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1 INTERKULTURELLE KOMPETENZ: THEORIEN, KONZEPTE,

1.5 E INFLUSSFAKTOREN INTERKULTURELLER K OMPETENZ

1.5.1 Persönlich-kulturelle Ebene

1.5.1.3 Einstellungen und Emotionen

Den affektiven Aspekten wird in den meisten Ansätzen zu interkultureller Kompetenz eine wichtige Rolle beigemessen. Einige Forscher heben sie unter den anderen Aspekten hervor, beispielsweise in den Ansätzen zur interkulturellen Sensibilität, die davon ausgehen, dass interkulturelle Kompetenz eine grundsätzlich positive Haltung und Einstellung gegenüber interkulturellen Situationen voraussetzt (Chen/Starosta 1996; Bennett/Bennett 2004).

Abhängig von dem Modell interkultureller Kompetenz werden die affektiven Elemente in Listen von sogenannten Teilkompetenzen, wie beispielsweise Empathie, Toleranz, Offenheit, Ambiguitätstoleranz usw., die für die erfolgreiche interkulturelle Handlung als vorrangig betrachtet werden, aufgegliedert oder – in den Strukturmodellen – der affektiven Dimension zugeordnet (vgl. Bolten 2006) - ein Problem bei den Strukturmodellen in der Unstimmigkeit bei der Zuordnung einzelner Teilkompetenzen, die als relevant für die interkulturelle Kompetenz betrachtet werden. Aus diesem Grund wird hier kein affektives Profil erstellt, das interkulturelle Kompetenz garantiert, sondern es werden die Hintergründe menschlicher affektiver Erscheinungen und ihren möglichen Einfluss auf den Verlauf interkultureller Interaktionen aufgezeigt. Dazu werden allgemeine theoretische Ausführungen zu den emotionalen Dispositionen der Menschen sowie zur Rolle der emotionalen Verbindung zu und der Einstellungen gegenüber der eigenen und fremden Kulturen dargelegt.

Affektive/emotionale Disposition

Gegenwärtig ist im wissenschaftlichen Diskurs die Tendenz zu beobachten, emotionale Phänomene als eine Synthese aus biologischen und kulturellen Faktoren zu begreifen und zu beschreiben (vgl. Rötger-Rößler 2002: 148, Mesquita/Walker 2002: 778). Mesquita/Walker (2002) teilen die affektiven Phänomene in emotionales Potential und emotionale Praktiken ein.

Dieses Modell wird im Folgenden der Untersuchung des Einflusses affektiver Phänomene auf die interkulturelle Kompetenz dienen. Das „emotionale Potential“ stellt die grundsätzliche physiologische Fähigkeit des Menschen dar, emotionale Reaktionen zu erleben und zu zeigen (vgl. Mesquita/Walker 2002). In Rahmen dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass dieses Potential zwar aus universalen affektiven Dispositionen besteht, ihre Kombination allerdings

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bei jedem Menschen als einzigartig anzusehen ist. Die emotionalen Dispositionen stehen im engen Zusammenhang mit den individuellen kognitiven, perzeptiven und verhaltensbezogenen Dispositionen des Menschen.

Die emotionalen Praktiken sind nach Mesquita/Walker (2008) die tatsächlichen Emotionen, die die Menschen erleben und ausdrücken; auf dieser Ebene nämlich sind die kulturelle Prägung der Emotionen selbst und der Umgang mit ihnen zu beobachten.

Emotionale Praktiken sind in kulturspezifische Verhaltensmuster, moralische Normen und normative Systeme eingebunden; ihre Anwendung ist durch kulturelle Regeln festgesetzt, und sie ermöglichen die Bewertung der Richtigkeit oder der Ungehörigkeit von Emotionen in einem bestimmten kulturellen Rahmen (vgl. Parrott/Harré 1996: 1).

Gleichzeitig sind die emotionalen Praktiken von kognitiven und sozialen Faktoren beeinflusst, da die Emotionen nach Parrott und Harré von Bewertungs- und Beurteilungsprozessen hervorgerufen werden29. Vom funktionalen Standpunkt aus spielen Emotionen eine wichtige Rolle bei der Entfaltung zwischenmenschlicher Interaktionen30 (Parrott/Harré 1996: 2).

Die Synthese von „emotionalem Potential“ und „emotionalen Praktiken“ wird in der vorliegenden Untersuchung als „emotionales Profil“ eines Menschen bezeichnet. Dieses Profil ist dynamisch und variiert im Laufe des Lebens, abhängig von physiologischen Änderungen des Körpers, von den gesammelten Erfahrungen, von den Zugehörigkeiten zu neuen kulturellen Gruppen.

Abhängig von diesem Profil werden die von einer interkulturellen Interaktion hervorgerufenen Emotionen in spezifischer Weise kognitiv verarbeitet, bewertet und zu erkennen gegeben. Auf der Grundlage dieses Profils werden auch die von dem Interaktionspartner gezeigten Emotionen interpretiert.

Affektive Verbindung zur eigenen Kultur

Einen wichtigen Einfluss auf die interkulturelle Kompetenz üben die Emotionen und Einstellungen aus, die eine Person mit der eigenen kulturellen Gruppe verbinden. Gudykunst (2004) fasst diese Einstellungen in Anlehnung an Davidson/Thomson (1980) als „learned predisposition to respond in an evaluative (from extremely favorable to extremely unfavorable) manner towards some attitude object“ auf (Gudykunst 2004: 130).

Diese affektiven Aspekte entstehen abhängig von der Intensität der kulturellen Prägung, von

29So liegt z. B. das Empfinden von Scham darin begründet, dass man sich in Gefahr sieht, in den Augen anderer in Schande zu verfallen (Parrott/Harré 1996: 2).

30 Bestimmte Emotionen, wie beispielsweise Scham oder Wut, dienen dazu, soziale Kontrolle zu ermöglichen.

Diese Kontrollfunktion setzt die Normen durch und erfüllt außerdem den Zweck, sie weiter zu entwickeln (Parrott/Harré 1996: 2).

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dem individuellen emotionalen Profil sowie von persönlichen Erfahrungen und Biographien.

So können sich beispielsweise Stolz- oder Schamgefühle für die eigene Kultur ganz unterschiedlich auf den Verlauf einer interkulturellen Interaktion auswirken. Stolz und Bewunderung für die eigene Kultur können beispielsweise Selbstvertrauen und positives Selbstwertgefühl bedingen, was zum selbstsicheren souveränen Auftreten in interkulturellen Situationen führen kann. Gleichzeitig können aber diese Gefühle von einer ethnozentrischen Sicht hervorgerufen werden.

Gudykunst definiert Ethnozentrismus mit Sumner (1940) als „the view of things in which one’s own group is the center of everything, and all others are scaled and rated with reference to it“(Gudykunst 2004: 130). Er unterscheidet dabei zwei Facetten von Ethnozentrismus. Die erste betrifft unsere Einstellung zu unserer kulturellen Gruppe. Hoher Ethnozentrismus impliziert in diesem Fall die Betrachtung der eigenen Gruppe als überlegen und die eigenen Werte als allgemeingültig. Die zweite Facette bezieht sich auf die Wahrnehmung anderer Gruppen. Hohen Ethnozentrismus assoziiert Gudykunst hier mit der Beurteilung anderer kultureller Gruppen als unterlegen und der Verachtung ihrer kulturellen Werte (Gudykunst 2004: 130). In interkulturellen Interaktionen kann das Dominanzversuche bei der Aushandlung der Interkultur auslösen.

Nach Gudykunst ist jeder Mensch in einem bestimmten Ausmaß ethnozentrisch, da das natürlich und unvermeidbar ist. Je ethnozentrischer eine Person ist, desto schwieriger ist es, für sie genaue Voraussagen und Erklärungen hinsichtlich ihrer fremdkulturellen Verhaltensweisen zu machen, und desto stärker ist ihre Unsicherheit in interkulturellen Interaktionen (Gudykunst 2004: 131).

Das Vorhandensein solcher Gefühle bei allen Interaktionspartnern, die aufgrund der Überzeugung von ihrer Überlegenheit in interkulturellen Interaktionen ihre eigenen kulturellen Praktiken durchzusetzen versuchen, können zu Konflikten führen (mehr zur Rolle der Machverhältnisse s. Kapitel 1.5.2.2.). Im Gegensatz zum Ethnozentrismus trägt kultureller Relativismus dazu bei, den Interaktionspartner aus dessen eigener Perspektive zu betrachten und so seine Verhaltensweise besser zu verstehen (vgl. Gudykunst 2004: 132).

Negative emotionale Erfahrungen in der eigenen kulturellen Gruppe oder Minderwertigkeitsgefühle, die mit der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe verbunden sind, können in interkulturellen Interaktionen zurückhaltendes Verhalten, die Einnahme einer unterlegenen Position, den Verzicht auf eigene kulturelle Praktiken und die Übernahme derjenigen der Interaktionspartner bedingen, was zum Verlust der eigenen kulturellen Identität führen kann. Aus diesem Grund erscheint es als wichtig, über eigene Emotionen und Gefühle gegenüber der eigenen Kultur sowie über ihren Hintergrund zu reflektieren und sie in den

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interkulturellen Situationen entsprechend einzusetzen und zu steuern.

Emotionale Erfahrung mit Interkulturalität

Ebenso wichtig für die interkulturelle Kompetenz wie die Emotionen und Einstellungen in Bezug auf die eigene Kultur sind auch die affektiven Erscheinungen, die mit interkulturellen Situationen im Allgemeinen oder mit einer bestimmten Kultur, mit deren Mitgliedern eine Interaktion stattfindet, verbunden sind (Gertsen 1990; Chen/Starosta 1996; Gudykunst 2004;

Bennett/Bennett 2004). Diese affektiven Aspekte haben ihren Ursprung entweder in der direkt erlebten Erfahrung mit Interkulturalität oder in indirekten, medialen interkulturellen oder transkulturellen Kontakten und stehen im engen Zusammenhang mit der Wahrnehmung dieser Situationen und mit ihrer kognitiven Verarbeitung. Sie beeinflussen die Erwartungen der Interagierenden an die interkulturelle Interaktion und steuern ihre Verhaltensweisen (vgl.

Chen/Starosta 1996; Bennett/Bennett 2004). So können beispielsweise – allgemein formuliert – negative emotionale Erfahrungen mit Andersartigkeit, Fremdheit und Interkulturalität unsicheres, unflexibles oder sogar aggressives Verhalten verursachen und die Aushandlung der Interkultur verhindern. Anders herum können positive Emotionen und Einstellungen gegenüber anderen Kulturen bzw. interkulturellen Interaktionen Selbstsicherheit, Flexibilität, Offenheit und Toleranz im Umgang mit Vertretern dieser kulturellen Gruppen fördern und somit die interkulturelle Aushandlung erleichtern (Gertsen 1990: 364; Chen/Starosta: 369). Zu erwähnen ist dabei auch die Möglichkeit des Ausbleibens jeglicher emotionalen Manifestation für die fremde Kultur in einer interkulturellen Situation. Einerseits rufen die fehlenden Emotionen in Verbindung mit der Unkenntnis der Kultur, mit deren Vertretern man interagiert, weniger Erwartungen an die Interaktion und keine voreiligen Rückschlüsse über ihren Verlauf hervor, andererseits können sie im Kontakt mit Andersartigkeit zu einer stärkeren emotionalen Auswirkung führen.

Die Änderung der Einstellungen gegenüber anderen kulturellen Gruppen, die Steigerung der Komplexität der interkulturellen Wahrnehmung, die Re- und Dekategorisierung von Vertretern anderer Kulturen und die gegenseitige Differenzierung können nach Gudykunst (2004) zur Änderung der Erwartungen gegenüber Mitgliedern anderer kultureller Gruppen führen. Für die Bildung positiver Erwartungen und die Verbesserung der Beziehungen mit ihnen sollten alle diese Prozesse gleichzeitig angewandt werden. Die Änderung und Relativierung der Erwartungen ist wichtig für eine effektive interkulturelle Interaktion (Gudykunst 2004: 155).

Auf der affektiv-emotionalen Ebene lässt sich hinsichtlich interkultureller Kompetenz Folgendes zusammenfassen: Für einen effektiven Prozess interkultureller Aushandlung ist in erster Linie eine Auseinandersetzung mit dem Charakter und den Ursachen von Emotionen

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sowie dem Umgang mit ihnen in unterschiedlichen Kulturen wichtig. Darüber hinaus ist eine Analyse des eigenen emotionalen Profils erforderlich, um – wenn möglich – festzustellen, welche der eigenen emotionalen Praktiken eher individueller Natur, welche stark kulturell geprägt sind und welche Rolle sie in einer interkulturellen Interaktion haben können. Die Reflexion der unterschiedlichen emotionalen Praktiken und die Sensibilisierung für sie kann die Wahrnehmung der emotionalen Gepflogenheiten des Interaktionspartners fördern, ihre Deutung unterstützen bzw. zur Bewertung, zur Kontrolle und zum gezielten situationsspezifischen Einsatz eigener Emotionen beitragen. Ferner empfiehlt sich, die Reflexion der Einstellungen sowohl gegenüber der eigenen Kultur als auch gegenüber der Alterität im Allgemeinen oder konkreten fremden Kulturen, ihren Hintergründen und ihren möglichen Auswirkungen auf interkulturelle Interaktionen.