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2 GERMANISTIK/DEUTSCH ALS FREMDSPRACHE. KONZEPTUELLE ANSÄTZE

3.2 B ILDUNGSPOLITISCHE R AHMENBEDINGUNGEN

3.2.2 Hochschulbildung

Die Republik Moldau verfügt über keine alte universitäre Tradition, da die ersten Hochschulen erst in den 1930er-Jahren eröffnet wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auf bessarabischem Gebiet mehrere Universitäten und Institute errichtet. An den in der MSSR existierenden 14 Hochschuleinrichtungen war das Studium kostenlos. Die universitäre Bildung in der Sowjetunion war stark ideologisiert. Der Zugang zu den Studienplätzen, deren Zahl begrenzt war, erfolgte über ein Aufnahmeverfahren, das aus vier Prüfungen in den Profilfächern und einer obligatorischen Prüfung zur Muttersprache bestand. Die Dauer des Studiums während der sowjetischen Regierungszeit betrug fünf Jahre, und die Hochschulabsolventen wurden zentral auf Arbeitsstellen in allen gesellschaftlichen Bereichen vermittelt (Guțu 2012: 595).

55Die Lehrtätigkeit in staatlichen Bildungseinrichtungen ist einer der am schlechtesten bezahlten Berufe in Moldau. Die Lehrer werden durchschnittlich mit 200 Euro pro Monat entlohnt (http://www.statistica.md, abgerufen am 20.02.2015).

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Nach dem Erlangen der Unabhängigkeit der Republik Moldau wurde auch die moldauische Hochschulbildung einer Reihe von Reformen unterzogen. Ein wichtiger Wendepunkt in der Reformierung des Hochschulwesens stellte der Anschluss der Republik Moldau an den Bologna-Prozess 2005 dar.

Cabac (2006) unterscheidet fünf wichtige Tendenzen bei der Entwicklung des moldauischen Hochschulwesens im Kontext des Bologna-Prozesses.

Die erste Tendenz nach Cabac besteht in der Ausbreitung des Hochschulsystems. Ihm zufolge ist die Hochschulbildung keine elitäre Bildung mehr, wie es in den Zeiten der Sowjetunion war, sondern sie wurde Anfang der 2000er-Jahre zu einer Massenausbildung. Cabac zitiert an dieser Stelle ein Dokument der Weltbank56, demzufolge die Einschreibungsquote an den Hochschulen vom Entwicklungsniveau des jeweiligen Landes abhängt. Diese Quote liegt in den entwickelten Ländern bei mehr als 50%, ist in den Ländern mit einem mittleren Entwicklungsniveau zweimal niedriger und liegt in den ärmeren Ländern bei nicht mehr als 6%. Die Republik Moldau stellt im Rahmen dieser These eine Ausnahme dar: Obwohl es sich hier um eines des ärmsten Länder Europas handelt, liegt die Hochschulbildungsquote höher als 50%: Der Massencharakter der Hochschulbildung hat das Problem der Qualität der Ausbildungsprozesse und seiner Produkte in den Vordergrund gerückt (Cabac 2006: 4).

Die zweite Tendenz besteht in der Internationalisierung des Arbeitsmarktes und der steigenden Mobilität der Studenten und der Lehrkräfte.

Das lebenslange Lernen stellt die dritte Tendenz dar. Die Hauptaufgabe der Bildung besteht nicht mehr in der Weitergabe/Übermittlung von Werten und Kenntnissen, sondern in deren Entwicklung selbst. Die Komponente Lehren überlässt der Komponente Lernen den Vorrang.

Demzufolge ändern sich auch die Rollen der Lehrer und der Lerner.

Die vierte Tendenz verbindet Cabac mit der Demokratisierung der Bildung auf systemischem Niveau (d. h. Dezentralisierung und universitäre Autonomie) sowie auf prozeduralem Niveau (Herstellung demokratischer Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden, zwischen Hochschule und Ministerium, zwischen Hochschule und Patronat).

Die fünfte Tendenz in der Entwicklung der Hochschulbildung besteht in der Humanisierung der Bildung, d. h. in der Sicherung einer freien Entwicklung der Persönlichkeit und darin, dass dem lernenden Studenten die Rolle eines Agierenden zufällt (Cabac 2006: 5).

Im Kontext des Anschlusses der moldauischen Hochschulbildung an den Bologna-Prozess wurden grundlegende Reformen entwickelt. Doch konnten sie nicht alle erfolgreich umgesetzt werden. Ähnlich wie bei der Reformierung des allgemeinen Bildungswesens hat die

56El-Khawas, E., De Pietro-Jurand, R., Holm-Nielsen, L. Assurance de la qualité dans l’enseignement supérieur:

Progrès récent et défis à venir. – New York: Banque Mondiale, 1998.

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Entwicklung des moldauischen Hochschulsystems mit zahlreichen störenden Faktoren zu kämpfen: die tiefe sowjetische Prägung der Hochschulbildung, alte Informationsquellen und Lehrmaterialien, tief verankerte alte Lehr- und Lerntraditionen, fehlende finanzielle Mittel, Widerstand gegen Änderungen. Die Bekämpfung und Beseitigung von Reformierungshindernissen stellt einen komplexen Prozess dar, der das moldauische Hochschulwesen weiterhin beschäftigt und die Entwicklung und Umsetzung von neuen Verbesserungsmaßnahmen erfordert (Strategie der Bildungsentwicklung für die Jahre 2011–

2015: 2010). Guțu stellt in diesem Zusammenhang fest:

In der Republik Moldau ist die durch den Beitritt zum Bologna-Prozess bedingte Reform des Hochschulwesens unter strukturellem Gesichtspunkt, jedoch nicht in umfassender und tiefgreifender Art und Weise implementiert worden. Die Universitäten sind mit den ex-sowjetischen Atavismen konfrontiert, einer Mentalität der Abkapselung sowie einem Widerstand gegen Reformierung und Veränderung (Guțu 2012: 600–601).

Strukturelle Merkmale des moldauischen Hochschulwesens

Das aktuelle moldauische Hochschulwesen besteht aus Universitäten, Akademien und Instituten, die sowohl staatlich als auch privat sein können (Bildungsministerium der Republik Moldau).

Die moldauische Hochschulbildung unterteilt sich, abgesehen vom medizinischen und pharmazeutischen Studium, in zwei aufeinander aufbauende Zyklen entsprechend den in der Bologna-Reform vorgeschlagenen Zyklen:

Den ersten Zyklus bildet das Lizentiatstudium (rumänisch: Licența – entspricht dem Bachelor), das 3 bis 4 Jahre dauert und jeweils 60 ECTS für ein Studienjahr entspricht.

Den zweiten Zyklus bildet das Masterstudium (entspricht dem Master). Es dauert 1 bis 2 Jahre und entspricht 60-90-120 ECTS.

Die Zulassung zum Studium erfolgt nach den vom Bildungsministerium festgesetzten Kriterien. Für die Zulassung zum Lizenziatstudium ist das Bakkalaureatdiplom (rumänisch:

bacalaureat – äquivalent zum Abitur) und für das Masterstudium das Lizentiatdiplom erforderlich. Das Studienjahr beginnt jeweils am 1. September, dauert 42 Wochen, aufgeteilt auf zwei Semester, und setzt zwei Prüfungszeiten und Praktika voraus.

Es besteht auch die Möglichkeit, ein Lizenziatdiplom durch Fernstudium zu erlangen. Die Studienzeit des Fernstudiums beträgt ein Jahr länger als das normale Lizenziatstudium. Für die Masterstudiengänge ist das nicht möglich. Es besteht auch keine Möglichkeit, ein Fernstudium in den Fächern Kunst, Psychologie, Medizin, Pharmakologie, Tiermedizin, Architektur, Fremdsprachen zu absolvieren.

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Das Lizentiatstudium wird mit dem Bestehen einer Lizentiatprüfung und mit dem Verfassen einer Lizentiatarbeit abgeschlossen. Den Absolventen wird der Lizentiattitel in dem jeweiligen Fach verliehen und sie erhalten ein Lizentiatdiplom.

Das Masterstudium wird mit der Anfertigung einer Masterarbeit abgeschlossen, den Absolventen wird der Mastertitel in dem jeweiligen Fach verliehen.

Die Mehrheit der Studierenden, nämlich 69,5 %, absolvieren ihr Studium in rumänischer Sprache, 27 % in russischer Sprache und weitere 3,5 % in den Sprachen Englisch, Französisch, Bulgarisch, Ukrainisch oder Deutsch. Im Durchschnitt sind die Studierenden 19 bis 22 Jahre alt (Bildungsministerium der Republik Moldau; Guțu 2012: 597).

In der Republik Moldau gibt es dreißig Hochschuleinrichtungen, von denen 16 staatlich und 14 privat sind. Das Hochschulsystem bietet Bildungsmöglichkeiten in ca. 170 Fachrichtungen.

Die Finanzierung der staatlichen Universitäten der Republik Moldau erfolgt auf der Grundlage der jährlichen Antragstellung der Universitäten. Die Finanzierung durch den Staat deckt nur einen kleinen Teil der notwendigen Ausgaben für das erfolgreiche Funktionieren der Institutionen ab. Der Rest der Gelder kommt aus anderen Quellen: aus Studiengebühren, internationalen Projekten, Partnerschaften mit dem wirtschaftlichen Sektor sowie aus von den Universitäten erbrachten Wirtschaftsleistungen (Guțu 2012: 599).

Die staatlichen Universitäten bieten sowohl Studienplätzte, die vom Staat finanziert werden, als auch gebührenpflichtige Studienmöglichkeiten. Durch die staatliche Finanzierung bekommen auch begabte Jugendliche, die sich sonst aus finanziellen Gründen keine Hochschulbildung leisten können, die Möglichkeit, an einer Universität zu studieren. Neben der Tatsache, dass sie von den Studiengebühren befreit sind, bekommen sie auch monatliche Stipendien. Dafür müssen sie allerdings – gemäß einer Regierungsentscheidung bezüglich der Einstellung von Hochschulabsolventen – einen Vertrag unterschreiben, demzufolge sie nach Studienabschluss vom Bildungsministerium einen Arbeitsplatz zugewiesen bekommen. Die Absolventen sind verpflichtet, die Tätigkeit an dem zugewiesenen Arbeitsplatz drei Jahre auszuüben57 (Bildungsministerium der Republik Moldau). In Wirklichkeit funktioniert jedoch diese Entscheidung nicht reibungslos. Ein Grund dafür ist, dass die Zahl der Absolventen viel größer ist als die Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze. So gab es z. B. 2012 für 2378 Lehramtsabsolventen, von denen 1521 von Staat finanziert wurden, nur ca. 700 Arbeitsstellen58.

Die Höhe der Studiengebühren an den moldauischen Universitäten variiert, abhängig von der

57 Die Nachwuchsfachkräfte, die sich weigern, den Arbeitsplatz anzunehmen oder die Tätigkeit vor Ablauf der drei Jahre unterbrechen, sollen das vom Staat für ihre Ausbildung gezahlte Geld zurückerstatten.

(http://lex.justice.md, abgerufen am 11.01.2015).

58 http://statistic.md, abgerufen am 10.01.2015.

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Fakultät und Studieneinrichtung, von 2.000 bis 7.300 Lei (umgerechnet 40 bis 150 Euro59) pro Studienjahr. Die am häufigsten gewählten Fachgebiete sind Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften und Fremdsprachen.

Die Eröffnung vieler privater Universitäten und die Einführung der in vielen Fällen fast unbegrenzten gebührenpflichtigen Studienplätze an den staatlichen Universitäten haben das Studium für breitere Massen zugänglich gemacht. Wenn vor der Bildungsreform nur die Abiturienten, die die besten Leistungen nachweisen konnten, einen Studienplatz an einer Hochschule bekamen, so hatte Anfang der 2000er-Jahre jeder Abiturient, der sich die Studiengebühren leisten konnte – sehr oft unabhängig von seinen im Gymnasium (rumänisch:

liceu) erreichten Leistungen – die Möglichkeit, an einer Hochschule zu studieren.

Entsprechend sind die Zahlen der Hochschulabsolventen von 14531 im Jahre 2002 auf 29614 im Jahr 2008 gestiegen60.

Student zu sein ist somit zu einem Trend geworden, dem zu folgen sich viele, oft mit durch die Eltern im Ausland erworbenen finanziellen Mitteln, leisten können. Im Jahre 2006 hat das Bildungsministerium eine Reform initiiert, die die Zahl der Studienplätze an den Universitäten verringern sollte. Obwohl der Massenansturm der Studierenden drastisch verringert wurde61, haben die gestiegenen gesellschaftlichen Erwartungen sowie die geringen alternativen Ausbildungsmöglichkeiten das Streben nach einem Hochschulabschluss nicht geschwächt (Strategie der Bildungsentwicklung für die Jahre 2011–2015: 2010).