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6 Didaktische Ansätze von Outdoormaßnahmen

6.1 Die Entwicklung der Erlebnispädagogik bis heute

6.1.1 Historische Entwicklung

6.1.1.1 Entwicklung zwischen den beiden Weltkriegen

Die Geschichte der Erlebnispädagogik ist wohl mit keinem Namen so verbunden wie mit dem von Kurt Hahn, wenngleich seine Vorstellungen zutreffend einer Erlebnistherapie zuordbar sind. Inspiriert von der Reformpädagogik und deren kritische Forderungen nach Erneuerung und Umorientierung in der Gesellschaft war er der erste Pädagoge der nach-wilhelminischen Zeit, der das Abenteuer in die Erziehung einbezog (vgl.

Lausberg, 2007). Er entwickelte zunächst außerschulische und radikal schulkritische Konzepte, die das unvollständige, öffentliche Schulsystem ergänzen sollten.

„I regard it as the foremost task of education to ensure survival of these Qualities: an enterprising Curiosity; an undefeatable Spirit; Tenacity in Pursuit; Readiness for sensible Self-Denial; and above all, Compassion“ (Hahn, 1988, S. 189).

Er reihte sich ein in eine Reformbewegung, die nach dem Zusammenbruch der kaiserlichen Gesellschaftsordnung nach Wegen suchte, der jungen Weimarer Republik ein sozial-humanistisches Antlitz zu verschaffen. Es waren

multiple Strömungen, die von Intellektuellen, Künstlern, Architekten und Psychologen vorangetrieben wurden. Diese Neuorientierung, begleitet von Avantgarde und experimenteller Inspiration, nahm die Reformpädagogik auf (vgl. Oelkers, 1992). Ihr ging es um die Gesundung der Gesellschaft und insbesondere der Jugend und deren Zukunft. Den Jugendlichen sollten

„schützende Erfahrungen“ vermittelt werden, die sie vor einer „kranken Gesellschaft“ bewahren sollten (Hahn, 1958, S. 68). Dafür trat Hahn mit seiner Erlebnistherapie an. Sie sollte ein Gegengewicht bilden zur Ödnis der Großstädte und der Verwahrlosung ihrer Bewohner, deren Vereinzelung und Depression. Hahn wollte, wie die Reformpädagogen insgesamt, die sich von der traditionellen Pädagogik lösten, die Jugend vorbereiten, damit sie in die Gesellschaft die humanistischen Überzeugungen trügen. Diese waren geprägt von Naturerleben und Einfachheit, von Echtheit und Unmittelbarkeit, von Gemeinschaft und Gemeinwohl. In der Auseinandersetzung mit und in der Natur sollte persönliches Erleben, geistige Auseinandersetzung und soziale Erfahrung erzeugt werden. Ziel der Erlebnistherapeuten war es letztlich, die jungen Menschen in ihrer Gesamtpersönlichkeit zu selbstbewussten und autonomen Menschen zu entwickeln. Ihnen sollte es obliegen, ihre Überzeugungen und Werte in eine marode Gesellschaft zu tragen und diese von Grund auf zu reformieren. Der Pädagoge sollte daher,

„die Seele des Kindes schön, lebendig und fähig machen, weil nur dadurch der werdende Mensch instand gesetzt wird, sich selbst zu einem sittlichen Menschen zu machen“

(Hahn, 1958, S. 17).

Diese idealisierte Hoffnung in die Erneuerungsfähigkeit der Jugend, die Hahn mit Nohl und den anderen Reformpädagogen teilte, kann aus heutigen Sicht am besten aus dem politischen Erscheinungsbild und den daraus resultierenden Verfallserscheinungen von Jugendlichen der Weimarer Zeit verstanden werden (vgl. Bieligk, 2005). Eine solche Gesellschaft war krank und folglich zu therapieren. Aus diesem Blickwinkel ist es konsequent, dass Hahn seinen Ansatz als Erlebnistherapie verstand (vgl. Schwarz, 1968). Sein Konzept war von einer Ethik durchdrungen, die auf Emanzipation und Selbstbestimmung der Jugend zielte. Er entwickelte ein Modell aus vier

Säulen, die alle unter dem Aspekt des Erlebens in der Gemeinschaft (vgl.

Bieligk, 2005) standen.

Die erste Säule beinhaltete den Rettungsdienst (Dienst am Nächsten), also die Rettung aus See- und Bergnot, die Feuerwehr sowie die Wasserwacht. Unter Einsatz des eigenen Lebens konnte die Übernahme von Verantwortung, bei gleichzeitiger hoher Beanspruchung von Psyche und Physis, gezeigt werden.

Die zweite Säule bestand aus dem Projektlernen, einer Aufgabe im künstlerischen, handwerklichen, technischen oder sozialethischen Bereich.

Das outdoor action learning knüpft mit seinem Ansatz an diese gedanklich an.

Mit der Expedition ist die dritte Säule des Hahn`schen Konzepts beschrieben.

Dabei bildeten die natursportlichen Aktivitäten lediglich den Rahmen für ein Erleben und Erproben von Verhaltensweisen wie Verantwortungsübernahme, Planung und Organisation. Das outdoor action learning schließt auch hier an die Überlegungen Hahns an. Anders jedoch als dieser, der die Pädagogik als Erziehung verstand und neue Verhaltensweisen der Heranwachsenen durch direkte Intervention und klare Programmatik zu erzeugen suchte, ist die aktuelle Erlebnispädagogik von der motivatorischen Kraft offener Konzeptionen der Selbst- und Fremdreflexion überzeugt. Die vierte Säule betrifft das körperliche Training. Hierzu zählten leichtathletische Übungen; je nach Lage der Einrichtung auch Natursportarten wie Skilaufen, Segeln und Klettern. Die Jugendlichen sollten ihren Körper auf die Anforderungen des Lebens vorbereiten, sowie die Charaktereigenschaften von Mut, Überwindungskraft und Ausdauer entwickeln. Insofern waren die sportlichen Aktivitäten Mittel zum Zweck und nicht ausgelegt, um sich in den jeweiligen Disziplinen zu Höchstleistungen aufzuschwingen.

Hahns reformerische Bemühungen gelangten, wie die überwiegende Zahl der politischen, avantgardistischen und sozialkritischen Bestrebungen seiner Zeit, nicht zum Durchbruch. Mit der Verbannung oder der notgedrungenen Flucht entledigte sich das nationalsozialistische Deutschland jeglicher kreativer und reformerischer Kraft und auch die Anstrengungen Herman Nohls und des zur Abdankung gezwungenen früheren Sportinstitutsleiters der Universität

Göttingen, Bernhard Zimmermann, Hahn im Exil in Schottland weiter zu unterstützen, konnten keine breite Bewegung pädagogisch-reformerischer Art mehr entfachen. An den Vorabenden des herannahenden 2. Weltkrieges war für pazifistische und therapeutische Naturspiele kein Platz mehr und die Exildeutschen gerieten zudem in den Aufnahmeländern ohnehin oft in die Randbereiche der Gesellschaft und waren ohne politische Wirkkraft.

Der wirtschaftliche Niedergang in Deutschland war Bestandteil einer weltweiten Depression. In dieser Krise entstanden 1930 auch in den USA die so genannten School campings, die sich speziell auf unterprivilegierte Kinder aus Armenverhältnissen fokussierten. Sie sollten vor den schlechten gesundheitlichen Bedingungen geschützt und zur Betätigung an der frischen Luft animiert werden. Daran knüpfte später Sharp mit seinem Konzept der Outdoor Education an (vgl. Bunting, 2006).

Schon ab 1932 wurden die Universitäten in Deutschland aufgefordert, die sportliche Ausbildung nicht nur der Sportstudierenden in paramilitärische Ertüchtigung zu wandeln (vgl. Buss, 1989), auch die Geländespiele wurden zu Gelände- und Marschübungen und die Ansätze der Erlebnispädagogik wichen einem arischen Körperwahn, der in sauberer Natur per Fotografie und Film kunstvoll in Szene gesetzt wurde.

Das Konzept von Hahn, als Erlebnistherapie verstanden, und sich damit an die Jugend wendend, um diese zu gesunden, muss unterschieden werden von den heutigen Konzepten im sportlich-handlungsorientierten Lernen. So finden sich im sozialpädagogischen Kontext Teile der Erlebnistherapie wieder, die zu Instrumenten der Erlebnispädagogik geworden sind. Diese wird für die Zielgruppe der sozial benachteiligten Jugendlichen, die auffällig geworden sind und von Einrichtungen betreut werden, die der Resozialisierung dienen, eingesetzt. Die Parallelitäten zu den Outdoorveranstaltungen im berufsbildnerischen Kontext allerdings, die sich an Erwachsene wenden, bleiben jedoch auf einer nur formal vergleichbaren Ebene. Es wird keine maximale physische oder psychische Beanspruchung angestrebt, sondern die Übungen sollen für jeden Teilnehmer zumindest in der Vorstellung erreichbar

sein. Weiterhin hat bis heute Bestand, dass der Einzelne und die Gruppe bzw.

deren Wechselspiel betrachtet werden. Ein politischer oder gesellschaftskritischer Ansatz indes wohnt den heutigen Ansätzen nicht mehr inne.

6.1.1.2 Entwicklung nach 1945

Erst nach dem 2. Weltkrieg konnte Hahn seine Arbeit durch die Gründung des Outward Bound-Trust fortsetzen und in den frühen 50er Jahren auch in Deutschland wieder Fuß fassen. Allerdings darf diese Entwicklung durchaus vordringlich als theoretischer Natur betrachtet werden, denn die wenigen Outward Bound-Kurzzeitschulen stellen in Deutschland eher eine Randerscheinung als eine breite Bewegung dar.

In den USA hingegen wurden die Ideen Hahns im Sinne der Erlebnistherapie in neuen Outward Bound-Schulen vorangetrieben. Sharp entwickelte parallel das Programm der Outdoor Education für Schulen. Die Schüler sollten mittels der aktiven Bemühung in freier Natur ihre eigenen Fähigkeiten weiterentwickeln und ihre Persönlichkeit sollte daran wachsen (vgl. Bunting, 2006). Ob die 1962 in Colorado gegründete erste Outward Bound School auf die Einflüsse von Hahn oder, wie Bunting es darstellt, von Sharp zurückzuführen ist, bleibt dabei offen. Der Einfluss der Outdoor Education hat jedenfalls an so großem Gewicht gewonnen, dass öffentliche Schulen in Nordamerika sich mittlerweile an Sharp bzw. an den Programmen des Outward Bound orientieren und Teile davon in ihr eigenes Schulprogramm aufgenommen haben. Dies gilt speziell für das Project Adventure, das in die Curricula von allgemein bildenden Schulen integriert wurde (vgl. Rohnke, 1984). Hier verwischen die Outward Bound und Outdoor Education-Ansätze mit denen des Outdoor Trainings, da sich das Project Adventure stark auf das Agieren im Hochseilgarten konzentriert.

Der therapeutische Ansatz von Outward Bound hingegen wurde seit den 60er Jahren in den USA auch im Zuge des Strafvollzugs zur Rehabilitation für sozial auffällig gewordene Jugendliche und Erwachsene genutzt (vgl. Simpson

und Gills, 1998).

Mit dem Wiederaufbau Deutschlands wuchs bei den Bürgern das Bedürfnis nach Ablenkung vom Alltag und der Entlastung von Schuld und Sühnethemen aus der Nazi-Vergangenheit. Die Nachfrage nach Ablenkung und Erlebnissen stieg an und mit dem Wohlstandsanstieg einher vergrößerte sich zudem die Angebotsvielfalt (vgl. Schulze, 2005).

Hinzu kam die seit den frühen 70er-Jahren einsetzende Erkenntnis in der Bundesrepublik Deutschland, dass neben fachlicher Qualifikation auch die methodischen, sozialen und selbststeuernden Kompetenzen der Mitarbeiter entwickelt werden müssten. Damit bekamen innovative Konzepte eine Chance am Weiterbildungsmarkt – wie etwa das Surviveltraining (vgl. Bendlin, 1993) oder das Pädagogische Rollenspiel.

Von den erlebnispädagogischen Ansätzen versprachen sich die Unternehmen die Fähigkeiten der Mitarbeiter, insbesondere im Führungsverhalten und in der Teamfähigkeit, fördern zu können.

„Die Wirtschaft hat teilweise erkannt, daß sie die Erlebnispädagogik für ihre Bedürfnisse einsetzen kann, denn die Berufswelt stellt mittlerweile Anforderungen, die Parallelen zu den Lernfeldern der Erlebnispädagogik erkennen lassen“ (Bauer, 1993, S. 169).

Die Wiederentdeckung und mühevolle Wiederanerkennung der Erlebnispädagogik darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nur noch wenig gemein hat mit dem reformerischen Ansatz eines Kurt Hahns. Noch ist unklar, worin ihre pädagogische Aufgabe auf der Metaebene besteht (vgl.

Winkler, 1996) und ob es eine solche überhaupt gibt. Versteht sie sich noch immer als Verfechter übergeordneter pädagogischer, politischer oder kultureller Prinzipien mit einem spezifischen Bildungsanspruch? Die Outward Bound-Institute werden diese Frage sicher bejahen, die Erlebnispädagogik selbst jedoch ist in ihrer Uneinheitlichkeit und Vielfältigkeit dazu nicht glaubwürdig in der Lage.

Mit Beginn der Weiterbildungswelle und -offensive in den Betrieben begannen parallel zur Reaktivierung der Erlebnispädagogik freie Beratungsanbieter Outdooraktivitäten ins Bewusstsein der Weiterbildner in den Unternehmen zu rücken. Diese Konzepte sind nicht von missionarischer Überzeugung oder

Herkunft beseelt und ihr pädagogischer Anspruch darf durchaus als unterschiedlich deklariert werden. Dennoch gibt es neben den Unterschiedlichkeiten auch Gemeinsamkeiten und folglich kann die Erlebnispädagogik als ein Wegbereiter des Outdoor Trainings betrachtet werden (vgl. Moser, 2002).