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1 Rezeption von Filmmusik

1.6 Die Studie

1.6.3 Die Wahl der Filme

Wie in Abschnitt 1.1 dargelegt wurde, kam das Filmbeispiel Der Pianist (2002) von Roman Polański bereits für die Studie im Rahmen der Magisterarbeit zum Einsatz. Damit war ein anspruchsvoller Film mit vielfältigen musikalischen Bedeutungsebenen gefunden. Da er sich

49 Bei der Suche nach Probanden wurde darauf geachtet, dass die teilnehmenden Personen generell gerne und nicht zu selten Filme rezipieren, womit die oben beschriebene ausreichende allgemeine Erfahrung im Umgang mit Filmen grundsätzlich gewährleistet werden sollte. Zudem sollte auch die musikalische Erfahrung der Probanden in die Auswertungen einfließen und daher sollten diesbezüglich möglichst unterschiedliche Personen einbezogen werden.

außerordentlich gut für eine Untersuchung musikalischer Symbolik eignet, wurde er auch innerhalb der vorliegenden Studie wieder zur Grundlage für die Befragungen von Rezipienten.

Hierbei handelt es sich um einen Film, der den Probanden thematisch einerseits interessant erscheinen dürfte, aber auch der Aspekt der Filmmusik spielt eine relevante Rolle. Der Pianist enthält sowohl extradiegetische als auch für die Filmthematik bedeutende diegetische Filmmusik, deren Unterschiedlichkeit bei der Frage nach der Wahrnehmung ebenso einbezogen werden konnte. Da der Film mit seinen Bedeutungsebenen anspruchsvoller ist als gewöhnliche Blockbuster bzw. Filme des Mainstream-Bereichs, konnte somit das jeweilige Verständnis des Films und insbesondere der Musik bei den Probanden ergründet werden. Obwohl Der Pianist in Polen50 von Anfang an viel Interesse in der gesamten Bevölkerung auf sich zog, ist er in Deutschland einem vergleichsweise begrenzten Publikum bekannt. Dies zeigen auch die Besucherzahlen in deutschen bzw.

polnischen Kinos.51 Man konnte daher davon ausgehen, dass auch bei den ausgewählten Probanden der Film vor der Sichtung im Rahmen des Forschungsprojekts zum Teil unbekannt war. Somit war es möglich, auf den Aspekt des erstmaligen Eindrucks bei der Filmwahrnehmung einzugehen und diesen gegebenenfalls mit Eindrücken von Probanden, die den Film bereits gesehen hatten, zu vergleichen.

Das weitere Filmbeispiel sollte in der Relevanz seiner musikalischen Symbolik mit dem Film Der Pianist vergleichbar sein, auf anderen Ebenen jedoch hinreichende Unterschiedlichkeit dazu aufweisen. Hierzu wurde eine Reihe von Auswahlkriterien zusammengetragen, die für die Suche nach einem geeigneten zweiten Film zur angemessenen Vergleichbarkeit zielführend sein sollte:

- In beiden Filmen soll die Musik eine ähnlich bedeutende Rolle spielen und auch die Schlüsselszene des Films dementsprechend musikalisch geprägt sein.

- Die Thematik des zweiten Filmbeispiels soll intellektuell soweit genügend Anspruch aufweisen und Anregung zum Nachdenken darüber bieten, um eine entsprechende Vergleichsgrundlage zu haben. Daher scheint es sinnvoll zu sein, keinen Film aus dem Mainstream-Bereich zu wählen, aber dennoch soll das Interesse aller

50 Polen ist einerseits das Heimatland des Regisseurs Roman Polański, andererseits war es auch das von Władisław Szpilman, der im Mittelpunkt des Films steht, wobei außerdem Warschau den Handlungsort darstellt.

51 Während in Polen bis zum Jahr 2004 insgesamt 1 252 290 Kinobesucher gezählt wurden, waren es in Deutschland 921 496 (vgl. Europäische Audiovisuelle Informationsstelle o. J.a), wobei man natürlich die Einwohnerzahl des jeweiligen Landes bei diesem Vergleich einkalkulieren muss, die in Polen sehr viel geringer ausfällt.

Probanden – auch in Bezug auf die verschiedenen Altersgruppen – daran in einem Mindestmaß gesichert sein. Bei einem derartig zeitintensiven Projekt sollten sich die Probanden nicht aufgrund von fehlendem Interesse am Film während der Rezeption innerlich davon abwenden.

- Gerade auch im Bezug auf das zu sichernde Interesse des Probanden kann eine hinreichende Unterschiedlichkeit beider Filme vor allem durch sehr unterschiedlich geprägte Themen erreicht werden.

- Der weitere Film soll wie Der Pianist relativ aktuell sein, um einerseits davon ausgehen zu können, dass noch nicht alle Probanden den Film bereits gut kennen, und um andererseits auch zu gewährleisten, dass das Beispiel in der filmischen Forschung noch nicht ansatzweise erschöpfend behandelt wurde.

Zu Beginn des Suchprozesses kam als Vergleichsbeispiel insbesondere der Film Vier Minuten (2006) von Chris Kraus für eine Einbindung in die Untersuchung in Betracht. Auch hier stehen musikalische Bedeutungsgehalte im Vordergrund, die Kraft der Musik spielt im Leben der beiden Protagonistinnen eine relevante Rolle. Die Schlüsselszene des Films beinhaltet ein Klaviervorspiel, das in überaus passender Weise eine Vergleichbarkeit zu Der Pianist zulässt, da es ebenfalls in Bezug auf die Gesamtdramaturgie des Films und die Entwicklung der Geschichte von großer Bedeutung ist. Daher wurde dieses Filmbeispiel im Zuge des in Abschnitt 1.6.1 erläuterten Pretests verwendet. Die entsprechenden Befragungen machten deutlich, dass der Film insgesamt in seiner angelegten Ernsthaftigkeit aufgenommen wurde, aber gleichzeitig an vielen Stellen als zu klischeehaft oder auch unauthentisch empfunden wurde. Anders ausgedrückt grenzt sich dieser Film in seinem Bestreben, in Bezug auf sein behandeltes Thema möglichst reell erscheinen zu wollen, einerseits zu wenig von Der Pianist ab, ist aber andererseits in seiner Qualität nicht damit vergleichbar.

Die anschließenden Überlegungen dazu ergaben, dass ein zweites Filmbeispiel eventuell durchaus Klischees bieten kann, aber möglicherweise gerade dann sehr viel aufschluss- und diskussionsreichere Ergebnisse aus den Rezeptionsanalysen erzielen könnte, wenn es in Bezug auf die in der filmischen Thematik angelegte Ernsthaftigkeit und ebenso in Hinsicht auf seinen Unterhaltungsanspruch im Vergleich zum Film Der Pianist genau gegensätzlich funktioniert. Mit Blick auf die dementsprechend angepassten Auswahlkriterien stellte sich daraufhin die Schweizer Produktion Vitus (2006) von Fredi M. Murer als sehr geeignet heraus.

Vitus ist ebenfalls eher ein Film des Programmkinos, lässt sich bezüglich seiner Thematik, seines Genres und seiner filmischen Machart aber überhaupt nicht in der Nähe des quasi-dokumentarischen Films Der Pianist einordnen und stellt somit einen direkten Gegenpol dazu dar. Das behandelte Thema der Hochbegabung ist durchaus in seiner ganzen Ernsthaftigkeit dargestellt, der Film nähert sich ihm insgesamt dennoch auf eher märchenhafter Ebene und nimmt zudem leichte, teilweise sogar sehr komödiantische Züge an. Innerhalb dieser Märchenhaftigkeit und stark fiktiven Ausprägung strahlt der Film ein angemessenes Maß an Authentizität aus. Mit Einsatz dieser beiden insgesamt sehr unterschiedlich wirkenden Filme konnte davon ausgegangen werden, dass damit auch den zu erwartenden sehr verschiedenen Ansprüchen der Probanden entsprochen wird. Jedoch bietet Vitus ebenso wie Der Pianist ein umfangreiches Geflecht an Bedeutungen und Symbolen und ist gerade in seiner musikalischen Struktur außerordentlich gut damit zu vergleichen. In beiden Filmen trägt die Musik erheblich dazu bei, für den Handlungsverlauf relevante Bedeutungsgehalte zu transportieren und auch die jeweilige musikalisch gestaltete Schlüsselszene nimmt in beiden Filmen eine ähnlich geartete Rolle ein. Darüber hinaus gilt ebenfalls für Vitus, dass ein beim Publikum generell wenig bekannter Film gefunden werden konnte, der innerhalb dieses Forschungsprojekts mindestens für einen Teil der Probanden eine erstmalige Rezeption darstellen würde.52

52 Vitus war angesichts dessen, dass eine Schweizer Filmproduktion in der Regel eher ein Nischenprodukt darstellt (siehe dazu auch Abschnitt 4.2), überaus erfolgreich. Bis 2013 wurden für die Schweiz 243 636 Kinobesucher registriert, für Deutschland 263 836 (vgl. Europäische Audiovisuelle Informationsstelle o. J.b). Im Vergleich zu Der Pianist sind dies allerdings wiederum beträchtlich geringere Zahlen.