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Die Antragsberechtigten als Staatsorgan?

gesellschaft als Volk

II. Die Antragsberechtigten als Staatsorgan?

Wie sind die Antragsberechtigten zu qualifizieren, wenn diese sich nicht (aus-schliesslich) aus Stimmberechtigten und damit Organwaltern des Stimmvolks zu-sammensetzen? In einem solchen Fall kann prima facie schlecht von einem Aus-schuss der Organwalter die Rede sein und auch das Minderheitenrecht innerhalb eines organinternen Verfahrens scheint nicht zu passen. Das «Volk» der Antrags-berechtigten scheint sich vom Stimmvolk zu unterscheiden, denn es schliesst die-ses zwar ein, aber es umfasst zusätzlich auch alle Antragsberechtigten, die über

Block.» (AUER,Staatsrecht der schweizerischen Kantone, N 895, Hervorhebungen be-lassen).

451 Siehe dazu oben N 71–76.

452 SStG 57 I.

453 SStG 54 I.

454 Zu fordern ist, dass sich die Sonderbehandlung auf eine genügende gesetzliche, näm-lich verfassungsrechtnäm-liche, Grundlage stützen kann sowie im öffentnäm-lichen Interesse und verhältnismässig ist. Das ist für die Regionalinitiative m.E. der Fall (vgl. BE KV 4 und 5).

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keine Beschlussrechte verfügen. Damit würde durch die Einräumung von Antrags-rechten an Nichtstimmberechtigte ein neues Staatsorgan geschaffen. Eine solch strikte Trennung von Antragsberechtigten und Beschlussberechtigten ist dogma-tisch nicht nötig. Zudem führte sie zu einem Widerspruch zur Einheit der politi-schen Rechte des Stimmberechtigten.

Auch aus Sicht der Organlehre drängt sich eine solche Trennung der Antragsbe-rechtigten und BeschlussbeAntragsbe-rechtigten nicht auf. So sind durchaus Kollegialorgane bekannt, bei denen nicht alle Mitglieder (Organwalter) über die gleichen Rechte verfügen, sondern die neben den vollberechtigten auch die bloss beratenden Mit-glieder kennen.455 In der Organlehre ist die Möglichkeit einer Differenzierung der Stimmrechte der Organwalter anerkannt.456 Im Falle des Stimmvolks ergäbe sich aus einer Anerkennung der «Mitgliedschaft» der Antragsberechtigten eine Aus-dehnung des Stimmvolks, wobei gewisse Organwalter (die Stimmberechtigten) über alle den Organwaltern eingeräumten Beschluss- und Antragsrechte verfüg-ten, während andere Organwalter (die antragsberechtigten Nichtstimmberechtig-ten) bloss (gewisse) Antragsrechte hätten.

Doch auch dieser Schluss ist nicht zwingend. Wie bereits erwähnt,457 muss ein Unterorgan auch nicht ausschliesslich aus Mitgliedern des jeweiligen (Haupt-)Or-gans bestehen.458 Letztlich müsste sich eine solche Interpretation darauf abstützen, dass bloss die beschlussberechtigten Organwalter eigentliche Organwalter sind und entsprechend das Stimmvolk sich nur aus den Stimmberechtigten zusammen-setzte, unabhängig davon, ob im Verfahren bis zum Beschluss weitere Personen Anträge stellen und/oder Wortmeldungen vorbringen können. Für eine solche In-terpretation spricht, dass es das Wesen und die Daseinsberechtigung der Organe ist, Beschlüsse zu fassen.459 Alle Schritte, die dem Beschluss vorgeordnet sind,

455 Vgl. DAGTOGLOU,Kollegialorgane und Kollegialakte der Verwaltung, 52.

456 SCHNEIDER,Die Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung von Kollegialorganen, 23;

SCHRÖDER,Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 76. Wenn die Deutsche Organlehre die Organwalterschaft bloss beratender Mitglieder nicht infrage stellt (vgl. SCHRÖDER, ibid.; THIELE,Regeln und Verfahren der Entscheidungsfindung, 140), dann wohl deshalb, weil diese neben den auf das Beratungsrecht beschränkten Mitwirkungsrechten ansonsten den übrigen Mitgliedern gleichgestellt sind – ein Um-stand, der sich von der Situation von antragsberechtigten Nichtstimmberechtigten un-terscheidet.

457 Siehe oben N 131.

458 WOLFF et al., Verwaltungsrecht II, N 166.

459 Vgl. THIELE,Regeln und Verfahren der Entscheidungsfindung, 141.

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und alle darin mitwirkenden Personen sind aus einer solchen Perspektive unwe-sentlich.460

Meiner Ansicht nach ist für die rechtliche Qualifikation der Antragsberechtigten relevant, wie das Antragsrecht ausgestaltet ist. Die Stimmberechtigten werden zur Wahrnehmung ihrer Organwalter-Tätigkeit regelmässig aufgerufen, sie werden über anstehende Abstimmungen informiert und zu (Lands-)Gemeindeversamm-lungen eingeladen, womit ihre Organwalterstellung sich im staatlichen Umgang mit ihnen spiegelt. Bei Antragsberechtigten ist es dagegen nicht üblich, dass diese als solche angesprochen werden, etwa durch Einladungen zu einer (Lands-)Ge-meindeversammlung.461 Sie müssen vielmehr ad hoc, von sich aus aktiv werden, um von ihren Antragsrechten Gebrauch zu machen. Wohl können die antragsbe-rechtigten Nichtstimmbeantragsbe-rechtigten zur Zivilgesellschaft, zum «Volk» in einem weiten, soziologischen Sinn gezählt werden; das Antragsrecht erscheint dagegen meist bloss als Möglichkeit, punktuell wie ein Organwalter Anträge einbringen zu können. Entsprechend erscheint es mir in den meisten Fällen zutreffender, die an-tragsberechtigten Nichtstimmberechtigten als eine Art Hilfs-Organwalter anzuse-hen, die zwar nicht dem Organ Stimmvolk angehören, sich in diesem jedoch punk-tuell einbringen können.

III. Antragsteller

A. Begriff

Wer antragsberechtigt ist, kann mit der Ausübung seines Antragsrechts als An-tragsteller in Erscheinung treten. AnAn-tragsteller sind grundsätzlich alle (natürlichen oder juristischen) Personen, die einen Antrag oder ein Antragsbegehren verant-worten und/oder mit ihrer Unterstützungsbekundung rechtskonform unterstützen.

Da die Antragsteller ihre Unterstützung üblicherweise mit der Unterzeichnung des Antragsbegehrens bekunden, werden sie häufig auch als «Unterzeichner» be-zeichnet.

460 In diesem Sinn EICHENBERGER,Die oberste Gewalt im Bunde, 28 f.

461 Vgl. aber immerhin oben N 91 für das Beratungsrecht von Nichtstimmberechtigten in einzelnen Thurgauer Gemeinden, die zu den Gemeindeversammlungen eingeladen werden und so zum Stimmvolk gezählt resp. als minderberechtigte Organwalter quali-fiziert werden können. Gleiches hätte bei entsprechender Behandlung mutatis mutan-dis auch für die antragsberechtigten Nichtstimmberechtigten zu gelten.

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Die Antragsteller müssen für das (Stimm-)Volk nicht repräsentativ sein. Es scha-det der demokratischen Legitimität eines Volksentscheids nicht, wenn Vertreter ausgesprochener Partikularinteressen ihre Anliegen vor das Stimmvolk bringen.

Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Antragstellung zielen darauf ab, dass die eingereichten Anträge im Stimmvolk eine gewisse Unterstützung haben. Dies hat in erster Linie zum Zweck, das direktdemokratische System nicht mit chancenlo-sen Anträgen zu überlasten.

Das Antragsrecht ermöglicht es – je nach Strenge der Voraussetzungen einer An-tragstellung – einer kleineren oder grösseren Anzahl Antragsberechtigter, ein ihnen wichtig erscheinendes Geschäft aufzugreifen und dem Stimmvolk hierzu ihre Lösung zur Annahme oder Ablehnung vorzuschlagen.462 Das Antragsrecht (einschliesslich seiner inhärenten Beschlusspflicht) erfüllt in einer auf Pluralismus aufbauenden Demokratie eine wichtige Funktion, da es die politische Anhand-nahme auch von Minderheitenanliegen sicherstellt.463 Wie gut es diese Funktion wahrnehmen kann, hängt wesentlich von den konkreten Bedingungen für das Zu-standekommen eines Antrags ab. Nur wenn die Hürde für die Antragstellung nied-rig ist, können sich auch kleine und wenig organisierte Minderheiten politisch mit den direktdemokratischen Instrumenten Gehör verschaffen. Ist sie allerdings zu

462 In der Politikwissenschaft werden der Volksinitiative häufig vier Funktionen zuge-schrieben (siehe zum Ganzen LINDER/MUELLER,Schweizerische Demokratie, 321–

323; vgl. auch VATTER,Das politische System der Schweiz, 380; für Vorschläge wei-terer Funktionen siehe CARONI/VATTER,Vom Ventil zum Wahlkampfinstrument?, 208 f.): In seiner «Ventilfunktion» erlaubt die Volksinitiative schwachen Gruppen, ihre von den Behörden zu wenig berücksichtigten Anliegen einzufordern. In der Funk-tion als «Schwungrad und Verhandlungspfand» wird sie zur (indirekten) Beeinflus-sung der behördlichen Tätigkeit eingesetzt. Als «Katalysator» ermöglicht sie es den Antragstellern, neue Themen auf die Agenda zu setzen und eine breite Diskussion dazu anzuregen, was mittel- oder langfristig zu einem Umdenken führen soll. Als «Wahl-helfer» dient sie der Selbstinszenierung insbesondere von Parteien. Empirische Be-funde deuten entgegen verbreiteter Ansicht darauf hin, dass sich die Volksinitiative seit den 1980er-Jahren nicht in einem Wandel von einem Rechtssetzungs- zu einem Wahlkampfinstrument befindet (CARONI/VATTER, ibid., 206–208).

463 Vgl. aus einer rein verfahrensrechtlichen Sicht auch THIELE,Regeln und Verfahren der Entscheidungsfindung, 521.

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tief, gehen wichtige Anträge in der Masse unter und die Legitimation der Volks-entscheide leidet.464 Ist die Hürde dagegen zu hoch, werden Antragsbegehren ent-weder gar nie zustande kommen oder typischerweise nur solche, die von gut orga-nisierten und grossen Personengruppen eingebracht werden. Damit liefe das direktdemokratische Verfahren Gefahr, seine Integrationsfunktion zu verlieren.465

B. Funktionale Unterteilung der Antragsteller