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4 Lernen im Sport 4.1 Definition

5.4 Besondere Aspekte zum wissenschaftlichen Erkenntnisstand in der beruflichen Erwachsenenbildung

5.4.1 Vorüberlegungen zu einer Didaktik der beruflichen Weiterbildung

Die post-industriellen Organisationen sind den gleichen Umbrüchen ausgesetzt wie die Gesellschaft. So beschreibt Perich bereits zu Beginn der 90er Jahre die Entwicklungstendenzen, mit denen sich die Unternehmen aus den Industriegesellschaften konfrontiert sehen. Er nennt sechs Tendenzen, die für die Zukunft von Unternehmen entscheidend überlebenswichtig seien:

1. Tendenz zur weltweiten Präsenz, d. h.:

ƒ von lokalen/nationalen Märkten hin zu internationalen, globalen Märkten,

ƒ von monozentrisch zu polizentrisch weltweit zerstreut unabhängigen Gesellschaften,

ƒ vom Wettbewerb „jeder gegen jeden“ hin zu globalen strategischen Partnerschaften.

Welche Auswirkungen solche Tendenzen auf die Mitarbeiterschaft haben, lassen sich anhand dieser ersten Kategorie bereits erahnen. Es entstehen Probleme in der Identifikation (am Beispiel VW zu sehen, als eine strategische Partnerschaft mit Ford eingegangen wurde, um einen Van zu bauen) oder in der Zugehörigkeit (wenn der weltweite Volkswagen-Konzern einzelne Automarken zu integrieren sucht, die vorher eigenständig waren). Daher muss die berufliche Bildung Umgangsarten lehren, wie mit Unsicherheit und intransparenten Abhängigkeiten umzugehen ist.

2. Tendenz zur Durchlässigkeit, d. h.:

ƒ von isolierten Einzelsystemen zur „organisierten Gesellschaft“,

ƒ von starker Zergliederung (Arbeitsteilung und Spezialisierung) zu hoher Koppelungsintensität zwischen Einzelteilen (Funktionsintegration),

ƒ von rigider Grenzziehung zum Fließen eindeutiger Beziehungen,

ƒ von der Hierarchie (Pyramide) zur De-Hierarchisierung (Verflachung),

ƒ von der Mittlerfunktion durch viele Zwischenglieder in der Produzenten-Konsumenten-Kette zur „Disintermediation“ (Direktheit des Kontaktes zwischen Produzent und Konsument).

Hier wird bereits eine systemische Verknüpfung prognostiziert, die in der beruflichen Weiterbildung ihr Pendant zu finden hat, um für Mitarbeiter Verständnis, Zugang und Assimilation zu den veränderten Bedingungen am Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

3. Tendenz zur Demassifizierung, d. h.:

ƒ von der Standardisierung zu Fragmentierung (Individualisierung),

ƒ von der Logik der Massenproduktion zur Logik des „customizing“,

ƒ von der Größe und Uniformität zur Verschachtelung und Varietät,

ƒ von internen Strategien des Wachstums zu internen und externen Strategien des Wachstums.

Die Demassifizierung bedeutet eine verstärkte Hinwendung zur Kundenorientierung. Während in der Massenproduktion ein Verkäufermarkt herrscht, der angesichts einer hohen Nachfrage (z.B. im Nachkriegsdeutschland) vom Fabrikanten und dessen Vorstellungen zu Preis, Qualität und Terminen dominiert wird, hat die Wendung zum Käufermarkt tief greifende Auswirkungen auf das Unternehmen und seine Mitarbeiter. Durch die Individualisierung besonders im Automobilbereich wird von den Mitarbeitern mehr Flexibilität und Einsatzbereitschaft verlangt. Viele Routinen werden aufgegeben, um Kundenwünsche zu erfüllen. Für die berufliche Weiterbildung bedeutet diese Tendenz zur Fragmentierung (mass

customization) (vgl. Hanisch, 2006) den Mitarbeitern zu vermitteln, wie sie (Markt-)Situationen antizipieren und kreative Prozesse zur Erfüllung von Kundenwünschen einleiten können.

4. Tendenz zur Beschleunigung, d. h.:

ƒ vom Kostenwettbewerb zum Zeitwettbewerb,

ƒ vom angebotsorientierten „Push-System“ zum nachfrageorientierten

„Pull System“ (Durchgangszeitkonzept nach der „Just-in-time“-Philosophie),

ƒ von segmentierten einzelnen (Teil-)Funktionen zur integrierten Wertschöpfungskette,

ƒ von der sequenziellen Prozesssteuerung zur simultanen Prozesssteuerung.

Diese Tendenz beschreibt einen Paradigmenwechsel vor allem in der Fertigung der Automobilindustrie. Nicht der einzelne technische Prozess ist im Fokus (da diese Prozesse in den letzten Jahrzehnten ohnehin immer weiter optimiert wurden und kaum noch Potenzial haben), sondern die komplette Wertschöpfungskette. Mitarbeiter müssen nun lernen, wie Ressourcen aller Art zu schonen sind und die Durchlaufzeiten (vom Bestelleingang des Kunden bis zur Zustellung der Bestellung beim Kunden) radikal verkürzt werden können (vgl. Kosta und Kosta, 2006). Dafür braucht der Mitarbeiter ein systemisches Verständnis, er muss die Auswirkungen einschätzen lernen, die sein Verhalten an seinem Arbeitsplatz für andere Produktionsbereiche bedeuten könnte.

5. Tendenz zur temporären Relevanz, d. h.:

ƒ von der intertemporalen Stabilität (Gleichgewichtsmodell) zur Vergänglichkeit (Ungleichgewichtsmodell),

ƒ von der Logik des Bewahrens (Kontinuitätsmanagement) zur Logik des Innovierens (Innovationsmanagement),

ƒ von der Koordination durch hierarchische Autorität zur Koordination durch Marktmechanismen (Netzwerk- und Hybridformen)

Die berufliche Weiterbildung hat auf diese Tendenz mit neuen Ausbildungsberufen reagiert, hat neue Berufsbilder geschaffen und sich von alten Berufen verabschiedet (vgl. Englert, 2000). Für die Mitarbeiter bedeutet dass, sich ständig neu zu positionieren und sich der Forderung nach lebenslangem Lernen zu stellen.

6. Tendenz zur Turbulenz, d. h.:

ƒ von der Routine zur Neuartigkeit,

ƒ von langen Vorbereitungszeiten zu hohem Unmittelbarkeitsdruck,

ƒ von der Vorhersehbarkeit zur Unsicherheit,

ƒ vom Modell des rationalen Aktors zum Modell des kognitiv begrenzten politischen Aktors (Perich, 1993, S. 33ff).

Wissen muss in der Berufspraxis schnell verfügbar werden und unmittelbar verwertbar sein. Wissensmanagement, Datenbanken und der Zugriff zu den neuen Medien erfordern andere Lernmethoden. Mitarbeiter müssen lernen, Entscheidungen auch dann zu treffen, wenn die Datenlage uneindeutig ist und Verantwortung dafür zu übernehmen. Der Umgang mit Komplexität wird zur eigentlichen Herausforderung für die Beschäftigten.

Perichs Kategorien der Zukunftsherausforderungen haben die großen Unternehmen längst erreicht. Nichts ist bloße Fiktion geblieben, alle Prognosen sind Realität geworden. Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung erreichen die Folgen dieser strukturellen Veränderungen auch die Personalabteilungen der Unternehmen. Es wird klar, dass es keine isolierten Probleme in der Organisation gibt und folglich auch nicht durch isolierte Problembewältigungsstrategien zu kurieren sind, sondern dass die Herausforderungen aus ganzen Problemnetzen bestehen. Das wiederum verlangt von den Personalentwicklern neue Konzepte. An die Stelle von Einzelmaßnahmen treten nun Konzepte, die die Auswirkungen ihrer Wirkungsweisen multidimensional zu erfassen suchen. Diese Überlegungen sind davon geprägt, dass es zwei Hauptansatzpunkte für Personal- und Organisationsentwicklung gibt:

Es ist zum einen die Schwierigkeit, die Wirkungszusammenhänge, die das Geschehen in Organisationen und ihrer Interaktion mit ihrem Umfeld bestimmen, angemessen aufzuklären und zum anderen stellt sich das Problem der ungelösten Sinnzusammenhänge infolge unterschiedlicher Interessenlagen und Realitätswahrnehmungen der Organisationsmitglieder und ihrer Kontaktpersonen außerhalb der Organisation.

Mit diesen Überlegungen kommt eine neue Dimension ins Spiel: die Kultur einer Organisation. Die Rahmenbedingungen, in denen die Menschen agieren, wirken wechselseitig auf sie selbst zurück. An dieser Stelle kann nur angedeutet werden, welche Auswirkungen die Kultur auf die Ziele, Einstellungen und Entscheidungen hinsichtlich der Personalentwicklung haben. Eindeutig hingegen ist, dass sich die Personalentwicklung in der Krise befindet, da sie noch keine Antworten auf die Tendenzen gefunden hat, die Perich schon vor über einem Jahrzehnt festschrieb. Wie sehr Personalentwicklungsmaßnahmen von einem Beziehungsgeflecht geprägt sind lässt sich schon erahnen, wenn die beteiligten Menschen, die Teilnehmer und den Trainer betrachtet. Was geschah im Vorfeld zu einer Veranstaltung?

Welche individuellen Erwartungen von Teilnehmern und Vorstellungen von Trainern und Moderatoren gibt es? Welche Ziele des Auftraggebers spielen eine Rolle, bzw. sind der Auftraggeber und sein Ziel überhaupt sichtbar geworden? Wer welche Inhalte ausgewählt hat und auf welches Vorverständnis die Inhalte stoßen, erscheint in diesem Gefüge genauso von Bedeutung, wie die Frage der methodischen Vorgehensweise, den eigenen Lernstil und den gegebenen oder hergestellten Rahmenbedingungen.

Findet z.B. am Ende einer Veranstaltung eine Qualitätserhebung statt wird dies andere Auswirkungen haben, als wenn die Veranstaltung ohne eine Teilnehmerbefragung enden würde. Schon Hilmer macht deutlich, dass

„[…] pädagogisches Handeln – weil es eben auch menschliches Handeln ist – nie herausgelöst aus gesellschaftlich-kulturellen Gegebenheiten und Entwicklungen, aus weltlichen Zusammenhängen sowie unabhängig von individuellen Biographien und Lebenswirklichkeiten betrachtet und beurteilt werden kann und darf“ (Hilmer, 1995, S.

47).

Auch wenn diese Betrachtungen soziologischer Natur sind, so deuten sie doch auf die Wechselwirkungen einer Vielzahl von Faktoren hin und verweisen damit auf entstehende Implikationen für didaktische Konstruktionen und daraus resultierenden Handlungssituationen und -folgen.

Dieses Geflecht von Beziehungen stellt hohe Anforderungen an die Erfassung durch die beteiligten Initiatoren. Diese Initiatoren sind zunächst Erwachsenenbildner, Dozenten, Referenten, Trainer, Moderatoren und Personalentwickler. Unterstützen kann ein Modell bei der Erfassung und der Auseinandersetzung mit diesem Beziehungsgeflecht und dessen Dynamik.

„Übersteigt die Komplexität eines Sachverhaltes die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns, so greift das menschliche Denksystem – und das scheint generell zu gelten, also von anthropologischer Bedeutung zu sein – zu einem notwendigen methodischen Mittel, indem es nämlich die Komplexität reduziert, in dem es Modelle bildet“ (Reich, 2005, S. 24).

Modelle können somit lediglich Abbildungen von Wirklichkeit sein und sind nicht in der Lage, Wechselwirkungen und dynamische Veränderungen situativ erfassen zu können. Dies schmälert nicht die Leistungen von Modellen, sondern macht lediglich deutlich, dass deren Wirklichkeit flüchtig ist und somit immer neu zu reflektieren bleibt.