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1 INTERKULTURELLE KOMPETENZ: THEORIEN, KONZEPTE,

1.5 E INFLUSSFAKTOREN INTERKULTURELLER K OMPETENZ

1.5.1 Persönlich-kulturelle Ebene

1.5.1.1 Kognition

In diesem Abschnitt werden persönliche und kulturelle Besonderheiten in Denkweise, Informationsverarbeitung und Wissenspotential im Zusammenhang mit der kulturellen Prägung und den individuellen kognitiven Dispositionen der Menschen zusammengefasst. Als relevant werden folgende Elemente betrachtet: Denkweise, interkulturelles Bewusstsein, kulturallgemeines Wissen, kulturspezifisches Wissen.

Denkweise

Im Laufe seiner Sozialisation entwickelt der Mensch eine bestimmte Denkweise und eignet sich meistens unbewusst bestimmte Denkmuster an. Diese beinhalten spezifische Formen der Informationsverarbeitung, Denkvorgänge, Analysen, Deutungsweisen und -muster und werden auf der Grundlage der individuellen kognitiven Dispositionen unter Einfluss sozio-kultureller Faktoren gebildet. Im wissenschaftlichen Diskurs wird allerdings die Bedeutung des

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kulturellen Faktors hervorgehoben25. Die kulturellen Denkmuster beeinflussen die Weise, in der die Individuen in der jeweiligen Kultur kommunizieren, was wiederum die Weise beeinflusst, wie eine Person kognitiv auf die Individuen aus anderen Kulturen reagiert (vgl.

Samovar/Porter 1988: 28). Aus diesem Grund ist es wichtig zu verstehen, dass die Denkmuster sich von Kultur zu Kultur unterscheiden und zu lernen, wie sie an eine interkulturelle Interaktion angepasst werden können (McDaniel/Samovar/Porter 2011:15). Im wissenschaftlichen Diskurs wird dies als „interkulturelles Bewusstsein“ bezeichnet.

Der individuelle Faktor soll jedoch nicht außer Acht gelassen werden, da auch innerhalb einer kulturellen Gruppe sich viele Unterschiede in der Denkweise aufweisen lassen, die von den individuellen kognitiven Potentialen und von individuellen Biographien bedingt sind. So wird eine Person in einer interkulturellen Interaktion in einer spezifischen Weise, die individuelle und kulturspezifische Merkmale aufweist, die wahrgenommenen Informationen kognitiv verarbeiten.

Die eigene Denkweise ist in der Regel für den Menschen unbewusst. Doch die Entwicklung eines Selbstbewusstseins und die Reflexion darüber, wie man selbst denkt, wie man die Information verarbeitet und bewertet, welchen Einfluss dabei die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kulturen hat und was eher individueller Natur ist, würde einen großen Einfluss darauf haben, die je eigene Denkweise und die des interkulturellen Gesprächspartners besser zu verstehen. Ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein trägt zu einer spezifischen Sensibilität gegenüber den Äußerungen und Selbstdarstellungen des Interaktionspartners bei und fördert gleichzeitig die Fähigkeit, diese Verhaltenshinweise für die Steuerung eigener Selbstdarstellung zu nutzen (vgl. Chen/Starosta 1996: 11). Das interkulturelle Bewusstsein fördert nicht nur das Verstehen kultureller Variabilität, sondern auch positive Emotionen bei der Suche nach einer gemeinsamen Grundlage für interkulturelle Interaktion.

Kulturgenerelles Wissen

Bei der Entwicklung des interkulturellen Selbstbewusstseins spielt das kulturgenerelle Wissen eine wesentliche Rolle (Brislin/Yoshida 1994; Bennet 2001; Johnson/Lenartowitcz/Apud 2006; Byram 1997). In diesem Zusammenhang können folgende Themenschwerpunkte ge-nannt werden:

25In Anlehnung an die Forschungsergebnisse von Nisbett (2003) zeigen z. B. McDaniel et al. (2011) auf, dass Angehörige nordostasiatischer Kulturen eher holistische Denkmuster aufweisen, während Angehörige westlicher Kulturen ein lineares Ursache-Effekt-Model haben, das bedeutenden Wert auf logisches Denken und Rationalität legt. So werden ihnen zufolge in den westlichen Kulturen Probleme durch eine systematische gründliche Analyse jeder Komponente, von den einfachen zu den schwierigen, gelöst. Die Angehörigen der nordasiatischen Kulturen betrachten hingegen Probleme vielmehr als komplex und verknüpft, fordern mehr Verständnis und setzen den Schwerpunkt eher auf die kollektiven als auf die individuellen Seiten (McDaniel/Samovar/Porter 2011: 15).

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• Kultur, unterschiedliche Kulturbegriffe und Kulturkonzepte.

• Struktur, Bildung und Entwicklung von Kulturen unter Einfluss von geographischer Lage, klimatischen Bedingungen, historischen und politischen Ereignissen, ökonomischer Situation bzw. vorhandenen Ressourcen, Religion, globalen Einflüssen und Entwicklungen.

• Der konstruktive Charakter von Kulturen.

• Heterogenität bzw. Binnendifferenzierung von Kulturen.

• Wechselbeziehung zwischen Kultur und Individuen.

• Kulturelle Netzwerke der Individuen und deren Einfluss auf ihre Denkweise, Einstellungen, Selbst- und Fremdbilder, Wahrnehmung, Handlungsweisen.

• Relativierung der kulturellen Prägung aufgrund des Einflusses anderer sozialer Aggregate und der Einzigartigkeit jedes Individuums.

• Kulturelle Bedingtheit der Sprachen.

• Interkulturalität und Konstruktion interkultureller Interaktionen.

• Interkulturelle Kompetenz, Ziele interkultureller Kompetenz, Einflussfaktoren interkultureller Kompetenz.

Die Aspekte können eine wichtige Grundlage für die bewusste Auseinandersetzung mit und Vorbereitung auf Interkulturalität, Identifikation interkultureller Situationen, Definition eigener kultureller Identität und Förderung der Reflexion über andere persönliche, kulturelle und situative Einflussfaktoren darstellen.

Kulturspezifisches Wissen

Das kulturspezifische Wissen beinhaltet sowohl Wissen über die eigene(n) Kultur(en) als auch über die andere(n) Kultur(en).

Das Wissen über die eigene(n) Kultur(en)

Das Wissen über die eigene(n) Kultur(en) wird im Laufe der Sozialisation bzw. Enkulturation angeeignet und beeinflusst sowohl bewusst – explizites Wissen (in den Bildungseinrichtungen z. B. historische Daten, Traditionen, Kunst) als auch unbewusst – implizites Wissen (Werte, Verhaltensweisen)26 das kulturelle Selbstbild einer Person. Das Bild ist eine komplexe, subjektiv gewertete, aber sozial verarbeitete Vorstellung von der Wirklichkeit, „eine mehr oder weniger strukturierte Ganzheit, in die Wahrnehmungen, Vorstellungen, Erfahrungen, Informationen, Ideen, Vermutungen, Erwartungen, Gefühle und immer auch Stereotype und Vorurteile eingehen“ (Löschmann 1998: 21). Das kulturelle Wissen über die eigene Kultur

26Mehr zu den Begriffen „explizites Wissen“ und „implizites Wissen“ s. Hackl (2004).

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wird zum einen kollektiv gebildet: durch Erziehung in der Familie mit Aneignung von Werten und Verhaltensweisen, durch Bildung in den Bildungseinrichtungen mit der Aneignung von geographischem, historischem, politischem, ökonomischem Faktenwissen, durch Medien und in Kommunikation mit anderen Mitgliedern der kulturellen Gruppe (vgl. Byram 1999: 35).

Zum anderen ist es auch individuell geprägt, insofern es von jeder Person, abhängig von persönlichen Eigenschaften, Erfahrungen, Zugehörigkeiten zu anderen Kulturen und kognitiven Dispositionen, unterschiedlich verarbeitet, bewertet und verinnerlicht wird. Somit kann der kulturelle Wissensbestand von zwei Personen der gleichen Kultur sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede aufweisen.

Das kulturelle Wissen über die eigene Kultur wird in der Regel als selbstverständlich angesehen und bleibt sehr oft unbewusst und nicht analysiert (Byram 1999), was den Aushandlungsprozess in einer interkulturellen Interaktion erschweren kann. Im Gegenteil, die Reflexion des eigenen kulturellen Selbstbilds sowie die Auseinandersetzung mit der historischen, geographischen, sozio-ökonomischen und politischen Bedingtheit der eigenen kulturellen Traditionen und Gewohnheiten, Werte und Normen kann zur Steigerung des interkulturellen Bewusstseins führen und folglich zum besseren Verständnis eigener und fremder Verhaltensweisen, was sich positiv auf dem Verlauf interkultureller Interaktion auswirken kann.

Fremdkulturelles Wissen. Fremdkulturelle Bilder

Das Wissen über fremde Kulturen und Identitäten, das von einem Individuum in eine interkulturelle Interaktion eingebracht wird, ist in der Regel „relational“, d. h., dieses Wissen wird mit der Enkulturation in der eigenen kulturellen Gruppe erworben und oft in Kontrast zu den signifikanten Charakteristiken der eigenen kulturellen Gruppe und Identität dargestellt. So wird beispielsweise das historische Wissen über eine andere Kultur aus der Perspektive der eigenen Geschichte dargestellt und ist dementsprechend eine Interpretation der Geschichte, wie sie in der jeweiligen Kultur vermittelt wird (vgl. Byram 1999: 35).

Bei der Bestimmung der Bedeutung des Wissens über eine fremde Kultur, mit deren Vertretern man interagiert, gehen die Meinungen der Forscher auseinander. Den gängigen Ansätzen nach kann dieses Wissen sowohl positiv als auch negativ den Verlauf interkultureller Interaktion beeinflussen. In der Literatur lassen sich in dieser Hinsicht drei Richtungen erkennen:

1) Hervorhebung der Bedeutung kulturspezifischen Wissens mit der Annahme, dass, je mehr man über die fremde Kultur weiß, desto kompetenter man mit den Vertretern dieser Kultur interagieren kann;

2) Infragestellung der Bedeutung kulturspezifischen Wissens bis hin zu ihrer Leugnung;

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3) relative Anerkennung der Bedeutung kulturspezifischen Wissens mit der Berücksichtigung des dynamischen Charakters von Kultur.

Die Bedeutung kulturspezifischen Wissens für die kompetente Gestaltung interkultureller Interaktionen wird meistens von den erfolgsorientierten Ansätzen (s. Kap. 1.4) oder von denen, die interkulturelle Kompetenz als eine kulturspezifische Kompetenz (Geistmann 2003) betrachten, hervorgehoben (Fritz/Möllenberg/Werner 1999: 16–17). Diesen Ansätzen zufolge steigt die interkulturelle Kompetenz einer Person mit dem Erwerb landeskundlicher Fakten über die jeweilige fremde Kultur sowie der Werte, Normen, Denk- und Verhaltensweisen ihrer Mitglieder (vgl. z. B. Rubatos/Thomas 2011). Besonders im Rahmen vieler interkultureller Trainings, die auf Kontakte mit bestimmten Kulturen vorbereiten, werden konkrete kulturspezifische Informationen vermittelt, die den Teilnehmern Erfolg in den vorstehenden Kontaktsituationen versprechen (z. B. die Buchreihe „Beruflich in […]“27; Buchreihe

„Kulturschock [...]“28). Die Behauptung, dass kulturspezifisches Wissen kompetentes Agieren in interkulturellen Interaktionen absichert, wird jedoch von mehreren Interkulturalitätsforschern aus vielfältigen Gründen infrage gestellt (z. B. Mecheril 2010;

Knapp 2010). Ein Grund dafür besteht in der Dynamik von Kulturen. Wie bereits im Kapitel 1.2 erwähnt, sind Kulturen ständig zeitlichem Wandel unterworfen, in einigen Aspekten mehr, in anderen weniger. Insbesondere Aspekte wie Kleidungskonventionen, Begrüßungsrituale, Anredeformen können sich in relativ kurzen Zeiträumen stark ändern (vgl. Knapp 2010: 92).

Nach Knapp erfährt man dies in besonders eindrucksvoller Weise, wenn man sich mit aus Fremdperspektive vorgenommenen Beschreibungen mit der eigenen Kultur auseinandersetzt.

Sofern Menschen nicht in permanentem Kontakt mit der betreffenden fremden Kultur stehen, sondern ihr kulturbezogenes Wissen über unvermeidlichen time lag erwerben, der durch seine systematische Beschreibung und Veröffentlichung – evtl. dann nicht die Integration in Lehrbücher – entsteht, kann vermeintliches Wissen über eine andere Kultur tatsächlich veraltetes, nicht mehr aktuelles Wissen sein und sich damit als relativ unbrauchbar erweisen, wenn es in die Interaktion integriert werden soll. Hinzu kommt die Tendenz, dynamische Entwicklungen in anderen Kulturen aus der räumlichen Distanz heraus im Vergleich zu denen der eigenen zu unterschätzen (Knapp 2010: 92).

Des Weiteren sollen die Vielfalt und Heterogenität von Kulturen erwähnt werden. Demzufolge kann die Gültigkeit des kulturellen Wissens abhängig von verschiedenen subkulturellen Gruppen sehr stark variieren (Knapp 2010: 92).

Ein anderer Grund betrifft die am Anfang dieses Abschnitts ausgeführte Individualität und

27Buchreihe „Beruflich in […]“, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

28Buchreihe „Kulturschock […]“, [kulturelle Besonderheiten unterschiedlicher Länder]. Bielefeld: Reise-Know-How-Verlag.

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Einzigartigkeit der Personen, die zu dieser Kultur gehören und die sich aufgrund ihrer individuellen Dispositionen und Biographien stark von anderen kulturellen Mitgliedern unterscheiden können und dementsprechend nicht dem allgemeinen Bild über diese Kultur entsprechen. Darüber hinaus ist es aufgrund seines Umfangs, das metaphorisch als

„unendlich“ bezeichnet wird, unmöglich, sich das Wissen in seiner Gänze anzueignen (Mecheril 2010). Mecheril (2010) führt in diesem Zusammenhang aus, dass immer ein Teil des Nicht-Wissens bleibt.

Einen Teil des fremdkulturellen Wissens stellen oft Stereotype dar. Die Stereotype werden als Fremdbilder definiert, in denen große Personengruppen auf wenige Merkmale reduziert werden. Nach Layes (2005) zeichnen sie sich durch einen hohen Geschichtsgehalt, große Konstanz und Allgemeingültigkeit aus (Layes 2005: 120). An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die Fremdbilder nicht nur dem kognitiven Bereich zugeordnet werden können, sondern dass sie zugleich von affektiven, perzeptiven und verhaltensbezogenen Aspekten beeinflusst sind.

Während das Stereotyp eine ambivalente Struktur hat, sowohl positive als auch negative Wertungen erfahren kann, wird das Vorurteil in der Regel als negatives Urteil verstanden (Milling 2010: 34).

Die Fremdbilder können eine negative Auswirkung auf den Verlauf einer interkulturellen Interaktion haben, wenn man sich der Vorläufigkeit und Undifferenziertheit von Stereotypen nicht bewusst ist (vgl. Milling 2010: 40). Dann kann es schnell passieren, dass aus Stereotypen Vorurteile werden. Die fehlerhaften Bilder und die daraus resultierenden Erwartungen von einander bzw. von der Interaktion können zu Missverständnissen führen. Auch wegen einer Tendenz zu diskriminierendem Verhalten gegenüber bestimmten Personen bzw. kulturellen Gruppen aufgrund bestehender Vorurteile kann die interkulturelle Interaktion misslingen (Milling 2010: 40).

Stereotype können aber zum Teil die interkulturelle Interaktion auch positiv beeinflussen, indem man auf allgemein Bekanntes und universell Gültiges zurückgreift und dementsprechend einen Anknüpfungspunkt beim Gesprächspartner herstellen kann. Somit werden die Aufnahme und Aufrechterhaltung des Kommunikationsprozesses erleichtert (vgl.

Milling 2010: 38).

Für die interkulturelle Kompetenz sind Wahrnehmungsfertigkeiten und die Bewusstmachung von Stereotypen und Vorurteilen sowie ihre Hinterfragung und Widerlegung sehr wichtig, wobei mit der Behandlung dieser Aspekte in Bezug auf die eigene Kultur begonnen werden soll. Darüber hinaus kann die Sensibilisierung für Differenzen zwischen Selbstwahrnehmung

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und Selbstdarstellung für andere insofern hilfreich sein, als Rückschlüsse auf Strukturierung, Funktion, und Auswirkung von Urteilen allgemein erleichtert werden (vgl. Arras 1998: 167).

Unter Berücksichtigung der in diesem Abschnitt dargestellten Aspekte lassen sich für die vorliegende Arbeit in Bezug auf den Einfluss kulturspezifischen Wissens auf die interkulturelle Kompetenz folgende Schlussfolgerungen formulieren. Das kulturspezifische Wissen kann die interkulturelle Kompetenz der Interagierenden positiv beeinflussen. Das kann bei besserer Deutung und besserem Verständnis der Denk- und Verhaltensweisen der Interaktionspartner zur Vorbeugung gegen Missverständnisse oder zu ihrer Lösung beitragen.

Wichtig sind dabei nicht die automatisch, unreflektiert oder auswendig gelernten Daten oder Listen von „Dos and Dont‘s“, sondern die bewusste Auseinandersetzung mit der erworbenen Information sowie das Verständnis der Ursachen und Hintergründe – soweit sie bekannt sind – bestimmter kultureller Praktiken, die nicht aus dem Nichts entstanden sind, sondern einen historischen, geographischen, religiösen, ökonomischen, politischen oder sonstigen Hintergrund haben können (vgl. Bolten 2010: 24). Außerdem ist in Anbetracht der oben genannten Gründe die ständige Überprüfung, Hinterfragung und Relativierung des vorhandenen Wissens über die eigene Kultur und die Kultur der Interaktionspartner ausschlaggebend. Nicht zuletzt ist es wichtig, die Prämisse des Wissens oder Nicht-Alles-Wissens über die fremde Kultur zu akzeptieren (Mecheril 2010), denn so wird der Neugier, der Öffnung gegenüber Neuem, dem Bedürfnis, Neues zu erfahren, Raum geschaffen.