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1 INTERKULTURELLE KOMPETENZ: THEORIEN, KONZEPTE,

1.5 E INFLUSSFAKTOREN INTERKULTURELLER K OMPETENZ

1.5.2 Situativ-interaktive Ebene

Während im vorigen Abschnitt die kulturellen und individuellen Bedingungen untersucht wurden, die die Interagierenden in die interkulturelle Interaktion einbringen, wird in diesem Abschnitt der Fokus auf die Einflussfaktoren auf der situativ-interaktiven Ebene und vor allem auf den Rahmen interkultureller Interaktion gesetzt. Bei Mecheril (2004) ist das Zusammenspiel von situativen Faktoren unter dem Begriff „Raum“ zu finden, der ihm zufolge

„im Schnittfeld gesellschaftlicher, institutioneller, interaktiver und kultureller Zuschreibungen“ entsteht (Mecheril 2004: 123). Unter dem situativ-interaktiven Rahmen werden hier zum einen kulturell-kontextuelle Rahmenbedingungen, zum anderen interaktionsbedingte Faktoren, die aus der Verbindung kultureller, persönlicher und kontextuellen Faktoren entstehen, verstanden.

1.5.2.1 Kulturell-kontextuelle Rahmenbedingungen

Die kulturell-kontextuellen Rahmenbedingungen beeinflussen die Erwartungen der Interaktionsteilnehmer, ihre Interpretation der Äußerungen des Gegenübers, die Wahl der kommunikativen Mittel (Sprachstil, Anredeform etc.) (Auernheimer 2010: 36), ihre Reaktionsweisen und somit den Verlauf der Interaktion (Samovar/ Porter 2007: 14, Straub 2007: 39, Ting-Toomey 1999: 23). Der Kontext stellt somit einen Rahmen bereit, der bestimmt, was hinsichtlich der Verhaltensweisen wünschenswert, erlaubt oder sogar verboten ist (Samovar/Porter 2007: 13). Dieser Rahmen bezieht sich Auernheimer (2010) zufolge nicht nur auf die unmittelbare institutionelle Rahmung (z. B. Kneipengespräch, „small talk“

zwischen Nachbarn versus Vorsprechen bei einer Behörde, Arztbesuch), sondern auch auf die jeweilige Organisationskultur (z. B. kooperatives Klima, flache Hierarchien oder starke Weisungsgebundenheit von oben) (Auernheimer 2010: 42).

Einen wichtigen Aspekt stellt im Fall von lokalisierbaren Kulturen der Parameter dar, ob die interkulturelle Interaktion an einem Ort der eigenen kulturellen Gruppe, der kulturellen

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Gruppe des Interaktionspartners oder an einem neutralen Ort stattfindet.

Ein Ort der eigenen kulturellen Gruppe bietet dem Menschen Vertrautheit, Selbstbewusstsein und Sicherheit. Der Mensch kennt die Organisationsweise der Gesellschaft, die Verhaltensregeln und –normen, und der Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen ist ihm vertraut. Die Aufmerksamkeit ist meistens ausschließlich auf die Interaktion mit dem fremdkulturellen Partner gerichtet. Die Anwesenheit am eigenkulturellen Ort trägt bei der Aushandlung der Interkultur in vielen Fällen – meistens aus für beide Interaktionspartner pragmatischen Gründen, jedoch immer abhängig vom Status der Interaktionsteilnehmer, dem Ziel der Begegnung, den Machtverhältnissen – zur Durchsetzung mehrerer Praktiken der eigenen kulturellen Gruppe bei.

Ein fremdkultureller Ort bedeutet hingegen eine Flut von neuen, zum Teil unbekannten Reizen, die wahrgenommen werden. Diese Reize müssen oft gleichzeitig mit der Bewältigung der interkulturellen Interaktion verarbeitet werden, was eine zusätzliche Herausforderung für den Agierenden darstellt. Die Bekanntheit des Ortes könnte jedoch diesen Prozess erleichtern.

Am kulturellen Ort des Interaktionspartners gewinnen unter Umständen die fremden kulturellen Praktiken mehr an Bedeutung.

An einem für beide Interaktionspartner fremden Ort entsteht in dieser Hinsicht ein Gleichgewicht, da keiner von ihnen von der Vertrautheit mit dem eigenen Ort profitieren kann.

Bei der Aushandlung von Kultur wird in diesem Fall jedoch der neutrale fremdkulturelle Ort eine wichtige Rolle spielen, indem er als Bühne des interkulturellen Geschehens zur Herstellung einer gemeinsamen Grundlage genutzt wird.

1.5.2.2 Interaktionsbedingte Faktoren

Unter den interaktionsbedingten Faktoren wird hier ein Rahmen verstanden, der von den Interaktionsbeteiligten geschaffen wird. In diesem Zusammenhang werden folgende Aspekte als wichtig betrachtet: das Interaktionssubjekt oder -objekt, die Anzahl der anwesenden Personen in den jeweiligen Situationen, der Status des Gegenübers, die Neuheit der Situation, der Bekanntheitsgrad, der Grund der Interaktion und der Grad der Formalität, die Konsequenzen für die Beteiligten selbst und für die anderen, die Machtverhältnisse (vgl.

Thomas et al. 2005; Fritz/Möllenberg/Werner 1999).

Das fremdkulturelle Interaktionssubjekt kann als eine der wichtigsten situativen Variablen betrachtet werden, da mit ihm die Interkultur ausgehandelt wird. Das fremdkulturelle Interaktionssubjekt bringt in die interkulturelle Interaktion die im letzten Abschnitt dargestellten, spezifisch individuell und kulturell geprägten Persönlichkeitsdispositionen und Eigenschaften ein. Es ist möglich, dass die Interaktion mit je zwei verschiedenen Personen aus

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der gleichen kulturellen Gruppe unter den gleichen situativen Bedingungen ganz anders verläuft.

Auch die Anzahl der interagierenden Personen beeinflusst den Interaktionsverlauf. Es macht einen großen Unterschied, ob man mit einer oder mit mehreren Personen gleichzeitig interagiert (vgl. Samovar & Porter 2007: 14). Eine Interaktion, in die mehr als zwei Personen involviert sind, schließt zusätzliche Faktoren ein, wie beispielsweise die kulturelle Zusammensetzung der Interaktionsgruppe oder die Anzahl der zur gleichen Kultur gehörenden Interaktionsteilnehmer.

Die Neuigkeit der Situation und der Grad der Bekanntheit mit dem Interaktionspartner sind weitere Aspekte, die in einer interkulturellen Interaktion eine bedeutende Rolle spielen. Wie in dem Kapitel zum Ziel interkultureller Kompetenz (vgl. Kapitel 1.4.) deutlich wurde, schaffen und handeln die Interaktionspartner in einer interkulturellen Interaktion eine Zwischenkultur aus. Kannten sich die Interagierenden davor nicht, so basieren ihre Erwartungen und Vorstellungen zum jeweiligen Interaktionspartner sowie die Dekodierung empfangener Botschaften auf ihrem kulturellen Wissen, auf kollektiven Fremdbildern und auf persönlichen Erfahrungen mit anderen Mitgliedern der kulturellen Gruppe des Interaktionspartners. Auch die Kodierung eigener Botschaften wird außer von den individuellen Dispositionen und der kulturellen Prägung dadurch bedingt, dass der Sender noch keine Information über die Dekodierungs- und Verhaltensweisen des Interaktionspartners besitzt. Im Gegensatz dazu verfügen einander bereits bekannte Interaktionspartner über eine gemeinsam geschaffene Kultur, die – abhängig von den gemeinsam erlebten Erfahrungen und Kontakten – unterschiedliche Dimensionen aufweisen kann. Sie stellt ein wichtiges Steuerungsmittel der Handlungsweisen in ihrer Interaktion und für die weitere interkulturelle Aushandlung und den weiteren Aufbau der gemeinsamen Kultur dar.

Der Grund der Interaktion ist ein wichtiger Faktor bei der Bestimmung des Ziels interkultureller Kompetenz. Die Motivation der Interagierenden und die von ihnen angestrebten Ziele bestimmen den Verlauf interkultureller Interaktion. Beruflich bedingte, meistens erfolgsorientierte Interaktionsgründe können beispielsweise mehr Verantwortung und somit einen höheren Aufmerksamkeitsgrad und mehr Anstrengung bei der Kodierung und Dekodierung sowie bei der Aushandlung von Bedeutungen voraussetzen als die privaten Interaktionsgründe, die in der Regel eher auf die Persönlichkeitsentwicklung zielen.

Die Rolle von Machtverhältnissen in interkulturellen Interaktionen wurde in den vorigen Kapiteln (Kap. 1.2; Kap. 1.3) bereits angedeutet. Diese wird oft in Konzepten interkultureller Kompetenz hervorgehoben. Besonders intensiv setzt sich Auernheimer (2005; 2010) damit auseinander. Unter Macht versteht Auernheimer „ein Mehr an Ressourcen und damit

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Handlungsmöglichkeiten aufgrund von sozialem Status, rechtlichem Status, besserer sozialer Netzwerke, von Mehr an Wissen oder besserem Zugang zu Informationen“ (Auernheimer 2005:17). Im Rahmen dieser Arbeit wird Macht als keine absolute, sondern als eine relative Variable betrachtet. So kann beispielsweise eine in einer interkulturellen Interaktion als überlegen betrachtete Seite in einer anderen Situation als unterlegen betrachtet werden. Je nach Situation können sich entweder symmetrische oder asymmetrische Machtkonstellationen bilden, in denen sich die jeweiligen interagierenden Seiten im Vergleich zu den anderen den Besitz von mehr bzw. weniger Macht zuschreiben33. Die Zuteilung der Macht erfolgt in den meisten Fällen unbewusst infolge eines Vergleichs der jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen oder auf Grund der bereits bestehenden Kollektiverfahrungen bzw. Fremdbilder.

Es besteht die Möglichkeit des Wandels der Machtverhältnisse auch innerhalb einer und derselben interkulturellen Interaktion, indem – um hier nur ein Beispiel zu benennen – die aufgrund der bescheidenen materiellen Ressourcen Unterlegenen im Laufe der Kommunikation dank überwiegender informationeller Ressourcen die Rolle der Überlegenen übernehmen. In diesem Fall erfolgt entweder ein sogenannter Machtaustausch oder einfach ein Ausgleich der Machtfülle. Es kann aber auch interkulturelle Situationen geben, in denen beide (oder alle) interagierenden Seiten sich gleichzeitig als überlegen bezeichnen, was auf unterschiedlichen Ebenen zu Missverständnissen in der Interaktion führen kann34.

In Bezug auf die Entwicklung interkultureller Kompetenz bzw. die Bewältigung interkultureller Interaktionen ist die Auseinandersetzung mit diesen situationellen Faktoren sehr wichtig, um gesellschaftlich bedingte Asymmetrien durch das eigene Verhalten, soweit möglich, zu relativieren, indem dem Dialogpartner die Anerkennung seiner Person und seiner Haltung zur umstrittenen Frage signalisiert wird. Darüber hinaus muss man darauf vorbereitet sein, den eigenen Standpunkt zu überprüfen. Bei der relativ hohen Komplexität von interkulturellen Situationen ist laut Auernheimer (2007) Supervision empfehlenswert, damit man Situationen aus einer anderen Perspektive wahrnehmen kann und Anstöße zur Reflexion eigener Haltungen und Verhaltensmuster bekommt (Auernheimer 2007: 126).

33 Auernheimer (2005) zufolge können Beziehungsdefinitionen in symmetrischen Beziehungskonstellationen durch die Art des Anredens, durch räumliche Nähe und Distanz, durch die Wahl der Sprachvarietät ausgehandelt werden, während das bei einer asymmetrischen Beziehung fast unmöglich sei. Der Unterlegene muss in der Regel die meist nonverbal vermittelte Beziehungsdefinition des Überlegenen akzeptieren (Auernheimer 2005: 18).

34Die – wie Auernheimer (2007) sie nennt – fragwürdigen Verhaltensweisen, zu denen Machtasymmetrie die jeweils Überlegenen verleitet, können bei den Unterlegenen zu problematischen Reaktionen führen, wie z. B. zu generalisiertem Misstrauen, Überempfindlichkeit aufgrund von Diskriminierungserfahrungen, Rückzugstendenzen bis hin zu „erlernter Hilflosigkeit“, Aggressivität, die nach außen, aber auch nach innen gewendet sein kann. Bei solchen Reaktionen neigen viele Menschen dazu, die fremde Mentalität dafür verantwortlich zu machen, worunter die Verständigung leidet. Dabei werden die Reaktionen sehr oft von Kollektiverfahrungen (Diskriminierungserfahrungen, Migrationserfahrungen, Migrationsmotive) bedingt, indem sie auf die aktuelle Beziehung übertragen werden (Auernheimer 2007: 125–126).

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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass – abhängig von den Kombinationen situativer Faktoren – die interkulturelle Interaktion unterschiedliche Formen annehmen wird. Um möglichst zahlreiche Einflussfaktoren identifizieren und dementsprechend die interkulturellen Situationen bewältigen zu können, finden es Hetze und Layes (2005) sinnvoll, sich mit den spezifischen situationalen Faktoren einer fremden Umgebung frühzeitig auseinanderzusetzen und zu antizipieren, „mit welchen situativen Anforderungen man eher gut beziehungsweise eher schlecht zurechtkommt“ (vgl. Hetze/Layes 2005: 144). Es ist jedoch nicht zu vergessen, dass viele von den interaktiv bedingten Faktoren fast unvorhersehbar sind.

Buhl-Böhnert (2008: 9) plädiert in Bezug auf die Situation dafür, den faktischen IST-Zustand festzuhalten und das eigene Verständnis des Handlungskontextes zu klären, um dann mit den anderen Beteiligten zu einem gemeinsamen Situationsverständnis zu gelangen. Darüber hinaus schlägt Buhl-Böhnert (2008: 9) vor, zunächst mit dem Interaktionspartner gemeinsam die Situation zu definieren, um so die Divergenzen zu minimieren und in diesem Rahmen dann einen Konsens auszuhandeln. Das Vorhandensein einer gemeinsamen Definition von Vorgeschichte, Thema, Zielsetzung und persönlicher Konstellation könnte einen positiven Einfluss auf die interkulturelle Interaktion ausüben. Thomas (1996) hält fest, dass eine angemessene Situationsgestaltung nur durch eine angemessene Situationsinterpretation möglich ist. Da es sich aber als unmöglich erweist, jede neue interkulturelle Situation unmittelbar adäquat zu interpretieren, empfiehlt Thomas, sich diese Tatsache eingestehen zu können, um zunächst einmal die richtigen Fragen an eine neue Situation zu stellen, bevor man fertige Antworten abzurufen versucht (Thomas 1996: 115). Aufgrund der Wechselwirkung zwischen situativen und personalen Faktoren ist im Rahmen einer interkulturellen Interaktion weiterhin zu beachten, dass die Situationsdefinition bzw. -interpretation in Korrelation mit Persönlichkeitsfaktoren zu betrachten ist.