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Das sportlich-handlungsorientierte Lernen (outdoor action learning) zwischen Erlebnispädagogik und Outdoortraining

6 Didaktische Ansätze von Outdoormaßnahmen

6.3 Das sportlich-handlungsorientierte Lernen (outdoor action learning) zwischen Erlebnispädagogik und Outdoortraining

6.3.1 Einordnung und Abgrenzung

Eingebettet werden soll das sportlich-handlungsorientierte Lernen vom Verständnis her zwischen der Erlebnispädagogik und einem, weniger vom Event-Charakter geprägten, Verständnis von Outdoortraining. Zu unterscheiden sind die sportlich-handlungsorientierten Veranstaltungen von denen, die „indoor“, in Räumlichkeiten von Seminarhotels oder in den Unternehmen selbst stattfinden.

Wie im vorherigen Kapitel gezeigt, sind die Definitionen von Buchner, Rehm und Harder weitestgehend unspezifisch für das Outdoortraining und könnten somit auch für einen sportlich-handlungsorientierten Ansatz gelten. Hier wie dort finden sich Zielperspektiven, etwa Veränderungsprozesse bei den Betroffenen auszulösen, oder direkte Verbesserung von berufsrelevanten Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erreichen. Weitere Gemeinsamkeiten sind das Lernfeld, nämlich in der Natur und es werden Aufgaben gestellt, die oft unbekannt sind und deren Erreichen möglich ist.

6.3.2 Beschreibung

Das sportlich-handlungsorientierte Lernen wirft also als Begrifflichkeit zunächst mehr Fragen auf, als es an definitorischer Schärfe zu bieten hat.

In der Praxis haben die meisten erlebnispädagogischen Ansätze nicht die sportliche (Höchst-)Leistung im Sinn. Vielmehr wird der Sport im Sinne einer körperlichen, zielgerichteten Bewegung in der Natur postuliert, wobei das Ziel durch eine Aufgabenstellung definiert ist. Die körperliche Beanspruchung kann dabei mit der Leistungsfähigkeit der Beteiligten in Beziehung gesetzt werden.

Die Aufgaben können also je nach Leistungsniveau der Gruppe oder Einzelner spezifisch angepasst werden. Inwieweit besonders in der Erwachsenenbildung unter den Bedingungen von Unternehmensveranstaltungen davon Gebrauch gemacht wird, ist bisher nicht untersucht worden. Da es letztlich in den sportlich-handlungsorientierten Feldern immer um die spezifische Leistung einer Gruppe und nicht um den Vergleich mit anderen Gruppen geht, ist der Vergleich auch von sekundärem Charakter.

Ein sportlich-handlungsorientierter Ansatz verbindet die Elemente körperlich, zielorientierter Bewegung mit denen von praktischem Tun und dessen Verbesserung in der Praxis. Die Verbesserung geschieht über die Folgen von Reflexion und Erkennen, Wahl einer Strategie, dem Einüben und der Automatisierung.

Beim sportlich-handlungsorientierten Lernen ist die eher spartanische Vorgabe von Lerninhalten von besonderer Bedeutung. Lernen findet auf der Basis der Gewinnung von Erkenntnis statt. Der Lehrende schafft einen Handlungsrahmen, nennt die Aufgabenstellung und das Ziel, sorgt für körperliche und emotionale Sicherheit bei der Einweisung und greift grundsätzlich nur bei akuten Gefahrensituationen ein. Innerhalb dieses Rahmens organisieren sich die Teilnehmer selbst, treffen Entscheidungen und handeln oder handeln nicht. Ob und wie gehandelt wird, welche Erfahrungen und Erkenntnisse in den nachfolgenden Übungen berücksichtigt und integriert werden, entscheidet die Gruppe selbst. Der Wettkampf- oder Konkurrenzcharakter, der dem Sport innewohnt, entsteht im

sportlich-handlungsorientierten Lernen aus der motivatorischen Kraft sich selbst verbessern zu wollen.

Eine wesentliche Grundannahme des erlebnisorientierten Lernens durch herausfordernde Erlebnissituationen ist die Vorstellung, dass Menschen ihren Alltag in der so genannten Komfortzone verbringen, d. h., sie kennen ihre Lebenswelt, insbesondere die (scheinbar) gültigen Wirkmechanismen und haben dadurch das Gefühl, ihre Lebenswelt bestimmen zu können, die möglichen Konsequenzen ihrer Handlungen zu kennen und so die Zukunft zu einem bestimmten Anteil vorauszusehen. Diese scheinbare Planbarkeit bietet ein Gefühl der Sicherheit und Ordnung und schützt vor unberechenbaren und möglicherweise unangenehmen oder nicht bewältigbaren Erfahrungen. Der Verbleib in diesem komfortablen Zustand verhindert jedoch neue Erfahrungen und damit Entwicklung. Die lässt sich auch neurobiologisch nachweisen, da die synaptischen Verbindungen im Gehirn sich nicht durch Ruhezustände, sondern durch Impuls und Aktivität ausprägen, stabilisieren und zum verfügbaren Gedächnisinventar werden (vgl. Hüther, 2008). Erst das Verlassen des Vertrauten und das Überwinden von Grenzen des bisherigen Bekannten macht Entwicklung möglich (vgl. Gilsdorf, 2004). So attraktiv es dem Lehrenden erscheint, im besten Sinne erzieherisch tätig zu werden, um anderen neue Erlebens- und Erfahrungsräume zu erschließen, so wenig attraktiv kann es für den Betroffenen sein. Ob das Entwicklungsangebot vom Lerner angenommen wird, entscheidet letztlich er selbst. Statt euphorischer Bejahung kann er wahlweise auch mit großer Verharrung oder Panik (vgl.

Senninger, 2000) auf die Veränderungsanstöße reagieren. Die Beweggründe dafür mögen sehr unterschiedlich sein. Schott hat in diesem Zusammenhang auf die positiven und negativen Erlebnisse als „zentrale Momente“ für eine Entscheidung des Lerners hingewiesen (Schott, 2003, S. 8).

Über den Zugang zu anderen Systemen mittels der Emotionen ist an anderer Stelle schon verwiesen worden. Die konzeptionelle Gestaltung von sportlich-handlungsorientiertem Lernen setzt genau hier an, indem sie den Schwerpunkt auf das Erlebnis und das Erleben setzt. Das Hinführen und

Begleiten zur Irritation durch unbekannte Aufgaben und Situationen stellt ein wesentliches Merkmal des sportlich-handlungsorientierten Ansatzes dar.

Bisherige Lösungsstrategien und persönliche Entscheidungsfindungen erweisen sich zunächst (zumal in der Gruppe, mit allen ihrer Bezügen, Dynamiken und Wechselwirkungen) als wenig praktikabel. Klarer formuliert es Müller (2002), der von individuellen und kollektiven Erlebnissen und Handeln spricht, um betriebliche Qualifikationsziele zu verfolgen. Die sportliche Leistung ist nicht die eigentliche Herausforderung. Es ist eher die Koordination der verschiedenen Anforderungen, die sich auf das Erlebnis, auf den Umgang des Einzelnen mit seinen sportlichen Erfahrungen, der aktuellen Selbsteinschätzung und seinen Ängsten vor Versagen, Blamage und dem Umgang mit Erfolg oder Misserfolg von sich und der Gruppe richten.

6.3.3 Definition

Sportlich-handlungsorientiertes Lernen soll daher verstanden werden als eine von Aufgaben getriebene Aktivität in der Natur, die den Teilnehmer kognitiv, körperlich und mental fordert, mit dem Ziel, Verhalten und Handeln durch Reflexion zu erkennen, zu verbessern und den Erkenntnisgewinn in betriebliche Bezüge zu transferieren. Im Vordergrund des didaktischen Ansatzes liegt die Beobachtung und Reflexion der Prozesse der Handelnden und der sich daraus ergebene Erkenntnisgewinn. Der Erfolg wird nicht durch das Erreichen der Ziele der gestellten Aufgaben definiert. Das Erlebnis ist gleichsam die Folie, auf der sich der Erkenntniszuwachs entfalten kann.

Historisch wie phänomenologisch gibt es eine Zuordnung des sportlich-handlungsorientierten Lernens zur Erlebnispädagogik. Eine charakteristische Begriffsbestimmung und Strukturanalyse des Erlebnisses unternimmt Witte, indem er das Erlebnis in eine philosophische, eine soziologische, eine psychologische und eine pädagogische Dimension untergliedert:

ƒ Die Unmittelbarkeit als Grundeigenschaft des Erlebnisses.

ƒ Die gegliederte Einheit des Erlebnisses, die sich klar von allen anderen Erlebniseinheiten, die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht bedeutsam abgrenzt.

ƒ Ein mehrseitiges Spannungsgefüge, das ein Erlebnis ausmacht, indem es einerseits totalitär wirkt, d. h. es alle geistigen Grundrichtungen anspricht, andererseits aber auch eine verändertes Subjekt-Objekt-Verhältnis nach sich zieht, indem das Subjekt durch das Erlebnis eine veränderte Sicht der Welt und des Lebens gewinnt. Weitere Spannungen bestehen auch zwischen der Allgemeingültigkeit und der Individualität eines Erlebnisses.

ƒ Den historischen Charakter des Erlebnisses, der bedingt, dass sich alles bislang Erlebte in den neuen Erfahrungen (bewusst oder unbewusst) wieder finden lässt.

ƒ Die Entwicklungsfähigkeit, die das Erlebnis in engem Zusammenhang mit seinem historischen Charakter zu seinen Wurzeln hin verfolgen lässt.

ƒ Den Objektivitätsdrang, durch den der Mensch im Erlebnis auf die Reise durch Empfindungen und Vorstellungen antwortet und im Gefühl wertet.

ƒ Den Zusammenhang zwischen Leben-Ausdruck-Verstehen, der dadurch begründet ist, dass durch die schöpferische Kraft des Erlebnisses verschiedene Gebilde und Inhalte Gestalt annehmen und ein Nacherleben möglich macht (Witte, 2002, S. 10ff.).

In der Berufswelt der Erwachsenen wirken diese Konnotationen, Zuordnungen und Charakteristika des Erlebnisses zumeist überhöht. Witte macht aber deutlich, dass es sich in der Erlebnispädagogik um einen vielschichtigen Lernprozess handelt. Weniger spezifisch und dennoch die übergreifende Bedeutung und Funktion des Erlebens und der Erlebnispädagogik würdigend, verweist Scheufele (2003, S. 114) darauf, „das Lernen über die Hand und die unmittelbare Beobachtung und Erfahrung [...] angebahnt (wird, d.V.)“.

Heckmair und Michl betonen in diesem Zusammenhang die Verbindung des Sports mit der Erlebnispädagogik und deren gegenseitige Bedingtheit:

„Wir sprechen dann von Erlebnispädagogik, wenn die Elemente Natur, Erlebnis und Gemeinschaft im Rahmen von Natursportarten pädagogisch zielgerichtet miteinander verbunden werden“ (Heckmair und Michl, 2004, S. 174).

Diese Ansätze schlagen eine Brücke zu den Ursprüngen der reformpädagogischen Bewegung der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts, in der Vielfalt der Bewegung, das Erleben in der Natur, und die Prozesshaftigkeit eben solche Charakteristika darstellen.

„Unmittelbares Lernen mit Herz, Hand und Verstand in Ernstsituationen und mit kritischen Problemlösungsansätzen und sozialem Aufforderungscharakter bildet den Anspruchsrahmen erzieherisch definierter , verantwortbarer und auf eine praktische Umsetzung ausgerichteter Überlegungen, die auf individuelle und gruppenbezogene Veränderungen von Haltungen und Wertmaßstäben ausgerichtet sind und durch sie veranlasst und begründet werden“

(Scheufele, 2003, S. 115).

6.3.4 Outdoor action learning als sportlich-handlungsorientiertes Lernen

In der vorliegenden Untersuchung wird das outdoor action learning dem sportlich-handlungsorientierten Lernen zugeordnet. Eine Vielzahl von artverwandten Mischformen und immer neu geschaffenen Begrifflichkeiten machen eine Abgrenzung nötig. Gilsdorf (2004) nennt stellvertretend die Abenteuerpädagogik, Handlungsorientierte Methoden, Erfahrungslernen,

Aktionspädagogik, Outdoor Education, AdventureLearning, AdventureProgramming, Experiential Education. Schwerpunktbildungen und

Kombinationen machen die Begriffsunschärfe komplett. So schreibt etwa Charlton (1990) dem Outdoortraining unterschiedliche Ziele zu:

„Whatever way the outdoors is managed for experiential learning and leadership development the human response to the elements and the explosion of senses add a huge set of variables to their existing larder of experiences“ (Syrett und Lammiman, 2003, S. 95).

Obwohl die Struktur beim outdoor action learning eindeutig und stringent vordefiniert ist, werden auf der Handlungsebene, tatsächlich vergleichbar und in anderen Outdooraktivitäten auch zu finden, vielerlei Chancen für Lernräume gegeben. Sie entstehen dadurch, dass die Teilnehmer die vorgegebenen Aufgaben klären, definieren und priorisieren und sich dabei stets neu

organisieren. Das outdoor action learning verbindet allerdings die sportlichen Aktivitäten mit Projektaufgaben, die an Inhalten oder Systematiken der realen beruflichen Welt der Teilnehmer ankoppelt. Diese Projektaufgaben (im Anwendungsbeispiel das Erzielen eines hohen wirtschaftlichen Gewinns mittels der Erledigung von Aufgaben in der Natur und einer vorherigen strategischen und operationalisierten Projektplanung) sind relevant für den Arbeitskontext im Unternehmen, müssen aber transferiert werden. Somit kommen neben den sportlich-handlungsorientierten Praktiken Elemente aus dem action learning hinzu, einer Methode, die auf Revans (1998) zurückgeht.

Er postulierte damit eine Form des Erfahrungslernens, welches anhand praktischer, realer Projektaufgaben im Unternehmen stattfindet und mittels eines Moderators vor allem in der Berufsausbildung zur Anwendung kommt (vgl. Hauser, 2006). Somit kann unter outdoor action learning ein projektgesteuertes Handlungs- und Erfahrungslernen, welches mit sportlichen Outdooraktivitäten kombiniert ist, verstanden werden.

Lernen braucht in diesem Verständnis die körperliche Betätigung. Über Sport und Bewegung, die zu Körpererfahrungen führen, werden Lernprozesse in Gang gesetzt (vgl. Hüther, 2009c).

Outdoor action learning könnte demnach geeignet sein, bestimmte Kompetenzen bei Erwachsenen in besonderer Weise zu verstärken oder hervorzurufen und einen Lernerfolg längerfristig zu erhalten (vgl. Hüther, o.J.).

Im nachfolgenden Kapitel (Kap. 7) wird die didaktische Konzeption des Anwendungsbeispiels ausführlich dargestellt, ihr Bezug zur Erwachsenenbildung verdeutlicht und eine zentrale Hypothese für das Lernen entwickelt. Daraus ergeben sich im darauf folgenden Kapitel weit reichende Implikationen für die Evaluation (Kap. 8).