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Wandel der Arbeitswelt

Die Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen (European Working Conditions Survey –

B.5 Wandel der Arbeitswelt

Wie viele andere Lebensbereiche befindet sich auch die Arbeitswelt in einem steten Wandel. Dieser Wandel vollzieht sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen. So verändern sich aktuell z. B. soziale Werte und Normen (bspw. verstärkte Gleichberechtigung von Mann und Frau), die Struktur der Erwerbsbevölkerung (bspw. durch den demographischen Wandel), konkrete Arbeitsprozesse (bspw. durch zunehmende Digitalisierung und Auto­

matisierung) oder auch Produktlebenszyklen und Innovationsdruck in vielen Bereichen (bspw. durch verstärkten Wettbewerbsdruck in Folge der Globalisierung). Das vorliegende Unterkapitel „Wandel der Arbeitswelt“ greift ausschnittweise einige der genannten Veränderungen auf und beleuchtet die Konsequenzen dieser Veränderun­

gen für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten. So soll im Abschnitt B.5.1 der Veränderung von sozia­

len Normen und Werten Rechnung getragen werden. Deswegen wird untersucht, wie sich verschiedene Arbeits­

zeitformen nicht nur auf gesundheitliche Größen auswirken, sondern auch auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Im Abschnitt B.5.2 wird auf die Konsequenzen von betrieblichen Restrukturierungsmaßnahmen eingegangen, die häufig aus hohem Innovationsdruck resultieren. Eine weitere Facette des Wandels der Ar­

beitswelt beleuchtet schließlich das Abschnitt B.5.3, in dem die zunehmende Digitalisierung und Automatisie­

rung von Arbeitsprozessen thematisiert wird. Hier sollen insbesondere Chancen und Risiken neuer Technolo­

gien wie der sog. Head Mounted Displays und intelligenter Beleuchtung dargestellt werden.

B.5.1 Handlungsfeld Arbeitszeit

Der Arbeits- und Gesundheitsschutz umfasst den Erhalt und die Verbesserung der Sicherheit und der Gesund­

heit der Beschäftigten bei der Arbeit. Das Ziel ist es, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten und zu fördern. Der moderne Arbeitsschutz muss dabei die Interessen der Arbeits-, Sozial-, Gesund-heits- und Wirtschaftspolitik, der Arbeitgeber sowie der Beschäftigten miteinander verknüpfen. Eine am Wohl­

befinden und an der Gesundheit der Beschäftigten orientierte Arbeitszeitgestaltung kann dafür ein wichtiger Baustein sein.

Der stetige Wandel der Arbeitswelt, wie z. B. die Verlängerung von Öffnungszeiten oder steigende Anforderun­

gen an die Erreichbarkeit durch globale Märkte, hat auch Einfluss auf das Privatleben der Beschäftigten. Der Stressreport der BAuA (LOHMANN-HAISLAH, 2012) berichtete Daten der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefra­

gung, wonach 41 % der abhängig Beschäftigten Probleme berichteten, Arbeit und Privatleben zu vereinbaren.

Die Vereinbarkeitsprobleme traten relativ unabhängig von der Altersgruppe der Beschäftigten auf und betrafen Vollzeitbeschäftigte mehr als Teilzeitbeschäftigte.

Eine wichtige Rolle bei der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben spielt die Gestaltung der Arbeitszeit (BEERMANN & BRENSCHEIDT, 2013). Eine Möglichkeit, wie die Gestaltung der Arbeitszeit die Vereinbar­

keit erleichtern kann, sind Arbeitszeitmodelle, bei denen die Beschäftigten eine gewisse Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die Anfangs- und Endzeiten ihrer täglichen Arbeit haben. Diese Modelle, wie z. B. Gleitzeitarbeit, entsprechen einer engen Definition von flexibler Arbeitszeit. Sie bilden die Grundlage für Arbeitszeitkonten, bei denen angesparte Zeit für längere Auszeiten oder eine Reduzierung der Arbeitszeit genutzt werden kann und die so zu mehr Flexibilität beitragen. In den letzten Jahren haben die Themen Flexibilisierung von Arbeitszeit und Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben an Bedeutung gewonnen. Die Verschiebung von Arbeitszeit in die Bereiche von Abenden und Wochenenden sowie arbeitsbezogene erweiterte Erreichbarkeit haben Auswirkun­

gen auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, aber auch auf die Gesundheit der Beschäftigten. Im Fol­

genden wird daher insbesondere auf die Themen Schichtarbeit und versetzte Arbeitszeit, Wochenendarbeit, Ruf-und Bereitschaftsdienste sowie ständige Erreichbarkeit eingegangen. Diese Arbeitszeitthemen werden anhand der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung auf ihre Relevanz in Bezug auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben sowie auf die Gesundheit der Beschäftigten untersucht. Zum Thema der ständigen Erreichbarkeit werden die Ergebnisse einer durch die BAuA beauftragten Expertise berichtet.

An der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 nahmen insgesamt 20.036 Erwerbstätige teil. In den fol­

genden Darstellungen wurden jedoch nur abhängig Beschäftigte, d. h. Arbeiter, Angestellte und Beamte, be­

rücksichtigt. Selbstständige, freiberuflich Tätige, freie Mitarbeiter und mithelfende Familienangehörige wurden hingegen bei den Auswertungen ausgeschlossen, da sie gerade im Bereich der Arbeitszeit oft Extremwerte auf­

weisen. Des Weiteren wurden nur Vollzeitbeschäftigte, d. h. Erwerbstätige mit einer vertraglich vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 35 Stunden, in die Analysen eingeschlossen, um direkte Effekte der Arbeitszeitdauer in den Auswertungen möglichst konstant und damit vergleichbar zu halten. Die folgenden Auswertungen basieren daher auf einer Stichprobengröße von 13.430 Personen. Zu beachten ist bei allen fol­

genden Auswertungen, dass neben dem in diesem Beitrag fokussierten, spezifischen Arbeitszeitmodell weitere Merkmale der Beschäftigten wie bspw. Alter, Geschlecht und Tätigkeit eine Wirkung auf die berichteten Er­

gebnisse haben können.

Zur Darstellung möglicher langfristiger Beanspruchungs- bzw. Stressfolgen wurden gesundheitliche Beschwer­

dekriterien herangezogen (z. B. Rückenschmerzen, Kopfschmerzen oder emotionale Erschöpfung), die in Indi­

zes für muskuloskelettale Beschwerden (MSB) und psychovegetative Beschwerden (PVB) zusammengefasst wurden. Die TeilnehmerInnen der Befragung gaben an, ob die jeweiligen Beschwerden in den letzten zwölf Monaten während der Arbeit bzw. an Arbeitstagen häufig aufgetreten sind (Antwortmöglichkeiten „ja“ oder

„nein“). Der Index für muskuloskelettale Beschwerden (MSB) wurde aus sechs Merkmalen berechnet: (1) Schmerzen im Nacken- oder Schulterbereich, (2) Schmerzen im unteren Rücken oder Kreuzschmerzen, (3) Schmerzen in den Armen oder Händen, (4) Schmerzen in den Beinen bzw. Füßen oder geschwollene Beine, (5) Schmerzen in den Hüften und (6) Schmerzen in den Knien. Der Index für psychovegetative Beschwerden (PVB) besteht aus vier Merkmalen: (1) allgemeine Müdigkeit oder Mattigkeit oder Erschöpfung, (2) nächtliche Schlafstörungen, (3) Nervosität und Reizbarkeit sowie (4) Niedergeschlagenheit (vgl. HOLLER et al., 2012).

Aus den Angaben zum Vorliegen der einzelnen Beschwerden ergeben sich vier Beschäftigtengruppen: be­

schwerdefreie Beschäftigte, Beschäftigte mit ausschließlich muskuloskelettalen Beschwerden, Beschäftigte mit

Abb. B 4: Verteilung versetzte Arbeitszeit und Schichtarbeit

Schichtarbeit Schichtarbeit Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012 80,8 %

Weder

B. Entwicklungen von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit ausschließlich p sychovegetativen Beschwer

den und Beschäftigte mit sowohl muskulos-kelettalen als auch psychovegetativen Be schwerden.

­­ ­

In Bezug auf den Einfluss der Arbeitszeit auf das Privatleben gaben TeilnehmerInnen der Befragung an, ob es ihnen „häufig“,

„manchmal“ oder „nie“ gelingt, bei der Ar-beitszeitplanung auf ihre familiären und pri­

vaten Interessen Rücksicht zu nehmen.

Schichtarbeit und versetzte Arbeitszeiten Die Flexibilisierung und Ausdehnung der Geschäftszeiten, zum Beispiel im Einzelhan­

del, hat in den letzten Jahren verstärkt auch zu Schichtarbeit und versetzten Arbeitszeiten (d. h. Arbeitszeitanteile vor 7:00 und nach 19:00 Uhr) geführt. Diesen besonderen La-gen der Arbeitszeit kommt in Bezug auf die

Beanspruchung eine bedeutsame Rolle zu. Von hoher Relevanz ist in diesem Zusammenhang besonders die Nacht- und Schichtarbeit (vgl. BÖDECKER, FRIEDEL & FRIEDRICHS, 2006; CARUSO, LUSK & GILLE­

SPIE, 2004). Nacht- und Schichtarbeit ermöglicht die Verlängerung der Betriebszeiten. Frühere Forschung hat gezeigt, dass auch diese Arbeitszeitformen mit „atypischer“ Lage in Zusammenhang mit psychischer Belastung und gesundheitlichen Beeinträchtigungen stehen (vgl. JANßEN & NACHREINER, 2004).

Zur Analyse des Einflusses der Lage der Arbeitszeit auf Gesundheit und Vereinbarkeit von Arbeit und Privatle­

ben wurden folgende vier Beschäftigtengruppen miteinander verglichen: Beschäftigte, die zwischen 7:00 und 19:00 Uhr weder in Schichtarbeit noch mit versetzten Arbeitszeit arbeiten („Normalarbeitszeitlage“), Beschäf­

tigte in Schichtarbeit mit Nachtschichtanteilen, Beschäftigte in Schichtarbeit ohne Nachtschichtanteile und Be­

schäftigte mit versetzten Arbeitszeiten mit Arbeitszeitanteilen vor 7:00 Uhr oder nach 19:00 Uhr jedoch ohne Schichtarbeit (vgl. Abbildung B 4) verglichen.

Der Anteil der beschwerdefeien Beschäftigten liegt bei allen in der Lage verschobenen Arbeitszeitmodellen deutlich unter dem der „Normalarbeitszeitlage“ (vgl. Tabelle B 9). Weiterhin berichten zwei Drittel der in Nachtschicht arbeitenden Beschäftigten sowohl muskuloskelettale als auch psychovegetative Beschwerden.

Wie in Tabelle B 10 zu sehen, bestätigt die Analyse der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung zudem, dass die Abweichung von der „Normalarbeitszeitlage“ in Zusammenhang mit erhöhten Schwierigkeiten steht, arbeitsbe­

zogene und private Belange miteinander zu vereinbaren.

Wochenendarbeit (WEA)

Die Sonntagsruhe steht unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Dementsprechend sieht das Arbeits­

zeitgesetz ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot an diesem Tag vor. Ausnahmen sind unter bestimmten Tab. B 9: Versetzte Arbeitszeit/Schichtarbeit – gesundheitliche Beschwerden

Verteilung der gesundheitlichen Beschwerden beschwerde­

frei

nur MSB nur PVB MSB und

PVB

Normalarbeitszeitlage 19,1 13,0 13,4 54,5

Versetzte Arbeitszeiten, keine Schichtarbeit 13,2 10,9 15,4 60,5

Schichtarbeit ohne Nachtschichtanteil 10,3 15,5 9,6 64,6

Schichtarbeit mit Nachtschichtanteil 13,5 6,7 12,7 67,1

Häufigkeiten in %

MSB= muskuloskelettale Beschwerden, PVB= psychovegetative Beschwerden Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012

MSB= muskuloskelettale Beschwerden, PVB= psychovegetative Beschwerden

Rücksicht auf familiäre und private Interessen bei der Arbeitszeitplanung

Häufig Manchmal Nie

Normalarbeitszeitlage 56,7 36,6 6,7

Versetzte Arbeitszeiten, keine Schichtarbeit 47,6 40,8 11,6

Schichtarbeit ohne Nachtschichtanteil 53,0 38,0 9,0

Schichtarbeit mit Nachtschichtanteil 40,9 46,1 13,0

Voraussetzungen möglich. Bedingt durch die Globalisierung und den Wandel der Arbeit hat die Sonntagsarbeit zugenommen. Die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung zeigte, dass rund die Hälfte der Beschäftigten min­

destens einmal im Monat an mindestens einem Tag am Wochenende arbeiten muss (vgl. Abbildung B 5).

Tab. B 10: Versetzte Arbeitszeit/Schichtarbeit – Vereinbarkeit

Wie in Tabelle B 11 dargestellt, liegt der Anteil der be­

schwerdefreien Beschäftigten unter denen, die nicht am Wochenende arbeiten, bei 20,1 %. Der Anteil fällt mit Zunahme der WEA und liegt bei den Beschäftigten mit mehr als 5 Tagen WEA noch bei 14,1 %.

Abb. B 5: Anzahl der im Monat durchschnittlich

am Wochenende gearbeiteten Tage

Die Analysen zeigen, dass das Vereinbarkeitsproblem für V ollzeitbeschäftigte mit einer steigenden Anzahl von Tagen steigt, an denen sie am Wochenende innerhalb eines Monats arbeiten müssen. So geben 15,8 % der Beschäftigten, die a n mehr als 5 Wochenendtagen im Monat arbeiten an, dass es ihnen nie gelingt, bei der Arbeitszeitplanung Rücksicht auf ihre privaten Interes­

sen zu nehmen. Dasselbe trifft auf lediglich 6 % der Beschäftigten zu, die nicht am Wochenende arbeiten (vgl. Tabelle B 12).

Ruf- und Bereitschaftsdienst

Der Trend zum „rund um die Uhr“-Service bzw. zu einer Erreichbarkeit von 24 Stunden führt zu vermehrten Ruf- und Bereitschaftsdiensten in zunehmend mehr Branchen. Bei der BIBB/BAuA-Beschäftigtenbefragung gaben 21,7 % der befragten Männer und 14,0 % der befragten Frauen an, in ihrer Arbeit Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft zu haben. Rufbereitschaft wird im Unterschied zum Bereitschaftsdienst im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes nicht als Arbeitszeit bewertet, sondern als Ruhezeit. Gleichwohl müssen die Grenzen der täglichen Höchstarbeitszeit (10 Stunden) sowie die im Arbeitszeitgesetz vorgegebenen Ruhezeiten (im Regelfall 11 Stunden) eingehalten werden. Kommt es etwa während der Rufbereitschaft zu einem Einsatz, stellt dies Ar-Tab. B 11: Arbeitstage an Wochenenden innerhalb eines Monats – gesundheitliche Beschwerden

Verteilung der gesundheitlichen Beschwerden beschwerde­

B. Entwicklungen von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit

Rücksicht auf familiäre und private Interessen bei der Arbeitszeitplanung

Häufig Manchmal Nie

keine Wochenendarbeit (WEA) 61,0 33,0 6,0

bis 2 Tage WEA im Monat 53,0 40,0 6,9

3 oder 4 Tage WEA im Monat 45,5 44,2 10,3

5 und mehr Tage WEA im Monat 35,2 49,0 15,8

beitszeit dar, die erfasst, dokumentiert und zur Arbeitszeit addiert werden muss.

Bei den vollzeitbeschäftigten Männern sind die Auswirkungen von Ruf- und Bereitschaftsdienst sowohl bei den Beschwerden als auch bei der Vereinbarkeitsproblematik eher gering (vgl. Tabellen B 13 und B 14). Bei den vollzeitbeschäftigten Frauen sind die beobachtbaren Unterschiede hinsichtlich der Gruppe der Beschwerdefreien jedoch sehr deutlich. So liegt der Anteil bei den Frauen mit Ruf- bzw. Bereitschaftsdienst nur bei 7,8 % im Ver­

gleich zu 12,7 % der Frauen ohne entsprechende Dienste.

Hinsichtlich der Vereinbarkeitsfrage geben hier 11 % der ruf- bzw. bereitschaftsdienstleistenden Frauen in Vollzeit an, dass es ihnen gelingt, Rücksicht auf private Interessen bei der Arbeitszeitplanung zu nehmen. Das­

selbe gelingt nur 6,9 % der Frauen ohne Ruf- oder Bereitschaftsdienst.

Tab. B 12: Anzahl der Arbeitstage an Wochenenden innerhalb eines Monats – Vereinbarkeit

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