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2 Rahmendaten der Hörgeschädigtenpädagogik

6.4 Quantitative Ergebnisse

6.4.1 Vierte Klassen

Von vier der 57 ViertklässlerInnen liegen nur die Ergebnisse der VERA-Deutscharbeit vor, von den übrigen 53 hingegen Kopien mit genauen Antworten, so dass die Beurteilung untereinander angeglichen werden kann, weil sie nicht mehr auf den Interpretationen der einzelnen LehrerInnen beruht. Grundlage sind die offiziellen Bewertungsvorschriften (Projekt VERA 2005d).

In Abb. 42 werden die Lösungswahrscheinlichkeiten der hörgeschädigten SchülerInnen in den Aufgaben dargestellt, nach Hörstatus und Zugehörigkeit zur bilingualen Klasse aufgeteilt.148 Die leichtgradig schwerhörigen und dysauditiven SchülerInnen und die bilingualen gehörlosen SchülerInnen bilden die beiden Gruppen mit dem besten Ergebnis, gefolgt von den mittel- bis hochgradig schwerhörigen SchülerInnen. Die nicht-bilingualen an Taubheit grenzend schwerhörigen und gehörlosen SchülerInnen schneiden am schwächsten ab. Diese Verteilung wird dadurch verstärkt, dass die leichtgradig schwerhörigen und dysauditiven SchülerInnen überwiegend aus deutschsprachigen Elternhäusern stammen. Die übrigen Gruppen sind hinsichtlich der Frage des sprachlichen Hintergrunds gleichmäßig verteilt.

Die Unterschiede zwischen den an Taubheit grenzend schwerhörigen sowie gehörlosen SchülerInnen und zwei weiteren Gruppen sind statistisch signifikant, nämlich den bilingualen SchülerInnen mit einem ähnlichen Hörstatus sowie den leichtgradig schwerhörigen und dysauditiven SchülerInnen.149 Die weiteren Mittelwertsunterschiede sind zwar nicht

148 Eine Tabelle mit weiteren statistischen Angaben zu der Abbildung findet sich in Kap. 10.

149 Signifikanz wird in allen Teiluntersuchungen folgendermaßen ermittelt: Zunächst wird mit Hilfe des

Kolmogorov-Smirnov-Tests die Normalverteilung der Teilgruppen überprüft, danach bei den zu vergleichenden

signifikant; insbesondere zwischen den mittel- bis hochgradig schwerhörigen Kindern und den anderen Gruppen finden sich mittlere Effektstärken (Cohens d) von d=0,34 bis d=0,59 (Abb. 42), so dass insgesamt die Hörstatusgruppen von relevanten Effektstärken zueinander charakterisiert werden und die bilinguale Klasse ähnlich gut dasteht wie die Gruppe der leichtgradig schwerhörigen und dysauditiven SchülerInnen.

bilingual a.Tbh.gr.sh/gl. mittel-hochgr. sh.

dys./leichtgr. sh. ns / d=-0,07 * / d=0,99 ns / d=0,34 mittel-hochgr. sh. ns / d=-0,44 ns / d= 0,59

a.Tbh.gr.sh/gl. * / d=-1,25

Abb. 42: Signifikanzen und Effektstärken zwischen Hörstatusgruppen und bilingualer Klasse an Tbh.gr.sh.= an Taubheit grenzend; gl.= gehörlos; mittel-hochgr.sh.=mittel- bis hochgradig schwerhörig; dys.= dysauditiv; leichtgr.sh.= leichtgradig schwerhörig; bilingual=bilinguale Klasse; ns=nicht signifikant; *=signifikant

Die neun SchülerInnen mit einem zusätzlichen Förderschwerpunkt werden eingerechnet, weil sie durchschnittliche Werte zeigen und ihre Herausnahme keinen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis hätte.150 Wie in der IGLU-basierten Teiluntersuchung (siehe 5.6) müsste auch hier dieses Merkmal methodisch klarer definiert werden, um aussagekräftig zu sein.

Die Ergebnisse bestätigen die Bedeutung des Hörstatus einerseits und der Bilingualität unter Einbezug von DGS andererseits. Die beiden hochgradig schwerhörigen SchülerInnen mit gehörlosen Eltern können zur Untermauerung dieses Ergebnisses nicht herangezogen werden;

sie erreichen nämlich individuelle Werte von 21% und 47% und somit eine durchschnittliche Lösungswahrscheinlichkeit für ihre Hörstatusgruppe von 34%. Sie haben auch an der IGLU-basierten Untersuchung teilgenommen und liegen dort über ihrer Vergleichsgruppe. Werden nur zwei SchülerInnen herangezogen, sind solche Schwankungen in verschiedenen Untersuchungsteilen leicht möglich und könnten auch auf situative Faktoren zurückzuführen sein.

Aus der Verteilung auf richtige und falsche Antworten sowie aus dem Anteil von nicht-beantworteten Fragen lässt sich eine interessante Beobachtung ableiten: Die bilinguale Klasse gibt die meisten Antworten von allen Teilgruppen, so dass bei ihr überdurchschnittlich viele

Teilgruppen anhand eines Zwei-Stichproben-F-Tests überprüft, ob sie gleiche oder unterschiedliche Varianzen haben. Schließlich wird von diesem Ergebnis abhängend ein Zwei-Stichproben-t-Test bei gleichen oder unterschiedlichen Varianzen durchgeführt, womit überprüft wird, ob die Nullhypothese für das Gruppenpaar zurückgewiesen werden kann für p<=0.05.

150 Lösungswahrscheinlichkeit x¯ = 35%, Standardabweichung s=25%, Min.– Max.: 0% - 74%.

richtige und falsche Antworten zu verzeichnen sind und sie nur im Bereich der nicht-beantworteten Fragen unter dem Durchschnitt liegt.151 Im Rahmen der IGLU-basierten Untersuchung sind Aspekte wie Lesedauer und Anzahl der Nachfragen als Zeichen für ein entwickelteres exekutives Metawissen der bilingualen SchülerInnen interpretiert worden (siehe 5.2). Ähnlich kann ihre größere Bereitschaft gewertet werden, sich in der VERA-Deutscharbeit an mehr Fragen als andere SchülerInnen zu versuchen. Entscheidend ist, dass dieses Verhalten in der bilingualen Klasse mit einer höheren Lösungswahrscheinlichkeit einhergeht, weshalb es als Indikator für exekutives Metawissen zulässig erscheint. Wenn SchülerInnen lediglich mehr Antworten geben würden, ohne aber mehr Aufgaben zu lösen, würde dies nicht auf entsprechende Kompetenzen, sondern auf eine „imitative Lösungsstrategie“ deuten. Dies ist am Beispiel von älteren SchülerInnen derselben Schule zu sehen (siehe 6.4.2).

Abb. 44 stellt weitere Teilgruppen der Stichprobe mit ihren Ergebnissen vor:152 Die Lesekompetenz der Mädchen ist kaum höher als die der Jungen (ns, d=0,06). Der Unterschied zwischen Kindern aus einem deutschsprachigen und einem anderssprachigen Elternhaus fällt hingegen gravierend aus und ist statistisch signifikant (*, d=0,53). Das Ergebnis der cochlea-implantierten SchülerInnen ist weit unterdurchschnittlich, sie sind signifikant schwächer als die leichtgradig schwerhörigen und dysauditiven (*, d=0,96), die mittel- bis hochgradig

151 Durchschnittlicher Anteil an richtigen, falschen und nicht-beantworteten Fragen in den Hörstatusgruppen, bzw. der bilingualen Klasse:

a.Tbh.gr.sh./gl.: 23% richtig, 41% falsch und 36% keine Antwort.

mitt-hochgr. sh.: 34% richtig, 45% falsch und 21% keine Antwort.

dys./leichtgr.: 42% richtig, 39% falsch und 20% keine Antwort.

bilingual: 43% richtig, 47% falsch und 10% keine Antwort.

152 Eine Tabelle mit weiteren statistischen Angaben zu der Abbildung findet sich in Kap. 10.

schwerhörigen (*, d=0,57) und die bilingualen, zumeist gehörlosen SchülerInnen (*, d=1,22).

Die fünfzehn SchülerInnen mit einem CI setzen sich zusammen aus allen sieben nicht-bilingualen an Taubheit grenzend schwerhörigen und gehörlosen, zwei nicht-bilingualen und fünf mittel- bis hochgradig schwerhörigen SchülerInnen. Gemeinsam haben sie denselben Mittelwert wie die sieben an Taubheit grenzend schwerhörigen und gehörlosen SchülerInnen (ns, d=0,01). Somit bestätigen sich die Hinweise aus der IGLU-basierten Teiluntersuchung (siehe 5.6), dass es in den Hörgeschädigtenschulen eine Reihe von implantierten SchülerInnen gibt, die von ihrem CI sprachlich nicht ausreichend profitieren können.

Neun SchülerInnen befinden sich in der präventiven Integration, von denen eine hochgradig schwerhörig ist, die übrigen mittel- und leichtgradig schwerhörig. Sie haben eine Lösungswahrscheinlichkeit von 58%.153 Da SchülerInnen mit ähnlichen Voraussetzungen vermutlich in anderen Bundesländern und Regionen eher in der regulären Integration zu finden sind, ist ein fairer Vergleich mit den anderen SchülerInnen in Hörgeschädigtenschulen nicht gegeben. Ihre Ergebnisse lassen aber erkennen, dass sie in diesem Integrationsmodell ihre Kompetenzen gut entwickeln können, und verweisen auf die Notwendigkeit, verschiedene Integrationsmodelle empirisch miteinander zu vergleichen.154

Eine wichtige Frage ist zudem, wie sich der Selektionsprozess in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bei der Teilnahme an der VERA-Deutscharbeit und an der Zweitevaluation auswirkt. Deswegen werden die SchülerInnen der beiden Bundesländer zusammengefasst (n=29) und mit der vollständigen und unselektierten Stichprobe aus Berlin und Brandenburg (n=28) verglichen: Sie zeigen eine Lösungswahrscheinlichkeit von 42%,155 die über der aus Berlin und Brandenburg mit 29%156 liegt, ein Unterschied, der statistisch signifikant ist (*, d=0,63). Er ist durch Ungleichheiten zwischen den Bundesländern alleine nicht zu erklären,157 sondern mit großer Wahrscheinlichkeit durch den Auswahlprozess entstanden. Deswegen sind die in der

153 Lösungswahrscheinlichkeit x¯ = 58%, Standardabweichung s=13%, Min.– Max.: 42% - 84%.

154 Studien zu integrativen Außenklassen und Klassen der präventiven Integration finden für alle

Integrationsmodelle eine signifikant schwächere leistungsmotivationale Integration der hörgeschädigten im Vergleich zu den hörenden SchülerInnen, zeichnen aber kein einheitliches Bild im Vergleich der beiden

Integrationsformen (Klitzke et al. 2008, 10; Hänel-Faulhaber 2008, 18). Günther (2008, 125) verweist nach einer Auswertung der aktuell vorliegenden Studien darauf, dass der Zugang zu solchen Integrationsmodellen weiterhin von der Möglichkeit lautsprachlicher Kommunikation abhängt und vermutet, dass „insbesondere der

leistungsmotivationale Faktor im Zusammenhang mit der Kommunikationssituation steht“. Da

Integrationsmodelle mit bilingualer Förderung nur sehr selten sind (siehe 2.10), liegt die Vermutung nahe, dass der Hörstatus bzw. der Zugang zur Lautsprache in jedem üblichen Integrationsmodell eine entscheidende Auswirkung auf den Erwerb schulischer Kompetenzen hat.

155 Lösungswahrscheinlichkeit x¯ = 42%, Standardabweichung s=23%, Min. – Max.: 0% - 95%.

156 Lösungswahrscheinlichkeit x¯ = 29%, Standardabweichung s=18%, Min. – Max.: 0% - 68%.

157 VERA führt keinen Ländervergleich durch. In der IGLU-Studie werden Berlin und Rheinland-Pfalz zwar nicht gesondert berücksichtigt, die ViertklässlerInnen in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen unterscheiden sich in der Lesekompetenz nur wenig (Bos et al. 2004, 68).

Zweitevaluation gewonnenen Ergebnisse besser, als bei einer flächendeckenden Beteiligung aller Hörgeschädigtenschulen an einer Vergleichsarbeit in den genannten Bundesländern zu erwarten wäre.

Insgesamt erweisen sich in der Stichprobe die Indikatoren des Hörstatus einerseits und der bilingualen Beschulung andererseits als einflussreich für die Lesekompetenz; Geschlecht und zusätzliche Beeinträchtigung sind dagegen nicht bedeutsam und auch die beiden SchülerInnen mit gehörlosen Eltern in dieser Teiluntersuchung schneiden durchschnittlich ab. Zwei Gruppen, die deutlich unterdurchschnittliche Werte zeigen, setzen sich zusammen aus den SchülerInnen mit anderssprachigem Elternhaus und den cochlea-implantierten SchülerInnen.

Die präventive Integration ist für schwerhörige SchülerInnen mit guten Voraussetzungen ein bedenkenswertes Modell, während insbesondere für die hochgradig schwerhörigen und gehörlosen SchülerInnen der bilinguale Ansatz des Schulversuchs seine Bestätigung erfährt.