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Verständnis von „nachhaltiger Entwicklung“

der Professionalisierung von Lehrkräften

3.1 Nachhaltige Entwicklung

3.1.1 Verständnis von „nachhaltiger Entwicklung“

Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Aktualität von Umwelt- und Gesellschafts-krisen entstand das Konzept „Sustainable developement“ bzw. „Nachhaltige Entwick-lung“38, welches unter historischer Betrachtung keine ganz grundlegend neue Idee der Menschheit darstellt. Nachhaltige Entwicklung wird hiernach als universelles Gedankengut bzw. ein Muster der menschlichen Problembewältigung aufgefasst, welches stets in Zeiten relevant wurde, in denen die natürliche Lebensgrundlage des eigenen Zivilisationsmodells bedroht war (vgl. Wagner, 2013, S. 17). Es beschreibt einen Lösungsansatz innerhalb umweltpolitischer sowie wissenschaftlicher Diskus-sionen und findet grundsätzlich in allen gesellschaftlichen Bereichen eine breite Zustimmung (vgl. Siebenhüner, 2001, S. 62; Grunwald, 2016, S. 91). Mit einer nach-haltigen Entwicklung soll somit ein Weg zur Nachhaltigkeit aufgezeigt werden, der Antworten „auf das Klima- und Ressourcenproblem und generell auf Fragen der dauerhaften und globalen Praktizierbarkeit gegenwärtiger Lebens- und Wirtschafts-weisen“ geben soll (Ekardt, 2016, S. 65).

Die Veröffentlichung des sog. Brundtland-Reports „Our common future“ der Umweltkommission der WCED (World Commission on Environment and Develop-ment) prägte die gängigste Definition der nachhaltigen Entwicklung. Demgemäß ist nachhaltige Entwicklung eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Ge-nerationen entspricht, ohne die Möglichkeit künftiger GeGe-nerationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“ (Hauff, 1987, S. 46). Auf der „United Nations Conference on Environment and Development“

(UNCED) im Jahre 1992 in Rio de Janeiro wurden mit Bezug zur

Brundlandt-Defini-38 Nachhaltige Entwicklung und Nachhaltigkeit werden in den weiteren Ausführungen teils synonym verwendet, auch wenn klar ist, dass Nachhaltigkeit einen Endzustand beschreibt und nachhaltige Entwicklung der Weg dorthin ist. Den-noch ist die Verwendung der Begriffskonstruktion „nachhaltige Entwicklung“ manchmal sperrig, weshalb der einfa-chere Begriff „Nachhaltigkeit“ verwendet wird.

tion detaillierte Handlungsmaßnahmen in der sog. Agenda 21 verabschiedet. Durch die Agenda 21 wurden die nationalen Regierungen aufgefordert, Aktionspläne aufzu-stellen, die das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung in die Bereiche Politik, Wirt-schaft und Bildung integrieren und institutionalisieren sollten (vgl. Holfelder, 2018, S. 28; Heinrichs & Michelsen, 2014, S. 16).

Damit wurde ein global leitendes Prinzip aufgestellt, welches eine Richtschnur aufzeigt, wie sich die Weltgemeinschaft entwickeln soll. Sie ist eine „Idee, die wie ein Kompass die Richtung für ein verantwortungsvolles und gerechtes Zusammen-leben anzeigt, ohne schon Rezepte oder eng geschnittene Definitionen vorzugeben“

(Schlömer, 2010, S. 135). Das Geniale, aber auch Fatale an der Leitidee ist, dass sie kein einfaches Rezept vorgibt. Sie gibt bewusst keine präzise formulierten Ziele und Inhalte vor. Dadurch ist eine breite Anschlussmöglichkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen gegeben und die Unbestimmtheit erlaubt es, „ein außerordentlich kreati-ves, vielfältiges und doch in der Tendenz eine Richtung bezeichnendes dynamisches Feld zu markieren“ (Rauch 2004, S. 37). Andererseits besteht die Gefahr, dass sich sämtliche – auch nicht nachhaltige – Partikularinteressen auf ihr begründen lassen.

Die Funktion der nachhaltigen Entwicklung besteht letztlich darin, dass sie als eine Heuristik für Reflexion taugt. Sie stellt eine Regel im Sinne des Kategorischen Impe-rativs von Immanuel Kant dar, wonach Handeln immer wieder neu zu bewerten ist.

In diesem Sinne ist sie als eine regulative Idee zu verstehen. Weil regulative Ideen nie abschließend geklärt werden können, „müssen sie immer wieder neu akzentu-iert, mit Bedeutungen substantiakzentu-iert, zwischen Akteuren ausgehandelt und in Bezug auf Folgen für die Praxis interpretiert werden“ (Grunwald 2016, S. 29). „Nachhaltige Entwicklung ist kein Verhaltenskodex, sondern ein individueller und gesellschaft-licher Such-, Lern- und Gestaltungsprozess mit dem Anspruch der Aushandlung der besten Lösungen unter dem ethischen Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung“

(Stoltenberg & Burandt, 2014, S. 568) .

Ableitend aus diesem Verständnis ergeben sich für die vorliegende Arbeit drei konstitutive Elemente, die das Nachhaltigkeitsverständnis festlegen (vgl. Grunwald 2016, S. 99–109):

1. Intra- und Intergenerative Gerechtigkeit

Im Mittelpunkt der Brundtland-Definition steht die Kombination der Bedürfnisbe-friedigung innerhalb der heutigen Generation (intragenerativ) mit der gerechten Verteilung der Chancen der Bedürfnisbefriedigung zwischen den Generationen (in-tergenerativ). Das Verständnis der Gerechtigkeit wird als soziale Gerechtigkeit aufge-fasst mit Blick auf Rechte und Pflichten, Naturressourcen, Wirtschaftsgüter und so-ziale Positionen (vgl. Kopfmüller et al., 2001, S. 135).

2. Globale Orientierung

Nachhaltige Entwicklung ist aus mehreren Perspektiven nur global erreichbar:

• Ethische Einsicht: Es besteht ein moralisches Recht für alle Menschen (gegen-wärtiger und zukünftiger Generationen) auf die Befriedigung der

Grundbedürf-nisse, ihrer Wünsche auf ein besseres Leben, die Erhaltung der lebensnotwen-digen Funktionen aller Ökosysteme sowie auf gerechten Zugang zu den globalen Ressourcen.

• Problemorientierte Analyse: Viele der Nachhaltigkeitsprobleme sind globaler Natur; Klimawandel, Verlust der Biodiversität, Bevölkerungswachstum, Boden-degradation, Wasserknappheit etc. sind überwiegend regional unterschiedlich verteilt, haben aber globale Folgen.

• Handlungsstrategische Perspektive: Viele dieser Nachhaltigkeitsprobleme las-sen sich nur durch eine globale Zusammenarbeit bzw. gemeinsame globale Lö-sungsstrategien lösen. Ausgedrückt wird dies z. B. durch die Rio-Dokumente bzw. internationale Klimakonferenzen etc.

3. Anthropozentrischer Ansatz

Das primäre Ziel der nachhaltigen Entwicklung ist die Gewährleistung der dauerhaf-ten und gerechdauerhaf-ten menschlichen Bedürfnisbefriedigung (vgl. Hauff 1987, S. 45). Im Sinne eines aufgeklärt anthropozentrischen Ansatzes stehen menschliche Nutzungs-ansprüche und -wünsche im Vordergrund, ohne aber die Natur nur als Quelle für Rohstoffe oder als Senke für Abfallstoffe zu sehen, sondern auch ihre vielfältigen kulturellen Funktionen, wie z. B. die Ermöglichung ästhetischer Erfahrungen.

Da Nachhaltigkeit vor allem ein großformatiger Begriff ist, woraus sich keine eindeutigen Handlungsanweisungen ableiten lassen, wie dies auch bei der Gerech-tigkeit, einem gutem Leben, der Menschenwürde, der Freiheit und weiteren groß-formatigen Begriffen der Fall ist, gibt es bislang keine einheitlich wissenschaftlich anerkannte Theorie zur nachhaltigen Entwicklung bzw. wird es diese wahrscheinlich auch niemals geben (vgl. Steiner, 2011, S. 32). Das Konzept der nachhaltigen Ent-wicklung ist vielmehr ein Ergebnis einer konstruktiv-hermeneutischen Analyse auf der Grundlage der Berichte der Brundtland-Kommission, den Dokumenten der Rio-Prozesse und den Überlegungen zur Nachhaltigkeit als Gerechtigkeitspostulat (vgl.

Kopfmüller u. a. 2001; Grunwald 2016, S. 91). Es gilt somit als ein prädeliberatives Ein-verständnis39, das auf internationaler politischer Ebene zustande gekommen ist. Da-durch, dass sie nie abschließend geklärt werden können, „müssen sie immer wieder neu akzentuiert, mit Bedeutungen substantiiert, zwischen Akteuren ausgehandelt und in Bezug auf Folgen für die Praxis interpretiert werden“. Diese großen Fragen der Menschheit haben eine entsprechende Tragweite, erfordern permanente Refle-xion, tragen Konflikte in sich und stoßen große Debatten an. Aufgrund unterschied-licher Werthaltungen, Einschätzungen, Diagnosen oder Interessen von Akteuren zur nachhaltigen Entwicklung kommt es immer wieder zu hartnäckigen Kontroversen (vgl. Grunwald, 2016). Dies führt dazu, dass unterschiedliche Nachhaltigkeitskon-zepte auf verschiedenen Nachhaltigkeitsverständnissen beruhen (vgl. Steiner, 2011, S. 32).

39 „Bezeichnen prädiskursive Einverständnisse die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Diskurs überhaupt versprechend geführt werden kann, so benennen prädeliberative Einverständnisse die Bedingungen, damit ein konkre-ter Diskurs, d. h. an einen bestimmten Kontext gebundener Diskurs geführt werden kann“ (Grunwald, 2016, S. 78).

Um dieses Dilemma aufzulösen, soll der Diskurs über Nachhaltigkeit im Sinne Grunwalds strukturell differenziert werden, indem zwischen einem Rechtfertigungs-und einem Operationalisierungsdiskurs unterschieden wird. Im Rechtfertigungsdis-kurs geht es dabei um einen universellen Geltungsanspruch der nachhaltigen Ent-wicklung als gegebene Reflexionsvorschrift. Dieser Diskurs soll nicht weitergeführt werden, vielmehr wurden durch die drei konstitutiven Elemente an der Reflexions-vorschrift der Brundtland-Definition angesetzt und das Verständnis der nachhaltigen Entwicklung festgelegt. Im Operationalisierungsdiskurs geht es um die Entfaltung der Leitidee der nachhaltigen Entwicklung in Konzeptionen für die Praxis. Der Ope-rationalisierungsdiskurs nimmt ein bestimmtes Nachhaltigkeitsverständnis als „mo-rale provisore“ zum Ausgangspunkt für eine Präzisierung. Im Folgenden werden hierzu die gängigen und entscheidenden Ansätze, Modelle und Konzepte dargestellt, die an dem Verständnis der nachhaltigen Entwicklung als regulative Idee ansetzen und die nötige Orientierung für die vorliegende Arbeit bieten. Sie dürfen aber nicht als eine einheitliche Theorie aufgefasst werden.