlag kann jedoch als zum Teil lückenhaft bezeichnet werden, da damit interkulturelle Situationen, in denen den Interagierenden die Prägung durch eine bestimmte Kultur unbewusst bleibt, diese aber einen Einfluss auf den Verlauf der Interaktion ausübt, vernachlässigt werden. Im Rahmen dieser Untersuchung wird eine Interaktion als interkulturell betrachtet, wenn der Faktor der Zugehörigkeit eines Agierenden zu einer kulturellen Gruppe, zu der sein Interaktionspartner nicht gehört, den Interaktionsprozess sowohl auf einer bewussten als auch auf einer unbewussten Ebene beeinflusst (vgl. Ting-Toomey 1999: 16). Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass eine interkulturelle Interaktion nicht nur zwischen Personen, sondern auch

19Imo (2013: 21) stellt fest, dass diese Begriffe im wissenschaftlichen Diskurs weniger trennscharf definiert werden.

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zwischen einer Person – die zu einer oder zu mehreren kulturellen Gruppen gehört – und den Artefakten20 einer für sie fremden Kultur möglich ist. Diese Art von Interaktionen wird hier als

„indirekte interkulturelle Interaktionen“ bezeichnet. Als indirekt wird aber auch die Interaktion mit einer fremden Kultur durch eine Person, die zwar zu dieser (fremden) Kultur nicht gehört, aber mit ihr Erfahrung hat, betrachtet.21

Das Präfix „inter-“, das „zwischen“, „miteinander“ und „reziprok“ bedeutet, verweist darauf, dass es in einer interkulturellen Interaktion um etwas Prozesshaftes geht. Interkulturelle Interaktion soll dementsprechend als ein alle interagierenden Seiten implizierender Prozess des Austauschs, der Verständigung, der Konstruktion und der Aushandlung betrachtet werden (vgl. Barmeyer 2011b: 38; Müller-Jacquier 2011: 233). Laut Barmeyer (2011b: 37) entsteht in diesem Prozess der Aushandlung etwas Neues, was dazu führt, dass interkulturelle Interaktionen eine eigene Dynamik aufweisen, welche darin begründet ist, dass die interagierenden Personen während ihrer Interaktion Kommunikations- und Verhaltensregeln neu gestalten und gegenseitig „aushandeln“ und deshalb anders reagieren als in intrakulturellen Begegnungssituationen. Hiller (2011) zufolge geht es in einer interkulturellen Interaktion darum, „einen neuen Kontext zu schaffen, in dem die Lücke zwischen den auseinanderklaffenden Konventionen überbrückt werden kann: Gleichzeitig müssen unterschiedliche Erwartungen ausbalanciert und adjustiert werden“ (Hiller 2011: 246).

Wie lässt sich aber der Aushandlungsprozess in einer interkulturellen Interaktion erläutern? In Anlehnung an Ting-Toomey (1999)22 werden im Folgenden drei Aspekte interkultureller Interaktionen dargestellt, die im Rahmen dieser Arbeit als relevant betrachtet werden:

symbolischer Austausch, Prozesshaftigkeit, Bedeutungsaushandlung.

Die erste Charakteristik, symbolischer Austausch (symbolic exchange), bezieht sich darauf, dass eine interkulturelle Interaktion einen Austauschprozess von verbalen, nonverbalen und paraverbalen Symbolen zwischen mindestens zwei Individuen mit dem Ziel der Produktion gemeinsamer Bedeutungen darstellt (Ting-Toomey 1999: 17).

Die zweite Charakteristik, die Prozesshaftigkeit, betrifft die interdependente Natur der interkulturellen Interaktion. Wenn die Interaktionspartner versuchen, miteinander in Kontakt zu treten und zu kommunizieren, treten sie in eine interdependente Beziehung. Die

20Als Artefakt wird hier von Menschen künstlich Geschaffenes verstanden. Das steht im Gegensatz zu Naturfakt.

Als Bespiel können hier folgende Artefakte genannt werden: Texte, Bilder, Audio- oder Videodaten, Kunstartikel, Alltagsgegenstände usw.

21Zu erwähnen ist weiterhin, dass interkulturelle Interaktionen nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch auf kollektiver Ebene z. B. zwischen Institutionen, die sich durch eine bestimmte Kultur auszeichnen, stattfindet können. Diese Interaktionen werden allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter untersucht.

22Ting-Toomey unterscheidet fünf Aspekte interkultureller Kommunikation: symbolic exchange, process, different cultural communities, negotiated shared meaning, interactiv situation (Ting-Toomey 1999).

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Prozesshaftigkeit setzt zwei Aspekte voraus: die transaktionale und die irreversible Spezifik der Interaktion (vgl. Ting-Toomey 1999: 17). Die transaktionale Spezifik einer interkulturellen Interaktion bezieht sich auf die simultane Kodierung (d. h., indem der Sender die nötigen Wörter mit den entsprechenden paraverbalen Formen und nonverbalen Verhaltensformen wählt, um seine Intention zu äußern) und Dekodierung (d. h., indem der Empfänger die Wörter, die paraverbalen und nonverbalen Zeichen in nachvollziehbare Bedeutungen übersetzt) der ausgetauschten Information. Wenn der Dekodierungsprozess des Empfängers mit dem Kodierungsprozess des Senders übereinstimmt, haben der Sender und der Empfänger ihre gemeinsame inhaltliche Bedeutung (content meanings) erreicht23.

Die irreversible Spezifik interkultureller Interaktion verweist darauf, dass der Sender, sobald er dem Empfänger etwas mitteilt, die gleiche Mitteilung nicht noch einmal genau gleich wiederholen kann. Der Stimmton, das Tempo, sein Gesichtsausdruck werden nicht genau gleich wie beim ersten Mal bleiben. Es ist auch schwierig, für jeden Sender seine Mitteilung rückgängig zu machen, sobald die Botschaft dekodiert wurde. Demzufolge ist der Prozess interkultureller Interaktion irreversibel (Ting-Toomey 1999: 18).

Die dritte Charakteristik, Aushandlung geteilter Bedeutungen, betrifft das allgemeine Ziel jeder interkulturellen Interaktion. In interkulturellen Interaktionen ist das wichtigste Anliegen der Interagierenden, verstanden zu werden. Wenn die Interpretation der Botschaft sich wesentlich mit ihrer Intention überlappt, haben die Interagierenden ein hohes Niveau von geteilten Bedeutungen im Interaktionsprozess erreicht. Das Wort „Aushandlung“ bedeutet Kompromissbereitschaft in dem fließenden Prozess menschlicher Kommunikation. Jede verbale und nonverbale Botschaft enthält mehrere Bedeutungsebenen. Ting-Toomey (1999) unterscheidet drei Bedeutungsebenen: Inhaltsebene, Identitätsebene und Beziehungsebene (Ting-Toomey 1999: 19).

Die Bedeutungsebene betrifft die Fakteninformation, die dem Empfänger durch einen verbalen oder medialen Kanal mitgeteilt wird. Wenn die beabsichtigte Inhaltsbedeutung des Senders richtig vom Empfänger dekodiert wurde, haben die Interagierenden eine Ebene der gemeinsam geteilten Inhaltsbedeutung geschaffen (Ting-Toomey 1999: 19).

Die Identitätsbedeutung betrifft nach Ting-Toomey folgende Fragen: „Wer bin ich und wer bist du in dieser Interaktion?“; „Wie definiere ich mich in dieser Interaktion?“; „Wie definiere ich dich in dieser Interaktion?“ (Ting-Toomey 1999: 19–20). In den Antworten auf diese Fragen sollen die Interaktionsbeteiligten ihre eigene, der gegebenen Situation entsprechende kulturelle

23Leider passiert es oft, dass sich die interkulturell Agierenden wegen sprachlicher Probleme, Unterschiede im Kommunikationsstil und in den Wertorientierungen falscher Vermutungen bedienen (second guesses) (Ting-Toomey 1999: 18).

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Identität definieren und die kulturelle Identität der Interaktionspartner erkennen bzw.

identifizieren.

Identitätsbedeutung integriert solche Aspekte wie Ausdruck von Respekt oder Ablehnung und ist subtiler als die Inhaltsbedeutung. Die Personen, die dekodieren, erschließen in der Regel die Identitätsbedeutung durch den Tonfall des Sprechers bzw. Interaktionspartners durch nonverbale Nuancen, verschiedene Gesichtsausdrücke und selektive Wortauswahl (Ting-Toomey 1999: 19–20).

Die Beziehungsbedeutung bietet Information bezüglich des Beziehungsstatus‘ zwischen zwei Interagierenden. Sie wird durch nonverbale Kommunikation, Körperbewegungen oder Gesten, die die verbale Ebene begleiten, erschlossen (Watzlawick et al. 1967). Das trägt sowohl Bedeutungen von Machtverhältnissen (z. B. gleich – ungleich) als auch Bedeutung von relationaler (Beziehungs) Distanz (z. B. persönlich – unpersönlich) Rechnung. Die Beziehungsbedeutung der Botschaft zeigt oft, wie die Beziehung zwischen den Interagierenden definiert und interpretiert werden soll. Dies betrifft auch die Reflexion der erwarteten Machtverhältnisse in der Beziehung (Ting-Toomey 1999: 20).

Des Weiteren ist zu erwähnen, dass die Interkultur nicht spontan und emergent entsteht, sondern dieser Prozess benötigt Unterstützung und die Bereitschaft aller Beteiligten, in den Aushandlungsprozess einzutreten (Barmeyer 2011b: 63). Nach Casper-Hehne (2009) ist nicht davon auszugehen, dass alle Menschen in allen Situationen fähig sind, eine Interkultur zu schaffen. Dies muss „gewollt und aufgrund von Machtverhältnissen auch möglich sein“

(Casper-Hehne 2009: 150). Auch Barmeyer (2011b) führt aus, dass die interkulturellen Interaktionen von nicht-kulturellen Sachzwängen und Einflussfaktoren, unter denen auch die Konstellationen ungleicher Machtverteilung zu nennen sind, beeinträchtigt sein können.

„Durch unausgeglichene Einfluss- und Machtkonstellationen können ein Akteur bzw. eine Akteursgruppe dominant sein und Interessen durchsetzen, während die andere 'stillschweigende' Anpassung vornehmen muss“ (Barmeyer 2011b: 62–63).

Einen weiteren Aspekt, der bei der Auseinandersetzung mit Interkulturalität zu berücksichtigen ist, stellt die „Kulturalisierung“ dar. Unter „Kulturalisierung“ wird eine Vereinseitigung oder Überbetonung der kulturellen Prägung bzw. der kulturellen Einflüsse in einer interkulturellen Interaktion verstanden (vgl. Diehm/Radtke 1999: 149; Barmeyer 2011b: 65). Dies kann zur Ausblendung anderer nicht-kultureller, historischer, institutioneller, kontextueller oder persönlicher Erklärungsfaktoren führen. Barmeyer zufolge sollte ein Gleichgewicht zwischen Kulturüberschätzung und Kultur-Unterschätzung gefunden werden (Barmeyer 2011b: 65). Zu warnen ist allerdings auch vor der Übernahme einer anderen Extreme, die der

„Individualisierung“, die als Überbetonung individueller Eigenschaften der Interagierenden

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aufgefasst wird.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine interkulturelle Interaktion in dem Fall stattfindet, wenn die Zugehörigkeit der Interagierenden zu unterschiedlichen kulturellen Gruppen sowohl bewusst als auch unbewusst den Verlauf der Interaktion beeinflusst. Darüber hinaus wird eine interkulturelle Interaktion als ein symbolischer Austauschprozess definiert, in dem Individuen aus zwei (oder mehreren) unterschiedlichen kulturellen Gemeinschaften gemeinsame Bedeutungen in interaktiven Situationen aushandeln (Ting-Toomey 1999: 16–17).

In diesem Prozess, der eine Aushandlungsbereitschaft und eine spezifische Kompetenz aller Beteiligten voraussetzt, entsteht eine Interkultur.