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§ 13 Beschlusspflicht und Unabänderlichkeit

Der Antrag an das Stimmvolk ermöglicht dem angerufenen Stimmvolk nicht nur die Beschlussfassung zu einem bestimmten Geschäft, sondern er verpflichtet die-ses auch dazu. Das Antragsrecht ist nicht bloss ein Petitionsrecht, sondern es be-gründet eine Beschlusspflicht des Stimmvolks.537

Aus der Beschlusspflicht ergeben sich mehrere Forderungen an das direktdemo-kratische Verfahren. So darf ein Antrag vor der Beschlussfassung etwa nicht abgeändert werden. Darauf ist im Folgenden noch einzugehen. Auch ist über trak-tandierte Anträge grundsätzlich fristgerecht/möglichst bald und endgültig Be-schluss zu fassen. Ein Hinauszögern eines BeBe-schlusses über einen Antrag muss begründet und verhältnismässig sein, was die Zulässigkeit von Ordnungsanträgen (insbesondere Verschiebungs- und Rückweisungsanträgen538) einschränkt. Auch ein Antrag auf Streichung eines für eine (Lands-)Gemeindeversammlung traktan-dierten Geschäfts kann im Lichte der Beschlusspflicht nur infrage kommen, wenn die Behandlung dieses Geschäfts unbestreitbar hinfällig geworden ist.539

Es ist ein eiserner Grundsatz, dass Anträge von dem Moment an unabänderlich sind, in welchem sie als Antragsbegehren eingereicht oder als Antrag gestellt wer-den.540 Das hängt mit der Natur des Antrags zusammen, wonach über diesen ab-gestimmt werden muss. Wird der Antrag abgeändert, kann nicht mehr über diesen (den ursprünglich gestellten Antrag) abgestimmt werden, das Antragsrecht des Antragstellers würde dadurch verletzt. Materiell unabänderlich – und zwar auch

537 Vgl. oben N 210.

538 Vgl. GVP (ZG) 2011 115, 122 E. 3c; EGV-SZ 2000 Nr. 15, 51, 58 f. E. 7; S CHÖN-BÄCHLER,Das Verfahren der Gemeindeversammlung im Kanton Schwyz, N 46.

539 Die Nichtbeachtung dieser Grundsätze kann den Tatbestand der Rechtsverzögerung oder gar -verweigerung erfüllen. Angesichts der Möglichkeit des Stimmvolks, einen missliebigen Antrag abzulehnen, dürften solche Tatbestände in erster Linie bei der Vorbehandlung eines Antrags durch ein anderes Organ vorkommen.

540 Zur Unterscheidung zwischen einem Antrag und einem Antragsbegehren siehe unten N 225 f. Handelt es sich beim Antrag um einen Entwurf (im Versammlungssystem), so kann der Antrag durch neue Anträge vom beschlussbefugten Organ in dem Sinne abgeändert werden, dass er (unverändert) abgelehnt und durch einen neuen Antrag er-setzt wird (siehe dazu unten N 223).

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für die Antragsteller selbst541 – ist bereits das Antragsbegehren, welches am Be-ginn des Begehrensverfahrens steht.542 Auf Bundesebene und in mehreren Kanto-nen wird die Unabänderlichkeit des Antrags ausdrücklich festgelegt.543 Von die-sem Grundsatz kann nur in Ausnahmefällen und in sehr begrenztem Mass abgewichen werden.544 Die Unabänderlichkeit umfasst auch die systematische Einordnung der vorgeschlagenen Normen in einem Erlass.545

Zulässig sind immerhin minimale Korrekturen ohne materielle Auswirkungen auf den Sachantrag, wie die Anpassung an die Formalien des betroffenen Erlasses (etwa das Ersetzen von Paragraphen durch Artikel, die Einfügung von Absatznum-mern, Gliederungstitel und Sachüberschriften), die Behebung von offensichtlichen Übersetzungsfehlern,546 Rechtschreibfehlern oder die Berichtigung eines Redak-tionsfehlers.547

541 Vgl. BGer (II. ÖRA), Urteil vom 05.12.1980 in ZBl 82/1981 257, 258 E. 2; KÖLZ,Die kantonale Volksinitiative, 36; Komm ZH KV, Art. 25‑SCHUHMACHER,N 25.

542 Vgl. HANGARTNER/KLEY, Die demokratischen Rechte, N 2052; Komm ZH KV, Art. 25‑SCHUHMACHER,N 25; TSCHANNEN,Die Formen der Volksinitiative und die Einheit der Form, 9; Komm BV 1874, Art. 121/122‑WILDHABER,N 63.

543 Stellvertretend ParlG 99: «Eine Volksinitiative ist in allen gültigen Teilen, so wie sie lautet, der Volksabstimmung zu unterbreiten.»; NW WAG 12 I; und TG StWG 80 II Erster Satz; GRISEL,Initiative et référendum populaires, N 612.

544 AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, supplément, N 399; TSCHANNEN, Die Formen der Volksinitiative und die Einheit der Form, 9 f. Anders jedoch BGE 133 I 110, 113 ff. E. 3, wo eine redaktionelle Anpassung des Parlaments am Ini-tiativtexts für zulässig erachtet wurde, mit der eine bundesrechtskonforme Auslegung des Texts sichergestellt werden sollte (vgl. hierzu auch SGK BV3, Art. 139 Abs. 5‑

EHRENZELLER/NOBS,N 74).

545 SGK BV3, Art. 139 Abs. 5‑EHRENZELLER/NOBS, ibid.; Komm BV 1874, Art. 121/122‑

WILDHABER,N 63.

546 Offensichtlich ist ein Übersetzungsfehler nach zutreffender Ansicht der Bundeskanzlei nur, wenn das Initiativkomitee dieser Ansicht und damit der entsprechenden Korrektur zustimmt, siehe BUNDESKANZLEI,Wegleitung zum Umgang mit offensichtlichen Über-setzungsfehlern bei Volksinitiativen, insb. 48.

547 Stellvertretend NW WAG 12 II: «Die Staatskanzlei kann offenkundige Verschrie-be korrigieren.»; Appellationsgericht (BS), Urteil VG.2017.2 vom 28.09.2017 E. 3;

SAILE/BURGHERR,Das Initiativrecht der zürcherischen Parlamentsgemeinden, N 123;

Komm ZH KV, Art. 25‑SCHUHMACHER,N 25; TSCHANNEN,Die Formen der Volksini-tiative und die Einheit der Form, 9 f.

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Eine weitergehende, besondere Regelung kennt das Zürcher Recht: Die Möglich-keit einer rechtssetzungstechnischen Bereinigung des Initiativtexts durch den Re-gierungsrat mit Einwilligung des Initiativkomitees.548 Auch diese Korrektur darf keine materiellen Änderungen am Antrag bewirken. Sie soll Anpassungen auf-grund inzwischen geänderter, mit der Initiative verbundener Rechtserlasse oder die Behebung offensichtlicher Widersprüche und Irrtümer am Initiativtext zulas-sen.549

Einige Kantone und Gemeinden lassen jedoch zusätzlich eine «redaktionelle Be-reinigung»550 zu; der Kanton Basel-Stadt und die Stadt Basel erlauben dem Parla-ment sogar «sachlich unumgängliche Ergänzungen» bei formulierten Initiati-ven551.552 Ohne gesetzliche Ermächtigung ist eine solche – problematische – redaktionelle Bereinigung unzulässig.553 In einem weiteren Sinn als Ausnahmen

548 ZH GPR 129 I.

549 Eingehend SAILE/BURGHERR,Das Initiativrecht der zürcherischen Parlamentsgemein-den, N 121 f. und 174.

550 So etwa LU GG 39 IV (bei Initiativen in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs); vgl.

auch TG StWG 80 II. LU KRG 82c II Erster Satz fügt gar hinzu, solche redaktionellen Bereinigungen könne der Kantonsrat an einer formulierten Initiative wie bei einer eigenen Vorlage vornehmen, was problematisch erscheint, da es sich gerade nicht um eine eigene Vorlage handelt (vgl. hierzu TSCHANNEN,Die Formen der Volksinitiative und die Einheit der Form, 10). Als «redaktionelle Bereinigung» gelten laut TSCHANNEN

nur «Änderungen auf der rein sprachlichen Ebene» wie die «Beseitigung äusserlicher Widersprüche oder die Harmonisierung des Begriffsgebrauchs, die Anpassung an wie-derkehrende Standardwendungen, Umstellungen zur Wahrung der Geschlechtsneutra-lität u. ä.», nicht aber die «Behebung von materiellen Lücken, Unklarheiten oder Un-gereimtheiten» (TSCHANNEN, ibid.).

551 BS IRG 20 II; BS Basel GPR 78 II Zweiter Satz. Diese Möglichkeit der Ergänzung muss restriktiv gehandhabt werden, wenn das Antragsrecht nicht unterhöhlt werden soll.

552 In Erlassen und in der Literatur (stellvertretend TSCHANNEN, ibid., 9 f.) wird der Grundsatz der Unabänderlichkeit bloss im Zusammenhang mit den Anträgen in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs angesprochen. Der Grundsatz gilt jedoch für alle Anträge. Der Grund für diese zu enge Betrachtungsweise dürfte darin liegen, dass der Text und damit auch die vorgenommene Änderung eines Antrags in der Form des aus-gearbeiteten Entwurfs durch seine Annahme in der Volksabstimmung unmittelbar zu Gesetzestext würde, wohingegen eine Änderung an einem Antrag in der Form der all-gemeinen Anregung bloss mittelbare Auswirkungen haben kann.

553 TSCHANNEN, ibid., 10.

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können Massnahmen aufgrund von fehlender Gültigkeit verstanden werden, etwa wenn ein Antrag aufgespalten oder auf den gültigen Teil beschränkt wird.554 Die verbreitete Auffassung, dass im Versammlungssystem der Unabänderlichkeit eines Antrags «mit der Überweisung an die Gemeindeversammlung schon weit-gehend Genüge getan»555 sei, ist dahingehend zu präzisieren, dass der gestellte Antrag – selbst bei Abänderungsanträgen im Bereinigungsverfahren – unverändert der Versammlung (und damit den Stimmberechtigten) zur Abstimmung vorzule-gen ist.556

§ 14 Begriffliche Abgrenzungen

I. «Initiativrecht und Antragsrecht»