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6 Didaktische Ansätze von Outdoormaßnahmen

7. Outdoor action learning bei VW (Anwendungsbeispiel) 1 Das Gesamtkonzept

7.1.1 Anforderungen des Vorstandes

Im Rahmen der General Top Management Conferences (GTMC) hat sich das höchste Gremium des Volkswagen Konzerns seit 2002 mit wichtigen strategischen Fragestellungen befasst, deren Ergebnisse im Jahre 2005 in die Strategie 2015 mündeten. Neben der Vision, die europäische Marktführerschaft weltweit auszubauen und langfristig weltweit die Nummer eins zu sein, wurden Kennzahlen und Größenordnungen definiert. Mittels eines methodischen Instruments, dem Zielvereinbarungsprozess (ZVP) sollte der Fortschritt und die Nachvollziehbarkeit der Entwicklung zu den Zielen gewährleistet werden. Dem Topmanagement war klar, dass sich die Ziele nur top-down und buttom-up kaskadieren lassen würden und eine Vernetzung der Ziele auf horizontaler und vertikaler Ebene durch die jeweiligen Prozessverläufe institutionalisiert werden müssten. Durch diesen Prozess wurden neue Anforderungen an die Führungskräfte gestellt. Während das bisherige Zielsystem die Umsetzung von gesetzten Zielen, kommuniziert von den jeweiligen Vorgesetzten, durch die nachgeordneten Führungsebenen und deren Mitarbeiter verlangte, sollte der Zielvereinbarungsprozess einen starken kommunikativen Austausch über die Art der Zielrealisierung befördern.

Während also bisher in der Erfüllung und der Operationalisierung vorgegebener Ziele die Aufgabe bestand, forderte nun der Zielvereinbarungsprozess von den Vorgesetzten die Fähigkeit ab, Ziele gesamtheitlich zu betrachten, Bereichsziele prognostisch und realistisch daraus abzuleiten und wiederum als integrativen Bestandteil an die vorgeordnete Führungskraft zurückzumelden. Die wechselartige Abhängigkeit der vertikalen Prozesse und die daraus resultierenden kommunikativen Prozesse sollten zudem durch den Informationsaustausch auf den horizontal gleichgestellten Hierarchieebenen nochmals bekräftigt werden. Während insbesondere die Meister bis dato nach bestem Wissen die Zielvorgaben mit ihren Mitarbeitern zu erfüllen suchten, sollten Führungskräfte auch auf Meisterebene nunmehr argumentativ und methodisch die Ziele in Bezugsgrößen und Teilzielen definieren und somit eine effektive Zielerreichung antizipieren. Nicht mehr das alleinige Erreichen des Sollziels einer einzelnen Teileinheit war die Messgröße, sondern der Beitrag, den alle Arbeits- und Prozesseinheiten in gemeinsamer Absprache zum Ziel und damit sogar zu dessen Übererfüllung beitragen konnten. Diese verstärkte Hinwendung zu Transparenz und Austausch machte den Mitgliedern des GMTC bewusst, dass ein neues Anforderungsprofil für die Führungskräfte gerade aus dem mittleren und unteren Management erfordern würde. Statt Direktive war nun der Dialog die Methodik der Wahl. Ziele sollten nicht nur eindimensional wahrgenommen, sondern in so genannten Zielfeldern integrativer Bestandteil der Vision werden.

Bereits seit 2004 arbeitete eine Stabsstelle bei der Volkswagen AG an einer kulturellen Verankerung neuer und dialogorientierter Leitlinien. Mit deren Verabschiedung entstand eine Positionierung, die auch den Zielvereinbarungsprozess betreffen würde. Die Konzernleitlinien (KLL) sollten zukünftig den Rahmen für das Unternehmen bilden, an dem sich Mitarbeiter, Management, Shareholder und Gesellschaft ausrichten konnten. Die sieben Konzernleitlinien umfassten und umfassen die Aspekte:

ƒ Kundennähe,

ƒ Höchstleistung,

ƒ Respekt,

ƒ Erneuerungsfähigkeit,

ƒ Werte schaffen,

ƒ Verantwortung und

ƒ Nachhaltigkeit (vgl. Volkswagen, 2004a).

Durch die Vorgaben dieses Überbaus waren Felder definiert, in denen der Zielvereinbarungsprozess zukünftig anzusetzen hatte. Es entstanden Ziel- und Handlungsfelder, mit denen die Führungskräfte von nun an operieren sollten.

Dabei flossen einzelne Aspekte zusammen, sodass schließlich fünf Zielfelder identifiziert wurden:

ƒ Kunde und Markt,

ƒ Innovation,

ƒ Produktivitäten,

ƒ Wertorientierung und

ƒ Attraktiver Arbeitsplatz (vgl. Volkswagen, 2005).

Kulturelle Erneuerung, zumal in komplexen Systemen, die ohne Zweifel ein Großkonzern wie Volkswagen darstellt, darf sich nicht auf das Erstellen von Broschüren verlassen, wenn sie erfolgreich sein will. Ein solches Unterfangen muss von allen Protagonisten aus der Führung heraus getragen sein, glaubwürdig kommuniziert und vorbildhaft gelebt werden. Dies gilt in besonderem Maße für die Führungsebenen, die unmittelbar mit den Werkern im täglichen Kontakt sind und von ihnen beobachtet und überprüft werden können. Dies gilt also in besonderem Maße für die Meister und deren Stellvertreter.

Die gestiegene Anforderung und Erwartung an diese Zielgruppe machte es daher notwendig zu überprüfen, ob die Meister und ihre Stellvertreter auf diese

Aufgaben ausreichend vorbereitet wurden. Zudem war zu untersuchen, welcher Bedarf an Meistern generell bestand.

Die Volkswagen AG hat sich vor rund 15 Jahren entschlossen, die Personalentwicklung in eine eigene Gesellschaft, die VW Coaching GmbH, auszugliedern. Dort entstehen Konzepte und Programme, die Volkswagen teilweise selbst initiiert, aber in jedem Falle abruft und für seine Mitarbeiter nutzt. Die VW Coaching bedient sich da, wo die eigenen Kapazitäten nicht ausreichen, externer Anbieter. Ein Qualitätsmanagement-System sichert den besonderen Standard auch der externen Zulieferer gegenüber dem Kunden.

Die fachliche Meisterausbildung (Industriemeister mit Industrie- und Handelskammer-Abschluss) wird unterstützt von einigen verbindlichen Schulungen zum Thema Personalführung. Die Meisteranwärter (oft bereits im Range eines Meistervertreters) weisen durch das Bestehen eines Assessment-Centers (Meister-Entwicklungs-Klausur -MEK-) ihre Befähigung nach den Vorstellungen ihres Arbeitsgebers, die Funktion eines Meisters auszufüllen. Das Assessment-Center wird von Psychologen und erfahrenen Prozessbeobachtern betreut, die eine kriteriengestützte Auswertung für jeden Probanden vornehmen und anschließend zu einer Gesamtbeurteilung kommen. Diese ist verbindlich und damit entscheidend für die weitere Karriereentwicklung bei Volkswagen. Ein Scheitern bedeutete zum Zeitpunkt der Untersuchung das Ende der Karriereträume; eine Wiederholung der MEK war nicht möglich. Seit 2009 kann bei Nichtbestehen das Assessment frühestens nach 18 Monaten wiederholt werden.

Im Zuge des erhöhten Anforderungsprofils für die Meister und deren Stellvertreter wurden die bereits ernannten und in ihrer Funktion etablierten Meister auf die neuen Aufgaben durch Nachschulungen vorbereitet. Für die Meisteranwärter entschloss man sich, das Assessment-Center inhaltlich besser auf die Konzernleitlinien und der daraus erwachsenen neuen

Herausforderungen anzupassen. Folgende Beobachtungsfelder gelten nunmehr für die Meister-Entwicklungs-Klausur:

1) Umgang mit Problemen, das bedeutet:

ƒ Problemlösefähigkeit,

ƒ Entscheidungsverhalten,

ƒ Organisation und zielorientiertes Arbeiten und

ƒ Wirtschaftliches Denken und Handeln.

2) Umgang mit Menschen, das bedeutet:

ƒ Kooperationsverhalten,

ƒ Überzeugen und motivieren,

ƒ Umgang mit Konflikten und

ƒ Gesprächsführung

ƒ Selbstvertrauen (vgl. Volkswagen, 2004b).

Im Zuge der Neugestaltung des Assessment-Centers stand auch dessen Fortbestand auf dem Prüfstand. Wenn Meisteranwärter bisher keine Gelegenheit hatten, sich schon gemäß der neuen Konzernleitlinien und in der Folge mit dem Zielvereinbarungsprozess auseinanderzusetzen und zu erproben, wie sollten sie dieses geforderte Verhalten in der Meister-Entwicklungs-Klausur zeigen?

Diese Fragestellung wurde an die VW Coaching seitens der Personalverantwortlichen der Volkswagen AG herangetragen. In Zusammenarbeit mit einem externen Anbieter wurde dazu ein Konzept erarbeitet, dass dazu dienen sollte, Meisteranwärter im Seminar und im Betrieb an Anforderungssituationen heranzuführen, wie sie im Assessment vorkommen können. Durch die strategische Neuausrichtung in der Folge der Konzernleitlinien, und damit eines umfänglicheren Verständnisses von Führungsverantwortung, mussten die Schulungsinhalte systematisch auf einander bezogen zusammengefügt werden. So entstand die modulare

Programmgestaltung innerhalb der Weiterbildung bei VW. Die Meister-Basis-Qualifizierung (MBQ), als eines der ersten nach diesem Baustein-Prinzip entworfenen Programmangebote, stellte insofern auch ein Pilot- und Prestigeprojekt dar. Das Konzept ist nunmehr seit 2005 eingeführt.

Um an der MBQ teilnehmen zu können, ist, neben dem Industrie-Meisterbrief, eine Eingangsprüfung, das so genannte Interview, Voraussetzung. Dieses Interview ist eine Präsentation mit anschließender Befragung und wird in der eigenen Abteilung zwischen dem Kandidaten und seinen Vorgesetzten durchgeführt.

7.1.2 Lernziele

Oberstes Lernziel der MBQ ist es, die Meisteranwärter zu befähigen, sich situationsgerecht im Sinne der Führungsgrundsätze bei Volkswagen zu verhalten (vgl. Volkswagen Führungsgrundsätze, 1999). Die Führungsgrundsätze werden ergänzt durch die Konzernleitlinien (vgl.

Volkswagen, 2004a) und zielen auf den Umgang mit Problemstellungen und mit Menschen (Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern, Kunden, Zulieferern) ab.

7.1.3 Lerninhalte

Die einzelnen Kriterien der Meister-Entwicklungs-Klausur werden weder trainiert, noch werden settings aus dem Assessment-Center simuliert oder Lösungs- und Verhaltenshinweise auf mögliche Aufgaben im Assessment gegeben. Es soll kein Training im Sinne eines „massierten Lernens“ (Riedl, 2004, S. 31) stattfinden, in dem bestimmte Lösungen standardisiert und in unmittelbarer Folgesequenz eingeübt werden, um in den settings der MEK (Diskussionen und Gruppenarbeit, Präsentationen, Projektarbeit) Erfolg versprechendes Verhalten zu zeigen.

Vielmehr ist die Meister-Basis-Qualifizierung auf die Entwicklung kommunikativer Stärkung ausgelegt und zielt auf die Befähigung der Teilnehmer, bestimmte Erkenntnisse aus dem Seminar situativ einsetzen zu

können. Methodisch wird das durch Präsentationen, Gruppenaufgaben und Projektbearbeit gestützt, in denen Erfahrungen unter verschiedenen Anforderungsbedingungen gesammelt werden. Häufige Feedback-Schleifen sollen die Selbst- und Fremdwahrnehmung verstärken, um die Wahrnehmung für die Angemessenheit und Bandbreite situativen Verhaltens zu schärfen (vgl.

Volkswagen, 2004b).

Die kommunikative Grundausstattung umfasst die Präsentations- und Moderationstechniken, rhetorische und kommunikative Elemente aus den Modellen von Friedemann Schulz-von-Thun (4-Seiten-einer-Nachricht, Inneres Team), Gesprächsführung, Konfliktmanagement sowie Führungstechniken und -verhalten (vgl. Schulz-von-Thun, 2005 und 2008). Der strukturelle Schulungsteil fokussiert sich auf Methoden zur Steuerung von Prozessen und Entscheidungen aus dem Projektmanagement – dem Ziel- und Zeitmanagement. Diese Inhalte dienen gesamtheitlich der Orientierung und dem Abgleich des Wissensstandes. Daran schließt sich Erprobung und Anwendung an: die Teilnehmer üben Präsentationen und führen Gruppengesprächen. In jedem Baustein finden sich diese Praxisteile wieder, die schließlich zu einer Routine führen sollen. Diese Routine könnte bei den angehenden Meistern zur emotionalen Stabilität auch in der Prüfungssituation der Meister-Entwicklungs-Klausur beitragen, so dass die Prüflinge über ihre gesamten Handlungsoptionen, selbst in unbekanntem Milieu, verfügen können. Stock-Homburg (2008) weist darauf hin, dass Prüfungsstress, der auch aus Mangel an Routine im Umgang mit Anforderungen entsteht, situativ zur Fokussierung auf eine oder wenige Handlungsmöglichkeiten und somit zu Fehlleistungen führen kann.