• Keine Ergebnisse gefunden

«Stimmvölker»

A. Volljährigkeit und Urteilsfähigkeit

Um das Stimmrecht ausüben zu können, muss eine grundsätzlich dem Stimmvolk zuzurechnende Person auf Bundesebene zwei Voraussetzungen erfüllen: Sie muss politisch volljährig und urteilsfähig sein. Die politische Volljährigkeit setzt das

401 Welches das «fragliche Gebiet» sein soll, wird von der Bundesverfassung offengelas-sen und muss kantonalrechtlich bestimmt werden. Siehe zum Ganzen OFK BV2, Art. 53‑BIAGGINI,N 8 und 12; vgl. auch BSK BV, Art. 53‑BELSER/MASSÜGER,N 33 f.

und N 38. Wer Teil der «betroffenen Bevölkerung» ist, ergibt sich ebenfalls nach dem kantonalen Recht, doch soll die deutsche Bezeichnung «Bevölkerung» (in der franzö-sischen Fassung wird dagegen der Begriff «corps électoral concerné» verwendet) den kantonalrechtlich vorgesehenen Kreis der Stimmberechtigten auf diejenigen beschrän-ken, die im fraglichen Gebiet Wohnsitz haben (so Aubert/Mahon Petit commentaire, Art. 53‑AUBERT,N 14; und, mit Bezugnahme darauf, OFK BV2, Art. 53‑BIAGGINI,N 8 und 12; vgl. jedoch BSK BV, Art. 53‑BELSER/MASSÜGER,N 33 f. und 38), das heisst, kantonalrechtlich und/oder kommunalrechtlich allenfalls stimmberechtigte Ausland-schweizer gehören nicht zur stimmberechtigten «betroffenen Bevölkerung».

402 Vom Volksbegriff und von der «betroffenen Bevölkerung» ist die «Bevölkerung» ge-trennt zu halten. Der Bund erhebt statistische Daten über den Zustand und die Ent-wicklung der Bevölkerung (BV 65 I); daneben erscheint diese u.a. als Nutzniesserin staatlicher Massnahmen zu ihrem Schutz (BV 57 I; 58 II; 94 II; und 104 I Bst. a). Die

«Bevölkerung» bildet daher im Wesentlichen eine «faktische Grösse» (vgl. dazu R HI-NOW/SCHEFER/UEBERSAX,Schweizerisches Verfassungsrecht, N 264–267), die hier nicht vertieft werden soll.

166

abgeschlossene 18. Altersjahr voraus.403 Der Ausschlussgrund der fehlenden Ur-teilsfähigkeit ist dann erfüllt, wenn eine Person «wegen dauernder Urteilsunfähig-keit unter umfassender Beistandschaft» steht oder «durch eine vorsorgebeauftragte Person vertreten» wird.404 Diese Voraussetzungen gelten selbstredend auch für das Ausländer- und das Auslandschweizerstimmrecht.405

In Bezug auf die politische Volljährigkeit folgen die Kantone der Bundesregelung, mit der Ausnahme des Kantons Glarus, der für das Stimm- und das aktive406 Wahl-recht das StimmWahl-rechtsalter auf 16 Jahre festlegt.407

Die Kantone sind kompetent, die Stimmrechtsausschlussgründe in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten festzulegen,408 wobei der diesbezügliche Rege-lungsspielraum wegen der bundesrechtlichen Vorgaben äusserst gering ist.409 Da-bei sind sie der Regelung im Bund weitgehend gefolgt410 und sehen die umfas-sende Beistandschaft als einzigen Ausschlussgrund vor.411 Trotz der Kompetenz

403 BV 136 I Erster Satz.

404 BV 136 I Erster Satz i.V.m. BPR 2; siehe dazu SGK BV3, Art. 136‑KLEY,N 8 f.; zu Recht kritisch zu diesem Anknüpfungsmerkmal für den Ausschluss von den politi-schen Rechten SCHEFER/HESS-KLEIN,Behindertengleichstellungsrecht, 514–518.

405 ASG 17. Speziell zu regeln ist bei Auslandschweizern jedoch der Fall, in dem eine Massnahme des Erwachsenenschutzes nach ausländischem Recht vorliegt. Hierfür sieht ASG 17 Bst. b vor, dass eine nach ausländischem Recht wegen dauernder Ur-teilsunfähigkeit erlassene Massnahme des Erwachsenenschutzes, welche die Hand-lungsfähigkeit der Person entfallen lässt, dann als Ausschlussgrund anerkannt wird, wenn auch nach schweizerischem Recht eine Massnahme des Erwachsenenschutzes hätte ausgesprochen werden können.

406 Jedoch nicht für das passive Wahlrecht: KV GL 57 I Bst. a und 57 II Bst. a. Daneben bestehen teils besondere Altersvorschriften in Bezug auf bestimmte Ämter (vgl. bspw.

KV AR 66).

407 KV GL 56 I.

408 BV 39 I.

409 HÄFELIN et al., Schweizerisches Bundesstaatsrecht, N 1367; TSCHANNEN,Staatsrecht,

§ 48 N 25; vgl. GRISEL,Initiative et référendum populaires, N 173.

410 Zu den historisch teils zahlreichen kantonalrechtlichen Stimmrechtsausschlussgründen siehe HANGARTNER/KLEY,Die demokratischen Rechte, N 85; und SCHWINGRUBER, Das Stimmrecht in der Schweiz, 99–128.

411 Entweder nennen sie den Ausschlussgrund selbst oder sie verweisen auf die Bundesre-gelung. Siehe AG KV 59 I; AI KV 16 II; FR KV 39 II i.V.m. FR PRG 2b; BE KV 55 II i.V.m. BE PRG 6; BL KV 21 II; BS KV 40 I; GL KV 56 II; GR KV 9 II; JU KV 70 IV i.V.m. JU LDP 2 V; LU KV 16; NE KV 37 I i.V.m. NE LDP 4 I; NW KV 8 i.V.m.

167

168

der Kantone in Bezug auf die persönlichen Voraussetzungen des kantonalen und kommunalen Stimmrechts ist somit in diesem Bereich eine bemerkenswerte Über-einstimmung der Regelungen im Bund und in den Kantonen festzustellen.

B. Ausstandspflichten

Für Teilnehmer412 von Gemeindeversammlungen legen einzelne Kantone Aus-standspflichten fest,413 was das Stimmvolk (i.e.S.) bei einzelnen Abstimmungen verkleinern kann.414 Ausstandspflichten sollen die «Unabhängigkeit und Unbefan-genheit der Entscheidungsträger»415 sicherstellen. Sie sind grundsätzlich «eher auf seltene, konkrete Situationen, auf Einzelfälle zugeschnitten»416. Wie im Bereich

NW WAG 1 II; OW KV 15 i.V.m. OW AbstG 4 II; SG KV 31 Bst. b; SH KV 23 III i.V.m. SH WahlG 4 Zweiter Satz; SO KV 25 III i.V.m. SO GpR 4 I; SZ KV 26 I;

TG KV 18 I Erster Satz; TI KV 27 II; UR KV 17 I; VD KV 74 I; VS KV 30 i.V.m.

VS kGPR 14 I; ZG KV 27 III; und ZH KV 22.

Nach Genfer Recht bedarf es für den Entzug des Stimmrechts einer dauernd urteilsun-fähigen Person einer richterlichen Verfügung (GE KV 48 IV). Das Neuenburger Recht (NE KV 37 II i.V.m. NE RELDP 7–10), das Tessiner Recht (TI LEDP 11−14) wie auch das Waadtländer Recht (VD KV 74 II i.V.m. VD LEDP 3 II–IV) ermöglichen umfassend verbeiständeten Personen in einem besonderen Verfahren, ihre Urteilsfä-higkeit nachzuweisen und das Stimmrecht wiederzuerlangen.

Durch die Revision des Vormundschaftsrechts sind die z.T. im kantonalen Recht ent-haltenen Verweise auf den Ausschlussgrund der «Geisteskrankheit oder Geistesschwä-che (ZGB 369)» (VS kGPR 14 I) nicht mehr aktuell und sollten heute auf die «umfas-sende Beistandschaft» nach ZGB 398 verweisen (vgl. SGK BV3, Art. 136‑KLEY, N 8 f.). Problematisch ist, dass AR KV 50 I davon absieht, den Ausschlussgrund der Entmündigung zu nennen. Bei der Ausarbeitung der ausserrhodischen Kantonsverfas-sung ging man davon aus, dass die bundesrechtliche Regelung auch für den Kanton gilt (SCHOCH,Leitfaden durch die Ausserrhodische Kantonsverfassung, 96) – was nach damaliger Rechtslage zutraf, nach heutiger jedoch nicht mehr der Fall ist (vgl. H AN-GARTNER/KLEY,Die demokratischen Rechte, N 128 f.).

412 Vgl. zu diesem weit zu verstehenden Begriff ARN,Die Ausstandspflicht im bernischen Gemeinderecht, 124.

413 Vgl. unten N 694; zum Folgenden BISAZ,Das Wahlrecht, N 33 f.; ferner S TAUFFA-CHER,Die Versammlungsdemokratie im Kanton Glarus, 338–340.

414 Eingehend zur Ausstandspflicht in Gemeindeversammlungen (nach damaligem berni-schem Recht) ARN,Die Ausstandspflicht im bernischen Gemeinderecht.

415 Komm ZH KV, Art. 43‑HALLER,N 2.

416 BGE 116 Ia 242, 248 E. 3b.

169

der Rechtssetzungstätigkeit des Parlaments sind Ausstandspflichten bei Teilneh-mern von Gemeindeversammlungen, die keine amtliche Funktion wahrnehmen, kritisch zu beurteilen.417 Es ist gerade die Funktion der Versammlung, dass die verschiedenen, sich widerstreitenden Interessen darin vertreten sind.418 Benachtei-ligen Ausstandsbestimmungen die Vertretung einzelner Interessen, stehen sie in einem Spannungsverhältnis zu BV 34 II und können den Willen des Stimmvolks verfälschen;419 sie bedürfen daher einer Grundlage in einem formellen Gesetz, müssen im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.420

C. Stimmregistereintrag

Üblicherweise gilt, wie bereits erwähnt, dass der Stimmregistereintrag formell blosse Folge davon ist, dass eine Person die Voraussetzungen der Stimmberechti-gung erfüllt. Der Stimmregistereintrag zeigt sich daher meist nicht als persönliche Voraussetzung zur Ausübung des Stimmrechts. Dies ändert sich dann, wenn er, wie namentlich im Falle der Auslandschweizer, nicht automatisch erfolgt, sondern vom Stimmberechtigten beantragt werden muss.