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Durchführung an der Ernst-Adolf-Eschke-Schule

2 Rahmendaten der Hörgeschädigtenpädagogik

6.3 Durchführung an der Ernst-Adolf-Eschke-Schule

An der EAE-Schule ist die VERA-Deutscharbeit zur Evaluation der Lesekompetenz aller SchülerInnen der Klassen 4 bis 9 eingesetzt worden (Hennies 2006a). In der Durchführung sind für alle SchülerInnen dieselben Bedingungen gewährt worden, so dass die Ergebnisse uneingeschränkt und absolut miteinander vergleichbar sind.

Die beiden vierten Klassen der EAE-Schule, d.h. die bilinguale Klasse und ihre nicht-bilinguale Parallelklasse, werden mit ihren VERA-Deutscharbeiten sowohl bei der Zweitevaluation der vierten Klassen als auch bei der schulweiten Evaluation der Lesekompetenz an der EAE-Schule berücksichtigt. Diese Überschneidung ermöglicht es, ihre VERA-Ergebnisse in den Kontext zweier Vergleichsgruppen zu stellen. Damit kann die

144 Unter Einbezug der von der VERA-Deutscharbeit ausgeschlossenen SchülerInnen liegt dieser Anteil bei 24%

(n=15 von N=63).

methodische Unwägbarkeit im Verhältnis zu den anderen hörgeschädigten ViertklässlerInnen, die wegen des unterschiedlichen Nachteilsausgleichs besteht, besser eingeschätzt und insbesondere die Ergebnisse der bilingualen Klasse auf die der älteren SchülerInnen aus demselben schulischen Umfeld bezogen werden.

Schulweite Evaluationen dieser Art liegen, außer der sozialpädiatrischen Studie zu den beiden Hörgeschädigtenschulen der Stadt Münster (siehe 2.11), für Deutschland ansonsten nicht vor.

Wie in Kap. 4 ausgeführt, gibt es verschiedene Hinweise darauf, dass insbesondere gehörlose SchülerInnen unter den Hörgeschädigten nicht nur die schwächste Schriftsprachkompetenz erreichen, sondern über die Schulzeit auch die geringsten Kompetenzzuwächse zu verzeichnen haben (Karchmer & Mitchell 2003, 31f.; Schäfke 2005a, 170). Neben größeren Querschnittsstudien ist deshalb zur Bestätigung dieser Befunde eine Longitudinalstudie am aussagekräftigsten. Wenn diese nicht vorliegt, kann auch eine schulweite Evaluation eine Annäherung an die Frage nach dem Zusammenhang von Alter, Klassenstufe und Lesekompetenz bieten, da die SchülerInnen in allen Jahrgängen aus der gleichen Region und einem ähnlichen sozialen und pädagogischen Umfeld stammen.

6.3.1 Nachteilsausgleich an der Ernst-Adolf-Eschke-Schule

Den SchülerInnen der EAE-Schule wird bei diesen Vergleichsarbeiten der weitgehendste Nachteilsausgleich in der Untersuchung gewährt (siehe 6.2.1), der für die Klassen 4 bis 9 identisch gehandhabt wird. Er wird in Berlin laut SopädVO (2005, § 40(2)) vom Prüfungspersonal, von der Schulleitung und den PädagogInnen in gemeinsamer Absprache entschieden.145

Im Folgenden wird die von der Regelschule abweichende Prüfungssituation an der Schule vorgestellt, wobei jeweils die korrespondierende Formulierung aus der SopädVO (2005, § 39) voransteht und dann eine Einordnung in das unter 6.2.1 entwickelte Schema erfolgt:

Typ II: Veränderung der Prüfungsmaterialien:

- „Vergrößerungskopien“

Den SchülerInnen ist eine Tabelle des Textes 4 „Rheinsberger Kinderland“ als vergrößerte Kopie beigelegt worden. Diese Tabelle ist für die Lösung der Teilaufgaben 4.2 und 4.3 entscheidend. Sehbehinderte SchülerInnen haben zusätzlich die gesamte Arbeit als Vergrößerungskopie bekommen.

145 Im konkreten Fall sind die Maßnahmen von Schulleiter Ulrich Möbius und den LehrerInnen der vierten Klassen, Aya Kremp und Claudius Falkenberg, entwickelt worden.

Typ III: Ergänzungen zum Prüfungstext:

- „Unterstützung der Kommunikation durch den Einsatz (...) der Deutschen Gebärdensprache“

& „Vorlesen von Arbeitsaufträgen und Aufgaben“

Den einzelnen Aufgabenteilen ist eine Einführung in Thematik und Aufgabenstellung in DGS vorausgegangen, die keine Antworten auf die Fragen beinhalten.

- „Visualisierung lautsprachlicher Inhalte“

Im Zusammenhang mit Text 1 „Die Eisenbahn-Oma“ ist eine Deutschlandkarte gezeigt worden, auf der die im Text genannten Orte mit Papierschildern gekennzeichnet sind.

- „Sicherung der sprachlichen Verständlichkeit“

In den Fragetexten werden einzelne Worte mit handschriftlichen Ergänzungen erläutert; so wird in Aufgabe 2.2 das Wort „beginnt“ durch ein ergänztes handschriftliches „anfangen“

erklärt und in Aufgabe 4.4 werden die beiden Auswahlmöglichkeiten „erfüllbar“ und „nicht erfüllbar“ durch ein handschriftliches „möglich“ und „nicht möglich“ ergänzt. Insgesamt sind 15 Worte oder Phrasen auf diese Art mit einer eingefügten Erläuterung versehen worden.

Zusätzlich zu diesen schriftlichen Einfügungen sind im Text einzelne Worte unterstrichen, die auf gesondert beigelegten Wortlisten erläutert werden. Auf diese Weise werden weitere 24 Begriffe erklärt. Dies geschieht mit einem erklärenden Satz, Gebärdenfotos oder einer Abbildung: So wird der Begriff „Elternteil“ durch „Vater oder Mutter“ verdeutlicht oder die englische Überschrift des Textes „Kids on Tour“ mit einer Übersetzung ins Deutsche und den entsprechenden Gebärdenfotos verständlich gemacht. Eine andere Variante ist die Veranschaulichung eines Begriffs durch Bilder, wie z.B. des Begriffs „Mitarbeiter der Bahnhofsmission“ mittels eines Sachfotos und des Logos der Bahnhofsmission.

Typ IV: Veränderung der Prüfungssituation:

- „Verlängerung der Bearbeitungszeit“

Allen SchülerInnen ist die doppelte Zeit für die Aufgaben zur Verfügung gestellt worden.

Typ V: Unterstützung in der Prüfungssituation:

„Unterstützung bei der Bereitstellung und Handhabung von Arbeitsmaterialien“

Es hat die Möglichkeit zur individuellen Nachfrage seitens der SchülerInnen gegeben, bei der einzelne unbekannte Worte oder Arbeitsanweisungen erklärt worden sind.

Wie aus dieser Darstellung zu entnehmen ist, erprobt die EAE-Schule eine Reihe von Ausgleichsmaßnahmen, die in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben zur

Gestaltung des Nachteilsausgleichs stehen. Auch wenn über deren Wirksamkeit im Einzelnen nicht entschieden werden kann, repräsentieren die Ergebnisse der SchülerInnen mit Sicherheit jenen Wert, den sie unter idealen Evaluationsbedingungen in einer solchen Arbeit erreichen können. Inwiefern die einzelnen Maßnahmen tatsächlich die Leistung entscheidend verbessern, kann nicht beantwortet werden. Es ist jedoch angesichts der Schwierigkeit der zu bearbeitenden Texte damit zu rechnen, dass ein Nachteilsausgleich bei SchülerInnen mit unterschiedlichen Kompetenzen unterschiedlich stark wirkt. Da die bilingualen SchülerInnen beider Schulversuche ein entwickelteres metakognitives Wissen haben als gleichaltrige Hörgeschädigte (siehe 4.3 und Kap. 5), verfügen sie u.U. auch über entwickeltere Fähigkeiten, einen Nachteilsausgleich zu nutzen. Die Auswirkung des Nachteilsausgleichs hängt vermutlich ebenso wie die Lesekompetenz von zu bestimmenden Indikatoren ab und ist nicht eindimensional beschreibbar.

6.3.2 Stichprobe an der Ernst-Adolf-Eschke-Schule

In der EAE-Schule besuchen zum Zeitpunkt der Erhebung146 34 SchülerInnen die Klassen 4 bis 9. Die Tabelle in Abb. 41 zeigt ihre Struktur auf.

Klasse Klassenstufe Schulbesuchsjahr n= Alter: Durchschnitt (Min.-Max.)

4.1 4 4 5 10;6 (9;10-11;0)

4.2 (Bilingual) 4 5 6 10;11 (10;0-11;8)

6.1 6 6 6 12;4 (11;4-13;5)

6.2 6 7 5 14;3 (12;9-15;5)

6.3 5-7 5-7 5 13;8 (11;10-15;8)

8 8 8 3 14;9 (14;4-15;1)

9 9 9 4 16;7 (16;2-17;1)

34

Abb. 41: Struktur der teilnehmenden Klassen an der Ernst-Adolf-Eschke-Schule

Außer drei SchülerInnen in den beiden vierten Klassen, die einen Förderschwerpunkt

„Lernen“ oder „Geistige Entwicklung“ aufweisen, werden alle SchülerInnen einbezogen. In Klasse 6.3 sind deshalb auch drei SchülerInnen mit einem Förderschwerpunkt „Lernen“

146 im September, Oktober oder November 2005.

beteiligt und in Klasse 9 eine Schülerin. Für sie sind die Anforderungen der vierten Klasse, die die VERA-Deutscharbeit repräsentiert, dennoch als angemessen angesehen worden, weil sie diese Klassenstufe bereits seit zwei bzw. fünf Jahren hinter sich gelassen haben. In den beiden vierten Klassen sind jeweils ein/e SchülerIn mit einem Förderschwerpunkt „Sehen“

erfasst worden.

Wegen des Anteils von 18% SchülerInnen mit einem zusätzlichen Förderschwerpunkt liegt diese Stichprobe bereits über den allgemeinen Rahmendaten (siehe 2.8), der eigentliche Anteil von hörgeschädigten SchülerInnen mit zusätzlichen Förderschwerpunkten an der Schule ist noch höher. Solche SchülerInnen werden z.T. in eigenen Klassen unterrichtet, die nicht in die Evaluation einbezogen sind.

Zwei Klassen haben ein anderes Schulbesuchsjahr, als ihre Klassenstufe anzeigt. Es handelt sich zum einen um die bilinguale Klasse, die eine um ein Jahr gedehnte Eingangsstufe durchlaufen hat, weil ein Teil der SchülerInnen bei der Einschulung noch nicht schulreif gewesen sind. Deswegen sind die bilingualen SchülerInnen im Schnitt auch nur wenige Monate älter als jene in der parallelen vierten Klasse. Die Klasse 6.2 wäre zum anderen im Grunde die reguläre siebte Klasse, ist jedoch aus pädagogischen Gründen geschlossen zurückgestuft worden. Diese SchülerInnen sind dementsprechend im Mittel knapp zwei Jahre älter als ihre Parallelklasse 6.1.

Die Klasse 6.3. besteht mehrheitlich aus SechstklässlerInnen, integriert aber auch je eine/n SchülerIn der Klassenstufe 5 und 7. In dieser Klasse sind insbesondere schwache SchülerInnen versammelt, die deswegen zusammen unterrichtet werden.

Die SchülerInnen der Klassen 8 und 9 werden in einer kombinierten Klasse unterrichtet, in der folgenden Untersuchung aber als getrennte Klassen behandelt.

Über alle Klassen gesehen sind 11% der SchülerInnen (n=4) mittelgradig, 24% (n=8) hochgradig schwerhörig und 65% (n=22) an Taubheit grenzend schwerhörig oder gehörlos;

dysauditive oder leichtgradig schwerhörige SchülerInnen sind nicht vertreten. Damit hat die Schule eine untypische Struktur für eine Hörgeschädigtenschule, und zwar im Vergleich zu den allgemeinen Rahmendaten von Hörgeschädigtenschulen (siehe 2.4) und den beiden Stichproben von ViertklässlerInnen in der vorliegenden Arbeit (siehe 5.1 & 6.2.2).

Insgesamt 29% der SchülerInnen haben ein CI; von diesen zehn Schülerinnen haben sieben einen ursprünglichen Hörstatus von an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit und drei einen unterhalb dieser Schwelle.

38% sind männlich (n=13) und 62% weiblich (n=21), womit laut der allgemeinen Rahmendaten (siehe 2.5) und der Stichproben in den vierten Klassen der vorliegenden

Untersuchung (siehe 5.1 & 6.2.2) weibliche Schülerinnen in ungewöhnlicher Überzahl vertreten sind.

Auch im Hinblick auf einen Migrationshintergrund weicht die Zusammensetzung der Schule von den allgemeinen Vergleichswerten ihres Bundeslandes ab (siehe 2.8): Eine Mehrheit von 62% der SchülerInnen (n=21) stammt aus einem anderssprachigen Elternhaus und nur 38%

(n=13) aus einem deutschsprachigen.

Mit 9% ist der Anteil von SchülerInnen mit gehörlosen Eltern höher als an Hörgeschädigtenschulen üblich (siehe 2.10). Zwei dieser drei SchülerInnen stammen aus einer Familie mit Migrationshintergrund.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Schülerschaft an der EAE-Schule sich anders zusammensetzt als in den beiden Teiluntersuchungen mit hörgeschädigten ViertklässlerInnen (siehe 5.1 & 6.2.2): Die meisten sind hochgradig hörgeschädigt, es gibt mehr weibliche SchülerInnen, der Anteil mit zusätzlichen Förderschwerpunkten ist höher und eine Mehrheit kommt aus einem nicht-deutschsprachigen Elternhaus. Die bilinguale Klasse ähnelt von ihrer Struktur den anderen Klassen in ihrer Schule (siehe 8.2), unterscheidet sich von den meisten anderen Klassen jedoch durch das jüngere Alter und die niedrigere Klassenstufe sowie durch die anders gelagerte pädagogische Methode: Obwohl an der Schule traditionell LBG eingesetzt wird und die Zahl von zwei gehörlosen LehrerInnen die anderer Hörgeschädigtenschulen übersteigt (Günther & Hennies 2007b, 12), ist zum Zeitpunkt der Untersuchung eine vollständige Vermittlung der DGS und eine kontrastive Sprachvermittlung nur in der Klasse des Bilingualen Schulversuchs sichergestellt.147